OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.06.2008 - 6 B 466/08
Fundstelle
openJur 2011, 60214
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, eine der gegenwärtig dem Polizeipräsidium E. zugewiesenen Beförderungsstellen der Besoldungsgruppe A 11 BBesO mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Im Óbrigen wird der Antrag abgelehnt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Die Beschwerde ist unbegründet, soweit der Antragsteller eine Untersagung der Stellenbesetzung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über seine Beförderung begehrt. Für eine über den Zeitpunkt der Neubescheidung hinausgehende zeitliche Begrenzung der einstweiligen Anordnung fehlt es an einem Anordnungsgrund.

Im Übrigen ist die Beschwerde begründet. Der Antragsgegner hat den Antragsteller zu Unrecht vom Auswahlverfahren ausgeschlossen. Er ist fälschlich davon ausgegangen, dass einer Beförderung des Antragstellers die Vorschrift des § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol entgegensteht.

Für den Antragsteller ergibt sich die gesetzliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand aus § 192 Abs. 3 LBG NRW. Danach verringert sich die für ihn durch die Übergangsregelung des Art. 7 § 5 Abs. 3 des Zehnten Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 2003 (GV NRW S. 814) modifizierte Altersgrenze nach § 192 Abs. 1 LBG NRW um ein Jahr, weil er fünfundzwanzig Dienstjahre im Wechselschichtdienst abgeleistet hat. Es steht nicht zur Disposition des Polizeibeamten, ob er diese abgesenkte Altersgrenze für sich in Anspruch nehmen will. Vielmehr hat der Dienstherr die Regelung von Amts wegen zu beachten und auch ohne entsprechenden Antrag des Polizeibeamten zu prüfen, ob ihre Voraussetzungen vorliegen. § 192 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW ordnet die Verringerung der Altersgrenze für die Gruppe von Polizeibeamten, die fünfundzwanzig Dienstjahre Wechselschichtdienst absolviert haben, kraft Gesetzes an. Eines Vollzugsaktes des Dienstherrn, der von einem Antrag des Beamten abhängen würde, bedarf es nicht. Liegen die erforderlichen Zeiten im Wechselschichtdienst - wie bei dem Antragsteller - unstreitig vor, tritt der Polizeibeamte bei Erreichen der sich aus § 192 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW ergebenden Altersgrenze kraft Gesetzes in den Ruhestand. Der eindeutige Wortlaut dieser Regelung lässt ein abweichendes Verständnis nicht zu, zumal der Gesetzgeber für andere Fälle, in denen der Eintritt in den Ruhestand abweichend von § 192 Abs 1 LBG NRW erfolgen kann (§ 192 Abs. 2 und 4 LBG NRW), das Antragserfordernis ausdrücklich vorgesehen hat.

§ 192 Abs. 3 Satz 3 LBG NRW, wonach der Polizeibeamte die Zeiten im Wechselschichtdienst nachzuweisen hat, steht diesem Verständnis nicht entgegen. Die Regelung besagt nur, dass der Beamte im Zweifel die Voraussetzungen für die in aller Regel als begünstigend empfundene Verringerung der Lebensarbeitszeit nachweisen muss. Führt er diesen Nachweis nicht, greift § 192 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW nicht ein, so dass die allgemeine Altersgrenze gilt. Der Gesetzgeber hat damit sichergestellt, dass sich die Altersgrenze auch in Zweifelsfällen aus dem Gesetz ergibt.

Dass der Antragsteller die nach § 192 Abs. 3 LBG NRW maßgebliche Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 30. September 2009 erreicht, rechtfertigt gleichwohl nicht die Annahme des Antragsgegners, er dürfe mit Blick auf § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol nicht mehr befördert werden. Ob eine Beförderung des Antragstellers wegen der dort vorgesehenen Beförderungssperrfrist unzulässig ist, hängt nämlich davon ab, ob der Antragsgegner dem von dem Antragsteller am 11. Dezember 2007 gestellten Antrag auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit entspricht. In diesem Fall würde die Beförderungssperrfrist erst mit Ablauf des 30. September 2008 beginnen.

Wird der Eintritt in den Ruhestand auf Antrag des Polizeibeamten nach § 192 Abs. 2 LVO NRW hinausgeschoben, verlagert sich auch der Zeitpunkt, in dem die Beförderungssperrfrist des § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO einsetzt. Das ergibt sich schon aus der Formulierung dieser Vorschrift, wonach es auf den "Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze" ankommt. Das Eingreifen der Sperrfrist ist also von zwei Voraussetzungen abhängig: dem Erreichen der Altersgrenze und dem (dadurch bedingten) Eintritt in den Ruhestand. Allein das Erreichen der allgemeinen Altersgrenze ist mithin folgenlos. Bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist deshalb für die Berechnung der Sperrfrist auf den sich nach Maßgabe der Verlängerung ergebenden späteren Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand abzustellen. Ansonsten würde außerdem der innere Zweck der nach § 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol auf zwei Jahre begrenzten Sperrfrist unterlaufen, denn nach der verordnungsrechtlichen Wertung soll eine Beförderung nur dann unzulässig sein, wenn der Beamte nicht wenigstens zwei Jahre in seinem Beförderungsamt tätig sein kann.

Der Antrag auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist für die Berechnung der für den Antragsteller geltenden Beförderungssperrfrist auch nicht deshalb unbeachtlich, weil eine solche Verlängerung, wie der Antragsgegner meint, derzeit noch nicht gewährt werden könnte. Die auf die Vorgaben im Erlass des Innenministeriums NRW vom 28. Februar 2006 - 45.2 - 26.04.01 - R - gestützte Weigerung des Antragsgegners, bereits jetzt über den Antrag auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu entscheiden, ist rechtswidrig.

Aufgrund der Regelung in dem vorgenannten Erlass, nach der dem Innenministerium NRW Anträge erst sechs Monate vor Beginn des Ruhestandes zur Genehmigung vorzulegen sind, spricht der Antragsgegner eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht vor diesem Zeitpunkt aus. Diese zeitliche Bindung mag im Allgemeinen nicht zu beanstanden sein. Sie erweist sich jedoch in ihrer Ausnahmslosigkeit als rechtswidrig. Sie lässt sich mit der den §§ 192 Abs. 2, 8 Abs. 7 Nr. 4 LVO Pol zugrunde liegenden Wertung nicht uneingeschränkt in Einklang bringen, wonach die Beförderungssperrfrist auch bei verlängerter Lebensarbeitszeit auf einen Zeitraum von zwei Jahren vor Eintritt in den Ruhestand beschränkt sein soll. Die Verwaltungspraxis des Antragsgegners führt im Einzelfall dazu, dass ein Beamter über einen wesentlich längeren Zeitraum faktisch nicht befördert werden kann. Das zeigt der hier vorliegende Fall. Bis zur Entscheidung über seinen Antrag auf ein Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand kann der Antragsteller nicht befördert werden, weil der Antragsgegner ihm bis dahin die Sperrfrist entgegenhält, die sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Altersgrenze nach § 192 Abs. 3 Satz 1 LBG NRW ergibt. Sofern der Antragsgegner dem Antrag auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit sodann sechs Monate vor Eintritt des Antragstellers in den Ruhestand entspricht, kommt für ihn eine Beförderung nicht mehr in Betracht, weil er auch im Hinblick auf den danach für die Berechnung der Sperrfrist maßgeblichen Zeitpunkt der Sperrfrist unterläge. Damit bliebe der Antragsteller über einen Zeitraum von insgesamt drei Jahren von einer Beförderung ausgeschlossen.

Nach alledem kann der Antragsgegner das Beförderungsbegehren des Antragstellers derzeit nicht mit der Begründung ablehnen, dass er sich bereits in der Beförderungssperrfrist befinde. Der darauf gestützte Ausschluss des Antragstellers aus dem Auswahlverfahren ist rechtswidrig, sodass der Antragsgegner die streitige Beförderungsstelle nicht besetzen darf, bis er über den Antrag des Antragstellers auf Verlängerung der Lebensarbeitszeit und dessen Beförderung erneut entschieden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er keinen Antrag gestellt und sich daher dem Risiko einer Kostentragung nicht ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Entscheidung zu halbieren ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Zitate0
Referenzen0
Schlagworte