OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.09.2008 - 15 A 2129/08
Fundstelle
openJur 2011, 58009
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 K 1142/07
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Antragsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag hat keinen Erfolg, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) nicht vorliegt. Die Klägerin hat keinen tragenden Rechtssatz und keine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Zu Unrecht glaubt die Klägerin, gegen den Beklagten die Feststellung beanspruchen zu können, dass es rechtswidrig gewesen sei, über den Antrag auf Investionskostenübernahme sowie den Optionsvertrag im Haupt- und Finanzausschuss am 19. April 2007 und im Rat am 3. Mai 2007 in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten und zu beschließen.

Für das Verfahren im Haupt- und Finanzausschuss gilt dies schon deshalb, weil eine solche Feststellung allenfalls gegenüber diesem begehrt werden könnte. Eine Feststellungsklage im Kommunalverfassungsstreitverfahren setzt ein organschaftliches Recht voraus, dessen Verletzung durch den Beklagten vom Kläger geltend gemacht wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 -, juris Rdnr. 44 ff.

Geht es um die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Handelns, ist erforderlich, dass das Handeln ein subjektives Organrecht des klagenden Organs oder Organteils nachteilig betrifft. Dabei ist passiv legitimiert derjenige Funktionsträger innerhalb der kommunalen Körperschaft, dem gegenüber die mit der Organklage beanspruchte Innenrechtsposition bestehen soll.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 8. Oktober 2002 - 15 A 4734/01 -, NWVBl. 2003, 309 (310).

Soweit die Klägerin geltend macht, der Haupt- und Finanzausschuss habe zu Unrecht die benannten Tagesordnungspunkte in nichtöffentlicher Sitzung behandelt, kann daher die entsprechende Feststellung zwar gegenüber diesem Organ, nicht aber gegenüber dem hier allein beklagten Rat begehrt werden. Unbeschadet dessen war die Klage aber auch deshalb abzuweisen, weil - wie bei dem insoweit zutreffend beklagten Rat - die nichtöffentliche Behandlung des Tagesordnungspunktes fehlerfrei war.

Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein- Westfalen (GO NRW) sind die Sitzungen des Rates öffentlich. Nach Satz 2 der Vorschrift kann durch die Geschäftsordnung die Öffentlichkeit für Angelegenheiten einer bestimmten Art ausgeschlossen werden. Das ist hier für Liegenschaftssachen nach § 6 Abs. 2 Buchst. b der Geschäftsordnung des Rates und der Ratsausschüsse der Stadt E. vom 30. November 1995 (GeschO) geschehen.

Die Klägerin ist klagebefugt. Ratsfraktionen steht ein eigenes wehrfähiges subjektives Organrecht auf Wahrung des Grundsatzes des Sitzungsöffentlichkeit zu.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31.

Dieses Recht hat die Klägerin auch nicht verloren. Zwar ergibt sich aus dem auf das Verhältnis zwischen kommunalen Organen und Organteilen übertragbaren Grundsatz der Organtreue, dass die Klägerin eine Obliegenheit traf, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verfahrensgestaltung in der verfahrensrechtlich gebotenen Form geltend zu machen. Wird diese Obliegenheit verletzt, so ist die spätere Geltendmachung der Rechtsverletzung treuwidrig und deshalb unzulässig.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 - 15 A 817/04 -, juris Rdnr. 76.

Hier beantragte die Klägerin jedoch unter dem 15. April 2007 zum Grundstücksoptionsvertrag, in öffentlicher Sitzung des Rates möge beschlossen werden, den Vertrag nur dann zu unterzeichnen, wenn der Investor näher bezeichnete Kosten übernehme. Weiter beantragte die Klägerin in der Sitzung des Rates vom 3. Mai 2007, den Tagesordnungspunkt "Grundstücks-Optionsvertrag" in öffentlicher Sitzung zu beraten. Der Rat lehnte dies ab. Die Klägerin hat somit alles Erforderliche getan, um die vermeintliche Verletzung des geltend gemachten Rechts auf Sitzungsöffentlichkeit zu verhindern.

Der Ausschluss der Behandlung von Liegenschaftssachen von öffentlicher Beratung war hier rechtmäßig. Zu Unrecht meint die Klägerin, es handele sich bei dem Grundstücksoptionsvertrag nicht um eine Liegenschaftssache. Dieser Begriff umfasst Grundstücksangelegenheiten, schwerpunktmäßig Verträge über Grundstücke, insbesondere Kaufverträge. Der hier in Rede stehende Grundstücksoptionsvertrag stellt im Kern das - auf Kosten des Angebotsempfängers abgegebene - bindende Angebot zum Abschluss eines Grundstückskaufvertrages dar. Daher handele es sich zweifelsfrei um eine Liegenschaftssache. Diese Eigenschaft verliert der Vertrag nicht dadurch, dass er durch den städtebaulichen Vertrag in ein übergreifendes Vertragswerk eingebettet ist.

Der Ausschluss der öffentlichen Beratung über den abstraktgenerell gefassten Ausschlusstatbestand "Liegenschaftssachen" durch die Geschäftsordnung ist wirksam. Dem Wortlaut des § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW sind allerdings keine inhaltlichen Kriterien dafür zu entnehmen, in Angelegenheiten welcher Art der Gemeinderat die Öffentlichkeit durch die Geschäftsordnung ausschließen darf. Wegen der großen Bedeutung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit ist hieraus aber nicht zu schließen, dass der Gemeinderat insoweit keinen Bindungen unterläge. § 48 Abs. 2 Satz 2 GO NRW setzt vielmehr voraus, dass aus anderen Rechtsvorschriften oder Rechtsgrundsätzen herzuleiten ist, in welcher Art von Angelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung zu beraten ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. November 2006 - 15 B 2378/06 -, NWVBl. 2007, 117.

Nach der Wertung des § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 GO NRW zur Verschwiegenheitspflicht ist der Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Beratung über Angelegenheiten, deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich ist, zulässig, wobei ihrer Natur nach geheim insbesondere Angelegenheiten sind, deren Mitteilung an andere dem Gemeinwohl oder den berechtigten Interessen einzelner Personen zuwiderlaufen würde. Das trifft bei abstraktgenereller Betrachtung auf Liegenschaftssachen jedenfalls dann zu, wenn der Begriff auf Verträge über Grundstücke beschränkt wird. Verträge über Grundstücke enthalten vor allem Preisvereinbarungen. Dabei geht es normalerweise auch um erhebliche Beträge. Es entspräche regelmäßig nicht dem Gemeinwohlinteresse, wenn die Vertragskonditionen, die die Gemeinde im Einzelfall zu gewähren bereit ist, öffentlich beraten würden, da dies die Verhandlungsposition der Gemeinde in etwaigen weiteren Vertragsverhandlungen schwächen könnte. Daher werden in der Literatur weitgehend Grundstücksverträge als Fallgruppe angesehen, die in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werden können.

Vgl. Rehn/Cronauge/von Lennep, GO NRW, Loseblattsammlung (Stand: März 2008), § 48 Anm. V 2 b; Kleerbaum/Palmen, GO NRW, § 48 Anm. III 2 b; z. T. anderer Auffassung (Verkauf und Vermietung gemeindlicher Grundstücke regelmäßig in öffentlicher Sitzung) Plückhahn, in: Held u. a., Kommunalverfassungsrecht NRW, Loseblattsammlung (Stand: Februar 2008), § 48 Anm. 12 d.

Allerdings gilt dies nur generellabstrakt. Dem Rat bleibt es unbenommen, im Einzelfall zu beschließen, dennoch öffentlich zu beraten. Hier sieht § 6 Abs. 2 Satz 2 GeschO ausdrücklich vor, dass der für Angelegenheiten bestimmter Art angeordnete generelle Ausschluss der Öffentlichkeit nicht gilt, wenn im Einzelfall weder Gründe des öffentlichen Wohls noch berechtigte Ansprüche oder Interessen Einzelner den Ausschluss der Öffentlichkeit gebieten.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse im konkreten Fall bejaht, auch wenn es die genannte Öffnungsklausel nicht ausdrücklich erwähnt hat: Inhalt des Optionsvertrages ist die Gegenleistung für den Grundstücksverkauf in Form des Kaufpreises. Im Rahmen des Tagesordnungspunktes "Grundstücks-Optionsvertrag" sollte und musste gerade die von der Klägerin geforderte höhere Investionskostenübernahme als Teil der Gegenleistung erörtert werden, von der nach dem Willen der Klägerin die Unterzeichnung des Vertrages abhängig gemacht werden sollte. Es steht außer Zweifel, dass die Beratung darüber, ob überhaupt weitere Gegenleistungen und gegebenenfalls welche für den Verkauf eines gemeindlichen Grundstücks gefordert werden sollen, im Interesse des Gemeinwohls in nichtöffentlicher Sitzung erfolgen muss. Die Offenbarung der Beratung hätte die Verhandlungslage der Gemeinde entscheidend schwächen können, da der Vertragspartner über die gemeindlichen Erwägungen informiert worden wäre und seine Verhandlungsposition darauf zu Lasten der Gemeinde hätte einstellen können. Ob sich diese Gefahr im vorliegenden Fall bei dem tatsächlich Ablauf der Willensbildung realisiert hätte, ist unerheblich, denn die Entscheidung über die Nichtöffentlichkeit der Sitzung war vor der Behandlung des Tagesordnungspunktes zu treffen.

Vgl. dazu, dass etwa auch die Beratung über das prozesstaktische Vorgehen in einem von der Gemeinde geführten Rechtsstreit nichtöffentlich erfolgen muss, OVG NRW, Urteil vom 24. April 2001 - 15 A 3021/97 -, NWVBl. 2002, 31.

Auch die übrigen Einwendungen der Klägerin, eine weitere Grundstücksveräußerung durch die Stadt sei nicht geplant und das Geschäftsinteresse des Investors am Kauf weiterer Grundstücke bekannt gewesen, rechtfertigten keine Beratung in öffentlicher Sitzung. Auf die Richtigkeit der Begründungselemente des verwaltungsgerichtlichen Urteils im einzelnen zur Frage der Rechtfertigung des Ausschlusses der Öffentlichkeit kommt es angesichts der Eindeutigkeit des vorstehend genannten Gesichtspunkts nicht an. Insbesondere rechtfertigt auch das geltend gemachte Interesse der Bürgerschaft an der Seriosität der Kaufpreisermittlung keine öffentliche Beratung über die Zustimmung zum Vertrag und über mögliche Mehrforderungen bei der Gegenleistung. Das könnte allenfalls eine nachträgliche öffentliche Erörterung rechtfertigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes. Der Senat setzt den Streitwert in einem Kommunalverfassungsstreit in Übereinstimmung mit Nr. 22.7 des Streitwertkataloges 2004 in ständiger Rechtsprechung auf 10.000,-- Euro fest.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.