OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.06.2008 - 10 A 2525/07
Fundstelle
openJur 2011, 57128
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 18. Juli 2007 wird abgelehnt.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Entgegen der Antragsbegründung verstößt der vom Beklagten mit Baugenehmigung vom 18. April 2007 für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis zum 30. September 2007 zugelassene Biergarten mit 30 Sitzplätzen zu Lasten der Klägerin gegen das im Tatbestandsmerkmal des "Einfügens" im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme.

Welche Anforderungen an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellen sind, hängt wesentlich von den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Für die sachgerechte Beurteilung kommt es auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dementsprechend ist das Rücksichtnahmegebot verletzt, wenn unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird.

Der Klägerin sind die Lärmbeeinträchtigungen des Biergartens der Beigeladenen aufgrund seiner Lage im rückwärtigen Bereich hinter ihrem Wohnhaus G.-------- straße 20 nicht zuzumuten. Von dem Vorhaben geht ein hohes Störpotential aus. Aufgrund des Betriebs des nach der Genehmigung täglich von 12.00 Uhr bis 22.00 Uhr nutzbaren Biergartens wird die Klägerin durch laute Unterhaltungen, Rufen, lautes oder schrilles Lachen der Gäste sowie durch das Klappern von Geschirr und Gläsern in der Wohnruhe gestört. Derartige Beeinträchtigungen gibt es vornehmlich in den Zeiten, in denen die Wohnbevölkerung ein besonderes Ruhebedürfnis besitzt, nämlich in den Abendstunden und an Sonn- und Feiertagen. Dies entspricht entgegen der Antragsbegründung allgemeiner Lebenserfahrung.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. August 1996 - 11 A 635/95 -; Beschluss vom 13. Februar 1998 - 10 B 2260/97 -.

Die Beeinträchtigungen sind für die Klägerin unzumutbar, da sie auf den rückwärtigen Bereich und damit auf den Ruhebereich ihres ca. 20 m vom Biergarten entfernten Wohnhauses einwirkt. Den Lärmbelästigungen ist ihr Grundstück, welches unmittelbar an die für die Außengastronomie vorgesehene Fläche der Beigeladenen angrenzt, weitgehend ungeschützt ausgesetzt. Die Grundstücke werden lediglich durch eine Einfriedung getrennt, für die kein Schalldämmmaß bestimmt ist. Diese - typischerweise besonders lärmintensive - Art des Gaststättengewerbes dringt in einen hinter den Gebäuden der G.--------straße in I. liegenden Bereich ein, der bisher nicht von derart spürbaren Geräuschimmissionen beeinträchtigt worden ist. Bauliche Nutzungen, die nennenswerte vergleichbare Geräuschbelastungen erwarten lassen, sind dort bisher nicht zugelassen worden. Mit dem Biergarten ist vielmehr Lärm in eine bislang der vorhandenen Wohnnutzung zugute kommende schutzbedürftige Ruhezone hineingetragen worden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. August 1996 - 11 A 635/95 -; Beschluss vom 9. Juli 1998 - 7 B 1226/98 -.

Der Schutzwürdigkeit ist nicht wegen relevanter Vorbelastungen gemindert. Ergänzend zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts weist der Senat darauf hin, dass dies auch im Hinblick auf die inzwischen offenbar aufgegebene Kfz-Werk- statt (G.--------straße 16) gilt. Denn zum einen handelt es sich lediglich um einen sehr kleinen Betrieb. Zum anderen fehlt jeglicher Anhalt für eine betriebliche Nutzung in den besonders empfindlichen Abendstunden sowie am Wochenende.

Entgegen dem Vorbringen der Beigeladenen stellt es keine relevante Vorbelastung dar, dass ihr Grundstück an ein durch Bebauungsplan festgesetztes Kerngebiet grenzt, in dem statt des dort befindlichen Hallenbades eine stärker emittierende Nutzung aufgenommen werden könnte. Denn für die Beurteilung nach § 34 BauGB kommt es maßgeblich auf die tatsächlich vorhandene bauliche Nutzung an und nicht auf die nach den Festsetzungen eines Bebauungsplans zulässige Nutzung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1975 - 4 C 16.73 -, BRS 29 Nr. 33.

Zu Unrecht macht die Beigeladene geltend, der Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sei durch die Nebenbestimmungen der angefochtenen Baugenehmigung ausgeräumt worden. Denn die dort vorgesehene Einhaltung bestimmter Immissionswerte ändert nichts an der Unzumutbarkeit der Lärmbelästigung. Diese Wertung beruht - wie dargelegt - nicht auf einem konkreten Verstoß gegen bestimmte Immissionswerte, sondern maßgeblich auf der schutzwürdigen Lage im rückwärtigen Ruhebereich.

Dementsprechend kann es hier offen bleiben, ob es zur Beurteilung der Zumutbarkeit von Lärmeinwirkungen von Biergärten überhaupt sachgerecht ist, entsprechend dem Runderlass des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 23. Oktober 2006 "Messung, Beurteilung und Verminderung von Geräuschimmissionen bei Freizeitanlagen",

vgl. MBl. NRW 2006, 566,

auf die Einhaltung bestimmter Immissionsrichtwerte nach Maßgabe einer modifizierten Anwendung der TA Lärm abzustellen. Der Senat weist insoweit darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des beschließenden Gerichts,

vgl. Urteil vom 5. Februar 1996 - 10 A 944/91 -, NWVBl 1997, 11; Beschlüsse vom 13. Februar 1998 - 10 B 2260/97 -, vom 25. August 2003 - 7 B 1477/03 - und vom 24. Oktober 2005 - 7 B 1013/05 -,

die Bewertung der Zumutbarkeit des durch Menschen verursachten Lärms von einem Bündel von Faktoren abhängt, die nur unvollkommen in einem einheitlichen Messwert aggregierend erfasst werden können. Dies gilt gerade auch für Geräusche, die von Dritten verursacht werden und vom Biergartenbetreiber anders als bei gewerblichem Lärm im herkömmlichen Sinn nicht gesteuert werden können.

2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Besondere Schwierigkeiten liegen dann vor, wenn der Ausgang des Rechtsstreits im Hinblick auf die von der Rechtsmittelführerin vorgetragenen Einwände gegen das erstinstanzliche Urteil als offen erscheint; die geltend gemachten rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten müssen für das Entscheidungsergebnis von Bedeutung sein. Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Die Antragsbegründung kann - wie oben dargelegt - die entscheidungserheblichen rechtlichen und tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichts nicht erschüttern. Die vorliegende Situation ist nicht derart komplex, dass die Ermittlung und Bewertung der betroffenen nachbarlichen Belange unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens offen wären.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).