SG Köln, Beschluss vom 02.11.2007 - S 6 AS 231/06
Fundstelle
openJur 2011, 56959
  • Rkr:
Tenor

Die Erinnerung der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17.08.2007 wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Erinnerung der Beklagten, über die gemäß § 197 Abs. 2 SGG das Gericht durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG damit ohne ehrenamtliche Richter zu entscheiden hat, ist unbegründet. Die allein streitige fiktive Terminsgebühr für die Untätigklage gemäß Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 3 VV zum RVG, die der Urkundsbeamte mit 100,00 Euro veranschlagt hat, ist sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zutreffend festgestellt worden.

1. a) Gemäß VV 3106 Satz 2 Nr. 3 entsteht die Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Ein solche Fall lag hier vor.

Allerdings handelt es sich bei einer Untätigkeitsklage nicht stets um ein Anerkenntnis im Sinne von § 101 Abs. 2 SGG und VV 3106 Satz 2 Nr. 3, wenn die Beklagte den Antrag bzw. den Widerspruch des Klägers durch Erlass eines – wie auch immer gearteten – Bescheides bzw. Widerspruchsbescheides bescheidet, auch wenn die Untätigkeitsklage gemäß § 88 SGG auf bloße Bescheidung gerichtet ist. Da eine Untätigkeitsklage nur dann begründet ist, wenn die Beklagte ohne zureichenden Grund über den Antrag bzw. den Widerspruch nicht innerhalb einer Frist von 6 bzw. 3 Monaten entschieden hat, und auch nur dann eine Verurteilung der Beklagten zu der beantragten Bescheidung erfolgen kann (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 88 Rn. 9), liegt ein Anerkenntnis im Rechtssinne vielmehr nur vor, wenn die Frist des § 88 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGG abgelaufen ist und die Beklagte zusätzlich zum Erlass des Bescheids bzw. des Widerspruchsbescheids uneingeschränkt zugesteht, dass sie keinen zureichenden Grund für die verspätete Entscheidung hatte. Dies kann sich nicht nur aufgrund einer ausdrücklichen Erklärung der Beklagten, sondern auch aus den gesamten Umständen der Bescheiderteilung ergeben. So liegt es nahe, dass die Beklagte eingesteht, dass sie ohne zureichenden Grund binnen angemessener Frist nicht entschieden hat, wenn sie nichts zum Vorliegen eines zureichenden Grundes vorträgt, da sie grundsätzlich zureichende Gründe darzulegen hat (vgl. Leitherer, a.a.O., Rn. 7a). Gleiches gilt, wenn die Beklagte ohne Einschränkungen oder Erläuterungen ein Kostenanerkenntnis dem Grunde nach abgibt, da sie damit eingesteht, dass die Untätigkeitsklage begründet war und sie Anlass zur Klage gegeben hat. Ansonsten müsste sie nämlich die außergerichtlichen Kosten des Klägers nicht übernehmen.

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte durch Erlass des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2006 ein Anerkenntnis abgegeben. Hierfür spricht bereits die Erklärung in der Klageerwiderung vom 05.12.2006, in der es heißt, die Beklagte habe (durch Erlass des Widerspruchsbescheids) dem Begehren des Klägers entsprochen. Zudem hat die Beklagte nicht geltend gemacht, es habe für die verspätete Entscheidung einen zureichenden Grund gegeben, und sich folgerichtig auch bereit erklärt, die notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu übernehmen. Nach den Umständen ist damit der Erlass des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2006 als uneingeschränktes Zugeständnis, dass der nach § 88 Abs. 2 SGG geltend gemachte Klageanspruch bestand, zu werten. Die Erledigungserklärung des Klägers im Schriftsatz vom 18.12.2006 stellt die Annahme dieses Anerkenntnisses dar mit der Folge, dass der Rechtsstreit nach § 101 Abs. 2 SGG beendet wurde.

b) Die fiktive Terminsgebühr durfte auch angesetzt werden, obwohl sie der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht ausdrücklich geltend gemacht, sondern vielmehr eine Erledigungsgebühr nach VV 1006 i.V.m. VV 1002, 1005 beansprucht hat.

Gegenstand des Kostenfestsetzungsverfahrens ist der geltend gemachte Kostenanspruch, der einerseits durch den begehrten Betrag und andererseits durch den Sachverhalt konkretisiert wird, aufgrund dessen eine Kostenposition beansprucht wird. Insoweit gilt nichts anderes als für den Begriff des Streitgegenstands im Prozess, der ebenfalls durch den Antrag und den Lebenssachverhalt, auf den der Anspruch gegründet wird, bestimmt wird: An den Streitgegenstand, den prozessualen Anspruch, ist das Gericht gebunden (§ 123 SGG). Innerhalb des Streitgegenstandes hat das Gericht den Sachverhalt umfassend von Amts wegen zu ermittteln (§ 103 SGG) und unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen (vgl. § 202 SGG i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG). Für das Kostenfestsetzungsverfahren bedeutet dies, dass der Urkundsbeamte nach § 197 Abs. 1 SGG oder das Gericht nach § 197 Abs. 2 SGG nicht über den Betrag hinausgehen dürfen, dessen Erstattung begehrt wird. Ebenso unzulässig ist es, den Sachverhalt, aufgrund dessen die einzelnen Gebührentatbestände geltend gemacht werden, von Amts wegen zu verändern oder zu erweitern. Zulässig und geboten ist es demgegenüber, den geltend gemachten Kostenanspruch unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten, d.h. unter allen in Betracht kommenden Gebührentatbeständen des VV, zu prüfen (vgl. auch von Eicken/Müller-Rabe, in: Gerold/Schidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, § 55 Rn. 27).

Maßgeblich ist insoweit, für welches anwaltliches Handeln bzw. für welches Ereignis eine Kostenposition geltend gemacht wird. Erhebt der Prozessbevollmächtigte lediglich eine Verfahrensgebühr, nennt er als kostenverursachenden Tatbestand lediglich die anwaltliche Tätigkeit durch Einleitung und Führung des Verfahrens und begrenzt so den im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens zu prüfenden Sachverhalt. Weder der Urkundsbeamte noch das Gericht dürfen in einem solchen Fall etwa eine Erledigungsgebühr nach VV 1002, 1006 oder eine Terminsgebühr nach VV 3106 zuerkennen, da dadurch der Sachverhalt im Kostenfestsetzungsverfahren um ein kostenverursachendes Ereignis (Erledigung durch anwaltliche Mitwirkung; Stattfinden eines Termins zur mündlichen Verhandlung) erweitert würde, auf das der geltend gemachte Kostenanspruch nicht gegründet wurde. Anders liegt der Fall jedoch, wenn der Prozessbevollmächtigte z.B. eine Erledigungsgebühr nach VV 1006 i.V.m. VV 1002 oder eine Terminsgebühr nach VV 3106 geltend macht. Damit nennt er in seinem Antrag ein weiteres, möglicherweise kostenverursachendes Ereignis, das daraufhin zu prüfen ist, ob ein Vergütungstatbestand nach dem VV zum RVG erfüllt ist. Liegen die rechtlichen Voraussetzungen des von dem Prozessbevollmächtigten genannten Gebührentatbestandes nicht vor, bedeutet dies nicht, dass dem Prozessbevollmächtigten ein weitergehender Gebührenanspruch nicht zusteht. Vielmehr sind weitere Anspruchsgrundlagen, d.h. weitere Tatbestände des VV zu prüfen, aufgrund derer sich eine Gebühr für das geltend gemachte, möglicherweise kostenverursachende Ereignis ergeben könnte. Der Austausch von Kostenpositionen ist also möglich, soweit es in der Sache lediglich um einen Austausch der Anspruchsgrundlagen geht.

Nach diesen Grundsätzen ist jedenfalls die hier vorgenommene Ersetzung der geltend gemachten Erledigungsgebühr nach VV 1006 i.V.m. VV 1002, deren rechtliche Voraussetzungen nach den zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss mangels der erforderlichen weitergehenden anwaltlichen Mitwirkung nicht vorlagen (vgl. Bundessozialgericht, Urteile vom 07.11.2006, Az.: B 1 KR 13/06 R; B 1 KR 22/06 R; B 1 KR 23/06 R; Urteil vom 21.03.2007, Az.: B 11a AL 53/06 R), durch die fiktive Terminsgebühr nach VV 3106 Satz 2 Nr. 3 nicht zu beanstanden, denn eine unzulässige Erweiterung des Gegenstandes des Kostenfestsetzungsverfahrens ist damit nicht verbunden. Geltend gemacht wurde allgemein eine Kostenposition aufgrund der Erledigung des Verfahrens infolge des Erlasses des Widerspruchsbescheids. Dieser Sachverhalt war rechtlich auch unter dem Gesichtspunkt einer fiktiven Terminsgebühr wegen eines angenommenen Anerkenntnisses zu prüfen.

2. Die angesetzte fiktive Terminsgebühr ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG sind bei der Bestimmung der Rechtsanwaltsvergütung alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Bedeutung der Angelegenheit, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers zu berücksichtigen. Danach ist die Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr durch den Urkundsbeamten auf 100,00 Euro, die von der unbilligen Bestimmung des Prozessbevollmächtigten bereits gemäß § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG abweicht, zu Recht erfolgt.

Für den Fall, dass eine mündliche Verhandlung stattfindet, wird hinsichtlich der Höhe der Gebühr teilweise entscheidend auf die Länge der Verhandlung abgestellt (vgl. z.B. Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.09.2006, Az.: S 2 SF 12/05 SK; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.01.2007, Az.: L 19 B 13/06 AL) Nach anderer Auffassung ist nicht die Dauer des Termins, sondern die Schwierigkeit des Falles und die Art der entfalteten Tätigkeit entscheidend (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2006, Az.: L 12 B 194/06 AS).

Dieser Ansatz erscheint jedenfalls für die Bestimmung der fiktiven Terminsgebühr nach VV 3106 Satz 2 sachgerecht. Die von der Beklagten vertretene Begrenzung auf die Mindestgebühr wird dem Anliegen des Gesetzgebers, dass dem Rechtsanwalt kein gebührenmäßiger Nachteil daraus erwachsen soll, dass er aus prozessökonomischen Gründen auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (VV 3106 Satz 2 Nr. 1 und 3) oder das Gericht einseitig gemäß § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet (VV 3106 Satz 2 Nr. 2), nicht gerecht. Für die Untätigkeitsklage können keine Ausnahmeregelungen gelten, da diese vom Gesetzgeber nicht vorgesehen wurden. Ebenso ist es nicht sachgerecht, auf die mögliche Dauer einer fiktiven mündlichen Verhandlung abzustellen, da sich die Dauer einer mündlichen Verhandlung kaum sicher voraussagen lässt und damit die Höhe der Gebühr von bloßen Spekulationen abhinge. Dies gilt insbesondere im Falle einer Untätigkeitsklage, da hier selten ein mündliche Verhandlung stattfinden wird, so dass auch etwaige Erfahrungswerte weitgehend fehlen dürften.

Die Höhe der fiktiven Terminsgebühr hat sich damit jedenfalls bei einer Untätigkeitsklage im Wesentlichen an den gleichen Kriterien zu orientieren wie die Verfahrensgebühr. Sie kann daher auch in Anlehnung an die Verfahrensgebühr bestimmt werden. Die Verfahrensgebühr (hier: VV 3103) hat der Urkundsbeamte in Anbetracht des niedrigen Schwierigkeitsgrades und der geringen Verfahrensdauer ausgehend von einem Gebührenrahmen von 20,00 Euro bis 320,00 Euro zu Recht auf 80,00 Euro festgesetzt. Im Hinblick auf den höheren Gebührenrahmen in VV 3106 (20,00 Euro bis 380,00 Euro) ist die Festsetzung der fiktiven Terminsgebühr auf 100,00 angemessen.

Dieser Beschluss ist endgültig (§ 197 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz).