VG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2007 - 11 K 6454/06
Fundstelle
openJur 2011, 52335
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Reihenmittelhaus bebauten Grundstücks G1. Die Beigeladenen sind seit Mai 2006 Eigentümer des östlich gelegenen, zunächst lediglich im Südosten mit einer Doppelhaushälfte bebauten Grundstücks G2. Zwischen beiden Grundstücken verläuft ein 4,50 m breiter Stichweg (G3), der diesen Bereich vom südlich verlaufenden O-weg aus erschließt und im Miteigentum der Anlieger, unter anderem auch der Kläger steht. Der Bebauungsplan der Stadt L Nr. 000 setzt in Gestalt seiner 4. vereinfachten Änderung aus dem Jahre 2001 für den Bereich, in dem das Grundstück der Beigeladenen liegt, ein reines Wohngebiet, eine Grundflächenzahl von 0,4, eine Geschossflächenzahl von maximal 0,4, höchstens ein Vollgeschoss, nur Einzel- oder Doppelhäuser, sowie unter anderem eine nördliche Baugrenze etwa 17 m nördlich des O-wegs und eine westliche Baugrenze etwa 3 m östlich des genannten Stichwegs vor. In Buchstabe A Ziffer 2 der Textlichen Festsetzungen zu diesem Bebauungsplan ist festgelegt, dass außerhalb der überbaubaren Grundstücksflächen gemäß § 23 Abs. 5 der Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung - BauNVO) Nebenanlagen, Garagen und Stellplätze unzulässig sind.

Mit Bescheid vom 21. Februar 2006 erteilte der Beklagte den Beigeladenen im vereinfachten Genehmigungsverfahren eine Baugenehmigung zum Neubau einer 9 x 3,90 m großen Garage mit Satteldach mit 30o Dachneigung auf ihrem Flurstück unmittelbar an der Grundstücksgrenze zum genannten Stichweg und in Höhe des Grundstücks der Kläger. Hierzu hatte der Beklagte den Beigeladenen unter dem gleichen Datum eine Befreiung von der Festsetzung der westlichen und nördlichen Baugrenzen um jeweils 3 m erteilt.

Mit dem hiergegen gerichteten Widerspruch vom 22. August 2006 trugen die Kläger vor: Es sei ihnen unerklärlich, dass den Beigeladenen eine mehrfach vom rechtsverbindlichen Bebauungsplan abweichende und die Interessen der Nachbarn außer Acht lassende Baugenehmigung erteilt worden sei. Sie hätten gegen die 2001 erfolgte Änderung des Bebauungsplans keinen Widerspruch eingelegt, seien davon ausgegangen, dass die künftige Bebauung damit eindeutig und verlässlich feststehe, und hätten nicht damit gerechnet, dass diese Vorgaben durch Abweichungen jederzeit und ohne Widerspruchsmöglichkeit zu ihren Ungunsten geändert werden könnten. Durch die Garage verbleibe ihnen lediglich eine Sichtweite von höchstens fünf Metern auf eine drei Meter hohe Mauer. Das vordere Fenster ihres Reihenhauses sei daher vom Sonnenlicht abgeschnitten und mehr oder weniger zugemauert. Dies sei rücksichtslos. Das Wohnen sei für sie daher nur noch schwer zu ertragen und der Wiederverkaufswert des Hauses weit unter ein erträgliches Maß herabgesetzt. Sie hätten erst am 18. August 2006 vom Ausmaß der Sondergenehmigung Kenntnis erhalten, als die Garagenbodenplatte gegossen worden sei. Es sei ihnen im Übrigen unverständlich, dass sie als einzige unmittelbar Betroffene nicht über diese gravierenden Änderungen informiert worden seien. Da sich zwischen ihrem Grundstück und der Garage lediglich eine unbebaubare Wegeparzelle befinde, seien sie als Angrenzer einzustufen und hätten vor Erteilung der Befreiung beteiligt werden müssen. Einer Befreiung würden sie nicht zustimmen. Schließlich sei unmittelbar auf dem Erdreich vor der Betonierung der Bodenplatte ein 1 x 2 m großes Rechteck mit Sand angefüllt worden. Dort sei dementsprechend die Betonierung nur in halber Stärke vorgenommen worden. Sie seien davon überzeugt, dass die Beigeladenen diese Maßnahmen ergriffen hätten, um später einfacher den Beton ausfräsen und gegebenenfalls eine Grube ausheben zu können, und befürchteten, dass dort später eine - unzulässige - Vorrichtung zur Kfz-Reparatur entstehen solle.

Der Rohbau des Vorhabens wurde im September, das gesamte Vorhaben Ende Oktober 2006 fertiggestellt.

Die Bezirksregierung E wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2006 als unbegründet zurück und führte hierzu aus: Das Vorhaben der Beigeladenen verstoße nicht gegen nachbarschützende Vorschriften. Eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften sei nicht zu erkennen, da nach § 6 Abs. 11 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) Garagen bis zu einer Länge von 9 m und mit einer mittleren Wandhöhe von nicht mehr als 3 m über der Geländeoberfläche in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig seien; die Länge der hier fraglichen Garage betrage 9 m, die mittlere Wandhöhe 2,715 m. Da die Abstandsflächenregelungen unter anderem der Sicherstellung einer ausreichenden Belichtung dienten, sei die mit dem Vorhaben möglicherweise verbundene Verdunkelung somit hinzunehmen. Hinzukomme, dass eine solche Verdunkelung nur geringfügig sein könne, weil das Vorhaben östlich des Grundstücks der Kläger liege, von wo nur vormittags mit Lichteinfall zu rechnen sei. Auch die Befreiung von den Festsetzungen der Baugrenzen sei rechtlich nicht zu beanstanden. Zum einen seien die Grundzüge der Planung nicht berührt. Die grundsätzliche Plankonzeption, die von Anfang an die Errichtung einer Garage an der Westseite des Gebäudes O-weg 00 vorgesehen habe, bleibe erhalten. Einziger Unterschied sei, dass der Baukörper um jeweils 3 m nach Norden und Westen verschoben worden sei. Zum anderen sei die Befreiung städtebaulich vertretbar, da die Garage im Bebauungsplan auch von vornherein grenzständig hätte festgesetzt werden können. Im Übrigen komme den Baugrenzen kein nachbarschützender Charakter zu. Ihre Festsetzung erfolge in der Regel aus allgemein städtebaulichen, insbesondere gestalterischen Erwägungen. Anderes gelte nur, wenn sie im Einzelfall auch einem bestimmten Kreis von Eigentümern benachbarter Grundstücke einen Schutz ihrer individuellen Interessen gewähren wolle. Eine solche Ausnahmesituation liege hier jedoch nicht vor. Da keine der Befreiungen nachbarliche Belange berührt habe, sei auch keine Beteiligung der Angrenzer erforderlich gewesen. Die behauptete Wertminderung der Immobilie der Kläger sei als Folge einer bloß mittelbaren Auswirkung der Bebauung eines anderen Grundstücks hinzunehmen, weil diese nicht den Grad des schweren und unerträglichen Eingriffs erreiche.

Mit der am 21. Dezember 2006 erhobenen Klage tragen die Kläger ergänzend vor: Die Baugenehmigung verstoße gegen die nachbarschützende Vorschrift des § 31 Abs. 2 des Baugesetzbuches (BauGB), da die hierzu erteilten Befreiungen ohne eine Würdigung der nachbarlichen Interessen erfolgt seien, die auch dann erforderlich sei, wenn sich diese Interessen nicht ihrerseits auf nachbarschützende Vorschriften stützen könnten. In diesem Rahmen sei ihr Recht auf Aussicht zu beachten. Ihnen werde durch die Garage nicht nur eine schöne, sondern jegliche Aussicht genommen. Durch die große Nähe der Garagenwand könne man sowohl aus dem Fenster wie auch aus der Haustüre die übrige Umgebung nur dann wahrnehmen, wenn man unmittelbar in oder an der Öffnung stehe und den Kopf Richtung Himmel drehe. Alternativ dazu könne man - abgesehen vom weiter beschränkten Lichteinfall - ohne weitere Beeinträchtigung ihr Küchenfenster direkt zumauern. Außerdem lägen auch die übrigen Voraussetzungen einer Befreiung nicht vor. Insbesondere seien die Grundzüge der Planung betroffen, da von einem Einfügen der Garage in die nähere Umgebung nicht mehr gesprochen werden könne. Die Plankonzeption sei nicht eingehalten worden. Denn die ursprüngliche Planung habe eine 6 x 3 x 2,20 m große Garage mit Flachdach vorgesehen, die westlich an die nun von den Beigeladenen errichtete Doppelhaushälfte habe angebaut werden sollen und einen Abstand von 3 m zur Grundstücksgrenze habe einhalten sollen. Außerdem erfordere eine Befreiung auch nach der Änderung des § 31 Abs. 2 BauGB im Jahre 1987 eine atypische Sondersituation, die hier nicht gegeben sei. Schließlich verletze die Baugenehmigung § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB (a.F., § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB n.F.), der „gesunde Wohnverhältnisse" als Grundlage der Bauplanung garantiere. Denn aufgrund der erhöhten Abgasbelastungen und der visuellen Beeinträchtigungen durch die Parkvorgänge in der Garage könne insbesondere für die zur Forderfront gelegenen Räume von gesunden Wohnverhältnissen nicht mehr gesprochen werden. Eine Heilung des darüber hinaus gegebenen Beteiligungsmangels entsprechend § 45 Abs. 1 Nr. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG.NRW) komme nicht in Betracht, da ihnen durch das Unterlassen der erforderlichen Beteiligung jegliche Möglichkeit der Einwirkung auf die faktische Verwirklichung des Vorhabens genommen worden sei.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die den Beigeladenen vom Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 21. Februar 2006 zum Neubau einer Garage auf dem G2 und den hierzu ergangenen Befreiungsbescheid vom gleichen Tage, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung E vom 27. November 2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus: Die unterbliebene Hinzuziehung der Kläger sei durch die nachträgliche Anhörung im Widerspruchsverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG.NRW geheilt worden. Den Vorgängen zur Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 000 seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Festsetzung von Baugrenzen auch nachbarlichen Interessen dienen solle. Der Begründung sei vielmehr zu entnehmen, dass die Festsetzung der überbaubaren Flächen durch Baugrenzen zur Gewährleistung eines Mindestabstandes von einem Meter zu einem städtischen Mischwasserkanal erfolgt sei.

Die Beigeladenen stellen keinen Sachantrag.

Sie tragen vor: Die Kläger beschrieben die Aussicht aus ihrem Küchenfenster falsch. Eine freie Sicht sei gar nicht gegeben, da sie die Jalousie so gut wie immer halb heruntergelassen und zu beiden Seiten Sträucher gepflanzt hätten. Abgasimmissionen entstünden durch alle Anlieger - auch die Kläger -, um die im Stichweg liegenden Garagen zu erreichen. Durch die Anfahrt zu ihrer Garage bzw. Ausfahrt seien aufgrund der Entfernungen und der Windverwirbelung für die Kläger keine solchen Immissionen zu befürchten. Schließlich erfolge das „Wohnen" nicht in der Küche, sondern hauptsächlich im Wohnzimmer.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Das Gericht hat die Örtlichkeit am 27. September 2007 in Augenschein genommen. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom Ortstermin verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung E Bezug genommen.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Denn die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 21. Februar 2006 zum Neubau einer Garage auf dem Grundstück G2, der hierzu ergangene Befreiungsbescheid vom gleichen Tage sowie der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E vom 27. November 2006 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Baugenehmigung und der Befreiungsbescheid vom 21. Februar 2006 verstoßen nicht gegen auch dem Schutz der Kläger dienende und im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu beachtende Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts. Insbesondere ergibt sich ein Nachbarrechtsverstoß nicht - wie geltend gemacht - aus einer unterbliebenen Beteiligung der Kläger am Genehmigungsverfahren oder einer Nichterfüllung der Befreiungsvoraussetzungen.

Zwar dürften die Kläger gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW am Verfahren zur Erteilung der Genehmigung zum Neubau der Garage zu beteiligen gewesen sein. Dieser Mangel ist jedoch inzwischen geheilt worden.

Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW sind unter anderem die Eigentümerinnen und Eigentümer angrenzender Grundstücke (Angrenzer) nach den Absätzen 2 bis 4 dieser Vorschrift zu beteiligen. Insbesondere sollen die Bauaufsichtsbehörden nach § 74 Abs. 2 BauO NRW die Angrenzer vor Zulassung von Abweichungen - wozu auch bauplanungsrechtliche Befreiungen zählen -

- vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen - Kommentar, Stand: August 2007, § 74 Rdnr. 15; Gädtke/Temme/Heintz, Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen - Kommentar, 10. Aufl., § 74 Rdnr. 15 -

benachrichtigen, wenn zu erwarten ist, dass öffentlichrechtlich geschützte nachbarliche Belange berührt werden. Die Kläger sind zwar mangels gemeinsamer Grenze

- vgl. zu diesem Kriterium Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 74 Rdnr. 7; Gädtke/Temme/Heintz, a.a.O., § 74 Rdnr. 8 -

nicht aufgrund ihres Eigentums an ihren Hausgrundstück G1 Angrenzer im Sinne dieser Vorschrift, wohl aber aufgrund des Miteigentums an dem zwischen beiden Grundstücken liegenden Stichwegs (G3). Auch dürfte zu erwarten gewesen sein, dass durch die Zulassung der Befreiung der Beigeladenen von Festsetzungen des Bebauungsplans der Stadt L Nr. 000 zur überbaubaren Grundstücksfläche öffentlich rechtlich geschützte Belange der Kläger berührt werden, da die der Befreiung zugrunde liegende Vorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB tatbestandlich die Würdigung nachbarlicher Interessen voraussetzt.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 74 Rdnr. 17 f.

Eine Benachrichtigung der Kläger durch den Beklagten ist im Genehmigungsverfahren tatsächlich nicht erfolgt.

Es ist allerdings fraglich, ob allein ein solcher Verfahrensfehler unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme überhaupt einen Anspruch des Nichtbeteiligten auf Aufhebung des Verwaltungsaktes begründen kann. Von solcher Qualität ist eine Verfahrensvorschrift nur dann, wenn sie nicht nur der Ordnung des Verfahrensablaufs, insbesondere einer umfassenden Information der Verwaltungsbehörde dient, sondern dem betroffenen Dritten in spezifischer Weise und unabhängig vom materiellen Recht eine eigene, nämlich selbständig durchsetzbare verfahrensrechtliche Rechtsposition gewähren will. Diese Frage wiederum beantwortet sich allein nach der Zielrichtung und dem Schutzzweck der Verfahrensvorschrift.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1982 - 4 C 26.78 -, zitiert nach Juris.

Ein solcher Schutzzweck ist etwa atomrechtlichen Verfahrensvorschriften zuerkannt worden, die der Staat in Erfüllung seiner aus Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes folgenden Pflicht zum Schutz vor Gefahren auch der Kernenergie für Leben und Gesundheit erlassen hat.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1979 - 1 BvR 385/77 -, zitiert nach Juris; vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 5. Oktober 1990 - 7 C 55 und 56/89 -, zitiert nach Juris; BVerwG, Beschluss vom 3. August 1982 - 4 B 145.82 -, zitiert nach Juris.

Einen vergleichbaren Schutzzweck wird man allgemein für eine Vorschrift, die das im Baugenehmigungsverfahren betrifft, nur in Extremfällen annehmen können.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 74 Rdnr. 402.

Dass speziell die bauordnungsrechtliche Vorschrift zur Beteiligung der Angrenzer (heute § 74 BauO NRW) in Erfüllung einer solchen Schutzpflicht erlassen worden ist, erscheint zweifelhaft, da mit ihr vornehmlich dem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs Rechnung getragen werden sollte.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 74 Rdnr. 3 unter Hinweis auf die Regierungsbegründung zur Einführung der Vorgängervorschrift des § 87 Abs. 1 BauO NW 1962.

Diese Frage kann hier indes offen bleiben. Denn die unterbliebene Beteiligung führt deshalb bereits nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung und des Befreiungsbescheides, weil ein solcher Verfahrensmangel in Anlehnung an § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG.NRW jedenfalls inzwischen durch die Stellungnahmen der Kläger im Widerspruchsverfahren geheilt worden ist. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift unmittelbar eingreift

- so wohl Gädtke/Temme/Heintz, a.a.O., § 74 Rdnr. 5 -

oder entsprechend anzuwenden ist. Zumindest letzteres ist bei der Nachholung der Zuziehung betroffener Dritter, wie sie § 13 Abs. 2 VwVfG.NRW, aber eben auch - als Spezialregelung in dessen Anwendungsbereich - § 74 BauO NRW

- vgl. Ortloff, Nachbarschutz durch Nachbarbeteiligung am Baugenehmigungsverfahren, NJW 1983, 961 (966) -

vorsehen, geboten.

Vgl. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz - Kommentar, 9. Aufl., § 45 Rdnr. 24; a.A. Ortloff, a.a.O.

Denn dem Beteiligungsanspruch nach § 74 BauO NRW wird letztlich bereits durch die bloße Benachrichtigung Genüge getan. Die Beteiligung erschöpft sich in diesem Fall also im Wesentlichen - wie die unmittelbar in § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG.NRW geregelte Anhörung - in der Gewährung rechtlichen Gehörs.

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 74 Rdnr. 3 und 30.

Der analogen Anwendung des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG.NRW steht auch nicht eine unterschiedliche Funktion der Beteiligung des Angrenzers im Genehmigungsverfahren einerseits und in dem gegen die erteilte Baugenehmigung angestrengten Widerspruchsverfahren andererseits entgegen.

So aber Ortloff, a.a.O., vgl. zur gleichgelagerten Frage der Anwendung des § 41 Abs. 1 Nr. 6 SGB X bei nachträglicher Hinzuziehung eines Beteiligten im Widerspruchsverfahren: BSG, Urteil vom 30. Juni 1998 - B 8 KN 10/96 R -, zitiert nach Juris.

Denn im Widerspruchsverfahren wird die Entscheidung der Ausgangsbehörde nicht nur auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft. Einer inhaltlichen Überprüfung wird vielmehr auch die Ausübung des Ermessens unterzogen, zumindest soweit es um Normen geht, die - wie die hier fragliche Vorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB -

- vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, zitiert nach Juris -

auch dem Schutz des Widerspruchsführers zu dienen bestimmt sind.

Vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung - Kommentar, 14. Aufl., § 68 Rdnr. 9.

Die den Angrenzer betreffenden Gesichtspunkte können daher auch in dem von ihm angestrengten, gegen die Baugenehmigung gerichteten Widerspruchsverfahren noch umfassend berücksichtigt werden.

Schließlich ist die Anwendung des § 45 VwVfG.NRW auch nicht durch § 74 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW ausgeschlossen. Letztgenannte Vorschrift schließt die Anwendung des VwVfG.NRW nämlich nur insoweit aus, als in den Absätzen 2 bis 4 die Pflicht der Bauaufsichtsbehörde zur Beteiligung der Angrenzer normiert ist. Regelungen zu den Folgen einer unterbliebenen Beteiligung werden von diesem Ausschluss nicht erfasst.

Ein Nachbarrechtsverstoß lässt sich auch nicht im Hinblick auf die für die Genehmigungserteilung erforderliche Befreiung von den im Bebauungsplan der Stadt L Nr. 000 erfolgten Festsetzungen der westlichen und nördlichen Baugrenzen (Überschreitung um jeweils 3 m) nach § 31 Abs. 2 BauGB feststellen.

Bei der Prüfung eines Nachbarrechtsverstoß durch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB ist zu differenzieren: Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans führt jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Annahme einer Rechtsverletzung des Nachbarn. Wird dagegen von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung des Bebauungsplans befreit, so ist der Nachbar nur dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die vom Bauherrn beantragte Befreiung nicht die gebotene Rücksicht auf die Interessen des Nachbarn genommen hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, zitiert nach Juris; BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 - 4 B 64.98 -, zitiert nach Juris.

Die Festsetzungen der das Grundstück der Beigeladenen betreffenden westlichen und nördlichen Baugrenzen, von denen der Beklagte befreit hat, sind nicht nachbarschützend. Die Befreiung von diesen Festsetzungen verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme.

Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche im Sinne des § 23 BauNVO - etwa in Form der hier fraglichen Baugrenzen - haben jedenfalls nicht schlechthin nachbarschützende Wirkung. Ob dies der Fall ist, hängt vielmehr vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 1995 - 4 B 215.95 -, zitiert nach Juris.

In der Regel kommt solchen Festsetzungen allerdings keine nachbarschützende Wirkung zu, weil diese in erster Linie wegen ihrer städtebaulichen Ordnungsfunktion öffentlichen Belangen dienen und nicht dem Nachbarschutz.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Juli 1994 - 10 B 10/94 -, zitiert nach Juris; OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 2006 - 10 A 930/05 -, zitiert nach Juris.

Anhaltspunkte, die im vorliegenden Verfahren ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere lässt sich ein Wille der Stadt L, den betreffenden Baugrenzen einen nachbarschützenden Inhalt beizumessen, nicht den beigezogenen Planaufstellungsunterlagen entnehmen. Nach der Begründung zur 4. vereinfachten Änderung des Bebauungsplanes Nr. 000, mit der die Baugrenzen festgesetzt worden sind, dienen diese vielmehr der Sicherung eines Mindestabstands von 1 m zwischen der Bebauung und einem städtischen Mischwasserkanal und damit allein öffentlichen Interessen.

Die Klägerin kann sich somit nicht darauf berufen, dass nicht alle tatbestandlichen Voraussetzungen der Befreiung vorliegen, etwa weil diese die Grundzüge der Planung berührt oder es an einer gegebenenfalls notwendigen atypischen Sondersituation fehlt. Sie ist auf die Geltendmachung eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme beschränkt. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Erforderlich ist eine Würdigung der Interessen des Bauherrn an der Erteilung der Befreiung und - wie es § 31 Abs. 2 BauGB ausdrücklich vorschreibt - der Interessen des betroffenen Nachbarn an der Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans und damit an der Verhinderung von Beeinträchtigungen oder Nachteilen durch eine Befreiung. Der Nachbar kann um so mehr an Rücksichtnahme verlangen, je empfindlicher seine Stellung durch eine an die Stelle der im Bebauungsplan festgesetzten Nutzung tretende andersartige Nutzung berührt werden kann. Umgekehrt braucht derjenige, der die Befreiung in Anspruch nehmen will, um so weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Weiterhin ist insoweit zu prüfen, ob die durch die Befreiung eintretenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was einem Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 1986 - 4 C 8.84 -, zitiert nach Juris.

Nach diesen Grundsätzen lässt sich ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch die den Beigeladenen für den Neubau der Garage erteilte Befreiung von den Festsetzungen der nördlichen und westlichen Baugrenzen nicht feststellen.

Grundsätzlich ist das Interesse eines Bauherrn an der Errichtung einer Garage für den durch die Wohnnutzung verursachten Bedarf schutzwürdig. Eine solche Nebenanlage ist von ihrer Art her auch im reinen Wohngebiet planungsrechtlich zulässig (§ 12 Abs. 2 BauNVO). Mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundene Immissionen sind regelmäßig hinzunehmen.

Vgl. Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung - Kommentar 10. Aufl., § 12 Rdnr. 8.1; Bayerischer VGH, Beschluss vom 31. März 2004 - 1 ZB 03.452 -, zitiert nach Juris.

Die Kläger können dem baurechtlich geschützte Interessen nicht entgegenhalten.

Auf eine Beeinträchtigung der Belichtung ihres Hauses durch die Garage der Beigeladenen können sich die Kläger insoweit nicht berufen. Denn ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme unter diesem Gesichtspunkt scheidet regelmäßig aus, wenn das betreffende Vorhaben die bauordnungsrechtlich unter anderem zu diesem Zweck geforderte Abstandsfläche einhält.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 - 4 C 34.85 -, zitiert nach Juris; OVG NRW, Beschluss vom 13. September 1999 - 7 B 1457/99 -, zitiert nach Juris.

Letzteres ist hinsichtlich der Garage der Beigeladenen der Fall.

Gemäß § 6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW in der hier aufgrund der Bauantragstellung und Bescheidung vor Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung der BauO NRW vom 12. Dezember 2006 noch einschlägigen Fassung der Bekanntmachung vom 1. März 2000 sind nämlich Garagen bis zu einer Länge von 9 m ohne eigene Abstandsflächen zulässig, wenn die mittlere Wandhöhe nicht mehr als 3 m über der Geländeoberfläche an der Grenze beträgt und die Grenzbebauung entlang einer Nachbargrenze 9 m und insgesamt 15 m nicht überschreitet. Die Garage der Beigeladenen erfüllt diese Voraussetzungen. Sie ist nach der grün gestempelten Bauzeichnung genau 9 m lang und stellt die einzige Grenzbebauung im Sinne des § 6 Abs. 11 Satz 1 Nr. 1 BauO NRW a.F. auf dem Grundstück der Beigeladenen dar. Ihre Wandhöhe als das Maß von der Geländeoberfläche bis zur Schnittlinie der Wand mit der Dachhaut (vgl. § 6 Abs. 4 Satz 2 BauO NRW) beträgt nach der Bauzeichnung 2,715 m. Da das Satteldach der Garage eine Neigung von lediglich 30o aufweist, wird es gemäß § 6 Abs. 4 Satz 5 BauO NRW a.F. nicht zur Wandhöhe hinzugerechnet.

Auch im Übrigen ist die Garage der Beigeladenen den Klägern gegenüber nicht rücksichtslos. Sie übt insbesondere nicht - wie von den Klägern mit dem Verweis auf das Gefühl des „Zugemauertseins" geltend gemacht - eine erdrückende Wirkung gegenüber ihrem Grundstück aus. Von einem Gebäude kann gegenüber einem Grundstück bzw. gegenüber einem anderen Gebäude etwa dann eine erdrückende Wirkung ausgehen, wenn die Größe des „erdrückenden" Gebäudes auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalles - und gegebenenfalls trotz Wahrung der erforderlichen Abstandsflächen - derart übermächtig ist, dass das „erdrückte" Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden" Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird,

- vgl. OVG NRW, Urteil vom 29. August 2005 - 10 A 3138/02 -, zitiert nach Juris -

oder das Bauvorhaben das Grundstück eines Nachbarn sogar regelrecht abriegelt, d.h. dort ein Gefühl des „Eingemauertseins" oder eine „Gefängnishofsituation" hervorruft.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. August 2006 - 8 A 3726/05 -, zitiert nach Juris; OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2002 - 7 B 558/02 -, zitiert nach Juris; OVG NRW, Beschluss vom 31. August 2000 - 10 B 1052/00 -, zitiert nach Juris.

Solch gravierende Auswirkungen gehen von der Garage der Beigeladenen nicht aus. Wie sich auch im Ortstermin gezeigt hat, beeinträchtigt die Garage zwar den Blick aus dem Küchenfenster und der Haustüre der Kläger nicht unerheblich. Bezugspunkt der insoweit hinsichtlich des Rücksichtnahmegebotes anzustellenden Beurteilung ist jedoch nicht der beschränkte Ausblick durch Fenster einzelner Räumlichkeiten. Vielmehr ist das gesamte Grundstück in die Betrachtung einzubeziehen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Mai 2002 - 7 B 558/02 -, zitiert nach Juris.

Gegenüber dem gesamten Wohngrundstück der Kläger kommt der Garage indes keine erdrückende Wirkung zu. Die Möglichkeit des Ausblicks aus den übrigen Räumen des Hauses wird auf Grund der Größe und Lage der Garage durch sie nicht beeinträchtigt. Dementsprechend vermag die Garage auch nicht bezogen auf das gesamte Haus bzw. Grundstück das Gefühl zu vermitteln, eingemauert bzw. gefangen zu sein. Auch ansonsten lässt sich eine Dominanz der 9 m langen und bis zum First etwa 4 m hohen Garage gegenüber dem Reihenmittelhaus nicht ansatzweise feststellen. Dass die Garage dem Haus der Kläger seine eigene baurechtliche Charakteristik nimmt, ist daher nicht ersichtlich.

Vor diesem Hintergrund können sich die Kläger auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass der Wiederverkaufswert ihres Hauses infolge der Errichtung der Garage weit unter ein erträgliches Maß gesunken sei. Zum einen ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass mit dem Bau der Garage tatsächlich eine unzumutbare Wertminderung verbunden ist. Zum anderen bilden Wertminderungen für sich genommen keinen Maßstab für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots; entscheidend ist allein, ob es zu einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten seines Grundstücks kommt, die dann auch eine Wertminderung zur Folge haben mag.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. November 1997 - 4 B 195.97 -, zitiert nach Juris; BVerwG, Beschluss vom 24. April 1992 - 4 B 60.92 -, zitiert nach Juris.

Eine solche unzumutbare Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks der Kläger ist mit dem Neubau der Garage jedoch wie gesehen nicht verbunden.

Schließlich ergibt sich eine (Nachbar-)Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung auch nicht daraus, dass die Beigeladenen nach Einschätzung der Kläger unter Umständen beabsichtigen, später in der Garage an einer nur in halber Stärke betonierten Stelle eine Grube auszuheben und diese für Kfz-Reparaturen zu nutzen. Denn eine solche bauliche Änderung und Nutzung ist mit der Genehmigung der Errichtung einer Garage nicht legalisiert worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladenen keinen Sachantrag gestellt haben und damit kein eigenes Prozessrisiko eingegangen sind (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es nicht der Billigkeit, auch ihre außergerichtlichen den Klägern aufzuerlegen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.