OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.02.2007 - 1 A 1048/05
Fundstelle
openJur 2011, 48486
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf die Streitwertstufe bis 900,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger, ein pensionierter Bundeswehrsoldat, begehrt die Übernahme der Kosten einer sogenannten Orthokin-Therapie durch die Beklagte. Bei Orthokin handelt es sich um ein aus dem Blut des Erkrankten gewonnenes Serum, das zur Behandlung von Arthroseerkrankungen injiziert wird. Mit diesem Präparat soll ein knorpelschützender, schmerz- und entzündungshemmender Effekt erreicht werden. Ein weiterer Anwendungsbereich sind Wirbelsäulenleiden.

Der beihilfeberechtigte Kläger beantragte am 23. März 2003 unter anderem die Gewährung einer Beihilfe zu dem Rechnungsbetrag von 950,- EUR für eine Orthokin- Behandlung seiner Wirbelsäulenbeschwerden. Durch Bescheid vom 1. April 2003 lehnte die Wehrbereichsverwaltung West insoweit die Gewährung einer Beihilfe ab, da es sich nicht um ein Arzneimittel im Sinne des Beihilferechts handele.

Der Kläger legte am 28. April 2003 Widerspruch gegen die Ablehnung ein und fügte zur Begründung unter anderem ein Informationsblatt des Herstellers über das Präparat bei. Er führte aus, es handele sich um eine schulmedizinische, nicht alternative Behandlungsmethode. In vielen Fällen sei bei Beamten oder Pensionären des Landes NRW die Behandlung als beihilfefähig anerkannt worden. Seit dem Abschluss der Behandlung sei er beschwerdefrei, während vorher regelmäßig eine orthopädische Behandlung erforderlich gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2003 wies die Wehrbereichsverwaltung West den Widerspruch als unbegründet zurück, da die Orthokin-Behandlung nach den Durchführungshinweisen des Bundesministeriums des Innern zu § 6 Abs. 2 BhV als wissenschaftlich nicht anerkannte Methode von der Beihilfefähigkeit ausgenommen sei.

Am 16. Juni 2003 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Verabreichung von Orthokin sei eine schulmedizinische Behandlungsmethode, die möglicherweise sogar schon wissenschaftlich anerkannt sei. So seien neben einzelnen, von dem Kläger vorgelegten, an die Herstellerfirma gerichteten ärztlichen Wirksamkeitsbescheinigungen auch wissenschaftliche Publikationen, unter anderem der Orthopädischen Universitätsklinik im St. Josef Hospital Bochum, zur Behandlung im Deutschen Ärzteblatt publiziert worden. Die Ruhr-Universität-Bochum habe ausweislich einer Pressemitteilung vom 14. Juli 2004 an 84 Patienten die klinische Erprobung des hier in Rede stehenden Verfahrens in einer vergleichenden Studie betrieben und die Wirksamkeit der Methode dokumentiert. Selbst wenn eine wissenschaftliche Anerkennung nicht erfolgt sei, könne er die Beihilfe ausnahmsweise beanspruchen, denn bei ihm seien seit über zehn Jahren erfolglos herkömmliche Heilmethoden angewandt worden. Darüber hinaus handele es sich bei der Orthokin-Behandlung nicht um eine Eigenbluttherapie im herkömmlichen Sinne, sondern um ein Medikament, dessen pharmakologisch wirksamer Bestandteil der Interleukin-1- Rezeptor-Antagonist sei. Durch diese Ausführungen sei die Ausschlussentscheidung der Beklagten substantiiert in Frage gestellt und so eine Grundlage für weitere Sachaufklärung gegeben.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung der Bescheide der Wehrbereichsverwaltung West vom 1. April 2003 und 16. Mai 2003 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 23. März 2003 eine Beihilfe in gesetzlicher Höhe zu den Aufwendungen für eine Orthokin- Behandlung zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

Zur Begründung hat sie die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vertieft und auf die negative Bewertung der Behandlung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen verwiesen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger Beweisanträge zu der Tatsache, dass nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung über die Orthokin-Behandlung prognostiziert werden könne, dass das Verfahren allgemeine wissenschaftliche Anerkennung finden werde und zur Erfolglosigkeit der durchgeführten Kortisonbehandlung gestellt, die von dem Gericht abgelehnt wurden.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, weil

es sich bei der Orthokin-Behandlung nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode handele. Der Ausschluss dieser Methode von der Beihilfefähigkeit durch die Beklagte sei daher nicht zu beanstanden. Die begehrte Beihilfe könne auch nicht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausnahmsweise zuerkannt werden, da die bei Rückenbeschwerden allgemein anerkannte Behandlung mit Kortison beim Kläger nicht erfolglos eingesetzt worden sei. Im übrigen könne zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine seriöse Prognose dahin getroffen werden, dass die Orthokin- Behandlung noch allgemeine wissenschaftliche Anerkennung finden werde. Dafür fehle zum gegenwärtigen Zeitpunkt jeder verlässliche Ansatz. Auch in der Bochumer Studie werde lediglich die Vermutung geäußert, dass der körpereigene Stoff zur Selbstheilung beitrage; eine wissenschaftliche Gewissheit sei dies nicht.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung wendet sich der Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil. Zur Begründung führt er aus, die Prognose zur zukünftigen wissenschaftlichen Anerkennung durch das Gericht sei nicht zureichend begründet. Das Gericht habe trotz entsprechender Beweisanträge des Klägers den Stand der wissenschaftlichen Forschung zur Orthokin-Therapie nicht weiter aufgeklärt. Der Entscheidung lasse sich auch sonst nicht entnehmen, dass dem Gericht der aktuelle Stand der Forschung anderweitig bekannt gewesen sei. Nur auf der Grundlage einer solchen Kenntnis könne die von dem Gericht für erforderlich gehaltene Prognose über die künftige wissenschaftliche Anerkennung des Verfahrens getroffen werden. Auch die Prognose selbst sei, obwohl sie eine Wertung enthalte, dem Sachverständigenbeweis zugänglich. Das Verwaltungsgericht habe daher in einer von ihm selbst für entscheidungserheblich gehaltenen Frage den Beweisantritt des Klägers ohne hinreichende Begründung zurückgewiesen. Entsprechendes gelte für den zweiten Beweisantrag zum Thema der erfolglosen Behandlung des Klägers mit Kortison. In diesem Zusammenhang gehe das Gericht außerdem von einem falschen Verständnis des Begriffs „erfolglos" aus. Wenn - wie hier - eine mit Nebenwirkungen behaftete Therapie, die nur die Symptome der Krankheit für einen gewissen Zeitraum überdecke, mit einer Therapie verglichen werde, die eine dauerhafte Linderung herbeiführen könne, stelle sich die Kortisontherapie im Vergleich zu der Orthokin-Therapie als erfolglos dar. Aus ökonomischer Sicht belaste die Kortisontherapie die Beklagte erheblich mehr als die dauerhaft wirkende Orthokin-Therapie.

Zum bisherigen Therapieverlauf seit 1995 legte der Kläger eine Bescheinigung seines behandelnden Arztes vom 14. Februar 2005 vor. Aus diesem ergibt sich dass das Orthokin- Verfahren bislang nicht in einer randomisierten Doppelblindstudie bestätigt worden, aus der Erfahrung des behandelnden Arztes aber in 80% der Fälle erfolgreich sei. Auch bei dem Kläger sei seit der Behandlung 2003 keine weitere Injektionsbehandlung unter Einsatz eines Korticoidpräparates mehr erforderlich gewesen. Hinsichtlich der Rückenbeschwerden sei der Kläger seitdem beschwerdefrei.

Des weiteren verweist der Kläger auf eine Studie der Heinrich - Heine - Universität Düsseldorf mit dem Titel „Wirksamkeit und Sicherheit intraartikulärer Osteoarthrosebehandlung mit Autologem Orthokin Conditioniertem Serum im Vergleich zu Hyalonsäure und Placebo" sowie eine Studie der Orthopädischen Universitätsklinik im St. Josef - Hospital Bochum zur „Wirksamkeit von Autologem Orthokin Conditioniertem Serum im Vergleich zu Triamcinolon bei der epiduralperineurealen Injektionsbehandlung von lumbalen Nervenwurzelkompressionssyndromen". Auf der Basis derartiger Untersuchungen sei nicht mehr zweifelhaft, dass das Verfahren auf Dauer allgemeine wissenschaftliche Anerkennung finden werde.

Die Tatsache, dass die Behandlungsmethode durch Verwaltungsvorschriften von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sei, hindere das Gericht nicht an einer Überprüfung dieses Ausschlusses. Zudem sei die Orthokin-Behandlung nicht ausdrücklich erwähnt. Insbesondere stehe die durch die jüngere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts festgestellte Verfassungswidrigkeit der Beihilfevorschriften einer Anwendung dieser Bestimmungen zum Nachteil des Klägers entgegen.

Bei der Orthokin-Behandlung handele es sich darüber hinaus nicht um eine durch § 6 Abs. 2 der Beihilfevorschriften des Bundes (BhV) ausgeschlossene Behandlung durch ein Verfahren, bei dem aus körpereigenen Substanzen des Patienten individuelle Präparate gefertigt würden. Bei der Orthokin-Behandlung werde im Gegensatz zu derartigen Verfahren kein individuelles Präparat aus körpereigenen Substanzen hergestellt, sondern würden körpereigene Substanzen so konzentriert, dass eine erhebliche, nebenfolgenfreie entzündungshemmende Wirkung eintrete.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil zu ändern und entsprechend dem Antrag erster Instanz zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er geht auch angesichts der von dem Kläger in Bezug genommenen Studien nicht davon aus, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine seriöse Prognose dahin getroffen werden könne, dass die Orthokin-Behandlung allgemeine wissenschaftliche Anerkennung finden werde, da dafür derzeit jeder verlässliche Ansatz fehle. Es sei nicht zu erkennen, dass es sich bei diesen Studien um langandauernde Studien handele, die zu einer wissenschaftlichen Anerkennung der Behandlungsmethode führen könnten. Neben dem Umstand, dass bislang lediglich diese beiden in den Jahren 2004 und 2005 veröffentlichten Studien vorlägen, sei auch zu berücksichtigen, dass bislang eine positive Stellungnahme des Bundesgesundheitsamtes oder des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen fehle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.

II.

Der Senat entscheidet gemäß § 130 a Satz 1 VwGO durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 130 a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO); ihrer Zustimmung bedarf es nicht.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung einer Beihilfe zu dem Rechnungsbetrag von 950,- EUR für eine Orthokin-Behandlung seiner Wirbelsäulenbeschwerden nicht zu. Der entgegenstehende Beihilfe- und der Widerspruchsbescheid der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Der geltend gemachte Anspruch lässt sich nicht aus dem für den Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der streitigen Aufwendungen (Anfang 2003) geltenden Beihilferecht herleiten.

Zwar ist der Kläger als pensionierter Bundeswehrsoldat nach den im Verhältnis zu seinem Dienstherrn anwendbaren Beihilfevorschriften des Bundes - hier in der Neufassung vom 1. November 2001 (GMBl. S. 918) - grundsätzlich beihilfeberechtigt. Die auf der Grundlage des § 200 BBG in der Form von Verwaltungsvorschriften erlassenen Beihilfevorschriften konkretisieren die in § 79 Satz 1 BBG nur im Allgemeinen festgelegte Fürsorgepflicht des Dienstherrn, wobei sie die Ausübung des Ermessens der zur Erfüllung dieser Pflicht berufenen Stellen im Interesse einer gleichmäßigen Behandlung der Beihilfeberechtigten zentral binden. Obwohl die Beihilfevorschriften des Bundes wegen ihres Charakters als bloße Verwaltungsvorschriften ausgehend von der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welcher der Senat folgt, nicht (mehr) den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügen, sind sie noch für eine Übergangszeit - und damit selbstverständlich auch für in der Vergangenheit, also vor der Änderung der Rechtsprechung liegende Fälle - weiter anzuwenden.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 -, BVerwGE 121, 103 = DVBl. 2004, 1420; aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats etwa Urteile vom 1. September 2004 - 1 A 4294/01 -, vom 24. Mai 2006 - 1 A 3706/04 - und vom 24. November 2006 - 1 A 461/05 -, sämtlich Juris.

Aus Anlass einer Krankheit (grundsätzlich) beihilfefähig sind namentlich die Aufwendungen für die in den einzelnen Ziffern des § 6 Abs. 1 BhV näher aufgeführten Leistungen und die dabei verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten Arzneimittel, Verbandmittel und dergleichen (Ziffern 1 und 2). Zusätzlich zu beachten sind jedoch zum einen die in § 6 Abs. 2 bis 4 BhV enthaltenen Leistungsausschlüsse und - begrenzungen. Zum anderen sind nach der Grundnorm des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV die von den nachfolgenden Vorschriften, also u.a. § 6 Abs. 1 BhV, thematisierten Aufwendungen (allgemein) nur dann beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind.

Die im Streit stehende Behandlungsmethode wird hiervon ausgehend jedenfalls im Ergebnis von einem beihilferechtlichen Leistungsausschluss erfasst.

Das gilt letztlich unabhängig davon, ob die dem Kläger zuteil gewordene „Orthokin- Therapie" in dem maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen (hier: Januar 2003) unter den Katalog der nach Maßgabe des § 6 Abs. 2 BhV durch das Bundesministerium des Innern ausdrücklich bestimmten Leistungsausschlüsse bei einer Behandlung nach einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Methode fiel, weil im Übrigen (auch) das Merkmal der Notwendigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV hinsichtlich dieser Behandlung nicht erfüllt ist.

Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken, die Vorschrift des § 6 Abs. 2 BhV i.V.m. den hierzu ergangenen „Hinweisen" des Bundesministeriums des Innern unmittelbar auf den Fall des Klägers anzuwenden. Die „Hinweise" des Bundesministeriums des Innern zu den Beihilfevorschriften des Bundes enthalten im Hinweis 1 zu § 6 Abs. 2 eine Auflistung von als wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt eingestuften (Behandlungs-)Methoden, bezüglich derer die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen vollständig ausgeschlossen ist. Die „Orthokin- Therapie" wird dort zwar nicht speziell erwähnt. Ausdrücklich ausgeschlossen sind jedoch die autohomologen Immuntherapien sowie die modifizierte Eigenblutbehandlung und sonstige Verfahren, bei denen aus körpereigenen Substanzen des Patienten individuelle Präparate gefertigt werden.

Ob das „Autologe Orthokin Serum" zu den autohomologen Immuntherapien oder den modifizierten Eigenblutbehandlungen gehört, kann dahinstehen, denn die Orthokin-Therapie lässt sich zweifellos unter den Begriff eines sonstigen Verfahrens, bei dem aus körpereigenen Substanzen des Patienten individuelle Präparate gefertigt werden, subsumieren. Bereits aus dem vom Kläger in das Verfahren eingeführten Merkblatt der Herstellerfirma P. U. sowie aus allgemein zugänglichen Quellen,

vgl. z.B. Heyll, „Orthokin als neue Behandlungsoption bei orthopädischen Leiden", VersMed 2004, 30, zitiert nach Juris; WDR Fernsehen, Service-Zeit Gesundheit, Sendung vom 10. Juli 2006, www.wdr.de und MDR - Hauptsache Gesund, www.mdr.de/hauptsache- gesund/1046077.html,

geht hervor, dass das bei der Therapie verwendete Serum aus körpereigenen Substanzen, nämlich dem Blut des Patienten, gewonnen und in einem Labor aufgearbeitet und vorbereitet (präpariert) wird. Der Einwand des Klägers, bei der Orthokin-Behandlung werde kein individuelles Präparat aus körpereigenen Substanzen hergestellt, sondern würden körpereigene Substanzen so konzentriert, dass eine medizinische Wirkung eintrete, steht dem schon begrifflich nicht entgegen.

Zum Ausschluss der Orthokin-Therapie nach § 6 Abs. 2 BhV vgl. auch: Beckmann / Eyer / Heise, Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder, Teil 1/6 BhV § 6 Anm. 33; Mohr / Sabolewski, Beihilfenrecht NRW § 4 BVO NRW, Anmerkung 9, Seite 78/10h.

Der somit nach Maßgabe des Hinweises zu § 6 Abs. 2 BhV vorliegende allgemeine Ausschluss der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für eine Orthokin-Behandlung hält bezogen auf das Krankheitsbild des Klägers einer gerichtlichen Nachprüfung stand. Insbesondere ist das Bundesministerium des Innern im Rahmen der Anwendung der in § 6 Abs. 2 BhV enthaltenen Regelungsermächtigung zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der im Streit stehenden Behandlungsmethode um eine wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Methode handelt, wie sie § 6 Abs. 2 BhV als Tatbestandmerkmal voraussetzt.

Eine Behandlungsmethode ist wissenschaftlich allgemein anerkannt, wenn sie von der herrschenden oder doch überwiegenden Meinung in der medizinischen Wissenschaft für eine Behandlung der Krankheit als wirksam und geeignet angesehen wird. Um "anerkannt" zu sein, muss einer Behandlungsmethode von dritter Seite - also von anderen als dem/den Urheber(n) - attestiert werden, zur Heilung einer Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet zu sein und wirksam eingesetzt werden zu können. Um "wissenschaftlich" anerkannt zu sein, müssen Beurteilungen von solchen Personen vorliegen, die an Hochschulen und an anderen Forschungseinrichtungen als Wissenschaftler in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätig sind. Für die Allgemeinheit der Anerkennung schließlich muss die Therapieform zwar nicht ausnahmslos, aber doch überwiegend in den fachlichen Beurteilungen als geeignet und wirksam eingeschätzt werden. Somit ist eine Behandlungsmethode dann "wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt", wenn eine Einschätzung ihrer Wirksamkeit und Geeignetheit durch die in der jeweiligen medizinischen Fachrichtung tätigen Wissenschaftler nicht vorliegt oder wenn die überwiegende Mehrheit der mit der Methode befassten Wissenschaftler die Erfolgsaussichten als ausgeschlossen oder jedenfalls gering beurteilt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Juni 1995 - 2 C 15.94 -, NJW 1996, 801 = ZBR 1996, 48 = DÖD 1996, 90, und vom 18. Juni 1998 - 2 C 24.97 -, NJW 1998, 3436 = ZBR 1999, 25 = DÖD 1999, 208; Senatsurteil vom 24. November 2006 - 1 A 461/05 -, a.a.O.

Grundlage für eine positive Einschätzung der Wirksamkeit und Geeignetheit der neuen Methode können nur kontrollierte, wissenschaftlichen Standards genügende Studien sein; bloße Erfahrungsberichte von Ärzten, welche die neue Methode angewendet haben, reichen insoweit nicht aus.

Vgl. Senatsurteile vom 24. November 2006 - 1 A 461/05 -, a.a.O. und vom 1. September 2004

- 1 A 4294/01 -, a.a.O.; Mildenberger, Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder, Anm. 19 Abs. 5 zu § 6 Abs. 2 BhV, m.w.N.

In Anwendung dieser Grundsätze fehlte es der Orthokin-Therapie in Bezug auf das Krankheitsbild des Klägers, einem ausgeprägten, wiederkehrenden Schmerzzustand aufgrund verschleißbedingter Entzündungszustände im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule (lumbales Facettensyndrom mit pseudoradikulärer Symptomatik) und mit Blick auf den für die rechtliche Beurteilung in dem vorliegenden beihilferechtlichen Verfahren maßgeblichen Behandlungszeitpunkt im Januar 2003, an der allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung. Dies ergibt sich schon daraus, dass eine durch geeignete, den zuvor beschriebenen Standards genügende wissenschaftliche Studien belegte Einschätzung der Wirksamkeit der Methode jedenfalls im Jahr 2003 nicht vorgelegen hat. Die beiden von dem Kläger in Bezug genommenen Studien sind nicht dazu geeignet, die Annahme einer solchen allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung zu begründen. Die auf der Untersuchung von 399 Patienten beruhenden Studie der Heinreich - Heine Universität Düsseldorf untersucht die Anwendung des Orthokin-Präpatrats bei chronischem Knieschmerz aufgrund von Arthrose.

Vgl. Arzt Spezial, Ausgabe August 2005, www. arzt- spezial.de/0805/aktuelles/arthrose.html.

Lediglich die von dem Kläger weiter angeführte Studie der Orthopädischen Universitätsklinik im St. Josefs Hospital Bochum befasst sich mit der Behandlung des hier im Vordergrund stehenden Krankheitsbild des lumbalen Nervenkompressionssyndroms. Dieser Studie liegt die komplette Auswertung der Daten von 84 Patienten zugrunde, die in drei Gruppen eingeteilt waren. Sie stellt im Ergebnis fest, dass in allen Gruppen während des Untersuchungszeitraums eine signifikante Verbesserung der Beschwerdesymptomatik eingetreten ist. Angesichts der insgesamt kleinen Anzahl der untersuchten Patienten hat diese Studie eher Einzelfallcharakter und lässt nicht den Schluss zu, dass im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, welche die Geeignetheit und Wirksamkeit der Behandlungsmethode attestieren. Auch wenn unterstellt wird, dass diese Studien wissenschaftlichen Kriterien genügen, fehlt es an einer allgemeinen Anerkennung im oben dargestellten Sinn. Aus dem Vortrag des Klägers, nach dem die Herstellerfirma selbst von der fehlenden Anerkennung ausgeht, und aktuelleren Medienberichten ergibt sich nichts anderes.

Vgl. die oben angeführten Medienberichte, sowie arzneitelegramm 10/2005;36:89, www.arzneitelegramm.de/zeit/0510_a.html und arzneitelegramm 03/01, www.arznei- telegramm.de/zeit/0103a.html.

Das Erfordernis der wissenschaftlichen allgemeinen Anerkennung einer Untersuchungs- oder Behandlungsmethode als Voraussetzung für ihre Beihilfefähigkeit und ein auf ihrem Fehlen beruhender allgemeiner Ausschluss bestimmter Aufwendungen ist ferner mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn grundsätzlich vereinbar. Denn die Fürsorgepflicht gebietet dem Dienstherrn nicht, dem Beihilfeberechtigten eine Beihilfe zu objektiv nicht notwendigen Aufwendungen zu gewähren. Mit einem solchen Erfordernis wird einerseits die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für bewährte und erfolgversprechende Untersuchungen und Behandlungen gesichert; andererseits trägt diese Voraussetzung auch dem Gebot sparsamer Haushaltsführung durch den Dienstherrn Rechnung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1995 - 2 C 15.94 -, a.a.O.; Senatsurteile vom 24. November 2006

- 1 A 461/05 -, a.a.O., vom 1. September 2004

- 1 A 4294/01 -, a.a.O., und OVG NRW, Urteil vom 28. Oktober 1999 - 12 A 315/97 -, DöD 2000, 136; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 1995 - 4 S 642/94 -, Schütz/Maiwald, BeamtR, ES/C IV 2 Nr. 90; Mildenberger, a.a.O., Anm. 19 Abs. 4 zu § 6 Abs. 2 BhV.

Aus diesem Grund kann die „Orthokin-Therapie" vorliegend auch nicht als „notwendig" im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV angesehen werden.

Voraussetzung dafür, eine Behandlung als „notwendig" im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV ansehen zu können, ist unter anderem, dass mit einem bestimmten Mittel bzw. Verfahren ein Heilerfolg angestrebt werden kann. Ob das der Fall ist, ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen. Es kommt insoweit nicht auf die vom Hersteller bzw. Erfinder der Methode genannte Zweckbestimmung, sondern darauf an, welche Heilwirkungen mit dem Mittel bzw. der Methode unter objektiven Gesichtspunkten erreicht, zumindest jedoch begründet erhofft werden können. Insoweit kann es mittelbar auch mit Blick auf die Notwendigkeit der Behandlung darauf ankommen, ob eine wissenschaftliche Anerkennung oder eine begründete Erwartung als Beleg bzw. Indiz für die Wirksamkeit vorliegt.

Wie bereits dargelegt, fehlt es an einer solchen allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung der hier in Rede stehenden Behandlungsmethode. Allerdings kann das von der Fürsorgepflicht getragene Gebot des § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV, eine Beihilfe zu "dem Grunde nach" notwendigen Aufwendungen zu leisten, den Dienstherrn in Ausnahmefällen auch dazu verpflichten, die Kosten einer wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode nach den jeweiligen Bemessungssätzen zu erstatten. Diese Verpflichtung besteht dann, wenn sich eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode für die Behandlung einer bestimmten Krankheit - z. B. unbekannter Genese - noch nicht herausgebildet hat, wenn im Einzelfall - etwa wegen Gegenindikationen - das anerkannte Heilverfahren nicht angewendet werden darf oder wenn ein solches bereits ohne Erfolg eingesetzt worden ist. Unter diesen Voraussetzungen wird ein verantwortungsbewusster Arzt auch solche Behandlungsmethoden in Erwägung ziehen, die nicht dem allgemeinen Standard der medizinischen Wissenschaft entsprechen, aber nach ernstzunehmender Auffassung noch Aussicht auf Erfolg bieten. Stehen wissenschaftlich allgemein anerkannte Methoden zur Behandlung einer Erkrankung oder zur Linderung von Leidensfolgen nicht zur Verfügung, können auch Aufwendungen für sog. "Außenseiter-Methoden" notwendig und angemessen und damit beihilfefähig sein, wenn die Aussicht besteht, dass eine solche Behandlungsmethode nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft noch wissenschaftlich allgemein anerkannt werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1995 - 2 C 15.94 -, a.a.O.

Eine solche Aussicht besteht nur dann, wenn die begründete Erwartung auf wissenschaftliche Anerkennung besteht. Für eine solche Annahme ist zumindest erforderlich, dass bereits wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die attestieren, dass die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 1998 - 2 C 24.97 -, a.a.O.

Gemessen an diesen Grundsätzen kann der behauptete Anspruch nicht mit Erfolg unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn hergeleitet werden. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Behandlung 2003 bestand keine Aussicht, dass die Orthokin-Therapie zur Behandlung der bei dem Kläger gegebenen Erkrankung nach einer medizinischen Erprobungsphase entsprechend dem Stand der Wissenschaft wissenschaftlich allgemein anerkannt werden würde. Die seitherige Entwicklung lässt auf Gegenteiliges ebenfalls zumindest keine klaren Rückschlüsse zu. Eine diese Annahme stützende, über die Ergebnisse kontrovers gebliebener Einzelstudien hinausgehende wissenschaftliche Basis, welche einen hinreichenden Anhaltspunkt für diese Erwartung böte, ist - auch angesichts der von dem Kläger in Bezug genommenen Studien - aus den oben bereits dargelegten Gründen bis jetzt nicht ersichtlich. Im Gegenteil wird die Behandlung bis heute aufgrund fehlender wissenschaftlicher Studien als wissenschaftlich nicht bewiesen beschrieben.

Vgl. Heyll, „Orthokin als neue Behandlungsoption bei orthopädischen Leiden", a.a.O., WDR Fernsehen, Service-Zeit Gesundheit, a.a.O., MDR - Hauptsache Gesund, a.a.O., arznei- telegramm 10/2005 und 03/01, a.a.O.

Der Senat kann daher auch ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens, wie es der Kläger erstinstanzlich beantragt hat, feststellen, dass mangels hinreichender medizinischer Studien die in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Anerkennung der Aufwendungen als beihilfefähig bis heute nicht erfüllt werden können, sondern sich diese Aussichten allenfalls als offen darstellen. Dies hat zur Folge, dass die Aufwendungen für die Orthokin-Therapie nicht als „notwendig" anerkannt werden können und deshalb nach den oben dargestellten Grundsätzen - ungeachtet der Frage, ob der Kläger sämtliche anerkannten Behandlungsmethoden ausgeschöpft hat - nicht beihilfefähig sind.

Schließlich verpflichtet allein der Umstand, dass die im Streit stehende Behandlungsmethode beim Kläger tatsächlich zu einer Beschwerdelinderung geführt hat, auch unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn die Beklagte nicht dazu, für die betreffenden Kosten durch Beihilfezahlung (anteilig) aufzukommen. Auf etwaige Behandlungserfolge im Einzelfall kommt es nicht an, solange die wissenschaftliche allgemeine Anerkennung der Methode fehlt. Darüber hinaus lässt sich angesichts der noch nicht hinreichend erforschten Wirkmechanismen der Othokin-Therapie und eines nicht auszuschließenden Placeboeffektes objektiv wohl nicht einmal ein hinreichend sicherer Kausalitätsnachweis führen, dass der Behandlungserfolg beim Kläger tatsächlich allein oder zumindest wesentlich auf den Einsatz dieser Methode zurückzuführen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Regelungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeben sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil hierfür die Vorraussetzungen nach §§ 132 Abs. 2 VwGO, 127 BRRG nicht gegeben sind.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG n.F., wobei von dem Rechnungsbetrag (950,- EUR) und dem für den Kläger einschlägigen Beihilfebemessungssatz von 70 v.H. auszugehen ist.