LG Bochum, Urteil vom 24.03.2006 - 5 S 277/05
Fundstelle
openJur 2011, 45198
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 14 C 216/05
Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.10.2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne (14 C 216/05) abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Räumung einer gemieteten Wohnung. Die Beklagten sind aufgrund des Mietvertrages vom 03.06.2000 Mieter einer Wohnung der Klägerin im dritten Obergeschoss im Haus D-Straße ...# in I. In dem Zeitraum von März 2004 bis Januar 2005 haben die Beklagten keine Nebenkostenvorauszahlungen an die Klägerin geleistet. Wegen des dadurch entstandenen Rückstandes in Höhe von 1.736,02 Euro kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 01.02.2005 das Mietverhältnis zum 30.04.2005.

Mit der Klage vom 27.04.2005, zugestellt an die Beklagten am 25.05.2005, hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Räumung und Herausgabe der Wohnung begehrt. Nachdem das Amtsgericht Herne-Wanne in dem Verfahren 14 C 57/05 durch Urteil vom 01.07.2005 die Beklagten zur Zahlung der rückständigen Vorauszahlungen in Höhe von 1.736,02 Euro verurteilt hat, zahlten die Beklagten den ausstehenden Betrag am 11.07.2005.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, das Mietverhältnis sei aufgrund der Kündigung vom 01.02.2005 beendet worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, die Wohnung D-Straße ...#, ...... I, Dachgeschoss vorne, bestehend aus 3 ½ Zimmern nebst dem dazugehörigen Kellerraum und der Garage zu räumen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, sie hätten die Nebenkostenvorauszahlungen auf Empfehlung des Mieterschutzvereins Herne zurückbehalten. Grund hierfür sei gewesen, dass die Klägerin trotz wiederholter Aufforderung die zur Nebenkostenabrechnung gehörenden Rechnungsbelege nicht an den Mieterschutzverein I übersandt habe. Insoweit sei im Hinblick auf die gegebene Empfehlung von einer schuldhaften Pflichtverletzung ihrerseits nicht auszugehen.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Zur Begründung ist ausgeführt, die Beklagten hätten sich nicht auf den Rechtsrat des Mieterbundes verlassen dürfen. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrecht sei allein das Risiko der Beklagten, die sich auf den Rat eines Dritten verlassen hätten.

Mit der Berufung wenden sich die Beklagten gegen die Verurteilung. Sie gehen weiter davon aus, dass ein Verschulden auf ihrer Seite nicht vorliege. Die Nichtzahlung der Nebenkostenvorauszahlungen beruhe auf der rechtsfehlerhaften Beratung des Mieterschutzvereins I. Das Verhalten des Mieterschutzvereins sei ihnen nicht zuzurechnen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt unter Berufung auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts vor, die Beklagten hätten ihre Pflichten erheblich verletzt. Sie hätten sich nicht auf den Rechtsrat des Mieterschutzvereins verlassen dürfen.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird wegen des weiteren Vorbringens der Parteien auf ihre Schriftsätze sowie zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

1.

Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten keinen Anspruch auf Räumung der gemieteten Wohnung. Die ordentliche Kündigung der Klägerin vom 01.02.2005 hat das Mietverhältnis nicht beendet. Die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung gem. § 573 BGB sind nicht gegeben.

Für eine Kündigung gem. § 573 BGB ist ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses erforderlich. Gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB liegt ein berechtigtes Interesse insbesondere dann vor, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat.

a)

Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung durch die Beklagten ist zu bejahen.

Die Pflichtverletzung ergibt sich aus der Vorschrift des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB. Diese Vorschrift ist auch zur Beurteilung einer erheblichen Pflichtverletzung heranzuziehen (Schmidt/Futterer, Mietrecht, 8. Auflage § 573 Rn 26 ff; Palandt, BGB, § 573 Rdnr. 16). Gem. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 b BGB besteht ein Kündigungsrecht, wenn der Mieter in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckt, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug ist, der die Miete für zwei Monate erreicht.

Die nicht unerhebliche Pflichtverletzung resultiert aus dem entstandenen Zahlungsrückstand der Beklagten. Sie haben in dem Zeitraum von März 2004 bis Januar 2005 keine Nebenkostenvorauszahlungen an die Klägerin geleistet. Hieraus hat sich ein Rückstand in Höhe von 1.736,02 Euro ergeben. Insoweit besteht ein Zahlungsrückstand in Höhe von mehr als zwei Monatsmieten.

Den Beklagten steht gegenüber den Zahlungsansprüchen der Klägerin kein Zurückbehaltungsrecht zu. Ein Zurückbehaltungsrecht ergibt sich entgegen der zunächst geäußerten Auffassung der Beklagten nicht aus einer Nichtvorlage der Abrechnungsbelege für die Nebenkosten. Die Beklagten haben nicht das Recht von der Klägerin die Übersendung der Nebenkostenbelege zu verlangen. Vielmehr steht dem Mieter nur das Recht zu, die Belege einzusehen oder Kopien der Rechnung gegen Kostenerstattung zu verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2006, Aktenzeichen VIII ZR 78/05). Mangels eines Zurückbehaltungsrechts waren die Beklagten nicht berechtigt, die Nebenkostenvorauszahlungen zurückzuhalten. Dementsprechend sind die Beklagten durch das Urteil des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 01.07.2005 zur Zahlung des Rückstandes an die Klägerin verurteilt worden.

b)

Die Kündigung der Klägerin ist nicht aufgrund der am 11.07.2005 vorgenommenen Zahlung der rückständigen Beträge an die Klägerin unwirksam geworden.

Gem. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB wird die Kündigung unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von 2 Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird. Diese Vorschrift mit der Folge einer Heilungswirkung aufgrund einer nachträglichen Zahlung wird jedoch im Falle einer ordentlichen Kündigung gem. § 573 BGB nicht als anwendbar angesehen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt eine Anwendung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nicht in Betracht, wenn die Kündigung auf § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB gestützt wird (BGH NZM 2005, 334; OLG Karlsruhe ZMR 1992, 488; Schmidt/Futterer, Mietrecht, 8. Auflage § 573 Rn. 32).

c)

Das gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erforderliche Verschulden im Hinblick auf die Pflichtverletzung ist jedoch für die Beklagten nicht zu bejahen.

aa)

Ein eigenes Verschulden der Beklagten ist nicht gegeben.

Ein Verschulden ist nicht anzunehmen, wenn sich ein Mieter in einem schuldlosen Irrtum über seine Zahlungspflicht befindet (LG Kiel, NJWE - MietR 1996, 195; Schmidt/Futterer, Mietrecht, 8. Auflage § 543 Rdnr. 97; Palandt, BGB, § 543 Rdnr. 26). Die Annahme eines schuldlosen Irrtums setzt voraus, dass der Mieter sorgfältig prüft, ob eine Einstellung oder Kürzung der Mietzahlung gerechtfertigt ist. Beruht dieses Verhalten auf Auskünften anderer Personen, so genügt dies nur dann, wenn hinreichende Anhaltspunkte für deren Kompetenz vorliegen. Hiervon ist bei den Mietarbeitern gerichtlicher oder kommunaler Auskunftsstellen und der Mietervereine regelmäßig auszugehen (LG Kiel, a.a.O.).

Die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts durch die Beklagten gegenüber der Klägerin erfolgte aufgrund einer Empfehlung des Mieterschutzvereins I. Insoweit konnten die Beklagten grundsätzlich davon ausgehen, dass sie zur Einbehaltung der Nebenkostenvorauszahlungen berechtigt waren.

bb)

Die Beklagten müssen sich auch nicht das Verhalten des Mieterschutzbundes I gem. § 278 BGB zurechnen lassen.

In Literatur und Rechtsprechung ist umstritten, ob die Zurechnungsnorm des § 278 BGB im Rahmen der Beurteilung des Verschuldens bei einer ordentlichen Kündigung gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB anwendbar ist.

Teilweise wird die Ansicht vertreten, auch bei einer ordentlichen Kündigung müsse sich ein Mieter das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB als eigenes Verschulden zurechnen lassen. Diese gelte auch für fehlerhafte Auskünfte von Rechtsanwälten oder anderen Auskunftspersonen; diese seien als Erfüllungsgehilfen des Mieters anzusehen (vgl. OLG Köln ZMR 1998 763; LG Berlin NZM 1998, 573; Schmidt/Futterer, Mietrecht, 8. Auflage § 543 Rdnr. 97, § 573 Rdnr. 19; Palandt, BGB § 573 Rdnr. 14; Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage § 573 Rdnr. 64; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Auflage Rdnr. IV 63).

Nach anderer Ansicht wird eine Zurechnung nach § 278 BGB verneint (KG, Wohnungswirtschaft und Mietrecht 2000, 481; LG Karlsruhe, WuM 1990, 294; Sternel, Mietrecht, IV 406). Dies gelte zumindest für die ordentliche Kündigung des Vermieters gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB (§ 564 b Abs. 2 Nr. 1 BGB a.F.). Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Vorschrift ein eigenes Verschulden voraussetzt, womit die Anwendung des § 278 hinsichtlich des Verschuldens von Erfüllungsgehilfen ausgeschlossen sei (Kammergericht, a.a.O.).

Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Dafür, die Zurechnungsnorm des § 278 BGB nicht anzuwenden, spricht, dass die ordentliche Kündigung ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses erfordert und sich dies aus der Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Vermieter und Mieter gerade durch ein persönliches Fehlverhalten des Mieters ergibt. Insoweit erscheint es nicht berechtigt, den Mieter der Gefahr einer Kündigung auszusetzen, wenn er sich auf den fehlerhaften Rechtsrat eines Mieterschutzvereins verlässt, an den er sich im berechtigten Vertrauen auf dessen Kompetenz gewandt hat.

Mangels eigenem Verschulden der Beklagten und mangels Zurechnungsmöglichkeit einer schuldhaft fehlerhaften Auskunft durch einen Mieterschutzverein fehlt es an dem für eine ordentliche Kündigung des Vermieters gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erforderlichen Verschulden im Hinblick auf die erhebliche Pflichtverletzung. Insoweit ist das Räumungsbegehren der Klägerin, gestützt auf eine ordentliche Kündigung gem. § 573 BGB nicht begründet.

2.

Sonstige Anspruchsgrundlagen sind für das Begehren der Klägerin nicht ersichtlich. Die Klägerin kann ihre Kündigung auch nicht auf den im Kündigungsschreiben vom 01.02.2005 genannten Eigenbedarf stützen. Hierzu fehlt es an einem substantiierten Vorbringen der Klägerin für das Vorliegen eines Eigenbedarfs.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen bezüglich der Kosten aus § 91 ZPO und bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

IV.

Die Kammer hat die Revision gem. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen. Die Frage, ob sich ein Mieter das Verschulden Dritter bei einer schuldhaft fehlerhaften Auskunft als eigenes Verschulden zur Begründung einer ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung zurechnen lassen muss, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erscheint eine höchstrichterliche Klärung dieser Rechtsfrage erforderlich.