ArbG Essen, Urteil vom 27.09.2005 - 2 Ca 2427/05
Fundstelle
openJur 2011, 39224
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Berufsausbildungsverhältnis

zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten

mit Schreiben vom 06. Juni 2005 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.258,00 EUR

festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten mit Schreiben vom 06. Juni 2005 ausgesprochenen außerordentlichen, fristlosen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Berufsausbildungsverhältnisses.

Der 1986 geborene, ledige Kläger wurde seit dem 01. August 2003 in dem Betrieb der Beklagten für den Ausbildungsberuf Maurer ausgebildet, und zwar zuletzt zu einer Ausbildungsvergütung von 1.086,00 brutto.

Nachdem die Beklagte ab Mitte des Jahres 2004 die sich stetig verschlechternden praktischen und schulischen Leistungen des Klägers wiederholt beanstandet hatte, sprach sie mit Schreiben vom 23. Mai 2005, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, im Hinblick auf die Beurteilung des Klägers im Rahmen eines vom 18.04.2005 bis 13.05.2005 im Bildungszentrum des Baugewerbes e. V. in Wesel durchgeführten Lehrgangs zur überbetrieblichen Unterweisung, bei dem der Kläger in allen Themengebieten mit mangelhaft beurteilt worden war, ihm gegenüber eine schriftliche Rüge aus.

Als die Beklagte dann seitens der Handwerkskammer Düsseldorf mit Anschreiben vom 03. Juni 2005 über das Ergebnis der vom Kläger am 13. Mai 2005 absolvierten Zwischenprüfung unterrichtet worden war, wandte sie sich mit Schreiben vom 06. Juni 2005 wie folgt an diesen:

BETRIFFT: Kündigung

Sehr geehrter Herr K.,

mit der heutigen Post ist uns Ihr Zwischenprüfungszeugnis zugegangen. Sie erreichten folgende Ergebnisse:

Praktischer Teil mangelhaft

Schriftlicher Teil

Schwerpunktbezogene Aufgaben ungenügend

Bauwerke im Hochbau ungenügend

Wirtschafts- und Sozialkunde ausreichend

Nach drei Abmahnungen, vielen Einzelgesprächen und großer Geduld unserer Mitarbeiter, setzt dieses Ergebnis ihrem bisherigen Verhalten die Krone auf. Wir sehen uns leider außer Stande das Ausbildungsverhältnis mit Ihnen fortzuführen.

Hiermit kündigen wir das bestehende Ausbildungsverhältnis mit Ihnen fristlos.

Sollte die Frist aus irgendeinem Grunde nicht gewahrt sein, gilt die Kündigung zum nächst zulässigen Termin.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 16. Juni 2005 hat sich der Kläger wegen der außerordentlichen, fristlosen Kündigung zunächst an die Kreishandwerkerschaft Essen gewandt und den Ausschuss zur Schlichtung von Streitigkeiten aus dem Ausbildungsverhältnis angerufen. Die Kreishandwerkerschaft Essen teilte hierauf allerdings mit Schreiben vom 11. Juli 2005 mit, bei ihr bestehe für den Ausbildungsberuf des Klägers derzeit kein Schlichtungsausschuss nach § 111 Abs. 2 ArbGG.

Gegen die Kündigung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden, bei Gericht am 23. Juni 2005 eingegangenen, Feststellungsklage. Er ist der Ansicht, die Kündigung sei bereits mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes unwirksam. Schlechte schulische Leistung berechtigten den Ausbildungsbetrieb nicht zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses. Schließlich solle die Feststellung der grundsätzlichen Eignung des Auszubildenden für den Beruf während der Probezeit erfolgen.

Im Anschluss daran könne ein Berufsausbildungsverhältnis nur noch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes außerordentlich gekündigt werden. Einen solchen stellten mangelnde Leistungen des Auszubildenden nicht dar. Im übrigen sei darauf hinzuweisen, dass sich sowohl das schulische Verhalten als auch die Leistungen des Klägers gerade in der letzten Zeit gebessert hätten.

Der Kläger beantragt

festzustellen, dass das Berufsausbildungsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 06. Juni 2005 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht die Beklagte geltend, am Anfang seiner Ausbildung habe der Kläger ein reges Interesse und Engagement gezeigt. Seine Bewertungen durch das Bildungszentrum des Baugewerbes hätten im Bereich befriedigend bis ausreichend gelegen. Anfang 2004 seien die Noten noch ausreichend gewesen. Mitte 2004 hätten sie sich jedoch alle auf mangelhaft verschlechtert. In diesem Zeitraum habe es erste Beschwerden des Berufsschullehrers über Störungen des Unterrichts, Telefonate sowie Lesen von Zeitungen während des Unterrichts und mangelnde Bereitschaft, sich am Unterricht zu beteiligen, gegeben.

Nach einer mündliche Rüge habe der Kläger zwar versprochen, sein Verhalten zu ändern. Seine praktischen Leistungen im folgenden Ausbildungsblock seien jedoch mangelhaft, sein Arbeitstempo sehr langsam geblieben. Nachdem der Kläger im Betrieb auf der Baustelle eingesetzt worden sei, hätten sich die Beschwerden des Poliers über seine mangelnde Einsatzbereitschaft gehäuft. Daraufhin sei dem Kläger in einem weiteren Gespräch eindringlich die Notwendigkeit einer Berufsausbildung und die Gefahr des Abbruchs der Ausbildung deutlich gemacht worden, falls sich sein Verhalten nicht ändere.

Da der Betrieb seit längerer Zeit defizitär gewesen sei und auch die Anschlussaufträge gefehlt hätten, seien im August 2004 drei Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern ausgesprochen worden, und im nachfolgenden Monat hätten vier weitere Beschäftigte gekündigt werden müssen, darunter auch der Vater des Klägers. Daraufhin sei das Engagement des Klägers gänzlich eingebrochen. Drei Abmahnungen seien in der Folge ausgesprochen worden.

Am 06. Juni 2005 sei der Beklagten dann das Zwischenzeugnis des Klägers zugegangen, welches seine völlig unzureichenden Leistungen dokumentiert und die schlimmsten Befürchtungen der Beklagten übertroffen habe. Neben den mangelhaften praktischen Leistungen seien die theoretischen Leistungen des Klägers in zwei der drei Fächer mit ungenügend bewertet worden. Des weiteren seien verschiedene Mängel in den Berichtsheften aufgelistet worden. Angesichts der Mitteilung der Handwerkskammer habe sich die Beklagte veranlasst gesehen, das Ausbildungsverhältnis fristlos zu kündigen. Trotz vieler Gespräche und mehrerer Abmahnungen habe der Kläger keinerlei Leistungsbereitschaft gezeigt.

Selbst das Bemühen des Ausbilders, dafür Sorge zu tragen, dass die Berichtshefte des Klägers für die Zwischenprüfung formell korrekt und inhaltlich ansprechend vorgelegt würden, habe er nicht aufgegriffen und auch durch seine praktischen und theoretischen Leistungen nachhaltig sein Desinteresse an der Ausbildung demonstriert.

Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass sich die schulischen Leistungen des Klägers zwischenzeitlich gebessert hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsprotokolle, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

A.

Die Klage ist zulässig.

1. Bei einem Streit über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses ist gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG zunächst das Verfahren vor einem zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden gebildeten Ausschuss durchzuführen, sofern bei der zuständigen Handwerksinnung oder einer anderen zuständigen Stelle im Sinne des Berufsbildungsgesetzes ein solcher Ausschuss besteht. Die Verpflichtung, den Schlichtungsausschuss vor Klageerhebung anzurufen, entfällt ausnahmsweise dann, wenn die zuständige Innung oder eine andere zuständige Stelle einen solchen Ausschuss nicht gebildet hat (vgl. BAG vom 18. September 1975 2 AZR 602/74 BAGE 27, 279 = AP Nr. 2 zu § 111 ArbGG 1953; BAG vom 09. Oktober 1979 6 AZR 776/77 AP Nr. 3 zu § 111 ArbGG 1953; BAG vom 24. Oktober 1985 2 AZR 505/83 n.v.). Gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG handelt es sich bei dieser vorgeschalteten Verhandlung vor dem Schlichtungsausschuss um eine Prozessvoraussetzung für die Klage (vgl. BAG vom 25. November 1976 2 AZR 751/75 AP Nr. 4 zu § 15 BBiG).

2. Im Streitfall hat die Kreishandwerkerschaft Essen dem Kläger mit Schreiben vom 11. Juli 2005 mitgeteilt, dass ein Ausschuss zur Schlichtung von Streitigkeiten aus dem Ausbildungsverhältnis für den Ausbildungsberuf des

Klägers zur Zeit nicht existiere.

3. Auch wenn man mit dem Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG vom 13. April 1989 2 AZR 441/88 NZA 1990, 395 = AP Nr. 21 zu § 4 KSchG = DB 1990, 586 = EzA § 13 KSchG n.F. Nr. 4; BAG vom 05. Juli 1990 2 AZR 53/90 NZA 1991, 671 = AP Nr. 23 zu § 4 KSchG 1969 = DB 1991, 2679 = EzA § 4 KSchG n. F. Nr. 39; BAG vom 26. Januar 1999 2 AZR 134/98 NZA 1999, 934 = AP Nr. 43 zu § 4 KSchG 1969 = DB 1999, 1408 = EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 58) davon ausgeht, dass ein Auszubildender, dessen Berufsausbildungsvertrag durch den Ausbilder außerordentlich gekündigt wurde, dagegen nur innerhalb der durch § 4 KSchG bestimmten Frist von drei Wochen Klage auf die Feststellung erheben kann, dass die Kündigung unwirksam sei, wenn wie im vorliegenden Fall für den Ausbildungsberuf des Klägers ein Ausschuss nach § 111 Abs. 2 S. 5 ArbGG nicht gebildet ist, so hat der Kläger die Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung jedenfalls binnen der Frist von drei Wochen (§§ 4 S. 1, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG) mit der nach dem Kündigungsschutzgesetz zulässigen Feststellungsklage geltend gemacht, so dass er rechtlich nicht gehindert ist, das Fehlen eines wichtigen Grundes im Sinne von § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG n. F. [BGBl. I 2005, 931; früher: § 15 Abs. 2 Nr. 1 BBiG; vgl. zum BBiG 2005: Natzel in DB 2005, 610; Taubert in NZA 2005, 503] geltend zu machen.

B.

Die Klage ist auch begründet, denn nach den Feststellungen der erkennenden Kammer hat für die von der Beklagten mit Schreiben vom 06. Juni 2005 ausgesprochene außerordentliche, fristlose Kündigung ein wichtiger Grund im Sinne von § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nicht vorgelegen.

I.

Hinsichtlich der Beurteilung der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung gegenüber einem Auszubildenden ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

1. Ein Berufsausbildungsverhältnis kann vom Ausbilder nach der Probezeit

gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nur aus wichtigem Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden.

In Anlehnung an die Legaldefinition des § 626 Abs. 1 BGB ist ein wichtiger Grund immer dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsaus-

bildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht mehr zugemutet werden kann.

Bei der Beurteilung des wichtigen Grundes im Sinne von § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG kann jedoch nicht von den Maßstäben ausgegangen werden, die bei dem Arbeitsverhältnis eines erwachsenen Arbeitnehmers anzulegen sind. Strengere Anforderungen als bei erwachsenen Arbeitnehmern sind deshalb gerechtfertigt, weil es sich bei Auszubildenden nicht selten und so auch hier um ältere Jugendliche und Heranwachsende handelt, deren geistige, charakterliche und körperliche Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. LAG Baden-Württemberg vom 31. Oktober 1996 6 Sa 10/96 NZA-RR 1997, 288; LAG Köln vom 08. Januar 2003 7 Sa 852/02 LAGE § 15 BBiG Nr. 14 = AR-Blattei ES 400 Nr. 112 = EzA-SD 2003, Nr. 10, 16; APS-Biebl., 2. Aufl. § 15, Rz. 14; Leinemann/Taubert, BBiG, § 15 Rz. 41). Dabei ist auch zu bedenken, dass es nach § 14 Abs. 1 Nr. 5 BBiG auch zu den Aufgaben des Ausbildenden gehört, dafür zu sorgen, dass Auszubildende charakterlich gefördert werden. Die fristlose Kündigung darf daher nur das letzte Mittel zur Beendigung eines unrettbaren Berufsausbildungsverhältnisses sein. Dabei gewinnt das Interesse des Auszubildenden an der Aufrechterhaltung des Ausbildungsverhältnisses mit fortschreitender Dauer der Ausbildung immer mehr an Gewicht (vgl. LAG Düsseldorf vom 15. April 1993 5 Sa 220/93 EzB BBiG § 15 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 76; LAG Köln vom 08. Januar 2003 7 Sa 852/02 a.a.O., zu II 3 b der Gründe; APS-Biebl, a.a.O., § 15 BBiG, Rz. 15; Leuchten in Tschöpe, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Teil 1 B, Rz. 144 ).

Vielmehr muss der Zweck des Berufsausbildungsverhältnisses, nämlich zu einem Berufsabschluss für den Auszubildenden zu führen, ebenso berücksichtigt werden wie die zum Zeitpunkt der Kündigung bereits zurückgelegte Ausbildungszeit im Verhältnis zur Gesamtdauer der Ausbildung (vgl. BAG vom 10. Mai 1973 2 AZR 328/72 AP Nr. 3 zu § 15 BBiG = EzA § 15 BBiG Nr. 2 = DB 1973, 1512; LAG Düsseldorf vom 24. November 1966 7 Sa 766/65 BB 1966, 822; LAG Berlin vom 09. Juni 1986 9 Sa 27/86 LAGE § 15 BBiG Nr. 2; Hessisches LAG vom 03. November 1997 16 Sa 657/97 LAGE § 15 BBiG Nr. 12; KR-Weigand, 7. Aufl. 2004, §§ 14, 15 BBiG Rz. 45; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl. 1982, S. 280).

Nicht jeder Vorfall, der unter Umständen zur fristlosen Kündigung eines Arbeit-

nehmers berechtigen würde, kann als wichtiger Grund zur fristlosen Entlassung eines Auszubildenden dienen, denn die Nachteile, die einen fristlos gekündigten Auszubildenden treffen, wiegen oft unverhältnismäßig schwerer als diejenigen, die ein fristlos gekündigter Arbeitnehmer zu erwarten hat (allgemeine Auffassung, vgl. etwa: LAG Düsseldorf (Köln) vom 24. Januar 1968 3 Sa 497/67 DB 1968, 401; ArbG Gelsenkirchen vom 20. März 1980 3 Ca 3841/79 BB 1980, 679; ArbG Essen vom 06. März 1987 2 Ca 2756/86 ; KR-Weigand, a.a.O., Rz. 45; Natzel, a.a.O., S. 278 ff; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 11. Aufl., § 174 Rz. 96, S. 1705, jeweils m.w.N.).

Es muss vielmehr vornehmlich darauf abgestellt werden, inwieweit eine Verfehlung einer der Parteien die Fortsetzung des Berufsausbildungsvertrages von dessen Sinn und Zweck her unzumutbar macht (vgl. BAG vom 22. Juni 1972 2 AZR 346/71 AP Nr. 1 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis = EzA § 611 BGB Ausbildungsverhältnis Nr. 1).

Von besonderer Bedeutung ist bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen die bereits zurückgelegte Ausbildungszeit im Verhältnis zur Gesamtdauer der Ausbildung (vgl. BAG vom 10. Mai 1973 2 AZR 328/72 a.a.O.). Je länger das Berufsausbildungsverhältnis bereits besteht, je näher also die Abschluss-

prüfung gerückt ist, desto größer sind die Anforderungen an einen wichtigen Grund zur Kündigung durch den Ausbildenden. Auch bei verhältnismäßig groben Verfehlungen muss gegen Ende des Berufsausbildungsverhältnisses das Interesse des Auszubildenden am Abschluss seiner Ausbildung mehr den Vorrang haben, bis schließlich kurz vor dem Prüfungstermin eine fristlose Kün-

digung kaum noch möglich sein wird (vgl. LAG Hamm vom 07. November 1978 6 Sa 1096/78 DB 1979, 606, KR-Weigand, a.a.O., §§ 14, 15 BBiG, Rz. 45 - 47; APS-Biebl, 2. Aufl., § 15 BBiG, Rz. 15).

Im Zeitpunkt der vorliegend zu beurteilenden Kündigung befand sich der Kläger bereits am Ende seines zweiten Ausbildungsjahres.

Die Frage, ob dem Ausbildenden die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses nach Treu und Glauben billigerweise noch zugemutet werden kann, darf nicht vom Standpunkt einer der Vertragsparteien und aus deren subjektiver Sicht beantwortet werden; vielmehr müssen die gegensätzlichen Interessen beider Seiten berücksichtigt und nach objektiven Maßstäben abgewogen werden. Dabei bleibt in der Regel die subjektive Empfindsamkeit eines Vertragspartners außer Betracht (vgl. LAG Köln vom 15. Juni 1987 10 Sa 223/87 LAGE § 15 BBiG Nr. 4; KR-Weigand, a.a.O., §§ 14, 15 BBiG, Rz. 49).

2. Oberster Grundsatz bei der Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes wegen Fehlverhaltens oder Pflichtverletzung im Betrieb ist, dass ein-

malige oder seltene Vorkommnisse in der Regel nicht zur fristlosen Kündigung ausreichen (vgl. LAG Schleswig-Holstein vom 05. August 1969 1 Sa 149/69 DB 1969, 2188). Erst bei Vorliegen einer Kette von Pflichtwidrigkeiten, die für sich allein betrachtet noch kein wichtiger Grund sein muss, die aber den Schluss rechtfertigt, dass der Auszubildende das Ausbildungsziel nicht erreichen wird und Sinn und Zweck der Ausbildung in Frage stehen, kann eine fristlose Kündigung in Betracht kommen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Auszubildende sein pflichtwidriges Verhalten ungeachtet strenger Abmahnungen und ungeachtet der Anwendung stärkerer Erziehungsmittel fortsetzt und darüber hinaus die Pflichtwidrigkeiten graduell schwerer werden. Außerdem muss es unwahrscheinlich erscheinen, dass auf den Auszubildenden noch so eingewirkt werden kann, dass er sich in die im Betrieb gegebene Ordnung einfügt.

Allerdings stellen geringer ins Gewicht fallende Verfehlungen und Schwierigkei-

ten des Auszubildenden wie Unsauberkeit, Unaufmerksamkeit, Vergesslichkeit, schlechtes und störrisches Benehmen grundsätzlich keinen wichtigen Grund zur vorzeitigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses dar (vgl. KR-Weigand, a.a.O., §§ 14, 15 BBiG, Rz. 52). Dies gilt um so mehr, wenn der Ausbildende seinerseits z.B. durch die Nichtbefolgung gesetzlicher Vorschriften ein schlechtes Beispiel gibt. Soweit diese Gründe aber allein die Eignung für den erwählten Beruf betreffen, sollen sie gerade während der Probezeit die Kündigung ermöglichen.

Danach können derartige Gründe eine vorzeitige Entlassung nicht stützen.

II.

1. Im vorliegenden Fall war jedoch eine grobe und schuldhafte Vertragsverletzung durch den Kläger nicht festzustellen.

Die Beklagte beanstandet letztendlich das Leistungsverhalten des Klägers. In einem so späten Stadium des Ausbildungsverhältnisses wie vorliegend darf ein Auszubildender jedoch nicht mit der Begründung fristlos entlassen werden, er werde wegen seiner schlechten Leistungen mit hoher Wahrscheinlichkeit in der bevorstehenden Prüfung versagen (vgl. KR-Weigand, a.a.O., §§ 14, 15 BBiG, Rz. 63). Vielmehr ergibt der Umkehrschluss aus § 21 Abs. 3 BBiG, wonach sich das Berufsausbildungsverhältnis auf Verlangen des Auszubildenden bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr, verlängert, wenn der Auszubildende die Abschlussprüfung nicht besteht, dass vorherige schlechte Leistungen beim Absolvieren der Zwischenprüfung bei einem Auszubildenden, der fast zwei Drittel der Ausbildungszeit im Ausbildungsverhältnis absolviert hat, als wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses nur dann in Frage kommt, wenn feststeht, dass auf Grund der im Rahmen der Zwischenprüfung aufgetretenen Ausbildungslücken das Bestehen der Abschlussprüfung ausgeschlossen ist. Für die hierfür maßgebenden Tatsachen ist der Ausbildende in vollem Umfange darlegungs- und beweispflichtig, und die hierfür maßgebenden Tatsachen können nach § 22 Abs. 3 BBiG auch nur dann Verwendung finden, wenn sie der Ausbildende schriftlich im Kündigungsschreiben mitgeteilt hat (vgl. KR-Weigand, a.a.O., §§ 14, 15 BBiG, Rz. 94 95; APS-Biebl, a.a.O., § 15 BBiG, Rz. 26 27).

2. An diesen Voraussetzungen hat es im vorliegenden Fall ersichtlich gefehlt.

a) Im Kündigungsschreiben vom 06. Juni 2005 hat die Beklagte, wie sich aus dessen Wortlaut ergibt, lediglich auf die im Rahmen der Zwischenprüfung festgestellten schlechten praktischen Leistungen des Klägers Bezug genommen, ohne jedoch auch nur im Ansatz Tatsachen mitzuteilen, anhand derer sich ergäbe, dass das Bestehen der Abschlussprüfung, die im Falle des Klägers erst in etwa einem Jahr stattfindet, ausgeschlossen erschiene. Vielmehr lässt der Wortlautes des Kündigungsschreibens nach drei Abmahnungen, vielen Einzelgesprächen und großer Geduld unserer Mitarbeiter setzt dieses Ergebnis ihrem bisherigen Verhalten die Krone auf... darauf schließen, dass die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung als Sanktion auf das anlässlich der Zwischenprüfung festgestellte schlechte Leistungsverhalten des Klägers ausgesprochen hat.

Dabei übersieht die Beklagte jedoch, dass die fristlose Kündigung im Ausbildungsverhältnis keinen Bestrafungscharakter hat, vielmehr ist der Kündigungsgrund seiner Natur nach zukunftsbezogen (vgl. BAG vom 16. August 1991 2 AZR 604/90 NZA 1993, 17 = AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = DB 1992, 1479 = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41; Leuchten, a.a.O., Teil 1 B Rz. 142). Ein wichtiger Grund kann danach nur dann vorliegen, wenn der Kündigungsgrund in Bezug auf das Ausbildungsverhältnis gravierende nachteilige Auswirkungen für die Zukunft erwarten lässt und die Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses für den Aus-

bildenden deshalb unzumutbar ist.

Eine entsprechende negative Prognose ist regelmäßig erst dann gerechtfertigt, wenn der Auszubildende eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung missachtet. Daher ist der Ausbilder nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich verpflichtet, den Auszubildenden abzumahnen, bevor er ihn wegen Schlechtleistung kündigt (vgl. auch: BAG vom 09. August 1984 2 AZR 400/83 AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 11).

b) Eine diesen Grundsätzen genügende Abmahnung hat die Beklagte vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung mit Schreiben vom 23. Mai 2005 allerdings gegenüber dem Kläger auszusprechen versucht.

Das Schreiben der Beklagten vom 23. Mai 2005 genügt jedoch inhaltlich nicht den Anforderungen, die an eine rechtswirksame Abmahnung zu stellen sind.

Die Beklagte hat zwar im ersten Teil des besagten Schreibens aufgezeigt, dass und welches Verhalten des Klägers sie im Einzelnen beanstande (sog. Hinweisfunktion der Abmahnung), das Schreiben genügt jedoch bereits deshalb nicht den inhaltlichen Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an eine Abmahnung zu stellen sind, weil es die Beklagte verabsäumt hat, für den Wiederholungsfall schärfere arbeitsrechtliche Sanktionen in Aussicht zu stellen (sog. Warnfunktion der Abmahnung). Vielmehr schließt das in Frage stehende Schreiben vom 23. Mai 2005 mit dem Hinweis:

Wir behalten uns jedoch vor, das Ausbildungsverhältnis zu kündigen, falls die Zwischenprüfung nicht bestanden wurde.

Damit hat die Beklagte jedoch nicht wie dies bei Ausspruch einer rechtswirksamen Abmahnung aber erforderlich gewesen wäre dem Kläger erst für den Fall der Wiederholung der in dem Schreiben vom 23. Mai 2005 eingangs aufgezeigten Schlechtleistungen den Ausspruch einer Kündigung in Aussicht gestellt.

c) Andererseits hat die Beklagte durch ihre mit dem Hinweis BETRIFFT : Abmahnung versehene schriftlichen Rüge vom 23. Mai 2005 gegenüber dem Kläger deutlich gemacht, dass sie jedenfalls sein in diesem Schreiben gerügtes Leistungsverhalten (noch) mit einer Abmahnung, nicht jedoch bereits mit einer Kündigung, sanktionieren wolle.

Bei Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung hat die Beklagte dann allerdings übersehen, dass das in dem Kündigungsschreiben beanstandete Leistungsverhalten des Klägers anlässlich der Zwischenprüfung am 13. Mai 2005 zeitlich vor Ausspruch ihrer schriftlichen Rüge vom 23. Mai 2005 lag, so dass der Kläger nach Zugang derselben bis zum Erhalt der Kündigung rein tatsächlich gar keine Möglichkeit (mehr) gehabt hat, sich in seinem Leistungsverhalten zukünftig gemäß den Vorstellungen der Beklagten arbeitsvertragsgerecht zu verhalten.

Durch eine Abmahnung gibt der Arbeitgeber (Ausbilder) seinem Arbeitnehmer (Auszubildenden) nämlich zwar einerseits zu erkennen, dass und welches Verhalten er als vertragswidrig erachtet; durch die der Abmahnung immanente sog. Warnfunktion macht der Arbeitgeber (Ausbilder) jedoch andererseits deutlich, dass das von ihm als vertragswidrig gerügte Verhalten erst im Wiederholungsfall zu schärferen arbeitsrechtlichem Sanktionen führen werde.

Nach Übersendung des Schreibens vom 23. Mai 2005 hat die Beklagte, weil der Kläger die Zwischenprüfung zu diesem Zeitpunkt bereits absolviert hatte, diesem jedoch keinerlei Gelegenheit mehr gegeben, sich zukünftig nach ihren Vorstellungen leistungsadäquat zu verhalten, so dass die streitgegenständliche

Kündigung auch aus diesem Grund rechtsunwirksam ist.

d) Außerdem hat die Beklagte nach Auffassung der Kammer auch nicht alle Möglichkeiten, die ihr zur Verfügung gestanden haben, und die sie deshalb auszuschöpfen verpflichtet war, genutzt, um eine Änderung des Verhaltens des Klägers zu erreichen.

Die Beklagte hätte mit dem bis vor kurzem ebenfalls in ihren Diensten beschäftigten Vater des Klägers Kontakt aufnehmen müssen, um auch von dieser Seite pädagogischen Beistand einzufordern. Wie insbesondere die Güteverhandlung gezeigt hat, wären solche Bemühungen der Beklagten auch durchaus als erfolgversprechend einzuschätzen gewesen. Denn sowohl der Vater des Klägers als auch ein anderer, in der damaligen Verhandlung anwesende, naher Verwandter des Klägers haben gegenüber dem Gericht in Erkenntnis der schwierigen Lage, in die der Kläger im Falle eines Abbruchs der Lehre geriete, aber auch mit Verständnis für die Enttäuschung der Beklagten über den beim Kläger in den letzten Monaten zu verzeichnenden leistungsmäßigen Einbruch ihre uneingeschränkte Bereitschaft erklärt, ihren Einfluss auf den Kläger geltend zu machen, diesen zu bestärken und ihn tatkräftig zu unterstützen, damit er seine Berufsausbildung erfolgreich abschließt.

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger nach dem Gesetz volljährig ist. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass er den Ausbildungsplatz durch die Fürsprache seines langjährig in den Diensten der Beklagten beschäftigten Vaters bekommen hatte, wäre es als ebenso naheliegend wie erfolgversprechend erschienen, den Vater des Klägers um seinen pädagogischen Beistand zu ersuchen, als sich vor einigen Monaten die vom Kläger in Betrieb und Berufsschule gezeigten Leistungen kontinuierlich zu verschlechtern begannen.

3. Soweit die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung schließlich damit begründet hat, das Verhalten des Klägers im Rahmen der Berufsschulausbildung sei gleichfalls vertragswidrig gewesen, so kann sie sich im vorliegenden Rechtsstreit hierauf bereits deshalb nicht berufen, weil sie diese Gründe im Kündigungsschreiben nicht angegeben hat (§ 22 Abs. 3 BBiG).

Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der Begründung einer Kündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses gemäß § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG (früher: § 15 Abs. 2 Nr. 1 BBiG) keine volle Substantiierung wie im Prozess zu verlangen, die Kündigungsgründe müssen jedoch so genau bezeichnet werden, dass der Gekündigte erkennen kann, um welche Vorfälle es sich handelt. Werden im Kündigungsschreiben lediglich pauschale Werturteile anstatt nachprüfbarer Tatsachen genannt, ist die Kündigung wegen Formmangels gemäß § 125 Satz 1 BGB nichtig (vgl. BAG vom 25. November 1976 2 AZR 751/75 AP Nr. 4 zu § 15 BBiG; BAG vom 29. November 1984 2 AZR 354/83 AP Nr. 6 zu § 13 KSchG 1969, zu I 2 b der Gründe; BAG vom 17. Juni 1998 2 AZR 741/97 EzB BBiG § 15 Abs. 3 = RzK IV 3 a Nr. 30).

Als Kündigungsgrund beschränkt sich das Kündigungsschreiben vom 06. Juni 2005 inhaltlich allein auf das schlechte Ergebnis der Zwischenprüfung. Daher kann sich die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit auch nur auf die Gründe berufen, die sie in formwirksamer Weise im Kündigungsschreiben mitgeteilt hat, nicht jedoch auf solche, die in ihrer Kündigung nicht angegeben sind.

Hat es damit hinsichtlich des von der Beklagten beanstandeten prozessual verwertbaren Leistungsverhaltens des Klägers einerseits bereits an der erforderlichen Abmahnung gefehlt und hat andererseits der Kläger nach Erhalt der schriftlichen Rüge vom 23. Mai 2005 auch nicht erneut gegen seine vertraglichen Verpflichtungen verstoßen, so ist die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche, fristlose Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses mit dem Kläger rechtsunwirksam gewesen.

Nach alledem war, wie geschehen, zu erkennen.

C.

1. Die Kosten des Rechtsstreits hat gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO in Verbin-

dung mit § 46 Abs. 2 ArbGG die Beklagte zu tragen.

2. Den Wert des Streitgegenstandes hat die Kammer gemäß den §§ 61

Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG, 42 Abs. 4 S. 1 GKG in Verbindung mit den

§§ 3 ff. ZPO festgesetzt.