VG Köln, Beschluss vom 26.04.2004 - 6 L 721/04
Fundstelle
openJur 2011, 30309
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 6.2.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.3.2004 wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

2. Der Streitwert wird auf 162,50 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist seit dem SS 2001 an der Universität zu Köln für das Fach Rechtswissenschaft eingeschrieben. Zuvor war sie vom WS 1996/97 bis zum SS 1997 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf für den Studiengang Pädagogik und vom WS 1997/98 bis zum SS 2000 an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen für den Studiengang Betriebswirtschaftslehre immatrikuliert.

Mit Bescheid vom 6.2.2004 zog der Antragsgegner die Antragstellerin für das SS 2004 zu einer Studiengebühr nach § 9 des Studienkonten- und - finanzierungsgesetzes (StKFG) in Höhe von 650 EUR heran. Zur Begründung führte er aus, dass die Antragstellerin im 15. Hochschulsemester immatrikuliert sei und damit die Regelstudienzeit für den Studiengang Rechtswissenschaft von 9 Semestern bereits um mehr als das 1,5-fache überschritten habe.

Die Antragstellerin legte gegen den Gebührenbescheid am 27.2.2004 Widerspruch ein und beantragte zugleich, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs anzuordnen. Zur Begründung trug sie vor, dass die Einführung einer Langzeitstudiengebühr gegen ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie bei den Studierenden, die sich bereits im Studium befänden, außerdem gegen das Rückwirkungsverbot verstoße. Darüber hinaus werde sie dadurch benachteiligt, dass in ihrem Fall - anders als bei denjenigen Studierenden, die erst nach Inkrafttreten des Gesetzes die Fachrichtung vor Beginn des 3. Hochschulsemesters wechselten - die ersten beiden Semester bei der Berechnung des Studienguthabens berücksichtigt worden seien.

Der Antragsgegner wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1.3.2004 zurück und lehnte zugleich den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Einführung einer Langzeitstudiengebühr keinen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG darstelle. Auch eine unzulässige Rückwirkung enthielten die Vorschriften des StKFG nicht. Schließlich könne sich die Antragstellerin nicht darauf berufen, dass sie durch die Nichtberücksichtigung der Zeiten des Fachrichtungswechsels unangemessen benachteiligt werde. Denn die Intention des Gesetzgebers sei es gewesen, über § 2 Abs. 3 StKFG den Studierenden unter den verhaltenslenkenden Anreizmechanismen eines Studienkontensystems die Orientierung zu ermöglichen. Bei Orientierungsphasen, die vor der Einführung des Studienkontenmodells stattgefunden hätten, ginge diese Steuerungsintention jedoch ins Leere.

Die Antragstellerin hat am 15.3.2004 unter dem Aktenzeichen 6 K 2075/04 Klage erhoben und zugleich den vorliegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Die streitige Gebühr hat sie zwischenzeitlich gezahlt.

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Gebührenbescheid des Antragsgegners vom 6.2.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1.3.2004 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er nimmt Bezug auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides und trägt ergänzend vor: Die Regelung des § 2 Abs. 3 StKFG sei so zu verstehen, dass eine Nichtberücksichtigung der zweisemestrigen Orientierungsphase nur dann in Betracht komme, wenn diese nach dem SS 2004 erfolge. Denn vor diesem Zeitpunkt hätten noch keine Studienkonten bestanden, so dass erst ab diesem Zeitpunkt die "erneute" Gewährung eines vollständigen Studienguthabens möglich sei. Der Antragsgegner nimmt außerdem Bezug auf den Erlass des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20.11.2003, wonach die Regelung des § 2 Abs. 3 StKFG nur auf diejenigen Studierenden anwendbar sei, die ihr Studium im WS 2002/2003, im SS 2003 oder im WS 2003/2004 aufgenommen und sich bis zum Beginn ihres 3. Hochschulsemesters zu einem Fachrichtungswechsel entschlossen hätten

II.

Der Antrag ist zulässig.

Die Zulässigkeit des Antrages scheitert insbesondere nicht an der Vorschrift des § 80 Abs. 6 VwGO, denn die Antragstellerin hat das danach erforderlich behördliche "Vorverfahren" ordnungsgemäß durchgeführt. Der Antragsgegner hat den Aussetzungsantrag der Antragstellerin am 1.3.2004 abgelehnt.

Der Zulässigkeit des Antrages steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin die streitige Gebühr zwischenzeitlich gezahlt hat. Schon aus der Vorschrift des § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO, wonach das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen kann, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen ist, lässt sich entnehmen, dass die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts - sei es durch die Behörde, sei es durch den Betroffenen, der damit nur dem in dem Verwaltungsakt enthaltenen (Zahlungs-)Befehl nachkommt - das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO nicht entfallen lässt.

Vgl. auch Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80, Rn. 337.

Der Antrag ist auch begründet.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs anordnen, wenn die Abwägung der betroffenen Interessen ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Vollziehung des angegriffenen Bescheides überwiegt. Dies ist im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, d.h. bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, entsprechend der insoweit für die Aussetzung durch die Behörde geltenden Regelung des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO dann anzunehmen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Gemessen hieran sind die Voraussetzungen für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im vorliegenden Fall erfüllt, denn an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Gebührenbescheides des Antragsgegners vom 6.2.2004 sowie des Widerspruchsbescheides vom 1.3.2004 bestehen schon bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung ernstliche Zweifel.

a) Diese Zweifel ergeben sich allerdings nicht schon daraus, dass die Einführung einer Studiengebühr für Langzeitstudierende durch den nordrheinwestfälischen Gesetzgeber an sich verfassungswidrig wäre und die entsprechenden Vorschriften des StKFG gegen höherrangiges Recht verstießen.

aa) Die Einführung einer Studiengebühr für Langzeitstudierende durch das StKFG sowie die Verordnung über die Einrichtung und Führung von Studienkonten mit Regelabbuchung sowie über die Erhebung von Gebühren an den Universitäten, Fachhochschulen und Kunsthochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (RVO- StKFG) vom 17.9.2003 (GVBl. NRW S. 570) steht nicht im Widerspruch zu § 27 Abs. 4 des Hochschulrahmengesetzes (HRG). Zwar bestimmt § 27 Abs. 4 Satz 1 HRG, dass das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss und das Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, studiengebührenfrei sind. Zugleich ermächtigt § 27 Abs. 4 Satz 2 HRG die Länder jedoch, in besonderen Fällen Ausnahmen von der Gebührenfreiheit vorzusehen. Die vom nordrheinwestfälischen Landesgesetzgeber mit dem StKFG und der RVO-StKFG getroffenen Regelungen halten sich im Rahmen der ihm durch § 27 Abs. 4 Satz 2 HRG eingeräumten Regelungszuständigkeit, indem sie das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss sowie das Studium in einem konsekutiven Studiengang zwar nicht vollständig, aber - soweit es die hier einschlägige Einrichtung von Studienkonten mit Regelabbuchung betrifft - zumindest bis zum Erreichen der 1,5-fachen Regelstudienzeit und damit im Kern gebührenfrei belassen (vgl. §§ 1, 4, 6 StKFG).

Ebenso VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 11.3.2004 - 4 L 193/94 und 4 L 441/04 -.

Denn aus der Entstehungsgeschichte des durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 8.8.2002 (BGBl. I, S. 3138) einge- führten § 27 Abs. 4 HRG ergibt sich, dass der Bundesgesetzgeber die Gruppe der Langzeitstudierenden als besondere Gruppe unter den Studierenden und die Einführung von Studiengebühren für Langzeitstudierende als Ausnahmeregelung im Sinne des § 27 Abs. 4 Satz 2 HRG ansieht. Die Regelung des § 27 Abs. 4 Satz 2 HRG soll nach dem Willen des Bundesgesetzgebers gerade dazu dienen, die Einführung von Studienkontenmodellen durch den Landesgesetzgeber zu ermöglichen und dabei auch die Bestimmung, welchen Umfang das Studienkonto für ein gebührenfreies Studium haben soll bzw. wann die Regelstudienzeit als deutlich überschritten gilt und damit Studiengebühren erhoben werden können, dem Landesgesetzgeber zu überlassen.

Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 27 Abs. 4 HRG, BT-Drucksache 14/8361, S. 5.

bb) Einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG vermag das Gericht ebenfalls nicht festzustellen.

Insoweit hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entscheiden, dass die Regelungen des badenwürttembergischen Landeshochschulgebührengesetzes, nach denen ein Studierender grundsätzlich eine Studiengebühr in Höhe von seinerzeit 1.000 DM zu entrichten hat, wenn sein Studium länger als die Regelstudienzeit zuzüglich weiterer vier Semester dauert, mit Art. 12 Abs. 1 GG im Einklang stehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.7.2001 - 6 C 8.00 -, NVwZ 2002, S. 206; vorgehend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6.4.2000 - 2 S 1860/99 -, DVBl. 2000, S. 1782.

Zur Begründung hat das Bundesverwaltungsgericht - zusammengefasst - ausgeführt: Einerseits werde das aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip herzuleitende Recht des Einzelnen auf Zulassung zum Hochschulstudium seiner Wahl durch die Gebührenpflicht nicht beeinträchtigt, da dieses Teilhaberecht unter dem Vorbehalt des Möglichen stehe im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft verlangen kann, und sich nicht auf die Kostenfreiheit des gewählten Studiums erstrecke. Dies gelte jedenfalls, solange eine unüberwindliche soziale Barriere nicht errichtet werde. Zum anderen werde das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG auch in seinem abwehrrechtlichen Gehalt als Recht auf freie Wahl der Ausbildungsstätte nicht in unzulässiger Weise eingeschränkt, da die Einführung von Langzeitstudiengebühren wie eine Regelung der Berufsausübung zu beurteilen und - ausweislich der vom baden- württembergischen Gesetzgeber verfolgten Ziele - durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sei.

Vgl. im einzelnen BVerwG, Urteil vom 25.7.2001, a.a.O., S. 207 ff.

Diese Erwägungen, denen die Kammer sich anschließt und auf die sie zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen in den Einzelheiten Bezug nimmt, gelten entsprechend für die vergleichbaren Regelungen des StKFG und der RVO-StKFG NRW. Indem er das Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss sowie in einem konsekutiven Studiengang bis zur 1,5-fachen Regelstudienzeit grundsätzlich gebührenfrei belässt (vgl. § 1 und 4 StKFG) und im übrigen Sonderregelungen u.a. für Teilzeitstudierende (§ 6 Abs. 1 Satz 5 StKFG) und Studierende, deren angestrebter Berufsabschluss das Studium zweier Studiengänge erfordert (§ 8 RVO-StKFG), sowie Ausnahmen von der Gebührenpflicht für be- stimmte Gruppen von Studierenden (§ 9 Abs. 1 Satz 2 StKFG, § 13 RVO-StKFG) und schließlich die Möglichkeit der Gewährung von Bonussemestern (§ 5 StKFG i.V.m. § 9 RVO-StKFG) und der Anerkennung von Härtefällen (§ 14 RVO-StKFG) vorsieht, hat der nordrheinwestfälische Gesetzgeber keine unüberwindliche soziale Barriere im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts errichtet. Ebenso ist die Einschränkung des Grundrechts der Ausbildungsfreiheit auch in Nord- rhein-Westfalen durch vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Der nordrheinwestfälische Gesetzgeber begründet die Erhebung der Langzeitstudiengebühr "mit Rücksicht auf die gesamtwirtschaftliche Situation" zum einen mit fiskalischen Erwägungen und verfolgt mit ihr zum anderen die hochschulpolitischen Ziele einer Verkürzung von Studienzeiten sowie einer Erhöhung der Studienabschlussquote und damit insgesamt einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit und Effizienz der Hochschulen.

Vgl. LT-Drucksache 13/3023, S. 1, 19, 21.

Er hat sich damit von legitimen Zielsetzungen des Gemeinwohls leiten lassen, zu deren Erreichung sich die Einführung einer Studiengebühr für Langzeitstudierende als geeignetes, erforderliches und - nicht zuletzt mit Blick auf die zugleich vorgesehenen Sonder-, Ausnahme- und Härtefallregelungen - auch angemessenes Mittel darstellt, das die Studierenden in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht unverhältnismäßig einschränkt.

cc) Keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet es schließlich, dass die Vorschrift des § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StKFG auch an in der Vergangenheit liegende Umstände anknüpft, indem sie bestimmt, dass für jedes Semester vor dem SS 2004, in dem der Studierende - auch schon vor Inkrafttreten des Gesetzes - an einer Hochschule im Geltungsbereich des Hochschulrahmengesetzes in einem Studiengang eingeschrieben war, eine Regelabbuchung von dem zum SS 2004 eingerichteten Studienkonto vorgenommen wird. Mit dieser Einbeziehung in der Vergangenheit liegender Semester in die Berechnung des Studienguthabens entfal- tet die Regelung des § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StKFG eine sog. unechte Rückwir- kung.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.7.2001, a.a.O., S. 210; allgemein zur unechten Rückwirkung etwa BVerfG, Beschluss vom 15.10.1996 - 1 BvL 44, 48/92 -, BVerfGE 95, 64 (86 f.); BVerfG, Beschluss vom 13.5.1986 - 1 BvR 99, 461/85 -, BVerfGE 72, 175 (196).

Im Gegensatz zur echten Rückwirkung, die dann vorliegt, wenn eine Regelung nicht nur im Rahmen ihrer Anwendung für die Zukunft in tatbestandlicher Hinsicht an in der Vergangenheit liegende Umstände anknüpft, sondern sich auch ihr zeitlicher Anwendungsbereich und damit die von ihr gesetzten Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor ihrem Inkrafttreten erstrecken, ist die unechte Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Grenzen der Zulässigkeit können sich jedoch aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Eine unechte Rückwirkung ist danach ausnahmsweise unzulässig, wenn sie zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn das Vertrauen des Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.10.1996 - 1 BvL 44, 48/92 -, BVerfGE 95, 64 (86 f.); BVerfG, Beschluss vom 3.12.1997 - 2 BvR 882/97 -, BVerfGE 97, 67 (78 f.).

Das Vertrauen der Betroffenen ist dabei um so weniger schützenswert, je mehr der Gesetzgeber durch Übergangsregelungen die Veränderung der Rechtslage zeit- lich abstuft.

Vgl. VGH München, Urteil vom 28.3.2001 - 7 B 00.1551 -, juris; BVerfG, Beschluss vom 30.9.1987 - 2 BvR 933/82 -, BVerfGE 76, 256 (358 f.)

Gemessen hieran stellt sich die mit der Regelung des § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StKFG verbundene unechte Rückwirkung nicht als ausnahmsweise unzulässig dar. Die Berücksichtigung früherer Semester bei der Berechnung des Studienguthabens auf dem zum SS 2004 eingerichteten Studienkonto ist zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten fiskalischen und hochschulpolitischen Ziele geeignet und erforderlich.

Vgl. zur Zielsetzung der StKFG: LT-Drucksache 13/3023, S. 1, 19, 21.

Würde man Abbuchungen vom Studienkonto erst für Semester ab Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.2.2003 oder sogar erst ab dem SS 2004 vornehmen, so würde eine Gebührenpflicht nach Ablauf der 1,5-fachen Regelstudienzeit frühestens in etwa 5-6 Jahren entstehen. Damit würden dem Staat einerseits nicht unerhebliche Einnahmen entgehen, deren Erzielung "in Anbetracht der gesamtwirtschaftlichen Situation und der finanziellen Belastungen der Hochschulen" indessen gerade eines der gesetzgeberischen Ziele darstellt. Zum anderen könnte sich auch das hochschulpolitische Ziel einer Verkürzung der Studienzeiten erst mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung verwirklichen. Die Berücksichtigung sämtlicher Semester vor dem SS 2004 ermöglicht es dem Gesetzgeber hingegen, auch gegenüber der zahlenmäßig beachtlichen Gruppe von Studierenden, die schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt die 1,5-fache Regelstudienzeit überschritten haben, verhaltenslenkende Wirkung zu entfalten und sie zu einem schnelleren Abschluss ihres Studiums zu veranlassen. Nach alledem kann dem Gesetzgeber ein legitimes Interesse daran, durch die in § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StKFG statuierte unechte Rückwirkung die mit dem Gesetz verfolgten Zwecke möglichst bald zur Geltung zu bringen, nicht abgesprochen werden. Ein milderes Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist ebenfalls nicht erkennbar.

Die von der Regelung des § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BVFG betroffenen Studierenden konnten demgegenüber nicht in schutzwürdiger, die vom Gesetzgeber wahrgenommenen Allgemeininteressen überwiegenden Weise darauf vertrauen, ihr gebührenfrei begonnenes Studium zeitlich unbegrenzt ohne Gebührenbelastung fort- setzen zu können.

Vgl. zu einem solchen fehlenden Vertrauen allgemein BVerwG, Urteil vom 25.7.2001, a.a.O., S. 210,

Insbesondere ist die Vorschrift des § 10 Satz 1 HG NRW nicht geeignet, ein sol- ches schutzwürdiges Vertrauen zu begründen. Sie bestimmt zwar, dass für ein Studium bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss und für ein Studium in einem konsekutiven Studiengang, der zu einem weiteren berufsqualifizierenden Abschluss führt, Studiengebühren nicht erhoben werden. Angesichts der schon seit längerem im politischen Raum über die Erhebung von Studiengebühren geführten Diskussion konnte sich ein schutzwürdiges Vertrauen der Studierenden auf den unveränderten Fortbestand dieser Regelung und damit auf die Gebührenfreiheit auch eines überlangen Studiums bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss jedoch kaum entwickeln. Hinzu kommt, dass ein etwaiges Vertrauen in den Fortbestand der in § 10 Satz 1 HG NRW statuierten Gebührenfreiheit spätestens mit der gleichzeitig mit dem Inkrafttreten des StKFG zum 1.2.2003 aufgenommen Bestimmung des § 10 Satz 2 HG NRW zerstört worden ist, wonach "das Gesetz zur Einführung von Studienkonten und zur Erhebung von Studiengebühren unberührt bleibt". Studienge- bühren nach dem StKFG werden dabei erstmals zum SS 2004, d.h. nach einer ca. 13-monatigen Übergangsphase, erhoben. Jedenfalls durch die Einräumung dieser Übergangsphase wird den Interessen der Studierenden, die aufgrund ihrer gemäß § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StKFG zu berücksichtigenden bisherigen Studiendauer zum SS 2004 gebührenpflichtig werden, in ausreichender Weise Rechnung getragen. Ausgehend von einer einigermaßen sachgerechten Studienplanung haben sie im Regelfall die Möglichkeit, ihr Studium innerhalb des Übergangszeitraums gebührenfrei zu Ende zu bringen; in atypischen Fällen und für besondere Situationen steht ihnen die Härtefallregelung des § 14 RVO-StKFG sowie die Möglichkeit einer Einräumung von Bonussemestern nach § 5 StKFG zur Verfügung. Die Einräumung einer weitergehenden Übergangsfrist war vor diesem Hintergrund zur Überzeugung des Gerichts nicht geboten.

Ebenso VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 11.3.2004 - 4 L 193/94 und 4 L 441/04 -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 11.3.2004 - 15 L 370/04 -; vgl. zur Notwendigkeit einer Übergangsregelung für die Einführung einer Zweitstudiengebühr VGH München, Urteil vom 28.3.2001, a.a.O..

b) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides in dem Sinne, dass die Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Gebührenbescheides überwiegen, bestehen jedoch deshalb, weil die Antragstellerin die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erhebung der Gebühr nach Auffassung des Gerichts zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht erfüllt. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 StKFG ist Voraussetzung für die Gebührenpflicht, dass dem Studierenden kein Studienguthaben mehr zur Verfügung steht. Das Studienguthaben auf dem zum SS 2004 eingerichteten Studienkonto umfasst gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 StKFG 200 Semesterwochenstunden (SWS). Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 StKFG werden für jedes Semester, in dem der Studierende an einer Hochschule im Geltungsbereich des HRG eingeschrieben ist, Abbuchungen vorgenommen, die in der 1,5-fachen Regelstudienzeit zum vollständigen Verbrauch des Studienguthabens führen. Das Studienguthaben ist damit verbraucht, sobald die 1,5-fache Regelstudienzeit überschritten wird (vgl. auch § 4 Abs. 2 Satz 2 StKFG). Die Regelstudienzeit für den von der Antragstellerin belegten Studiengang Rechtswissenschaft beträgt gemäß § 1 Satz 2 JAG NRW 9 Semester. Eine Gebührenpflicht der Antragstellerin kann daher erst nach Überschreiten der 1,5-fachen Regelstudienzeit mit dem 15. Hochschulsemester einsetzen. Bei zutreffender Berechnung ihres Studienguthabens befindet sich die Antragstellerin nach Auffassung des Gerichts indessen aus gebührenrechtlicher Sicht gegenwärtig erst im 13. Hochschulsemester. Dies ergibt sich daraus, dass ihr bei richtigem Verständnis des § 2 Abs. 3 StKFG die ersten beiden Semester, in denen sie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf im Studiengang Pädagogik eingeschrieben war, bevor sie zum 3. Hochschulsemester in den Studiengang Betriebswirtschaftslehre gewechselt ist, nicht auf ihr Studienguthaben angerechnet werden dürfen.

§ 2 Abs. 3 StKFG bestimmt, dass bei Studiengangwechseln bis zum Beginn des 3. Hochschulsemesters erneut ein vollständiges Studienguthaben gewährt wird. Diese Vorschrift findet zur Überzeugung des Gerichts auch auf die Antragstellerin Anwendung. Sie kann - entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen - nicht so verstanden werden, dass die "erneute" Gewährung eines vollständigen Studienguthabens nur bei denjenigen Studierenden in Betracht kommt, die einen Fachrichtungswechsel erst nach Inkrafttreten des StKFG am 1.2.2003 oder sogar erst nach Einführung der Langzeitstudiengebühr zum SS 2004 vorgenommen haben. Vielmehr ist die Vorschrift des § 2 Abs. 3 StKFG nach Auffassung des Gerichts aus Gründen der Gleichbehandlung dahingehend auszulegen, dass die zweisemestrige Orientierungsphase unabhängig davon Berücksichtigung findet, ob sie vor oder nach Inkrafttreten des StKFG bzw. vor oder nach dem Beginn des SS 2004 stattgefunden hat. Ein bis zum Beginn des 3. Hochschulsemesters vorgenommener Fachrichtungswechsel ist danach gebührenrechtlich stets beachtlich und führt bei keinem Studierenden zu einer Verringerung seines Studienguthabens.

Der wenig präzise Wortlaut des § 2 Abs. 3 StKFG dürfte zwar auch dem Verständnis des Antragsgegners nicht zwingend entgegenstehen. Soweit der Antragsgegner sich allerdings zur Stützung seiner Auslegung auf den Normwortlaut beruft, lässt er bei seiner Lesart außer Acht, dass gemäß § 2 Abs. 2 StKFG ab dem SS 2004 für alle Studierenden, die in einem Studiengang zum Erwerb eines ersten berufsqualifizierenden Abschlusses oder in einem Masterstudiengang eingeschrieben sind, ein Studienkonto eingerichtet wird, auf dem sich gemäß § 4 Abs. 2 StKFG ein Studienguthaben in Höhe von 200 SWS befindet. Ein Studienkonto erhalten mithin auch diejenigen Studierenden, die ihr Studium bereits vor dem SS 2004 oder vor Inkrafttreten des StKFG aufgenommen haben. Erst in einem zweiten Schritt wird sodann ermittelt, in welchem Umfang von dem 200 SWS umfassenden Studienguthaben für bereits absolvierte Semester gemäß § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 StKFG Abbuchungen vorgenommen werden. Entgegen der Auffassung des An- tragsgegners ist es daher schon begrifflich nicht ausgeschlossen, auch denjenigen Studierenden, die die Fachrichtung bis zum Beginn des 3. Hochschulsemesters zu einem vor Inkrafttreten des StKFG liegenden Zeitpunkt gewechselt haben, im Rahmen dieser Rechenoperation durch Nichtberücksichtigung der zweisemestrigen Orientierungsphase "erneut" ein vollständiges Guthaben zu gewähren.

Hierfür spricht auch die Systematik des Gesetzes. Die Vorschrift des § 2 Abs. 3 StKFG befindet sich im Ersten Abschnitt des Gesetzes, der im Gegensatz zu dem mit "Besondere Vorschriften für Studienkonten mit Regelabbuchung" überschriebenen Zweiten Abschnitt allgemeine Vorschriften über die Einrichtung von Studienkonten enthält. Zu berücksichtigen sind des weiteren die Absätze 1, 2 und 4 des § 2 StKFG, die sich unzweifelhaft auf alle Studierenden, also auch die "Altfälle" beziehen. All dies legt es nahe, die Regelung des § 2 Abs. 3 StKFG auf alle Studierenden zu beziehen, für die nach der unmittelbar vorstehenden Vorschrift des § 2 Abs. 2 StKFG ein Studienkonto eingerichtet wird.

Vor allem aber ist ein solches Verständnis des § 2 Abs. 3 StKFG geboten, um eine mit Art. 3 Abs. 1 GG und dem Grundsatz der gleichmäßigen Gebührenbelastung nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung zu vermeiden. Ein sachlicher Grund für die Bevorzugung derjenigen Studierenden, deren Orientierungsphase in den Zeitraum nach Inkrafttreten des StKFG bzw. nach Einführung der Studiengebühr zum SS 2004 fällt, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht erkennbar. Soweit der Antragsgegner sich auf die Lenkungswirkung und Steuerungsintention des StKFG beruft, die bei einer generellen Anwendung des § 2 Abs. 3 StKFG auf alle Studierenden ins Leere liefe, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn die Lenkungswirkung des StKFG wird durch die gebührenrechtlich begünstigende Vorschrift des § 2 Abs. 3 StKFG gerade konterkariert, indem - entgegen der vom Gesetzgeber intendierten Verkürzung der Studienzeit - eine Orientierungsphase von zwei Semestern eingeräumt wird, die bei der Berechnung des Studienguthabens unberücksichtigt bleibt. Von der Vorschrift des § 2 Abs. 3 StKFG kann daher für diejenigen Studierenden, die sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des StKFG bzw. der Einführung der Studiengebühr noch im ersten oder zweiten Hochschulsemester befinden, allenfalls ein Anreiz ausgehen, einen Fachrichtungswechsel schon nach dem ersten oder zweiten Hochschulsemester und nicht erst zu einem späteren Zeit- punkt vorzunehmen. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um die Beschränkung der durch § 2 Abs. 3 StKFG eingeräumten Begünstigung auf diejenigen Studierenden zu rechtfertigen, die von dieser Anreizwirkung erfasst werden können. Vielmehr ist ein sachbezogener Grund, denjenigen Studierenden, die sogar ohne diesen Anreiz nach dem ersten oder zweiten Hochschulsemester die Fachrichtung gewechselt haben, diese Semester nicht als gebührenrechtlich unbeachtliche Orientierungsphase anzuerkennen und ihnen damit die Begünstigung des § 2 Abs. 3 StKFG vorzuenthalten, nach Auffassung des Gerichts nicht erkennbar. Für die vom Gesetzgeber statuierte Nichtberücksichtigung einer Anfangsphase von zwei Semestern, in der dem Studierenden die Orientierung ermöglicht werden soll, kann es keinen Unterschied machen, ob sich der Studierende aus Gründen der Gebührenersparnis oder aus eigenem Antrieb für einen Fachrichtungswechsel bis zum Beginn des 3. Hochschulsemesters entscheidet. Ein zur Differenzierung zwischen diesen beiden Gruppen von Studierenden berechtigender sachlicher Grund besteht nicht.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Gebührenbescheid, an dessen Rechtmäßigkeit nach alledem bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel bestehen, war daher anzuordnen. Eine Anordnung der Aufhebung der Vollziehung des Gebührenbescheides gemäß § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO kam daneben nicht in Betracht, da die Antragstellerin dies nicht beantragt hat und das Gericht nicht befugt ist, über das Begehren der Antragstellerin hinauszugehen (§§ 122, 88 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 2 GKG. Dabei wurde der Wert des Streitgegenstandes in Anlehnung an Ziffer I.7. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605, 606) auf ein Viertel der streitgegenständlichen Gebühr bestimmt.