LG Hamburg, Beschluss vom 01.04.2011 - 310 O 69/11
Fundstelle
openJur 2011, 20102
  • Rkr:
Tenor

I.

Im Wege einer einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit wegen ohne mündliche Verhandlung - wird dem Antragsgegner bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00; Ordnungshaft höchstens zwei Jahre)

verboten,

1. dem Betriebssystem der Spielekonsole P... zugehörige Programmdateien, insbesondere die folgenden Dateien

- CORE_OS_PACKAGE, einschließlich folgender Dateien:

- lv0

- lv1.self

- lv1ldr

- lv2ldr

- lv2_kernel.self

- aim_spu_module.self

- appldr

- emer_init.self

- hdd_copy.self

- isoldr

- mc_iso_spu_module.self

- me_iso_spu_module.self

- sb_iso_spu_module.self

- sc_iso.self

- spp_verifier.self

- spu_pkg_rvk_verifier.self

- spu_token_processor.self

- spu_utoken_processor.self

- sv_iso_spu_module_self

und

- VSH

beliebiger Version ganz oder teilweise außerhalb des von der Antragstellerin vorgesehenen Betriebssystem-Update-Verfahrens zu vervielfältigen, öffentlicht abrufbar zu machen und/oder bearbeitete Versionen davon zu vervielfältigen und/oder öffentlich abrufbar zu machen.

2. Dateien gemäß Ziff. I. 1., die in andere Programmcode-Darstellungen übersetzt wurden, zu vervielfältigen, zu verbreiten und/oder öffentlich abrufbar zu machen, und/oder vervielfältigen und/oder öffentlich abrufbar machen zu lassen und/oder

3. Dritte aufzufordern, die in Ziff. I. 1. genannten Dateien und/oder die gemäß Ziff. I. 2. erzielten Ergebnisse zu vervielfältigen und/oder öffentlich abrufbar zu machen,

insbesondere wenn sich die Handlungen gemäß Ziff. I. 1.-3. auf die Betriebssystem-Bestandteile LV1 (...) und LV2 (...) beziehen, insbesondere wie geschehen durch Erstellung, Verbreitung und Zugänglichmachung der nachfolgenden Dateien:

hvdump315

hvdump315.db

hv_mmap_exploit_341.bin

hv_mmap_exploit_341.idb

lv1_341_decrypted.elf

lv1_341_decrypted.i64

hvdump_355.bin

hvdump_355.idb

lv2_kernel_341_decrypted.elf

lv1_341_decrypted.i64

dump_lv2.bin

dump_lv2.idb

dump_lv2_315.bin

dump_lv2_315.idb

und/oder

4. Hilfsmittel und/oder Anleitungen an Dritte weiterzugeben oder zu veröffentlichen, mit denen die Umgehung von Kopierschutzmaßnahmen und Programmschutzmaßnahmen in der P... erleichtert wird, insbesondere mit denen

a) Zugriff auf Hardware-Elemente der ... ermöglicht wird, ohne dass der Zugriff durch die vorgesehenen Schutzmechanismen wie den Hypervisor kontrolliert wird,

b) Zugriffsbeschränkungen anderweitig aufgehoben oder eingeschränkt werden, wie durch die Deaktivierung von Verschlüsselungsmechanismen und/oder durch Eingriffe in das Zusammenspiel zwischen BluRay-Laufwerk und anderen Elementen der P...

c) die P... in den Wartungszustand ("Service Mode") versetzt werden kann, und/oder

d) Betriebssysteme-Versionen und andere sogenannte "PKG"-Dateien, die Programmbibliotheken der Antragstellerin enthalten, außerhalb des vorgesehenen Firmware-Update-Verfahrens oder Installationsvorgangs vervielfältigt werden können.

II.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, der Antragstellerin Auskunft zu erteilen über Herkunft und Vertriebsweg der Dateien gemäß Ziff. I. seit Juni 2010 insbesondere über (1) die Menge der hergestellten, erhaltenen, ausgelieferten und bestellten Dateien und Datenträger, (2) Namen und Kontaktdaten der Nutzer der Dienstleistungen (insbesondere gemäß Ziffer 4.) und (3) Namen und Kontaktdaten von Herstellern, Lieferanten und anderen Vorbesitzern sowie den gewerblichen Auftraggebern und Empfängern der Dateien und Datenträger.

III.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Verfügung aufgegeben, sämtliche Vervielfältigungsstücke und sämtliche Datenträger oder Geräte, auf denen sich Kopien von Dateien, Übersetzungen, Anleitungen und/oder Hilfsmittel gemäß Ziffer I. 1., 2. und/oder 4. befinden, gleichwie ob einzeln oder in ein Datenverarbeitungsgerät wie eine P...-Spielkonsole, einen PC oder ein Smartphone eingebaut, an einen Gerichtsvollzieher zur Verwahrung zum Zwecke der Sicherung des Anspruchs der Antragstellerin auf Vernichtung der entsprechenden Daten und Übersetzungen herauszugeben.

IV.

Es wird die Besichtigung der in der Verfügungsgewalt des Antragsgegners befindlichen sonstigen Datenträger, gleichwie ob einzeln oder in ein Datenverarbeitungsgerät wie eine P...-Spielkonsole, einen PC oder ein Smartphone eingebaut, soweit sie zum Zeitpunkt der Vollstreckung der Beschlagnahme gemäß Ziffer III. jeweils nicht erkennbar unter Ziffer I. des Tenors fallen,

einschließlich der Gegenstände, die im Rahmen der Besichtigungsanordnung der Kammer vom 11.2.2011 (Az.: 310 O 24/11) bei deren Vollstreckung am 23.2.2011 durch die Gerichtsvollzieherin ... (dortiges Az. DR I 42/11) in Verwahrung genommen wurden und dem dort bestimmten gerichtlichen Sachverständigen ... übergeben wurden,

im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 ff. ZPO - wegen der Eilbedürftigkeit ohne Gewährung rechtlichen Gehörs - wie folgt angeordnet:

1. Es soll durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens Beweis darüber erhoben werden, ob sich auf den in der Verfügungsgewalt des Antragsgegners befindlichen Datenträgern die unter Ziffer I. bezeichneten Daten, Hilfsmittel, Anleitungen und/oder Übersetzungen befinden.

2. Zum Sachverständigen wird Herr Dipl.-Ing. ... bestellt.

Dem Sachverständigen wird gestattet, sich bei den angeordneten Handlungen durch Hilfspersonen unterstützen zu lassen. Zur Identifizierung der Dateien wird der Sachverständige insbesondere auf die Anlagen Ast8 und Ast9 hingewiesen.

3. Dem Sachverständigen wird aufgegeben, jeden unmittelbaren Kontakt mit der Antragstellerin zu vermeidungen und notwendige Korrespondenz entweder über das Gericht oder mit den nachfolgend unter Ziffer V. 5. bezeichneten anwaltlichen Vertretern der Antragstellerin zu führen. Der Sachverständige ist darüber hinaus auch gegenüber Dritten zur Verschwiegenheit verpflichtet.

4. Die Begutachtung soll - wegen der besonderen Eilbedürftigkeit - ohne vorherige Ladung und Anhördung des Antragsgegners erfolgen.

5. Nach Erstellung des schriftlichen Gutachtens ist dieses (mit drei Abschriften) nur dem hiesigen Gericht zu übersenden. Etwa erstellte Datenträger werden beim Gericht in Verwahrung genommen.

6. Nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens wird der Antragsgegner Gelegenheit erhalten, zu etwaigen Geheimhaltungsinteressen, die auf seiner Seite bestehen, Stellung zu nehmen. Die Kammer wird alsdann darüber entscheiden, ob und gegebenenfalls mit welchen Einschränkungen das Gutachten der Antragstellerin zur Kenntnis gebracht wird und die Geheimhaltungsverpflichtung der anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin aufgehoben wird.

7. Die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens ist davon abhängig, dass die Antragstellerin vorab einen Auslagenvorschuss in Höhe von 5.000,00 Euro bei der Justizkasse in Hamburg einzahlt. Danach wird dieser Beschluss dem Sachverständigen zur Vorbereitung der von ihm zu treffenden Maßnahmen übermittelt.

Der Termin zur Durchführung der Maßnahmen dieses Beschlusses ist von dem Gerichtsvollzieher mit dem Sachverständigen abzustimmen.

V.

Im Wege der einstweiligen Verfügen - der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung - wird folgendes angeordnet:

1. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, einem von der Antragstellerin zu beauftragenden zuständigen Gerichtsvollzieher in Begleitung des oben unter Ziffer IV. 2. bestellten Sachverständigen Zugang zu seiner Wohnung in der ... und den darin befindlichen Datenträgern, gleich ob einzeln oder in ein Datenverarbeitungsgerät wie eine P... Spielekonsole, einen PC oder ein Smartphone eingebaut, zu gewähren.

2. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Besichtigung der Datenträger gemäß Ziffer V. 1. dieses Beschlusses durch den Sachverständigen zu dulden und diesem hierfür alle für die Inbetriebnahme und Bedienung des Computers und den Zugriff auf die Inhalte von Datenträgern erforderlichen Informationen, insbesondere Login-Daten wie Passwörter, zur Verfügung zu stellen. Er hat es zu dulden, dass der Sachverständige die zu begutachtenden Datenträger gemäß Ziffer V. 1. dieses Beschlusses in Augenschein nimmt, im laufenden Betrieb untersucht, Notizen und Fotografien anfertigt und ein Diktiergerät verwendet.

3. Für die Dauer der beschriebenen Untersuchung an den Datenträgerin im Sinne von Ziffer V. 1. dieses Beschlusses wird deren amtliche Verwahrung durch den Gerichtsvollzieher angeordnet. Dieser hat sicherzustellen, dass dem Sachverständigen zunächst vor Ort eine sofortige Untersuchung in der vorstehend beschriebenen Art und Weise ermöglicht wird und an den Datenträgern keine Veränderungen vorgenommen werden, die nicht zwingend durch die Untersuchung selbst veranlasst sind.

Können die beschriebenen Untersuchungen an den Datenträgern im Sinne von Ziffer V. 1. dieses Beschlusses nicht vor Ort durchgeführt werden, so ist der Antragsgegner verpflichtet, diese an den Gerichtsvollzieher herauszugeben. Der Gerichtsvollzieher gibt die Datenträger dem Sachverständigen solange als Sequester in Verwahrung, bis die Untersuchungen gemäß Ziffer IV. deses Beschlusses zur Vorbereitung des Gutachtens abgeschlossen sind, längstens jedoch bis zu einer übereinstimmenden Freigabeerklärung der Parteien oder einer rechtskräftigen Entscheidungen in der Hauptsache.

4. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, für die Dauer der amtlichen Verwahrung eigenmächtig keine Veränderungen an den zu begutachtenden Datenträgern gemäß Ziffer V. 1. dieses Beschlusses vorzunehmen, insbesondere wird dem Antragsgegner verboten, diese zu löschen, zu überschreiben oder sonstwie unbrauchbar zu machen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot werden dem Antragsgegner ein Ordnungsgeld von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.

5. Neben dem Sachverständigen hat der Antragsgegner folgenden anwaltlichen Vertretern der Antragstellerin die Anwesenheit während der Begutachtung zu gestatten:

- Rechtsanwalt Dr. ... und

- Rechtsanwältin Dr. ...

Die beiden vorgenannten Rechtsanwälte werden verpflichtet, Tatsachen, die im Zuge des selbstständigen Beweisverfahrens zu ihrer Kenntnis gelangen und den Privatbereich oder einen eventuellen Geschäftsbetrieb des Antragsgegners betreffen, geheim zu halten, und zwar auch gegenüber der Antragstellerin und deren Mitarbeitern.

VI.

Der Wert des Streitgegenstandes für das selbstständige Beweisverfahren wird auf 250.000,00 Euro festgesetzt, derjenige für das einstweilige Verfügungsverfahren auf 750.000,00 Euro.

VII.

Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens tragen die Antragstellerin zu 1/10 (§ 269 III 2 ZPO) und der Antragsgegner zu 9/10.

Vielen Dank für die Einsendung der Entscheidung gilt RA Dominik Boecker.