SG Braunschweig, Urteil vom 13.01.2016 - S 17 AS 3211/12
Fundstelle
openJur 2016, 6147
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid vom 11.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2012 wird abgeändert und der Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 11,77 € zu zahlen.

Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme weiterer Kosten für die Ausstellung einer ärztlichen Bescheinigung.

Zusammen mit seiner Mutter bezieht er von dem Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II).

Am 07.09.2012 stellte die Mutter des Klägers für beide einen Weiterbewilligungsantrag und beantragte für den Kläger die Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung. Im Antragsvordruck bescheinigte der behandelnde Arzt, dass der Kläger seit ca. einem Jahr an Durchfällen mit Gewichtsverlust leide, erst die Kostumstellung auf laktosefreie Lebensmittel habe Besserung gebracht. Mit Rechnung vom 06.09.2012 verlangte der Arzt für diese Leistung 17,13 €, die der Kläger in bar beglich. Er beantragte bei dem Beklagten die Übernahme der Kosten.

Mit Bescheid vom 11.09.2012 gewährte der Beklagte einen Betrag von 5,36 € mit der Begründung, nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und der Berücksichtigung des 2,3-fachen Satzes könne nur dieser Betrag für eine kurze Bescheinigung verlangt werden.

Der Kläger und seine Mutter legten am 18.09.2012 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.10.2012 zurück wies.

Am 22.10.2012 haben der Kläger und seine Mutter Klage erhoben. Die Mutter des Klägers hat am 18.10.2013 die Klage zurückgenommen.

Zur Begründung trägt der Kläger vor, das Attest sei auf Wunsch des Beklagten erstellt worden. Er habe keine Kenntnis von der Gebührenordnung. Er habe das Attest auch nur von seinem Hausarzt einholen können, im Hinblick auf die Praxisgebühr habe er keine Möglichkeit gehabt, einen anderen Arzt aufzusuchen. Im Übrigen sei es dem Beklagten wohl auch nicht auf die Bescheinigung angekommen, denn er habe noch eine Untersuchung beim Gesundheitsamt veranlasst. § 65a SGB I sei hier nicht einschlägig. Der Beklagte habe die Untersuchung veranlasst, er habe auch die Kosten zu tragen. Es sei nicht Sache des Klägers, gegen die Abrechnung vorzugehen, sondern des Beklagten. Auf ihn sei ein evtl. Anspruch gemäß § 33 SGB II übergegangen.

Der Kläger beantragt:

Der Bescheid vom 11.09.201 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2012 ist abzuändern und der Beklagten zu verurteilen, an den Kläger weitere 11,77 € zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus, die korrekt entstandenen Kosten seien auch erstattet worden. Der Kläger könne sich an die Krankenkasse oder Ärztekammer wenden. Ggf. habe er auch zivilrechtliche Ansprüche gegen den Arzt. Der Anspruch sei nicht übergegangen. Der Mehrbedarf werde nur erbracht, wenn die kostenaufwändige Ernährung notwendig sei. Der Nachweis solle durch eine Bescheinigung des behandelnden Arztes erbracht werden. Die Aufforderung zur Vorlage erfolge gemäß § 62 SGB I, die Erstattung der Aufwendungen sei eine Ermessensentscheidung gemäß § 65a SGB I, die der eingeschränkten Kontrolle des Gerichts unterliege. Ermessensfehler lägen hier nicht vor. Das JVEG sei nicht heranzuziehen

Wegen des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Abänderung des Bescheides vom 11.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.10.2012 und Zahlung eins weiteren Betrage von 11,77 € im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Absatz 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Er hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten, die für die Ausstellung des ärztlichen Attestes angefallen sind.

Anspruchsgrundlage ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht § 65a Absatz 1 Satz 1 i.V.m. § 62 des Sozialgesetzbuches – Erstes Buch (SGB I). Danach kann derjenige auf Antrag Ersatz seiner notwendigen Auslagen und seines Verdienstausfalls in angemessenem Umfang erhalten, der einem Verlangen des zuständigen Leistungsträgers nach den §§ 61 oder 62 nachkommt. Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, soll sich gemäß § 62 SGB I auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen, soweit diese für die Entscheidung über die Leistung erforderlich sind.

Der Kläger hat sich keiner Untersuchungsmaßnahme auf Verlangen des Beklagten unterzogen. Der behandelnde Arzt des Klägers hat lediglich das Krankheitsbild des Klägers bescheinigt. Eine ärztliche Untersuchung hat der Beklagte im Antragsvordruck auch nicht gefordert, sondern lediglich eine ärztliche Bescheinigung. Hinzu kommt, dass es sich bei den Kosten für das ärztliche Attest nicht um Auslagen des Klägers handelt. Dazu gehören Fahrt-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten sowie sonstige Kosten (z.B. Kosten einer notwendigen Begleitperson oder einer Haushaltshilfe (Reinhardt in LPK-SGB I, § 65a Rn 7). Bei den Kosten für die Bescheinigung handelt es sich um die Kosten der ärztlichen Maßnahme.

Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Kosten in Höhe von insgesamt 17,13 € ist vielmehr § 21 Absatz 3 Satz 4 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch (SGB X) i. V. m. § 670 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in entsprechender Anwendung. Danach hat der Klägers abzüglich des bereits gewährten Betrages von 5,36 € einen Anspruch auf Zahlung weiterer 11,77 €.

Gemäß § 21 Absatz 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 SGB X bedient sich die Behörde der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann insbesondere eine schriftliche Äußerung von Sachverständigen einholen. Zur Prüfung, ob ein Leistungsempfänger einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 21 Absatz 5 des Sozialgesetzbuches - Zweites Buch (SGB II) hat, entschied sich der Beklagte im Rahmen seines pflichtgemäßen Ermessens dafür, eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes zu fordern. Ferner holte er die schriftliche Äußerung nicht selbst ein, sondern forderte den Antragsteller dazu auf, die Bescheinigung einzuholen. Dahingehend gestaltet er seine Antragvordrucke. Diese Vorgehensweise ändert jedoch nichts daran, dass es sich dabei um eine Maßnahme der Sachverhaltsaufklärung im Rahmen der dem Beklagten obliegenden Amtsermittlung gemäß § 21 SGB X handelt.

Falls eine Behörde einen Sachverständigen herangezogen hat, erhält dieser auf Antrag gemäß § 21 Absatz 3 Satz 4 SGB X in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) eine Entschädigung oder Vergütung. Der Entschädigungsanspruch steht demnach grundsätzlich dem behandelnden Arzt des Klägers gegenüber dem Beklagten zu. Da der Kläger hier die Kosten zunächst selbst übernommen hat, steht ihm jedoch ein Anspruch auf Erstattung dieser Aufwendungen nach entsprechender Anwendung der Vorschriften über einen Auftrag gemäß den §§ 662ff. BGB zu. Macht der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist der Auftraggeber gemäß § 670 BGB zum Ersatz verpflichtet. Der Kläger hat einen Auftrag des Beklagten mit dessen Wissen und Einverständnis ausgeführt. Wie bereits ausgeführt, hat der Kläger ein Geschäft bzw. eine Aufgabe des Beklagten - die Einholung eines Befundberichtes - übernommen. Dazu hat ihn der Beklagte durch Aushändigung des Antragsvordruckes auch ausdrücklich aufgefordert und der Kläger hat die Aufgabe übernommen.

Die Höhe der im Rahmen des Auftragsverhältnisses zu übernehmenden Aufwendungen richtet sich zum einen danach, was der Kläger als Beauftragter für erforderlichen halten durfte. Er kann zumindest Aufwendungen in der Höhe zum Ersatz verlangen, in der auch der behandelnde Arzt gegenüber dem Beklagten abrechnen könnte. Die Entschädigung eines Sachverständigen gegenüber einer Behörde richtet sich gemäß § 21 Absatz 3 Satz 4 SGB X nach dem JVEG. Gemäß § 10 Absatz 1 JVEG i.V.m. der Anlage 2 Abschnitt 2 Ziff. 200 können Kosten für die Ausstellung eines Befundscheines oder Erteilung einer schriftlichen Auskunft ohne nähere gutachterliche Äußerung - wie in diesem Fall - in Höhe von 21,00 € geltend gemacht werden. Die Aufwendungen des Klägers von insgesamt 17,13 € liegen noch darunter.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Das Gericht hat gemäß § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

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