LG München I, Beschluss vom 10.12.2009 - 6 Kls 570 Js 50263/09
Tenor

I. Die Beteiligung der M... AG als Nebenbeteiligte an dem Verfahren wird angeordnet. Es wird im selbständigen schriftlichen Verfahren entschieden.

II. Gegen die Nebenbeteiligte wird wegen ihr zurechenbarer Straftaten des Angeschuldigten M... eine Geldbuße von

Euro 75.300.000,00

(in Worten: fünfundsiebzig Millionen dreihunderttausend Euro) festgesetzt.

III. Der Nebenbeteiligten wird gestattet, die Geldbuße bis spätestens 21.12.2009 zu bezahlen.

IV. Die Nebenbeteiligte trägt die durch die Nebenbeteiligung entstandenen Kosten dieses Verfahrens und ihre notwendigen Auslagen.

Angewendete Vorschriften:

§§ 17 Abs. 4, 30 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3 OWiG, § 334 StGB i.V.m. Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG, § 299 Abs. 2, Abs. 3 StGB, §§ 13, 25 Abs. 2,53 Abs. 1 StGB, § 444 StPO, § 30 Abs. 4 OWiG.

Gründe

I.

Die M... AG, im Handelsregister des Amtsgerichts D... unter der Registernummer HRB ... eingetragen, ist ein Tochterunternehmen der M... SE (früher: M... AG), München.

Unternehmensgegenstand sind Entwicklung, Konstruktion, Fertigung, Vertrieb und Service von Turbomaschinen, Kompressoren und anderen Maschinen sowie die Erbringung aller in diesem Zusammenhang stehenden Dienstleistungen. Die M... AG ist weltweit tätig, im Jahr 2008 gingen mehr als 80 % der Aufträge für Neuanlagen aus Ländern außerhalb Deutschlands ein.

...

Im Jahr 2008 beschäftigte das Unternehmen 4.493 Mitarbeiter.

...

Umsatz und Jahresüberschuss des Unternehmens haben sich im verfahrensgegenständiichen Zeitraum wie folgt entwickelt:

Umsatz Jahresüberschuss
2004: 659 Mio. € 18,626 Mio. €
2005: 694 Mio. € 25,758 Mio. €
2006: 908 Mio. € 42,944 Mio. €
2007: 1.108 Mio. € 78,735 Mio. €
2008: 1.328 Mio. € 109,180 Mio. €

Der Angeschuldigte M... hat den Beruf des Industriekaufmanns erlernt und war ab Oktober 1966 bei der Firma M... GHH... angestellt, wo er zunächst mit der Betriebsabrechnung, später mit dem Aufbau des Gemeinkostencontrollings befasst war. Ab 1979 war er als Controller im Geschäftsbereich Maschinen und Kompressoren tätig, ab 1982 kaufmännischer Leiter dieses Geschäftsbereiches und ab 01.03.1996 Geschäftsführer der ... GmbH. Seit Begründung der Rechtsform der Aktiengesellschaft im September 1999 war der Angeschuldigte Mitglied in deren Vorstand, von 01.01.2002 bis September 2007 Vorstandsvorsitzender.

Bei der M... AG wurden Bestechungsgelder zur Auftragserlangung an wichtige Entscheidungsträger auf Kundenseite, teilweise Amtsträger, unter Beteiligung oder mit Wissen des Angeschuldigten gezahlt, wobei er in letzteren Fällen bewusst und entgegen der ihm bekannten Pflicht als Vorstandsvorsitzender nicht eingeschritten ist. Die Gelder waren versprochen worden, um die Entscheidungsträger hierdurch zu zukünftigen pflichtwidrigen bzw. unlauteren Entscheidungen zugunsten der M... AG und zum Nachteil der deutschen und internationalen Konkurrenz zu veranlassen.

Diese Bestechungszahlungen wurden zur Verschleierung über Zwischenempfänger, überwiegend über zwischengeschaltete "Berater", "Türöffner" oder "Vertreter" abgewickelt, die als Strohmänner für die tatsächlichen Geldempfänger auftraten. Teilweise wurden die Bestechungszahlungen an Briefkastenfirmen überwiesen.

Die Überweisungen wurden zum Teil unmittelbar durch die AG bei Banken in Auftrag gegeben, zum Teil auf "Zahlungsanweisung" der M... AG hin durch Mitarbeiter der M... AG in M... bei der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank in München zu Lasten des dortigen Kontos der M... AG beauftragt. Die entsprechenden Beträge wurden dann dem "Inter-Company-Account" (ICA) belastet, einem Konto zur buchhalterischen Abbildung aller konzerninternen Verrechnungen und Finanzierungen.

Im Einzelnen handelt es sich um folgende Fälle:

Nr. Projekt Vertragspartner / Leistungsempfänger Projektland Auftragsvolumen Bestechungszahlungsvolumen Datum erste Zahlung Datum letzte Zahlung Zwischenempfänger rechtliche Einordnung
1 K... S... Co. Ltd. ... 23.465.573 € 818.200 € / 350.657 € 16.05.2006 / 15.05.2006 13.12.2007 / 13.12.2007 T... / A... § 299 II, III StGB
2 K... P... Ltd. VAE ... 12.016.000 € 150.000 € 23.06.2006 23.06.2006 A... § 299 II, III StGB
3 P... I... GmbH, Hamburg ... 5.676.405 € 335.318 € 13.01.2005 13.01.2005 M... Group § 299 II, III StGB
4 U... S... ... 10.463.020 € 88.094 € 27.07.2006 03.09.2008 J. ... Company § 299 II, III StGB
5a / 5b / 5c I... / N... / N... K... Co., Iran; K... Ltd., UK / N... Company ... (staatliche Firma) ... 5.313.549 € / 1.481.433 € / 1.308.211 € 405.000 € / 96.293 € / 85.033 € 31.05.2005 / ./. 30.11.2005 / 31.12.2004 / 31.12.2004 ... Corp. N.V. § 344 StGB, Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG
6 J... B... SA, UK / P... Ltd. ... ... 72.555.421 € 102.000 € (versprochen 567.500 €) ./. 11.09.2006 ... Ltd. § 299 II, III StGB
7 D... E... BV ... 7.890.000 € 315.600 € 02.01.2006 01.10.2007 W... Ltd. § 299 II, III StGB
8 S... J... Corporation / S... (staatliche Firma) ... 10.966.542 € 50.000 € 16.02.2004 01.02.2005 ... Ltd. § 334 StGB, Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG
Gesamtergebnis 151.136.154 € 4.341.709 €

Die Staatsanwaltschaft bejahte hinsichtlich der Bestechung im geschäftlichen Verkehr gemäß § 301 Abs. 1 StGB das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung.

Der Angeschuldigte ist daher der Bestechung ausländischer Amtsträger in zwei Fällen und der Bestechung im geschäftlichen Verkehr in sechs Fällen, teilweise in Mittäterschaft, teilweise durch Unterlassen schuldig.

Die M... AG erzielte durch unter der Verantwortung des Angeschuldigten begangene Taten wirtschaftliche Vorteile unter Einschluss von realisierten Folgeaufträgen in Höhe von mindestens 75 Millionen Euro vor Ertragsteuern.

II.

Das Strafverfahren gegen den Angeschuldigten wurde insoweit von der Staatsanwaltschaft München I gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.

Gegen weitere Personen im Sinn des § 30 Abs. 1 OWiG richtet sich das hier vorliegende Verfahren nicht. Es war daher nach § 30 Abs. 4 OWiG im selbständigen Verfahren zu entscheiden. Da weder die Staatsanwaltschaft noch die Nebenbeteiligte eine mündliche Verhandlung gemäß § 444 Abs. 3 StPO i.V.m. § 441 Abs. 3 StPO beantragt haben, konnte gemäß §§ 444 Abs. 3, 441 Abs. 2 StPO im schriftlichen Verfahren durch Beschluss entschieden werden, (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann Kommentar zum OWiG § 30 Rdnr. 62 und Erich Göhler, Kommentar zum OWiG, 15. Aufl., 2009, § 30 Rdnr. 39 bis 41)

III.

Nachdem der Angeschuldigte als Vorstandsvorsitzender der M... AG Straftaten begangen hat, durch die die M... AG bereichert worden ist oder werden sollte, war gegen diese gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG i. V. m. § 334 StGB, Art. 2 § 1 Nr. 2 IntBestG, § 299 Abs. 2, Abs. 3 StGB, 53 Abs. 1 StGB, 444 StPO eine Geldbuße (vgl. Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 3. Auflage 2006, § 30 OWiG Rdnr.133) festzusetzen.

Die Höhe der Geldbuße bestimmt sich dabei wie folgt:

Für die Bemessung der Höhe der Geldbuße gilt zunächst § 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 OWiG. Die Geldbuße beträgt demnach bis zu einer Million Euro. § 30 Abs. 3 OWiG erklärt darüber hinaus die Regelung des § 17 Abs. 4 OWiG für entsprechend anwendbar. Danach soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil übersteigen, den das Unternehmen aus der Tat gezogen hat. Zu diesem Zweck darf gegebenenfalls das gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße überschritten werden, § 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG. Aus diesen gesetzlichen Vorgaben folgt, dass der wirtschaftliche Vorteil, welcher der Nebenbeteiligten aus der Tat zugeflossen ist, rechnerisch die unterste Grenze der Geldbuße darstellen soll.

Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils bezeichnet dabei den erzielten Gewinn, aber auch mittelbare Voneile wie realisierte Folgeaufträge. Diesen rechtswidrig erlangten Vermögensvorteil, der abzuschöpfen ist, berechnet die Kammer vorliegend auf 75 Millionen Euro vor Ertragsteuern. Hierbei legt sie die eigenen Angaben der M... AG zugrunde, die insoweit nachvollziehbar und glaubhaft sind und gestützt werden durch Überprüfungen von externen Wirtschaftsprüfern.

Zusätzlich ist der Abschöpfungsteil der Geldbuße um den Ahndungsteil zu erhöhen. Zumessungsgrundlage ist hierbei gemäß § 17 Abs. 3 OWiG analog die Bedeutung der Straftat. Nach BGH wistra 91, 268 f. ist die gemäß § 30 OWiG zu verhängende Geldbuße vor allem auch nach dem Unrechtsgehalt der Bezugstat und deren Auswirkungen auf den geschützten Ordnungsbereich zu bemessen. Diesbezüglich wirkt sich erschwerend aus, dass es verfahrensgegenständlicb um mehrere Bestechungstaten geht, das Volumen der geleisteten Zahlungen beträchtlich ist und die Taten auch zu dem angestrebten Erfolg, nämlich dem Auftragserhalt, geführt haben. Auf der anderen Seite ist anzunehmen, dass die Initiative zu den Taten von den Bestochenen ausging, die entsprechende Forderungen stellten.

Daneben sind für die Bemessung der Geldbuße untemehmensbezogene Umstände maßgebend, also auch, welche Vorsorgemaßnahmen innerhalb des Verbands vor und nach den Taten getroffen wurden, um solche Zuwiderhandlungen zu verhindern (vgl. Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 15. Auflage 2009, § 30 OWiG Rdnr. 36 a). Die M... AG war schon vor Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeschuldigten am 05.05.2009, spätestens seit dem Jahr 2007, bemüht, Korruptionsvergehen im Unternehmen aufzuklären zu sanktionieren und zu verhindern. Die Auffindung von Unterlagen über die firmenintemen Aufklärungsbemühüngen hat überhaupt erst zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den Angeschuldigten geführt. Im Fall des Projekts "..." (Nr. 6 der Tabelle) wurde die Auszahlung des weiteren versprochenen Bestechungsgeldes bereits im Jahr 2007 unterbunden. Seit Frühjahr 2007 war eine Anwaltskanzlei damit beauftragt, Schulungen zur Korruptionsbekämpfiing abzuhalten und die Erstellung einer Antikorruptionsrichtlinie und einer Vertriebsmittierrichtlinie ("MTM-D-03" bzw. später "MTM 03") zu begleiten. Auf den Schulungen wurde durch ein Mitglied des Vorstands der M... AG kommuniziert, dass das Unternehmen in Bezug auf Korruption keine Toleranz walten lasse und dass notfalls auf Geschäft verzichtet werde. Von einem Mitarbeiter, der im Rahmen der Schulungen den Eindruck erweckte, an alten Geschäftspraktiken festhalten zu wollen, trennte sich das Unternehmen. Die M... AG hat Vorkehrungen für die Umsetzung und Einhaltung der neuen Richtlinien getroffen, beispielsweise werden Vertriebsmittler einer eigenen Überprüfung ("Screening") unterzogen. Im Ermittlungsverfahren selbst zeigte sich die M... AG von Anfang an höchst kooperätionsbereit. Schon während der Durchsuchung wurden wichtige Unterlagen übergeben. Das Unternehmen erteilte in der Folge die erbetenen Schweigepflichtentbindungserklärungen, ermöglichte den Eimittlungsbehörden den Zugang zum elektronischen Buchhaltungssystem der Firma und stellte jedwede erbetenen Unterlagen oder Informationen zur Verfügung. Gleichzeitig wurden die firmeninternen Aufklärungsbemühungen - auch unter Installierung eines Amnestieprogramms für kooperierende Mitarbeiter - ausgeweitet, intensiviert und beschleunigt und die Ergebnisse uneingeschränkt den Ermittlungsbehörden zut Verfügung gestellt.

Es ist aufgrund dieser Maßnahmen anzunehmen, dass in Zukunft durch Mitarbeiter der M... AG keine Korruptionsvergehen mehr begangen werden.

Nach alledem hält die Kammer - auch unter Berücksichtigung generalpräventiver Gesichtspunkte - eine Ahndung von 300.000,- €, also im unteren Drittel des möglichen Rahmens, für angemessen und ausreichend.

Insgesamt ergibt sich damit eine Geldbuße von 75.300.000,00 Euro.

Die Zahlungsfrist wurde gemäß § 18 OWiG festgesetzt.

IV.

Die Entscheidung über die Kosten und die Auslagen beruht auf §§ 472 b Abs. 2, 465, 466 StPO.