VG Berlin, Urteil vom 08.07.2015 - 12 K 423.14
Fundstelle
openJur 2015, 11786
  • Rkr:
Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2014 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung des ihr von der Beklagten verliehenen akademischen Grades „Doktorin des Rechts“.

Im Oktober 2005 ließ der Fachbereich Rechtswissenschaft der Beklagten die Klägerin zur Promotion zu. Am 31. Juli 2008 beantragte die Klägerin die Einleitung des Prüfungsverfahrens und versicherte, die Dissertation selbständig verfasst und keine anderen als die von ihr angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt zu haben. Sie reichte ihre Dissertation mit dem Titel „D...“ ein. Der Erstgutachter Prof. Dr. G... beurteilte die Dissertation mit „summa cum laude (ausgezeichnet) – knapp – “, der Zweitgutachter Prof. Dr. Dr. S... mit „magna cum laude (sehr gut) – obere Grenze – “. Am 27. Januar 2008 wurden die Professoren Dres. S..., G ..., Sch... und H... sowie die wissenschaftliche Mitarbeiterin P...und der Student P... zu Mitgliedern der Prüfungskommission bestellt. Diese Prüfungskommission – mit Herrn Prof. Dr. Sc... statt Herrn Prof. Dr. H... – nahm am 15. Juli 2009 die mündliche Doktorprüfung der Klägerin ab und bewertete ihre Leistung mit cum laude. Als Gesamtergebnis der Doktorprüfung vergab sie die Note „magna cum laude“. Die Dissertation wurde mit dem Titel „D...“ im Verlag M... veröffentlicht. Die Promotionsurkunde erhielt die Klägerin am 28. Juli 2010.

Im November 2012 informierte Herr Prof.em. Dr. B... den Dekan des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Beklagten, dass die Klägerin Teile aus einer Dissertation von Dr. A. H... („D...“ aus dem Jahr 2001, erschienen im P... Verlag) wörtlich übernommen habe, ohne diese kenntlich zu machen. Es handelt sich um die Seiten 43 (Mitte) bis 47 (unten) in der veröffentlichten Fassung (Seiten 49 bis 54 in der abgegebenen Fassung) der klägerischen Dissertation, die überwiegend wortgleich zu den Seiten 65 bis 73 der Arbeit von Dr. H... sind. Die Klägerin hat in diesem Teil einige Absätze aus der fremden Arbeit weggelassen und einige Sätze geringfügig umformuliert. Die Arbeit von Dr. H...ist sowohl im Literaturverzeichnis als auch in Fußnoten an anderen Stellen der klägerischen Arbeit erwähnt.

Am 8. Januar 2013 beschloss das Dekanat des Rechtswissenschaftlichen Fachbereichs der Beklagten, ein Verfahren zur Überprüfung der Plagiatsvorwürfe einzuleiten. Diesen Beschluss bestätigte der Promotionsausschuss am 27. November 2013 nachträglich.

Der Promotionsausschuss, der sich zusammensetzte aus dem Dekan Prof. Dr. Sch..., den Prodekanen für Forschung und Lehre Prof. Dr. M...und Dr. F... sowie dem akademischen Mitarbeiter Herrn Dr. K... und der Studentin Frau G..., tagte am 23. Januar 2013 und setzte die damalige Prüfungskommission wieder ein, bestehend aus den Professoren Dres. G..., S..., Sc... und Sch... Für die Gruppe der Akademischen Mitarbeiter wurde Frau Dr. A. B... bestellt, die die zwischenzeitlich aus der Universität ausgeschiedene Frau P...ersetzte, für die Gruppe der Studierenden Herr H..., der den zwischenzeitlich ausgeschiedenen Herrn P... ersetzte.

Die Prüfungskommission tagte am 26. März 2013. Sie beauftragte den Kommissionsvorsitzenden, die Klägerin über die neuerliche Aufnahme der Kommissionstätigkeit und die Verdachtsmomente zu informieren. Die Klägerin erhielt mit Schreiben vom 28. März 2013 Gelegenheit zur Stellungnahme zu den ihr gegenüber erhobenen Vorwürfen.

Mit Schreiben vom 24. April 2013 erklärte die Klägerin, dass der ihr vorgeworfene Sachverhalt in objektiver Hinsicht zutreffe. Es sei zu keiner Zeit ihre Absicht gewesen, die Prüfungskommission zu täuschen oder zu verbergen, dass sie sich mit Herrn Dr. H... Gedanken auseinandergesetzt und diese in ihrer Arbeit verwertet habe. Sie habe ihn in ihrer Arbeit mehrfach zitiert und seine Arbeit entsprechend im Literaturverzeichnis aufgeführt. Es sei Ausdruck einer Nachlässigkeit, die im Rahmen guten wissenschaftlichen Arbeitens nicht vorkommen dürfe. Indes beruhe diese Übernahme einzig auf einem groben Versehen, der auf einen Computerabsturz zurückzuführen sei. Sie habe zuvor unter anderem Texte wortgetreu herausgeschrieben und sie den Kapiteln zugeordnet, in denen sie sie später habe verwerten wollen. Diese Passagen habe sie farbig unterlegt. Solche Passagen, mit denen sie noch nicht zufrieden gewesen sei, und solche, bei denen sie die Fußnoten noch zu überprüfen gehabt habe, habe sie andersfarbig markiert. Etwa ein oder zwei Monate vor Abgabe der Dissertation sei der Computer kaputt gewesen. Folge der Datenrettung sei gewesen, dass nicht nur sämtliche Formatierungen von dem anschließend benutzten Rechner nicht erkannt worden seien, sondern auch sämtliche Markierungen in der Arbeit nur noch in einer einzigen Farbe erschienen seien. Daraufhin habe sie sämtliche markierte Stellen genau gelesen, Unlogisches überarbeitet und all die Stellen, welche nicht ihren Formulierungen entsprochen hätten, umformuliert, gekürzt und auf ihre Herkunft überprüft. Die Passagen aus der Dissertation von Herrn Dr. H...seien ihr dabei entgangen. Sie vermute, dass sie diese wahrscheinlich wegen des ähnlichen Schreibstils für einen von ihr formulierten Teil gehalten habe.

In einem weiteren Schreiben vom 21. Mai 2013 teilte die Klägerin mit, dass sie sich bei Herrn Dr. H...entschuldigt habe und er ihre Entschuldigung angenommen habe. Außerdem habe sie ihre Arbeit durch eine Plagiatssoftware (plagiarismfinder) prüfen lassen, die zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich wohl nicht um ein Plagiat handele. Zudem reichte sie eine Stellungnahme des Unternehmens ein, das die Textfassung ihrer Arbeit nach dem Computerzusammenbruch wieder hergestellt hatte.

Am 26. Juni 2013 entschied die Prüfungskommission, dem Präsidenten der Beklagten vorzuschlagen, der Klägerin den akademischen Grad eines Dr.iur. zu entziehen. Die Kommission zeigte sich mehrheitlich (4:1) davon überzeugt, dass der Grad des Dr. iur. durch Täuschung erworben worden sei. Es stehe eine objektive Vortäuschung der eigenen Autorenschaft durch die Klägerin fest, die im Fall der Aufdeckung innerhalb des Promotionsverfahrens dazu geführt hätte, dass der Doktorgrad nicht verliehen worden wäre. Die Kommission hielt es für unerheblich, dass die objektiv plagiierten Textteile nicht den wissenschaftlichen Kern der Dissertation beträfen und dass das Plagiat – soweit ersichtlich – lediglich viereinhalb Seiten umfasse. Die Klägerin habe mit Täuschungsvorsatz gehandelt, denn sie habe die Übereinstimmungen wenigstens billigend in Kauf genommen. Die Prüfungskommission legte ihren Abschlussbericht vom 30. Juli 2013 mit dem Entziehungsvorschlag dem Präsidenten der Beklagten vor.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2013 wurde die Klägerin zur beabsichtigten Entziehung des Doktorgrades angehört.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2014 entzog der Präsident der Beklagten der Klägerin den ihr vom Fachbereich Rechtswissenschaft am 15. Juli 2009 verliehenen akademischen Grad „Doktorin des Rechts“ mit der Folge, dass die Klägerin verpflichtet sei, die Promotionsurkunde nach Bestandskraft der Entziehung des Doktorgrades an die Dekanin des Fachbereichs Rechtswissenschaft herauszugeben. Für den Fall, dass die Klägerin der Herausgabeverpflichtung innerhalb eines Monats nach Bestandskraft des Bescheids nicht nachkomme, drohte der Präsident der Beklagten ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro an. Zur Begründung führte er im Wesentlichen Folgendes aus: Das Verwaltungsverfahren sei ordnungsgemäß erfolgt. Insbesondere sei nicht erforderlich, vorab ein Verfahren gemäß der Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis durchzuführen. Die Kommission sei rechtmäßig besetzt gewesen. Herr Prof. H...sei für die mündliche Prüfung am 15. Juli 2009 durch Herrn Prof. Sch... ersetzt worden. Herr Prof. Sch... sei als Mitglied der Prüfungskommission ordnungsgemäß bestellt worden. Die inhaltlichen Voraussetzungen lägen vor. Durch die Übernahme der fremden Textteile ohne die erforderliche Kennzeichnung habe die Klägerin den falschen Eindruck erweckt, der Dissertationsschrift liege auch insoweit eine eigene gedankliche Leistung zugrunde. Damit habe die Klägerin über den Umfang der Eigenständigkeit ihrer Leistung getäuscht. Die Täuschungshandlung sei rechtserheblich. Sie bedeute eine Schädigung des öffentlichen Interesses, weil die Intensität der Übereinstimmung das Vertrauen der Fachöffentlichkeit in die Redlichkeit wissenschaftlichen Arbeitens destabilisiere. Ein externer Leser, dem nur die Übereinstimmung der inkriminierten Passagen mit der Dissertation von Herrn Dr. H...auffalle und der ihre Arbeitsweise im Übrigen nicht kenne, könne bezweifeln, dass sich das Plagiat auf diese besagten vier Seiten beschränke, und sich vielmehr die Frage stellen, wo die Klägerin noch fremde Textstellen übernommen und als angeblich eigenen Text präsentiert habe. Es würde im Außenverhältnis einen fatalen Eindruck hinterlassen, wenn sich herumspräche, dass man an der Beklagten trotz nachgewiesenermaßen abgeschriebener Textstellen erfolgreich promovieren könne. Die Klägerin habe zumindest billigend in Kauf genommen, dass die Mitglieder der Promotionskommission über die Urheberschaft bezüglich der Seiten 43 – 47 ihrer Dissertation getäuscht worden seien. Da die Klägerin einen vollständigen persönlichen Textabgleich mit der von ihr verwandten Literatur unterlassen habe, habe sie den Verbleib wörtlich übernommener Textteile in ihrer Dissertation für möglich gehalten und damit zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Bei der Abwägung sei insbesondere das persönliche Interesse auf Beibehaltung des Rechtszustandes, ihr Vertrauen auf den Bestand ihres Doktorgrades sowie die durch Art .12 GG geschützte Berufsfreiheit zu berücksichtigen. Demgegenüber ständen das Interesse an der Sicherstellung ordnungsgemäßer wissenschaftlicher Arbeit sowie die Chancengleichheit der anderen Doktoranden. Es liege ein nicht nur geringfügiger Verstoß gegen die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens vor; deshalb müssten die beruflichen und sozialen Folgen für den Einzelnen hinter das öffentliche Interesse zurücktreten. Eine Rüge wäre allenfalls in einem hier nicht vorliegenden Bagatellfall ohne Schädigung der öffentlichen Interessen denkbar. Bei Vorliegen einer rechtserheblichen Täuschung sei das geeignete Mittel die vom Gesetzgeber vorgesehene Entziehung des Doktorgrades.

Die Klägerin hat am 1. August 2014 Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Entziehung des Doktorgrades wendet. Sie führt im Wesentlichen Folgendes aus: Der Beschluss zur Einleitung eines formellen Entziehungsverfahrens sei von der Prüfungskommission zu treffen. Die Klägerin sei nicht rechtzeitig angehört worden. Über die Entziehung habe die Prüfungskommission nach der aktuellen Promotionsordnung zu entscheiden – bestehend aus drei, und nicht wie geschehen aus vier Hochschullehrern. Es erscheine zweifelhaft, dass bei der Zusammensetzung des Gremiums Frauen und die Frauenbeauftragte angemessen beteiligt worden seien, und ob der Promotionsausschuss ordnungsgemäß besetzt gewesen und die Prüfungskommission ordnungsgemäß berufen worden sei. Es stelle sich die Frage, weshalb nicht wiederum Frau P... und Herr P... mitgewirkt hätten. Es bestünden generelle Bedenken gegen die Beteiligung eines Studenten an der Entscheidung, der nicht die durch die Promotionsprüfung festzustellende Qualifikation besitze. Außerdem stelle sich die Frage, ob Herr Professor S...als Mitglied des Promotionsausschusses an der Bestimmung seiner eigenen Person zum Mitglied der Prüfungskommission rechtmäßig habe beteiligt werden können.

Die seitens der Klägerin aus der Arbeit Herrn Dr. H... übernommenen Passagen seien in ihrer Qualität nicht von Relevanz und daher für die Verleihung des Doktortitels nicht kausal. Die streitigen Ausführungen hätten sich in dem einleitenden, rein deskriptiven Teil der Dissertation befunden. Sie seien nicht rechtserheblich. Rechtserheblichkeit könne auch nicht damit begründet werden, dass ein externer Leser unzutreffend den Schluss ziehen könnte, dass die Klägerin noch weitere Textpassagen plagiiert habe. Dies liefe darauf hinaus, dass die Klägerin für eine Tat „bestraft“ würde, die sie nachweislich nicht begangen habe.

Auch sei der Täuschungsvorsatz zu verneinen. Die Klägerin sei an einer einzigen Stelle nachlässig gewesen. Die Klägerin habe alles getan, um die Übernahme einer nicht gekennzeichneten Textpassage zu vermeiden. Die Annahme der Beklagten, dass die Klägerin eine persönliche Überprüfung unterlassen habe, treffe nicht zu, so dass auch der auf dieser Grundannahme basierende Schluss auf einen bedingten Vorsatz der Klägerin verfehlt sei. Die Klägerin habe unzählige Stunden investiert, um ihre Bearbeitung zu bereinigen und die Textpassagen, die markiert gewesen seien, zu überprüfen. Es handele sich allenfalls um handwerkliche Unsauberkeiten. Es gebe weitere Aspekte, die gegen einen Vorsatz der Klägerin sprächen. Sie hätte weder Herrn Professor Dr. A... noch Herrn Professor Dr. Sc...um Kommentierung ihrer Arbeit bzw. Erstellung eines weiteren Gutachtens gebeten, wenn sie vorsätzlich gehandelt hätte.

Schließlich habe der Präsident der Beklagten das Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Es gehe nicht um den Schutz des „guten Rufs“ der Beklagten, sondern um den Schutz des Wissenschaftsbetriebs. Fehlerhaft nicht gewürdigt worden sei, dass die Klägerin die Sache mit Herrn Dr. H... unmittelbar ins Reine gebracht habe. Außerdem habe die Prüfungskommission das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft nicht ausgeübt.

Die Klägerin beantragt,

unter der Bedingung, dass die Kammer den angefochtenen Bescheid der Beklagten für formell rechtmäßig hält, sie als Partei zu vernehmen zum Beweis dafür, dass sie nicht in Täuschungsvorsatz gehandelt hat, und im Übrigen

den Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Einleitung eines formellen Entziehungsverfahrens aus der Promotionsordnung aus dem Jahr 2007 ergebe. Die Einsetzung der Prüfungskommission habe im Entziehungsfall nach dem Muster der Einsetzung für die Prüfung zu erfolgen. Eine Anhörung hierzu sei nicht erforderlich gewesen, es habe sich lediglich um einen entscheidungsvorbereitenden Akt gehandelt. Im Übrigen habe die Klägerin danach Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. Die zum Zeitpunkt der Erteilung des Grades zuständige Prüfungskommission sei unter möglichst weitgehender Wahrung der personellen Identität erneut zu bestellen und mit der Prüfung der Voraussetzungen einer Entziehung zu befassen. Es könne am ehesten das Gremium den Grad und den inhaltlichen und strukturellen Umfang der begangenen Täuschungshandlung ebenso wie die Ursächlichkeit für die Gesamtbewertung der Promotion beurteilen, welches auch ursprünglich über die Zuerkennung des Hochschulgrades entschieden habe. Nicht promovierte Mitglieder der Kommission wirkten nur beratend mit. Die Frauenbeauftragte sei angemessen beteiligt worden. Die Kommissionsmitglieder seien ordnungsgemäß berufen worden. Eine Mitwirkung der bereits ausgeschiedenen Mitglieder der ersten Prüfungskommission hätte eine erhebliche zeitliche Verzögerung des Verfahrens bedeutet. Auch die Nachbenennung von Prof. Dr. Sc...sei ordnungsgemäß erfolgt. Herr Prof. Dr. H...sei kurzfristig verhindert gewesen. Die Bestellung von Herrn Prof. Dr. Sch...sei dadurch vorgezeichnet gewesen, dass er bereits der ersten Kommission angehört habe. Er sei als Dekan von Amts wegen Mitglied und Vorsitzender des Promotionsausschusses. Die Klägerin habe zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Dafür genüge auch die Nachlässigkeit an einer einzigen Textstelle. Die Klägerin habe gewusst, dass sie die Arbeit zu überarbeiten gehabt habe, um nicht in die Gefahr eines Plagiates zu kommen. Folgerichtig habe sie dann nach eigener Darstellung sämtliche markierte Stellen überprüft, dies aber offensichtlich nicht genau genug durchgeführt. Dies begründe den Eventualvorsatz, der dadurch definiert sei, dass man den Taterfolg für möglich halte, obwohl man ihn nicht unbedingt wolle und dass man sich der möglichen Konsequenzen seines Handelns bewusst sei. Die Ermessensentscheidung sei nicht zu beanstanden. Die fragliche Entscheidung sei entsprechend der Berliner Gesetzeslage von dem Leiter der Hochschule getroffen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten und die klägerische Dissertation Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 16. Juli 2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Entziehung des Doktorgrades ist § 34 Abs. 7 Nr. 1 1. Alt. des Gesetzes über die Hochschulen im Land Berlin – Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) – in der Fassung vom 26. Juli 2011 (GVBl. 2011, 3789). Danach kann ein von einer staatlichen Hochschule verliehener akademischer Grad wieder entzogen werden, wenn sich nachträglich herausstellt, dass er durch Täuschung erworben worden ist. Über die Entziehung entscheidet gem. § 34 Abs. 8 BerlHG der Leiter der Hochschule auf Vorschlag des Gremiums, das für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zu Grunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig ist.

Der Bescheid ist formell rechtswidrig. Das Verfahren zur Entziehung des Doktorgrades ist fehlerhaft durchgeführt worden.

Entgegen der klägerischen Ansicht wurde das Verfahren, das zu der Entziehung des Doktorgrades führte, allerdings nicht fehlerhaft eingeleitet. Es ist nicht ersichtlich, dass der Dekan bzw. Promotionsausschuss hierfür nicht zuständig gewesen sein sollen. § 34 Abs. 8 BerlHG verhält sich dazu nicht. Ein Verfahrensfehler ist auch nicht darin zu sehen, dass kein Verfahren nach der Ehrenkodex Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis der Beklagten vom 6. Juli 1998 – Ehrenkodex-Satzung (Amtsblatt der Beklagten vom 16. Dezember 2002 Nr. 29/2002) durchgeführt worden ist. Die Ehrenkodex-Satzung regelt nicht das Verfahren zur Entziehung des akademischen Grades. Sie soll zu der Feststellung führen, ob – gegebenenfalls auch nur objektives – wissenschaftliches Fehlverhalten vorliegt. § 34 Abs. 7 BerlHG wird nicht erwähnt. Sanktionen für wissenschaftliches Fehlverhalten werden nicht unmittelbar in der Satzung festgelegt (vgl. VG Berlin, Urteil vom 25. Juni 2009 – VG 3 A 319.05 – juris Rdnr. 37 ff., nachfolgend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. November 2013 – OVG 5 N 30.09).

Die Klägerin wurde gem. § 1 Abs.1 VwVfG Bln i.V.m. § 28 Abs. 1 VwVfG ordnungsgemäß angehört. Ihr wurde mit Schreiben vom 28. März 2013 Gelegenheit gegeben, sich zu den ihr gegenüber erhobenen Vorwürfen zu äußern. Eine weitere, frühere Anhörung, etwa bereits vor einer Entscheidung über die Einleitung eines Entziehungsverfahrens, war nicht erforderlich, da eine Anhörung erst dann zu erfolgen hat, wenn ein Verfahren bereits eingeleitet worden ist; ein Verfahrensfehler wäre im Übrigen mittlerweile nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt.

28Ein Verfahrensfehler wegen unzureichender Beteiligung von Frauen an der Entziehungsentscheidung und fehlender Beteiligung der Frauenbeauftragten ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach § 46 Abs. 7 BerlHG, auf den sich die Klägerin beruft, sollen bei der Zusammensetzung der Gremien Frauen angemessen beteiligt werden. Die Beklagte hat nachvollziehbar die Auswahl der einzelnen Mitglieder der Prüfungskommission, zu der auch eine Frau zählte, dargelegt. Im Übrigen würde ein Verstoß gegen die Regelung kein Fehler des Entziehungsverfahrens sein, auf den sich die Klägerin berufen könnte. Die Vorschrift zur Gremienbesetzung an Hochschulen vermittelt der Klägerin kein subjektives Recht, sondern stellt eine objektive Regelung mit dem Ziel der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern dar. Die Frauenbeauftragte war entgegen der klägerischen Ansicht nicht nach § 59 Abs. 6 Satz 1 BerlHG zu beteiligen, da die Entziehung des akademischen Grades keine der dort genannten personellen Maßnahmen ist und der Frauenbeauftragten im Übrigen hiernach auch kein Mitbestimmungsrecht zustand.

Des Weiteren ist kein Verfahrensfehler hinsichtlich der Zusammensetzung des Promotionsausschusses ersichtlich. Der Promotionsausschuss setzt das Gremium ein, das für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zu Grunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig ist und das gem. § 34 Abs. 8 BerlHG dem Leiter der Hochschule den Vorschlag zur Entziehung des Doktorgrades unterbreitet. Das Gremium, das für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zu Grunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig ist, ist die Prüfungskommission gem. § 20 Abs. 1 nach der im Zeitpunkt der Entziehung geltenden Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Beklagten vom 14. Juli 2010 – PO 10 – (Mitteilungen der Beklagten vom 9. September 2010, Nr. 42/2010). Der Promotionsausschuss beruft die Prüfungskommission gem. § 15 Abs. 1 PO 10. Der Promotionsausschuss bestand gem. § 27 PO 10 fehlerfrei aus dem Dekan, den zwei Prodekanen sowie einem akademischen Mitarbeiter und einer Studentin.

30Die Prüfungskommission war allerdings nicht ordnungsgemäß besetzt. Nach § 28 PO 10 besteht die Prüfungskommission neben einem wissenschaftlichen Mitarbeiter und einem Studenten aus drei Hochschullehrern. Die Prüfungskommission war im Entziehungsverfahren fehlerhaft mit vier Hochschullehrern besetzt. Die Wiedereinsetzung und Bestellung der damaligen Prüfungskommission, die für die Entscheidung über die Prüfungsleistungen der Klägerin im Jahr 2009 zuständig war, nach § 28 der im Zeitpunkt der Verleihung im Jahr 2009 geltenden Promotionsordnung des Fachbereichs Rechtswissenschaft vom 14. Februar 2007 – PO 07 – (Mitteilungen der Beklagten vom 23. April 2007, Nr. 8/2007) war rechtswidrig. Die Heranziehung der im Zeitpunkt der Verleihung geltenden Promotionsordnung widerspricht dem Grundsatz, dass bei der Anfechtung eines belastenden Verwaltungsaktes die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des angegriffenen Bescheides maßgebend ist. Zudem war das Promotionsverfahren mit der Verleihung des Doktorgrades an die Klägerin abgeschlossen. Das Entziehungsverfahren, welches auf den „actus contrarius“ gerichtet ist, stellt ein hiervon unabhängiges, neues Verfahren dar (vgl. VG Würzburg, Urteil vom 25. März 2014 – W 2 K 13.954 – juris Rdn. 31). Etwas Gegenteiliges ist nicht ausdrücklich gesetzlich bzw. satzungsrechtlich geregelt. Zudem spricht auch die im Präsens gehaltene Formulierung in § 34 Abs. 8 BerlHG für die Bestellung der Prüfungskommission nach der im Zeitpunkt der Entziehung geltenden Promotionsordnung.

31Die gegenteilige Ansicht der Beklagten, wonach am ehesten das Gremium den Grad und den inhaltlichen und strukturellen Umfang der begangenen Täuschungshandlung wie die Ursächlichkeit für die Gesamtbewertung der Promotion beurteilen könne, welches auch ursprünglich über die Zuerkennung des Hochschulgrades entschieden habe, ist nicht überzeugend.Auch eine Prüfungskommission, die nach der im Zeitpunkt des Entziehungsverfahrens geltenden Promotionsordnung eingesetzt ist, ist ein sachverständiges Gremium. Sollte sie dennoch weiteres Fachwissen benötigen, kann sie sich zusätzlicher Gutachter bedienen. Die Prüfungskommission besitzt im Entziehungsverfahren keinen prüfungsrechtlichen Beurteilungsspielraum, der es erforderlich machen könnte, die frühere Beurteilung und Einschätzung im Lichte der nunmehr zu Tage getretenen Umstände neu zu bewerten (so aber VG Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2011 – VG 3 A 894.07, Entscheidungsabdruck S. 10). Die Frage, ob eine Täuschungshandlung vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 24. April 2013 – 14 A 880/11 – juris Rdnr. 26; VG Berlin, Urteil vom 26. September 2014 – 12 K 978.13 – juris Rdnr. 27, auch für den schwerwiegenden Fall der Täuschung). Es lässt sich objektiv bestimmen, ob Passagen der zur Bewertung abgegebenen Dissertation nicht vom Prüfungskandidaten selbst, sondern von einem anderen Autor stammen, und der Prüfling dies nicht kennzeichnet (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 3. Februar 2014 – 9 S 885.13 – juris Rdnr. 33). Nur dann, wenn man als weitere Tatbestandsvoraussetzung für die Entziehung des Doktorgrades die Rechtserheblichkeit der Täuschung (gegebenenfalls als Abgrenzung zum Bagatellfall, vgl. VG Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2013 – 7 K 3335.11 – juris Rdnr. 47) forderte, käme ein gerichtlich eingeschränkter Beurteilungsspielraum in Betracht (so etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 20. März 2013 – 15 K 2271.13 – juris Rdnr. 65). Daraus ist aber nicht zwingend zu folgern, dass die konkrete Prüfungskommission, die ursprünglich für die Entscheidung über die dem akademischen Grad zu Grunde liegenden Prüfungsleistungen zuständig war, auf der Grundlage des damals anwendbaren Rechts auch für das Entziehungsverfahren einzusetzen ist. Es fehlt bereits an einer ausdrücklichen Normierung der Voraussetzung der Rechtserheblichkeit der Täuschung. Zudem lassen sich solche Überlegungen auch auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen der Ermessensabwägung als Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigen. Die Ermessensabwägung über die Entziehung des Doktorgrades aber, die gerichtlich ebenfalls nur eingeschränkt überprüfbar ist, trifft nicht die Prüfungskommission, sondern der Leiter der Hochschule, auch wenn die Prüfungskommission ebenfalls in ihrer Entscheidung, ob sie dem Leiter der Hochschule die Entziehung vorschlägt, entsprechende Überlegungen anzustellen hat.

Darüber hinaus ist kein Grund ersichtlich, der es geböte, die Einsetzung der ursprünglichen Prüfungskommission nach der damaligen Rechtslage in den weiteren Fällen zu fordern, die ebenfalls die Entziehung des akademischen Grades zur Folge haben können, wie etwa unwürdiges Verhalten der Inhaberin des akademischen Grades. Die Verfassung eines Plagiats ist nur einer von mehreren denkbaren Fällen einer Täuschung und nur eine von mehreren alternativen Tatbestandsvoraussetzungen, die zur Entziehung des akademischen Grades führen können (vgl. § 34 Abs. 7 Nr. 1 2. Alt., Nr. 2 und 3 BerlHG).

Bei der fehlerhaften Besetzung der Prüfungskommission mit vier statt drei Hochschullehrern handelt es sich um einen wesentlichen Verfahrensfehler. Die Prüfungskommission nimmt als sachverständiges Gremium im Entziehungsverfahren eine zentrale Rolle ein. Ohne ihren Vorschlag gibt es keine Entscheidung, dem Inhaber den akademischen Grad zu entziehen. Dabei ist das konkrete Abstimmungsergebnis – hier 4:1 – nicht entscheidungserheblich. Eine abstrakte Sichtweise ist geboten, da nicht auszuschließen ist, dass sich aufgrund des Beratungsprozesses mit nur drei Hochschullehrern eine andere Überzeugung insbesondere zu der von der Prüfungskommission ebenfalls zu beurteilenden Frage der Verhältnismäßigkeit der Entziehung gebildet haben könnte.

Dem klägerischen Antrag auf Parteivernehmung war schon deshalb nicht nachzugehen, weil der Antrag unter der Bedingung der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheides stand. Diese ist, wie zuvor ausgeführt, zu verneinen.

Da der Entziehungsbescheid vom 16. Juli 2014 rechtswidrig ist, gilt dies auch für die Nebenentscheidungen, nämlich die Herausgabe der Promotionsurkunde nach § 2 Abs. 2 VwVfGBln i.V.m. § 52 VwVfG sowie die Zwangsgeldandrohung nach § 5a VwVfG Bln i.V.m. § 13 Abs. 1 VwVG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Die Berufung war nach § 124a Abs. 1, § 124 Nr. 3 VwGO zuzulassen.