VG Köln, Urteil vom 20.11.2014 - 20 K 1799/13
Fundstelle
openJur 2015, 2187
  • Rkr:
Tenor

Es wird festgestellt, dass

1.) die Ingewahrsamnahme am 30.06.2012 ab dem Zeitpunkt des Abtransportes des Klägers vom Einsatzort (Richard-Wagner-Straße/Moltkestraße) und

2.) die Durchsuchung des Genital- und Intimbereichs des Klägers im Polizeigewahrsam

rechtswidrig waren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 2/7 und der Beklagte zu 5/7.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckbaren Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit polizeilicher Maßnahmen.

Der Kläger und sein Arbeitskollege und Freund, der Zeuge L. , verließen am Morgen des 30.06.2012 gemeinsam gegen 4:00 Uhr die Diskothek Underground in Köln. Sowohl der Kläger als auch der Zeuge L. hatten nicht geringe Mengen Alkohol konsumiert. Eine beim Kläger um 5:20 Uhr durchgeführte Atemalkoholkontrolle ergab einen Wert von 0,75 mg/l. Der Kläger und der Zeuge L. bestiegen das Taxi des Herrn T. E. . Als beide nach kurzem Schlaf erwachten, kam es im Bereich Richard-Wagner-Str./ Moltkestraße mit dem Taxifahrer zu einem Streit über die zurückgelegte Strecke bzw. Fahrtrichtung und die Höhe des zu zahlenden Entgelts. Im Verlaufe des Streites wurde ein Notruf abgesetzt. Aufgrund dessen fuhren die Polizeibeamten, die Zeugen PHK D. und PK T1. , zum Einsatzort.

Die Beamten vernahmen den Kläger und den Zeugen L. sowie den Taxifahrer zur Sache. Im Rahmen der Aufnahme des Sachverhalts durch die Beamten entstand - nach Angaben des Klägers - eine Diskussion über die Aufnahme eines Strafantrags. Nach Angaben der Beamten soll der Kläger die Sachverhaltsaufnahme gestört haben. Zwischen den Beteiligten ist ferner streitig, ob gegenüber dem Kläger ein Platzverweis ausgesprochen wurde. Im Weiteren wurden dem Kläger durch die Beamten Handfesseln angelegt und dieser in den Streifenwagen gebracht. Mit dem Streifenwagen wurde der Kläger zum Polizeipräsidium in Köln-Kalk, Walter-Paul-Ring, verbracht und um 5:15 Uhr durch den Polizeigewahrsamsdienst (PGD) in Gewahrsam genommen. Nach Einlieferung wurde der Kläger durch Beamte des PGD zunächst im Durchsuchungszimmer durch Abtasten oberhalb der Kleidung durchsucht. Eine weitere Durchsuchung, bei der der Kläger sich vollständig entkleiden musste, fand anschließend in der Gewahrsamszelle statt. Eine um 8:20 Uhr durchgeführte Atemalkoholkontrolle ergab einen Wert von 0,57 mg/l. Der Kläger wurde um 8:35 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen. In der Einlieferungsanzeige wurde durch den Wachdienstführer der Nachtschicht, den Zeugen POK E1. , u.a. vermerkt, dass der Kläger körperlich durch Beamte des PGD durchsucht worden sei und er (bei Einlieferung) keinen Benachrichtigungswunsch geäußert habe.

In der zum Vorfall gefertigten Strafanzeige wurde durch die Beamten, die Zeugen PHK D. und PK T1. , ausgeführt, der Kläger habe mehrfach und teilweise dauerhaft die polizeilichen Aufgaben behindert und sei mehrfach aufgefordert worden, still zu sein und Abstand zu den aufnehmenden Beamten zu nehmen. Diesen Anordnungen sei der Kläger nicht nachgekommen. Ihm sei daher ein Platzverweis erteilt und er sei aufgefordert worden, sich mindestens 30 Meter in Richtung Aachener Straße zu entfernen. Die Ingewahrsamnahme bei Nichtbefolgung sei angedroht worden. Der Kläger sei nur zwei Meter Richtung Aachener Straße gegangen, habe sich in einem Hauseingang gegen die Wand gelehnt und geäußert, dort stehen zu bleiben. Erneut sei ein Platzverweis erteilt und die Ingewahrsamnahme angedroht worden. Als der Kläger dem wiederum nicht nachgekommen sei, habe man ihn zwecks Durchsetzung des Platzverweises in Gewahrsam genommen und dem PGD zugeführt. Aufgrund der starken Alkoholisierung, der leicht aggressiven Stimmung und des allgemein renitenten Verhaltens des Klägers hätte ein körperlicher Übergriff auf die Beamten nicht ausgeschlossen werden können.

In der Freiheitsentziehungsanzeige führte PHK D. aus, dass gegen den Beschuldigten ein Platzverweis ausgesprochen worden sei, da er stetig den Konflikt mit dem Taxifahrer gesucht habe. Er sei erheblich alkoholisiert und aggressiv gewesen. Der Beschuldigte sei dem Platzverweis wiederholt nicht nachgekommen. Auch die Androhung der Ingewahrsamnahme habe keine Verhaltensänderung bewirkt, so dass mit weiteren Straftaten des Beschuldigten gegen den Taxifahrer habe gerechnet werden müssen. Daher sei die Ingewahrsamnahme erfolgt.

Mit Schreiben vom 25.09.2012 erstattete der Kläger Strafanzeige gegen den Zeugen D. wegen Freiheitsberaubung und Nötigung (83 Js 503/12) und gegen Unbekannt wegen Aussetzung (83 UJs 32/13). Der Kläger führte dazu u. a. aus, am Morgen des 30.06.2012 sei es auf der Fahrt mit dem Taxi zu einem Streit und dabei zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Taxifahrer und dem Zeugen L. gekommen, bei welchen sich der Zeuge L. Hautabschürfungen und ein zerrissenes T-Shirt zugezogen habe. Der Kläger habe den Schlüssel des Taxis an sich genommen, um eine Flucht des Taxifahrers zu verhindern, und versucht, die beiden auseinanderzuhalten. Während der Befragung durch die Polizeibeamten sei es erneut zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Taxifahrer und dem Zeugen L. gekommen, worauf hin er, der Kläger, mit dem Zeugen L. ca. 20 Meter die Straße rauf gegangen sei und versucht habe, diesen zu beruhigen. Er sei dann alleine zurück gekehrt und habe dem Zeugen PHK D. wiederholt mitgeteilt, dass sie noch vor Ort gegen den Taxifahrer Anzeige erstatten wollten. Der Zeuge D. habe jedoch gesagt, sie könnten dies am nächsten Tag auf der Wache tun und er solle mit dem Zeugen L. weggehen. Da er jedoch das Gefühl gehabt habe, der ganze Sachverhalt sei nicht richtig erfasst worden, habe er weiterhin vor Ort auf Anzeigenaufnahme bestanden. PHK D. habe dann geschrien "Gehen Sie". Er habe erwidert, dass er das erst machen werde, wenn die Anzeige aufgenommen sei. Der Zeuge D. habe ihn darauf hin gefragt, ob er sich dem Platzverweis widersetzen würde. Er habe daraufhin nochmals gesagt, dass er auf einer Anzeigenaufnahme bestehe, danach würde er sofort mit dem Zeugen L. nach Hause fahren. Der Kläger führte dazu ferner aus, ein Platzverweis sei nicht ausdrücklich ausgesprochen worden und mit seiner Fesselung seien vor Ort dann sämtliche Maßnahmen abgebrochen worden. Im Polizeigewahrsam sei er in der Zelle von dem Zeugen D. - im Beisein der Beamten des PGD - aufgefordert worden, sich zu entkleiden, da er auf gefährliche Gegenstände kontrolliert werden müsse. Einen Anlass habe es dafür jedoch nicht gegeben. Er habe sich bis auf die Unterhose entkleidet, woraufhin ihn der Zeuge D. aufgefordert habe, auch die Unterhose auszuziehen. Er habe sich geweigert und sich auf die auf dem Boden liegende Gummimatte gelegt. Der Zeuge D. habe ihm sodann mit Gewalt die Unterhose herunter gezogen. Allein in der Zelle habe er dann über die Gegensprechanlage einem Beamten mitgeteilt, dass er seinen Anwalt anrufen wolle. Dies sei ihm verweigert worden. Auf eine weitere Mitteilung über Herzrhythmusstörungen, habe man ebenfalls nicht reagiert. Darüber hinaus sei ihm auch der Vordruck über seine Rechte nach § 4 Polizeigewahrsamsordnung NRW nicht ausgehändigt worden.

In dem - noch laufenden - Strafverfahren gegen den Zeugen D. (83 Js 503/12) wurden zunächst nur die Zeugen L. , E. und PK T1. polizeilich vernommen. Wegen der Zeugenaussagen wird auf die Strafverfahrensakte Bezug genommen. Mit Verfügung vom 27.12.2012 stellte die Staatsanwaltschaft Köln das Verfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO ein und teilte dies dem Kläger mit Bescheid vom selben Tag mit. Der Kläger legte hiergegen am 04.02.2013 Beschwerde ein. Die Beschwerde wurde durch Bescheid des Generalstaatsanwalts Köln vom 02.04.2013 als unbegründet zurückgewiesen. Am 05.05.2013 beantragte der Kläger eine gerichtliche Entscheidung nach§ 172 Abs. 2 StPO. Das OLG Köln teilte der Generalstaatsanwaltschaft mit Schreiben vom 19.06.2013 mit, dass aus dortiger Sicht Anlass zur weiteren Sachverhaltsaufklärung durch Zeugenvernehmung gegeben sei. Die Staatsanwaltschaft Köln nahm daraufhin die Ermittlungen wieder auf. Im Folgenden wurden der Zeuge POK E1. sowie POK D1. , POK X. und Herr E2. D2. sowie der Zeuge PK T1. ergänzend polizeilich vernommen. PHK D. machte zunächst von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und nahm sodann über seinen Rechtsanwalt unter dem 18.10.2013 schriftlich Stellung.

Das Verfahren wegen Aussetzung (83 UJs 32/13) wurde am 17.12.2013 gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine hiergegen erhobene Beschwerde des Klägers wurde durch Bescheid des Generalstaatsanwalts vom 07.03.2014 zurückgewiesen

Das Strafverfahren gegen den Zeugen E. wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung (29 Js 1109/12) wurde am 29.08.2012 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Der Kläger hat am 07.03.2013 Klage erhoben.

Zur Klagebegründung führt er im Wesentlichen ergänzend aus: Während der Sachverhaltsaufnahme durch die Einsatzkräfte habe PHK D. dem Zeugen L. einen Strafantragsverzicht zur Unterschrift gereicht, obwohl dieser wiederholt erklärt habe, dass er Anzeige erstatten wolle. Er habe diesen Täuschungsversuch bemerkt und lediglich den Strafantragswillen des Zeugen L. deutlich machen wollen und auf Aufnahme vor Ort bestanden. Ein Platzverweis sei nicht klar und deutlich ausgesprochen worden und die Ingewahrsamnahme zu Unrecht erfolgt. Hinweise auf ein aggressives Verhalten seiner Person gebe es weder in der Strafanzeige noch in der Aussage des Taxifahrers. Der bei ihm gemessene Alkoholwert sei auch nicht exorbitant hoch gewesen, so habe auch die Polizei keine Notwendigkeit für eine ärztliche Untersuchung gesehen. Die Ingewahrsamnahme sei darüber hinaus schon wegen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt rechtswidrig. Bei der Prognose über den Entlassungszeitpunkt habe man von dem minimalen Abbauwert in Höhe von 0,1 Promille pro Stunde und damit von 10:15 Uhr als Entlassungszeit ausgehen müssen. Ab 6:00 Uhr sei beim AG Köln laut Geschäftsverteilungsplan der Eildienst eingerichtet. Eine richterliche Entscheidung hätte daher umgehend eingeholt werden müssen. Des Weiteren sei zu Unrecht eine Untersuchung und nicht nur eine Durchsuchung durchgeführt worden. Jedenfalls aber sei das geforderte vollständige Entkleiden unverhältnismäßig, da es an konkreten Anhaltspunkten für das Auffinden von gefährlichen Gegenständen am Körper gefehlt habe. Die Kontaktaufnahme mit einer Vertrauensperson habe man ihm verweigert, die Belehrung über die Rechte im Polizeigewahrsam nicht ausgehändigt.

Der Kläger beantragt, festzustellen,

1.) dass die Ingewahrsamnahme am 30.06.2012 rechtswidrig war, hilfsweise festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme über den nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW bezeichneten Zeitpunkt hinaus rechtswidrig war,

2.) dass die Durchsuchung des Genital- und Intimbereichs des Klägers im Polizeigewahrsam rechtswidrig war,

3.) dass es rechtswidrig war, dass der Beklagte dem Kläger trotz seines Wunsches keine Gelegenheit gegeben hat, nach § 37 Abs. 2 PolG NRW eine Vertrauensperson über die Ingewahrsamnahme zu unterrichten,

4.) dass die Nichtaushändigung der Belehrung entgegen § 4 Polizeigewahrsamsordnung NRW rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte führt aus, es ergäben sich vorliegend Gewahrsamsgründe nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 PolG NRW. Denn nach den übereinstimmenden Angaben der Zeugen PHK D. und PHK T1. sei ein Platzverweis mehrfach deutlich ausgesprochen worden. Der Kläger sei dem jedoch nicht nachgekommen, sondern habe sich nur zwei Meter weiter in einen Hauseingang gestellt. Einer erneuten Aufforderung, ein Stück weiter zu gehen, sei der Kläger trotz angedrohter Ingewahrsamnahme wiederum nicht nachgekommen. Der Kläger habe die polizeilichen Amtshandlungen renitent gestört und sich nachhaltig hartnäckig geweigert, dem Platzverweis Folge zu leisten. Aufgrund der starken Alkoholisierung, des allgemein renitenten Verhaltens, seiner aggressiven Stimmung und des verbalen Angehens gegen den Taxifahrer habe ein körperlicher Übergriff des Klägers auf die Beamten und den Taxifahrer nicht ausgeschlossen werden können. Grund für die Aggressivität des Klägers sei die von ihm angenommene Täuschung über einen Strafantragsverzicht gewesen. Selbst wenn der Zahlstreit nur zwischen dem Zeugen L. und dem Taxifahrer zu Handgreiflichkeiten geführt habe, so sei jedoch während des Einsatzes der Beamten die Aggressivität vom Kläger ausgegangen. Daher sei mit Straftaten des Klägers bzw. Ordnungswidrigkeiten von erheblichem Gewicht auch gegenüber Dritten zu rechnen gewesen. Die Durchsuchung des Klägers im Gewahrsam habe dem Selbstschutz der Beamten und dem Schutz des Klägers gedient. Ein erhöhtes Risiko habe aufgrund der Alkoholisierung des Klägers bestanden. Im Hinblick auf das Gewicht der gefährdeten Rechtsgüter Leib und Leben dürfe die Eingriffsschwelle auch nicht zu hoch angesetzt werden, bloße Verdachtsmomente müssten daher ausreichend sein. Nur ein Abtasten des bekleideten Körpers hätte zudem die Gefahr nicht ausgeschlossen, kleinere gefährliche Gegenstände nicht zu finden.

Der Kläger habe nicht den Wunsch geäußert, einen Rechtsanwalt zu kontaktieren. Es sei ferner davon auszugehen, dass dem Kläger - wie im Regelfall üblich - eine Rechtsmittelbelehrung entweder bei Einlieferung oder bei Entlassung ausgehändigt worden sei. Auch ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt sei nicht gegeben. Vor dem Hintergrund des bei Einlieferung festgestellten Alkoholwertes sei von einer Entlassung des Klägers nach zwei bis fünf Stunden auszugehen gewesen. Bei Zugrundelegung der üblichen Reaktions- und Anfahrtzeiten an einem frühen Samstagmorgen und unter Einbeziehung der für die Entscheidungsfindung erforderlichen Zeit sei mit einer Entscheidung innerhalb der prognostizierten Gewahrsamszeit nicht zu rechnen gewesen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind die Beamten PHK D3. , PK T2. und POK E3. sowie Herr E4. L1. als Zeugen zu den Vorgängen am 30.06.2012 vernommen worden. Bezüglich ihrer Angaben wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.11.2014 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten und der beigezogenen Strafakten 83 Js 503/12, 83 UJs 32/13 und 29 Js 1109/12 (Staatsanwaltschaft Köln) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die Klage ist hinsichtlich der Anträge zu 1) bis 3) zulässig, im Übrigen ist sie bereits unzulässig.

Der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO ist bezüglich sämtlicher Streitgegenstände eröffnet. § 36 Abs. 2 Satz 1 PolG NRW, wonach für die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung die Amtsgerichte zuständig sind, findet keine Anwendung. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten bleibt weiter eröffnet, wenn eine amtsgerichtliche Entscheidung nach § 36 Abs. 2 Satz 1 PolG NRW - wie hier - nicht beantragt wurde und der Kläger nachträglich die Feststellung der Rechtswidrigkeit begehrt.

Vgl. schon OVG NRW, Urteil vom 3. November 1989 - 5 A 886/88 -, NWVBl 1990, 388;

Des Weiteren besteht hinsichtlich der Anträge zu 1) bis 3) auch ein Fortsetzungs- bzw. -feststellungsinteresse. Denn insoweit handelt es sich um kurzfristig sich erledigende polizeiliche Maßnahmen bzw. erhebliche Eingriffe in grundgesetzlich besonders geschützte Rechtspositionen des Klägers.

Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme ergibt sich bezüglich der Ingewahrsamnahme bereits aus dem Eingriff in das Grundrecht des Klägers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Der Eingriff in die Freiheit einer Person ist ein tiefgreifender Grundrechtseingriff, der regelmäßig dem Richter vorbehalten ist (Art. 104 Abs. 2 GG). Hinsichtlich der Durchsuchung ergibt sich das Feststellungsinteresse darüber hinaus aus dem Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht. Bezüglich dieser Maßnahmen besteht für den Kläger zudem ein Rehabilitationsinteresse. Hinsichtlich der behaupteten Verweigerung einer Kontaktaufnahme mit einer Vertrauensperson wird ebenfalls eine Rechtsverletzung von einigem Gewicht geltend macht, vgl. Art. 104 Abs. 4 GG, so dass ein berechtigtes Feststellungsinteresse auch insoweit gegeben ist.

Hinsichtlich des Antrags zu 4) ist die Klage jedoch bereits unzulässig. Ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit lässt sich insoweit weder aus einem erheblichen Grundrechtseingriff oder einer Wiederholungsgefahr noch aus dem Wunsch nach Rehabilitation ableiten. Die durch die behauptete Nichtaushändigung der Belehrung entgegen § 4 Polizeigewahrsamsordnung NRW allenfalls gegebene geringe Beeinträchtigung reicht nicht aus, um eine nachträgliche richterliche Beurteilung der Maßnahme zu rechtfertigen.

Die Klage ist hinsichtlich der Anträge zu 1) und 2) in ganz überwiegendem Maße begründet, hinsichtlich des Antrags zu 3) ist sie unbegründet.

Die Ingewahrsamnahme des Klägers am 30.06.2012 durch die Einsatzkräfte des Beklagten war bis zum Zeitpunkt seines Abtransportes vom Einsatzort (Richard-Wagner-Straße/Moltkestraße) rechtmäßig. Die weitergehende Ingewahrsamnahme des Klägers stellt sich hingegen als rechtswidrig dar.

Als Rechtsgrundlage für die Polizeimaßnahme kommt hier § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW in Betracht. Nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn das unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 34 PolG NRW durchzusetzen.

Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass gegenüber dem Kläger durch die Einsatzkräfte des Beklagten zu Recht ein Platzverweis im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW erteilt wurde, dem der Kläger nicht nachgekommen ist. Die Ingewahrsamnahme bis zum Zeitpunkt des Abtransportes war hier auch unerlässlich, um den Platzverweis durchzusetzen.

Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW kann die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Der Platzverweis, der grundsätzlich nur vorübergehenden Charakter haben kann, ist ein Verwaltungsakt, der mündlich oder in Form von Zeichen ergehen kann.

Eine das Einschreiten der Polizei nach § 34 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW rechtfertigende Gefahr ist bei einer Sachlage oder einem Verhalten gegeben, bei der oder bei dem bei ungehindertem Ablauf des zu erwartenden Geschehens im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird. Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind die objektive Rechtsordnung, alle Individualrechtsgüter, die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen und sonstige kollektive Schutzgüter.

Der Platzverweis erfolgte hier aufgrund von Störungen der polizeilichen Sachverhaltsaufnahme durch den Kläger. Störungen polizeilicher Amtshandlungen können bereits für sich genommen eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorrufen. Soweit die Polizei Aufgaben der Gefahrenabwehr wahrnimmt, kann der Störer auf der Grundlage des § 34 PolG NRW fortgewiesen werden. Der Beklagte beruft sich vorliegend auf ein präventives Handeln der Einsatzkräfte. Die Beamten haben vor Ort den Sachverhalt aufgenommen bzw. eine Strafanzeige wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung zum Nachteil des Zeugen L1. gefertigt. In der Sache ist aber jedenfalls auch von einem Handeln zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur Vermeidung weiterer Übergriffe zwischen den am Zahlstreit Beteiligten, auszugehen.

Zur Überzeugung der Kammer spricht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hier Überwiegendes dafür, dass der Kläger mit großer Beharrlichkeit wiederholt die sich schwierig gestaltende Sachverhaltsaufnahme der Beamten gestört hat; daraufhin ausgesprochenen Platzverweisen ist er nicht nachgekommen. Die Zeugen PHK D3. und PK T2. haben insoweit übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass die Sachverhaltsermittlung- bzw. aufnahme vor Ort - aufgrund der Sprachschwierigkeiten des Taxifahrers E5. , der Alkoholisierung des Klägers und des Zeugen L1. und der aufgeheizten Stimmung wegen des Zahlstreits - äußerst schwierig gewesen sei. Es habe ein großes Durcheinander und viel Geschrei gegeben. Sie hätten versucht, die Parteien zwecks Befragung voneinander zu trennen. Sowohl der Kläger als auch der Zeuge L. seien verbal aggressiv gewesen. Der Kläger sei sehr unruhig gewesen, habe intensiv gestikuliert, zudem während der Befragung des Zeugen L. und des Taxifahrers immer wieder dazwischen gesprochen und dadurch die Sachverhaltsermittlung gestört. Bestätigt wird dies durch die Angaben des Taxifahrers E5. im Rahmen der polizeilichen Vernehmung vom 12.12.2013, der angab, der Kläger sei gegenüber der Polizei aggressiv gewesen, habe laut geschimpft und die Polizei immer wieder gestört. Der Kläger selbst hat dazu eingeräumt, dass er die Beamten mehrfach angesprochen habe, um eine korrekte Sachverhaltsaufnahme zur erreichen und wiederholt darum gebeten habe, dass ein Strafantrag noch vor Ort aufgenommen wird. Der im Rahmen der Gesamtwürdigung hier gewonnene Eindruck von einer großen Beharrlichkeit, Intensität und auch verbalen Aggressivität in diesem Verhalten des Klägers bzw. in der Art und Weise der Verfolgung seines Anliegens gegenüber den Beamten erklärt sich auch aus seinem eigenen Vorbringen. Denn der Kläger hat angenommen, dass es zunächst einen Täuschungsversuch bezüglich einer Strafantragsverzichtserklärung gegenüber dem Zeugen L. gegeben habe.

Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie der Gesamtwürdigung der Geschehnisse und des Vorbringens ferner zu der Überzeugung gelangt, dass die Zeugen D3. und T2. den Kläger aufgrund des vorbenannten Verhaltens wiederholt aufgefordert haben, den Einsatzort zu verlassen und ihm die Ingewahrsamnahme angedroht haben. Die Zeugen D3. und T2. haben glaubhaft und schlüssig ausgeführt, dass der Kläger in verständlicher Weise erfolglos aufgefordert wurde, sich bis zu einer bestimmten Hausecke, ca. 20-30 m weit vom Einsatzort, zu entfernen und sich ruhig zu verhalten. Er habe sich nur wenige Meter weiter in einen Hauseingang begeben und von dort unverändert auf die Beamten bzw. die Sachverhaltsaufnahme eingewirkt. Einer nochmaligen Aufforderung, sich weiter zu entfernen, sei der Kläger nicht gefolgt.

Der Kläger selbst räumt dazu ein, dass er aufgefordert worden sei zu gehen und gefragt worden sei, ob er sich dem Platzverweis widersetze, ferner dass er sich nur einige Meter weiter in einen Hauseingang gestellt und den Beamten von dort wiederholt mitgeteilt habe, dort stehen bleiben zu wollen, bis die Befragung beendet sei, um dann einen Strafantrag zu stellen. Insgesamt muss danach angenommen werden, dass der Kläger den polizeilichen Anordnungen nicht nachgekommen ist, so dass letztlich die Ingewahrsamnahme durch Anlegen von Handfesseln und Verbringen des Klägers in den Streifenwagen erfolgte. Die Angaben des Zeugen L. führen zu keiner anderen Bewertung. Der Zeuge räumte alkoholbedingte Erinnerungslücken ein und konnte sich vornehmlich nur noch an ihn selbst betreffende Vorgänge erinnern.

Der Platzverweis war wegen der anzunehmenden Störung der Amtshandlungen auch erforderlich und geboten; Ermessenfehler sind nicht ersichtlich.

Zur Durchsetzung des Platzweises war die Ingewahrsamnahme des Klägers - bis zum Zeitpunkt seines Abtransportes vom Einsatzort - auch unerlässlich.

Gewahrsam ist ein mit hoheitlicher Gewalt hergestelltes Rechtsverhältnis, kraft dessen eine Person die Freiheit in der Weise entzogen ist, dass sie von der Polizei gehindert wird, sich fortzubegeben. Der Gewahrsam beginnt mit der Freiheitsentziehung. So ist auch das Festhalten im Streifenwagen ebenso Gewahrsam, wie der zwangsweise Aufenthalt auf der Polizeiwache.

Tegtmeyer/ Vahle, PolG NRW, 10. Auflage 2011, § 35 Rn. 18; Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage, S. 453/454, E 495,496.

Die Ingewahrsamnahme begann demnach hier mit der Verbringung des Klägers in den Streifenwagen. Sie war zur Durchsetzung des ausgesprochenen Platzverweises des Klägers auch notwendig. Denn zum einen hat sich der Kläger wiederholt geweigert, dem Platzverweis nachzukommen, zum anderen spricht Überwiegendes dafür, dass im Zeitpunkt der Verbringung des Klägers in den Streifenwagen die Amtshandlungen der Polizeibeamten vor Ort noch nicht vollständig beendet waren. Dies ergibt sich aus den eindeutigen Angaben des Taxifahrers E5. . Dieser hat im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, dass die Polizisten den Kläger in den Streifenwagen gesetzt, ihn eingeschlossen und die Sache zu Ende aufgenommen und ihm dann gesagt haben, dass er fahren könne. Es besteht kein Anlass, an dieser eindeutigen Aussage des Taxifahrers zu zweifeln, zumal insoweit weder eine Be- noch eine Entlastungstendenz in die eine oder andere Richtung erkennbar ist. Den Aussagen der Zeugen D3. und T2. ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen, vielmehr meinte der Zeuge T2. sich auch in diesem Sinne zu erinnern. Der Kläger hatte dem nichts Überzeugendes entgegenzusetzen.

Die Ingewahrsamnahme des Klägers war jedoch ab dem Zeitpunkt seines Abtransportes vom Einsatzort (Richard-Wagner-Straße/Moltkestraße) rechtswidrig. Ein Gewahrsamsgrund war insoweit nicht mehr erkennbar.

Nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW ist die festgehaltene Person zu entlassen, sobald der Grund für die Maßnahme weggefallen ist. Dies war hier mit Beendigung der Sachverhaltsaufnahme vor Ort der Fall. Ein weiteres Festhalten des Klägers war demnach auf Grund von § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW nicht gerechtfertigt.

Die weitergehende Ingewahrsamnahme des Klägers war auch nicht aufgrund von § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW gerechtfertigt. Danach kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehenden Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern.

Angesichts der Intensität des mit der Ingewahrsamnahme verbundenen Eingriffs ist es erforderlich, dass im konkreten Fall nachvollziehbare Tatsachen vorliegen, die zu der Gewissheit führen, dass der Schaden sofort oder in allernächster Zeit eintritt.

Lisken/ Denninger, Handbuch des Polizeirechts, S. 459, E 511.

Daran fehlt es hier. Das Vorliegen der Voraussetzungen von § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW wurde durch den Beklagten nicht substantiiert und nachvollziehbar dargetan.

In der am 30.06.2012 gefertigten Strafanzeige wurde durch die Zeugen D3. und T2. die Notwendigkeit der Verhinderung von Straftaten als Gewahrsamsgrund nicht dokumentiert. Soweit der Zeuge D3. im Gegensatz dazu in der Freiheitsentziehungsanzeige vom selben Tag als Begründung drohende Straftaten des Klägers gegen den Taxifahrer angegeben und dazu ausgeführt hat, der Kläger sei den Taxifahrer unentwegt verbal angegangen, hat er im Rahmen seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung daran nicht mehr festgehalten. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass der Zeuge im Rahmen der Freiheitsentziehungsanzeige die handelnden Personen schlicht verwechselt hat. Auch der Zeuge T2. vermochte in der mündlichen Verhandlung - wie auch schon zuvor in seinen polizeilichen Vernehmungen - keine konkreten tatsächlichen Angaben für die Prognose anführen, der Kläger werde sich nach Beendigung des Polizeieinsatzes dem Taxifahrer bzw. Dritten gegenüber nicht friedfertig verhalten, so dass eine Ingewahrsamnahme zur Verhinderung von Straftaten, insbesondere Körperverletzungs- und Sachbeschädigungsdelikten, aus präventiven Gründen erforderlich und verhältnismäßig war. Selbst wenn man vorliegend eine verbal aggressive Reaktion des Klägers auf die polizeiliche Sachverhaltsermittlung annimmt, ist nicht erkennbar, dass und inwiefern sich daraus der Schluss auf das Drohen der Begehung von Straftaten gegenüber dem Taxifahrer bzw. Dritten hätte ziehen lassen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger an der vorangegangenen körperlichen Auseinandersetzung mit dem Taxifahrer beteiligt war, sind nicht erkennbar und vom Beklagten auch nicht behauptet. Ebenso wenig erkennbar ist, dass der Kläger in Anwesenheit der Polizisten den Taxifahrer wiederholt verbal angegangen ist. Dafür spricht schließlich auch die unmissverständliche Aussage des Taxifahrers selbst. Denn der Taxifahrer gab an, dass es ein Wortgefecht mit dem Mann, der mit ihm geschimpft habe, auch noch nach Eintreffen der Polizei gegeben habe. Der Mann, der mit ihm geschimpft habe, sei jedoch nicht mitgenommen worden, sondern der Mann, der die Polizei gestört habe.

Soweit vom Beklagten darauf abgestellt wird, dass der Kläger nicht nur in einer aggressiven Stimmung die Arbeit der Polizisten behindert haben, sondern zudem in nicht geringem Maße alkoholisiert war, ist auch insoweit mangels konkreter Angaben nicht erkennbar, was dafür spricht, dass der Kläger sich außerhalb des Polizeigewahrsams nicht friedlich verhalten hätte.

§ 35 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW kommt als Rechtsgrundlage für die weitergehende Ingewahrsamnahme ebenfalls nicht in Betracht. Es ist nach Aktenlage nicht ersichtlich und zwischen den Beteiligten auch unstreitig, dass sich der Kläger nicht in einem die freie Willensentschließung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befand und demnach der Schutzgewahrsam gerechtfertigt gewesen wäre.

Die weitere Ingewahrsamnahme stellt sich darüber hinaus wegen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt als rechtswidrig dar.

Nach Art. 104 Abs. 2 GG hat nur der Richter über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung zu entscheiden. Diese verfassungsrechtliche Anforderung findet ihre einfachgesetzliche Konkretisierung in § 36 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW. Danach hat die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, wenn eine Person wie vorliegend aufgrund von § 35 PolG NRW festgehalten wird.

Der Begriff unverzüglich ist hier dahin auszulegen, dass die grundsätzlich vor der Freiheitsentziehung einzuholende richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss. Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind.

Vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 13.12. 2005 - 2 BvR 447/05 -, juris.

Die Polizei hat einen Antrag auf richterliche Entscheidung hier zu Unrecht nicht gestellt.

Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nach § 36 Abs. 1 Satz 2 PolG NRW zwar dann nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde, d.h. wenn die Entscheidung erst nach dem prognostizierten Entlassungszeitpunkt zu erwarten ist. Von der Polizei wird insoweit ein geschätzter Zeitvergleich verlangt, hinsichtlich der voraussichtlich zu erwartenden Dauer der polizeiliche Maßnahme und der richterlichen Entscheidung. Die Einholung einer richterlichen Entscheidung soll nicht zur Verlängerung des Gewahrsams führen.

Vorliegend war jedoch davon auszugehen, dass eine richterliche Entscheidung innerhalb der prognostizierten Gewahrsamszeit hätte herbeigeführt werden können. Die Ingewahrsamnahme sollte nach Beklagtenangaben bei einem Atemalkoholwert des Klägers von unter 0,5 mg/l enden. Kurz nach der Einlieferung des Klägers um 5:20 Uhr lag der Atemalkoholwert bei 0,75 mg/l. Unter Zugrundelegung eines Abbauwertes von 0,1 Promille pro Stunde war hier von einer Entlassung des Klägers spätestens nach fünf Stunden, also erst gegen 10:20 Uhr auszugehen, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Ausgehend von einer Erreichbarkeit des richterlichen Eildienstes beim Amtsgericht Köln an dem Samstagmorgen ab 6:00 Uhr, war zu erwarten, dass eine Entscheidung innerhalb von 4 Stunden hätte herbeigeführt werden können. Da Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung insoweit allein die polizeiliche Prognoseentscheidung ist, war der tatsächliche Entlassungszeitpunkt hier nicht relevant.

Die im Polizeigewahrsam gem. § 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW durchgeführte körperliche Durchsuchung des Klägers stellt sich ebenfalls als rechtswidrig dar.

Nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW kann die Polizei eine Person durchsuchen, wenn sie nach diesem Gesetz festgehalten werden kann. Voraussetzung ist demnach eine rechtmäßige Ingewahrsamnahme.

Durchsuchung einer Person ist die Suche nach Gegenständen, die eine Person in ihrer am Körper getragenen Kleidung, am Körper selbst oder in ohne weiteres zugänglichen Körperöffnungen (Mund, Nase, Ohren) mit sich führt. Dementsprechend umfasst sie die Suche in am Körper befindlichen Kleidungsstücken, das Abtasten des bekleideten Körpers und gegebenenfalls auch die Nachschau am unbekleideten Körper und in den ohne weiteres zugänglichen Körperöffnungen. Demgegenüber handelt es sich bei der Nachschau nach Gegenständen im Körperinnern und zwar auch in nicht ohne weiteres zugänglichen Körperöffnungen (After, Scheide) um von § 39 PolG NRW nicht mehr erfasste Untersuchungen,

vgl. dazu OVG des Saarlandes, Urteil vom 30.11.2007 - 3 R/06; VGH München, Beschluss vom 16.7.1998 - 24 ZB 98.850 -; Juris.

Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die hier umstrittene Maßnahme als Durchsuchung einzustufen. Sie beschränkte sich auf die Suche nach Gegenständen in den Kleidungsstücken des Klägers und die Nachschau an seinem Körper.

Der Umstand, dass im Rahmen einer Durchsuchung ein Entkleiden gefordert wird, mag zwar das Gewicht des mit der umstrittenen Maßnahme verbundenen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des in Anspruch Genommenen bestimmen, vermittelt der Maßnahme selbst aber nicht die Qualität einer Untersuchung, da - wie dargelegt - der Durchsuchungsbegriff auch die Nachschau am unbekleideten Körper umfasst und eine die Untersuchung kennzeichnende Suche nach dem Vorhandensein sicherstellungsfähiger Gegenstände im Körperinnern einschließlich der nicht ohne weiteres zugänglichen Körperöffnungen hier unstreitig gerade nicht stattgefunden hat. Kommt eine Person der polizeilichen Aufforderung, sich zu entkleiden nicht freiwillig nach, kann zur Durchsetzung der Maßnahme auch unmittelbarer Zwang angewendet werden.

Zwar spricht einiges dafür, dass körperliche Durchsuchungen, einschließlich der Nachschau am unbekleideten Körper bei Einlieferung in den Polizeigewahrsam auch dem Grunde nach verhältnismäßig sind, wenn sie zum Schutz der in Gewahrsam genommenen Person selbst und zum Schutz der Beamten des Gewahrsamsdienstes vor Gefahren für Leib und Leben geboten erscheinen. Ob diese Voraussetzungen allerdings generell vorliegen, kann ohne nähere Kenntnis der tatsächlichen Grundlagen dieser Einschätzung in qualitativer und quantitativer Hinsicht nicht beurteilt werden. Diese Frage ist vorliegend auch nicht streitentscheidend und bedarf daher keiner abschließenden Bewertung.

Denn rechtswidrig war die Durchsuchung des Klägers hier bereits deshalb, weil eine Durchsuchung auf der Grundlage von § 39 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW eine rechtmäßige Ingewahrsamnahme voraussetzt. Daran fehlt es hier.

Soweit der Kläger im Übrigen beantragt hat, festzustellen, dass ihm entgegen § 37 Abs. 2 PolG NRW die erbetene Kontaktaufnahme einer Vertrauensperson verweigert wurde, ist die Klage unbegründet.

Der Kläger hat dazu ausgeführt, er habe kurz nach der Durchsuchung aus der Zelle heraus über die Gegensprechanlage den Wunsch geäußert, einen Rechtsanwalt zu kontaktieren. Vorliegend ergeben sich jedoch auf der Grundlage der Einlieferungsanzeige vom 30.06.2012 und der Angaben des Zeugen POK E3. keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger eine erbetene Kontaktaufnahme verweigert wurde.

Bei Einlieferung des Klägers im PGD des Beklagten war der Zeuge E3. der zuständige Wachdienstführer des bis 6:00 Uhr währenden Nachtdienstes. Der Zeuge war damit insbesondere zuständig für die Erstellung der Einlieferungsanzeige. In der Einlieferungsanzeige, dem Protokoll über die Einlieferung bzw. Aufnahme im PGD, wurde in der Rubrik "Benachrichtigung von Angehörigen etc." durch den Zeugen handschriftlich vermerkt, dass der Kläger keinen (Benachrichtigungs-)Wunsch geäußert habe. Im Rahmen seiner Vernehmung in der mündlichen Verhandlung konnte sich der Zeuge zwar an den konkreten Vorgang nicht mehr erinnern, er hat jedoch anschaulich und nachvollziehbar Angaben zu den üblichen Arbeitsabläufen im PGD gemacht. Danach sei sichergestellt, dass die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit Angehörigen angesprochen werde, auch wenn es einen genauen Zeitpunkt dafür gebe nicht gebe; gegebenenfalls könne auch erst nach einer gewissen Ausnüchterung des in Gewahrsam Genommenen dieser Punkt angesprochen werden. Er selbst sei anwesend bei der ersten Durchsuchung im Durchsuchungszimmer. Zudem habe er seine Mitarbeiter immer angehalten, besondere Ereignisse zum Zwecke der Dokumentation zu melden. Um dies zu gewährleisten, beteilige er sich regelmäßig an den Aufgaben seiner Mitarbeiter. Die Kammer hat danach den Eindruck gewonnen, dass der Zeuge seinen Aufgabenbereich gut organisiert und die Arbeitsabläufe sowie die Aufgabenwahrnehmung durch seine Mitarbeiter/Wachmannschaft gut im Blick hat. Vor diesem Hintergrund ist mangels entgegenstehender konkreter Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Kläger - wie im Protokoll dokumentiert - tatsächlich keinen Kontaktwunsch geäußert hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.