VG Wiesbaden, Urteil vom 14.11.2012 - 4 K 877/12.WI
Fundstelle
openJur 2015, 1069
  • Rkr:

Zu den informationspflichtigen Stellen nach § 2 HUIG

Tenor

Der Bescheid des Hessischen Ministeriums für Justiz, Integration und Europa vom 27.12.2011 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 25.11.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin zählt zu den führenden Strom- und Gasanbietern in Europa.

Mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid vom 27. Dezember 2011 lehnte das beklagte Land den Antrag der Klägerin auf Zugang zu allen Informationen, die im Zusammenhang mit der Erarbeitung, Beratung und Verabschiedung des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011 stehen und über die das beklagte Land verfügt wegen Fehlens der rechtlichen Voraussetzungen des § 3 HUIG ab.

Mit der am 26. Juli 2012 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin das Ziel folgende Unterlagen zu erhalten weiter:

•Hausinterne Gutachten, Stellungnahmen, Vermerke, Protokolle und Berechnungen,

•Gesetzesentwürfe und dazugehörige Begründungen,

•Vorlagen an die Behördenleitung,

•Gutachten und Stellungnahmen von dritter Seite,

•Korrespondenz innerhalb Ihres Hauses, mit anderen Behörden des Freistaates Bayern, anderer Bundesländer und des Bundes, mit den Organen der Gesetzgebung und mit Dritten sowie

•Entwürfe und Notizen, die Bestandteil des Vorgangs sind.

Die Klägerin ist der Meinung, dass sie gemäß § 3 Abs. 1 HUIG einen Anspruch auf freien Zugang zu allen mit ihrem Antrag begehrten Informationen habe und Ausschlussgründe gemäß §§ 7 und 8 HUIG nicht vorlägen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 27. Dezember 2011, Az.: 7018 – II/C2 – 2011/12851 II/A aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin den beantragten Zugang zu Umweltinformationen im Zusammenhang mit der 13. AtG-Novelle zu gewähren.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird vorgetragen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zugang zu Umweltinformationen nach § 3 Abs. 1 HUIG nicht vorlägen. Das Justizministerium sei, soweit es um die Arbeit im Bundesrat gehe, Teil eines Legislativorgans und deshalb auf Dauer keine informationspflichtige Stelle. Rein vorsorglich und ergänzend wird geltend gemacht, dass der Antrag nach § 7 HUIG abzulehnen sei.

Für weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist auch begründet, denn das beklagte Land ist gemäß § 3 Abs. 1 HUIG grundsätzlich verpflichtet, der Klägerin auf ihren Antrag hin Zugang zu allen Unterlagen, die im Zusammenhang mit Erarbeitung, Beratung und Verabschiedung der 13. AtG-Novelle beim Beklagten vorhanden sind, zu gewähren, insbesondere in die in diesem Antrag genannten Unterlagen.

Ausgenommen sind lediglich Informationen, die dem Schutz der §§ 7 und 8 HUIG unterliegen. Da das beklagte Land aber bisher weder die nach diesen Vorschriften notwendigen überprüfbaren Einzelfallentscheidungen noch die gesetzlich vorgesehenen Abwägungsentscheidungen getroffen hat und auch ggfs. erforderliche Anhörungen Betroffener nicht erfolgt sind, ist die Sache nicht spruchreif. Die Spruchreife kann auch durch das Gericht nicht hergestellt werden, so dass nicht „durchentschieden“ werden kann, sondern „nur“ ein Bescheidungsurteil ergehen darf (§ 113 Abs. 5 VwGO).

Rechtsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 3 Abs. 1 HUIG. Nach dieser Vorschrift hat jede Person nach Maßgabe dieses Gesetzes Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen, über die die informationspflichtige Stelle, vorliegend eine oberste Landesbehörde, verfügt, ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.

Einen Anspruch auf Informationszugang nach dieser Vorschrift hat jede Person, also auch die Klägerin, eine juristische Person des Privatrechts. Bei den begehrten Informationen über Erarbeitung, Beratung und Verabschiedung der 13. AtG-Novelle handelt es sich auch um Umweltinformationen. Die Umweltauswirkungen der 13. AtG-Novelle zum „Atomausstieg“ sind evident. Dies ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig.

Das Hessische Ministerium der Justiz, für Integration und Europa ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut als oberste Landesbehörde informationspflichtige Stelle gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HUIG der an zweiter Stelle nach der Landesregierung die Behörden des Landes als informationspflichtige Stellen benennt. Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens gilt auch der Ausschluss von der Informationspflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HUIG nicht mehr (vgl. BVerwG Urteil vom 02.08.2012, 7 C 7/12 und EuGH, Große Kammer, Urteil vom 14.02.2012,, C-204/09).).

Oberste Landesbehörden sind auch nicht dann, wie das beklagte Land meint, auf Dauer keine informationspflichtigen Stellen, wenn sie vorbereitende Arbeiten für die Mitwirkung des Landes an der Bundesgesetzgebung im Bundesrat (Art. 50 ff. GG) erledigen. Durch solche Tätigkeiten mutiert ein Ministerium als reines Exekutivorgan nicht zu einer Stelle mit gesetzgeberischen Eigenschaften, die keiner Informationspflicht unterläge. Gesetzgebungsorgan ist nach Art. 51 Abs. 1 GG der Bundesrat, der aus von den Regierungen der Länder bestellten Mitgliedern besteht. Auch im Zusammenhang mit der Tätigkeit der obersten Landesbehörden im Rahmen der Gesetzgebung des Bundes und der Vorbereitung von Entscheidungen im Bundesrat gilt danach, dass der mit der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 HUIG bezweckte ordnungsgemäße Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens mit dessen Abschluss nicht mehr beeinträchtigt werden kann, sie nach Abs. 1 der Vorschrift dann wieder informationspflichtige Stellen sind. Die Tätigkeit der obersten Landesbehörden im Rahmen der Bundesratsarbeit unterscheidet sich bezüglich ihrer Schutzwürdigkeit gegenüber Veröffentlichungen und auch sonst qualitativ nicht von der Tätigkeit im Rahmen der Gesetzgebung des Landes. Schutzwürdige Belange werden durch die Ausnahmevorschriften der §§ 7 und 8 HUIG in vollem Umfang berücksichtigt.

Der Informationsanspruch wird vorliegend auch gegenüber einer obersten Landesbehörde und nicht gegenüber der Landesregierung beantragt und geltend gemacht, so dass im vorliegenden Verfahren nicht darüber zu entscheiden ist, ob die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 HUIG ebenfalls als informationspflichtige Stelle aufgeführte Landesregierung im Rahmen der Bundesratstätigkeit wegen des Stimmrechts der von ihr in dieses Gesetzgebungsorgan entsandten Mitglieder dauerhaft nicht als informationspflichtige Stelle einzustufen ist.

Soweit sich das beklagte Land hilfsweise auf die Ausschlussgründe der §§ 7 und 8 HUIG, insbesondere die Vertraulichkeit der Beratungen (§ 7 Abs. 1 Satz 1Nr. 2 HUIG) der informationspflichtigen Stellen und den Schutz interner Mitteilungen (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 HUIG) beruft, ist eine Überprüfung, ob die Voraussetzungen dieser Vorschriften vorliegen, schon deshalb nicht möglich, weil seitens des Beklagten nicht einmal eine Auflistung der vorhandenen Informationen vorgelegt wurde. Die Zusammenstellung und Herausgabe einer solchen Liste der vorhandenen Einzeldokumente (Angabe von Akte mit Blattzahl, Datum des Dokuments und Betreff) ist ohne Verletzung schutzwürdiger Zurückhaltungsinteressen möglich und zwingende Voraussetzung für die Überprüfung der nach §§ 7 und 8 HUIG vom Beklagten zu treffenden Entscheidungen. Denn nur anhand einer solchen Liste kann geprüft werden, ob bezogen auf das konkrete zur Herausgabe verweigerte Dokument die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 oder 8 HUIG vorliegen. Pauschale Behauptungen des Beklagten ohne Bezug zu konkreten Dokumenten genügen nicht. Auch soweit sich das beklagte Land beispielsweise auf Normen zur Vertraulichkeit (§ 16 Abs. 3 Satz 1 GOL, § 37 Abs. 2 Satz 2 GOBR und § 44 Abs. 2 GOBR) beruft, muss zumindest angegeben werden, welche Dokumente unter Berufung auf diese Bestimmungen nicht herausgegeben werden.

Für die nun vom beklagten Land zu treffenden Einzelentscheidungen gilt:

Es ist für jedes vorhandene Dokument zu prüfen, zu entscheiden und zu begründen, ob und welche tatbestandlichen Voraussetzungen von Ausschlussgründen vorliegen. Diese Ausnahmegründe der §§ 7 und 8 HUIG sind eng auszulegen (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 RL 2003/4/EG). Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens auch die behördlichen Entscheidungsvorgänge abgeschlossen sind und deshalb zwar nachteilige Auswirkungen auf Beratungsvorgänge (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HUIG) nicht automatisch auszuschließen sind, aber angesichts des abgeschlossenen Vorgangs eine besondere Begründung dafür notwendig ist, warum mit fortdauernden nachteiligen Auswirkungen durch eine Bekanntgabe zu rechnen ist. Soweit in den Akten Dokumente vorhanden sind, die unter den Schutzbereich des § 8 HUIG fallen, beispielsweise Anfragen oder Anregungen von Bürgern, ist zunächst die Zustimmung des Betroffenen anzufragen, bevor im Falle der Weigerung über eine Bekanntgabe in Abwägung mit dem öffentlichen Interesses entschieden werden kann. Liegen jeweils bezogen auf das Einzeldokument Ausschlussgründe vor, muss danach geprüft und entschieden werden, ob eine Bekanntgabe nicht dennoch zu erfolgen hat, weil das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt (§ 7 Abs. 1 und 2 HUIG, § 8 HUIG). Dabei ist zu beachten, dass dem öffentlichen Interesse an der Bekanntgabe von Umweltinformationen angesichts der normativen Grundentscheidung für einen freien Informationszugang große Bedeutung zukommt (BVerwG, Urteil vom 02.08.2012, 7 C 7/12). Dieses gewichtige öffentliche Interesse ist bezogen auf das Einzeldokument den eng auszulegenden Zurückhaltungsinteressen gegenüberzustellen, um danach die gesetzlich vorgeschriebenen Abwägungsentscheidungen zu treffen.

Da auf den Verpflichtungsantrag der Klägerin wegen fehlender Spruchreife lediglich ein Bescheidungsurteil ergeht, ist die Klägerin – wenn auch nur zu einem geringen Teil – unterlegen, so dass insoweit die Klage teilweise abzuweisen ist.

Grundlage für die Kostenentscheidung ist § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Da das Gericht in dem vorstehenden Urteil letztlich die Rechtsauffassung der Klägerin teilt, auch die zu den im Rahmen der §§ 7 und 8 HUIG vom Beklagten zu beachtenden Bindungen, ist das Unterliegen so gering, dass die Kosten dem Beklagten in vollem Umfang auferlegt werden. Dabei ist berücksichtigt, dass die fehlende Spruchreife allein auf das Verhalten des Beklagten zurückzuführen ist, der sich zwar hilfsweise auf Ausschlussgründe der §§ 7 und 8 HUIG berief, allerdings so pauschal und unsubstantiiert, dass eine Überprüfung im vorliegenden Verfahren nicht möglich ist. Damit hat er es dem Gericht, das grundsätzlich die Sache spruchreif zu machen hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), unmöglich gemacht „durchzuentscheiden“ (vgl. insoweit Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, § 155 Anm. 21).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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