KG, Beschluss vom 19.12.2014 - 6 W 155/14
Fundstelle
openJur 2015, 1017
  • Rkr:

1. Ein gemeinschaftliches Testament, in dem sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Kinder als Schlusserben einsetzen, erlangt mit dem Tod des Erstversterbenden regelmäßig Bindungswirkung, weil die Verfügungen sich insoweit als wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB darstellen, als der eine Ehegatte den anderen nur deshalb zum Alleinerben einsetzt, weil dieser die gemeinsamen Kinder zu Schlusserben bestimmt. Denn ein Ehegatte wird die durch die Einsetzung des anderen Ehegatten zum Alleinerben verbundene Enterbung der gemeinsamen Kinder regelmäßig nur deshalb in Kauf nehmen, weil der andere Ehegatte sie zugleich als Schlusserben einsetzt und so sichergestellt ist, dass die Kinder zumindest im zweiten Erbgang am Familienvermögen teilhaben können.

2. Durch das Versterben eines als Schlusserben eingesetzten Kindes nach dem Tod des Erstversterbenden, aber vor Eintritt des Schlusserbfalls entfällt die Bindungswirkung zu Gunsten eines Ersatzerben, wenn sich dessen Berufung nicht aufgrund einer individuellen Auslegung des Testaments ermitteln lässt sondern nur auf der Zweifelsregelung des § 2069 BGB beruht (Anschluss BGH FamRZ 2002, 747)

Tenor

Die Beschwerden der Antragstellerin vom 27. Mai 2014 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 24. April 2014 und vom 24. September 2014 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom 01. September 2014 (früheres Az. 6 W 160/14) werden auf ihre Kosten bei einem Beschwerdewert von 100.000 € zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist die gemeinsame Tochter des Erblassers und seiner im März 2008 vorverstorbenen Ehefrau.

Mit gemeinschaftlichen Testament vom 16. Dezember 2002, auf das Bezug genommen wird (Beiakte 62 IV 244/13 Bl. 19/20), haben sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und ihre gemeinsamen Kinder, die Antragstellerin und deren am 02. August 2008 verstorbenen Bruder als Schlusserben eingesetzt.

Unter dem 29. April 2013 hat der Erblasser ein eigenhändiges Testament erstellt und in amtliche Verwahrung gegeben. Mit dieser letztwilligen Verfügung hat er die Antragstellerin und deren Sohn sowie den Sohn seines verstorbenen Sohnes enterbt. Dieser hat am 28. August 2008 die Erbschaft nach seinem Vater ausgeschlagen (begl. Kopie Bl. 10 d.A.). Wegen der weiteren Verfügungen des Erblassers, in denen auch sein Bruder, der Beteiligte zu 2., erwähnt wird, wird auf das Testament vom 29. April 2013 (Beiakte 62 IV 244/13, Bl. 16/17) verwiesen.

Die Antragstellerin hat mit notarieller Erbscheinsverhandlung vom 29. November 2013 unter Hinweis darauf, dass ihr unter dem 26. November 2008 ein Erbschein als Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Bruder erteilt worden ist, die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin nach ihrem Vater ausweist. Mit Schreiben des beurkundenden Notars vom 01. März 2014 hat sie hilfsweise beantragt, ihr einen Erbschein zu erteilen, der sie und ihren verstorbenen Bruder als Miterben zu gleichen Teilen ausweist.

Das Nachlassgericht hat die Anträge mit Beschluss vom 24. April 2014, dem beurkundenden Notar zugegangen am 28. April 2014, zurückgewiesen. Mit Schriftsatz ihres Verfahrensbe-vollmächtigten vom 27. Mai 2014, per Fax eingegangen am selben Tag, hat die Antragstellerin Beschwerde erhoben, mit der sie ihren Hauptantrag weiterverfolgt und hilfsweise beantragt, ihr einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, der sie und den Sohn des verstorbenen Sohnes des Erblassers je zu 1/2 als Erben ausweist.

Mit Beschluss vom 01. September 2014, zugestellt am 04. September 2014 hat das Nachlass-gericht der Beschwerde betreffend den Hauptantrag nicht abgeholfen und den geänderten Hilfsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin vom 24. September 2014, beim Nachlassgericht eingegangen am selben Tag, der das Nachlassgericht mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerden der Antragstellerin sind gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig, sie sind jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache bleiben die Beschwerden jedoch ohne Erfolg, denn die Zurückweisung der Erbscheinsanträge durch das Nachlassgericht erfolgte im Ergebnis zu Recht:

1. Beschwerde vom 27. Mai 2014 gegen die Zurückweisung des Hauptantrages:

Die Zurückweisung des Hauptantrages - Erteilung eines Erbscheins, der die Antragstellerin als Alleinerbin ausweist - erfolgte zu Recht, weil die Antragstellerin nicht Alleinerbin geworden ist.

a) Allerdings folgt der Senat der angefochtenen Entscheidung nicht, soweit das Nachlassgericht die Enterbung der Antragstellerin durch das eigenhändige Testament des Erblassers vom 29. April 2013 für wirksam erachtet.

Erblasser war aufgrund des gemeinschaftlich mit seiner vorverstorbenen Ehefrau errichteten Testaments vom 16. Dezember 2002 i.V.m. § 2271 Abs. 2 BGB an einer abweichenden Testierung und damit an einer Enterbung der Antragstellerin gehindert, weil die Einsetzung der Antragstellerin als Schlusserbin eine wechselbezügliche Verfügung im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB darstellt, die den überlebenden Ehegatten bindet.

Der Erblasser und seine im März 2008 vorverstorbene Ehefrau hatten unter dem 16. Dezember 2002 ein Testament errichtet, indem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre beiden gemeinsamen Kinder zu Schlusserben des Letztversterbenden bestimmt haben (§ 2269 Abs. 1 BGB).

Richtig ist zwar, dass allein die Tatsache, dass Ehegatten gemeinschaftlich testieren, die Wechselbezüglichkeit ihrer Verfügungen noch nicht zu begründen vermag (BGH NJW-RR 1987, 1410 - 1411, zitiert nach juris, dort Rdz. 11), sondern dass die Wechselbezüglichkeit für jede Verfügung gesondert durch Auslegung zu ermitteln ist (BGH a.a.O. Rdz. 10/14). Weiter ist zutreffend, dass ein Elternteil sich regelmäßig nicht nur deshalb dazu veranlasst sieht, die gemeinsamen Kinder als Erben einzusetzen, weil auch der andere Ehegatte dies tut. Dies stellt sich jedoch dann anders dar - und dies wird vorliegend vom Nachlassgericht außer Acht gelassen - wenn man die Einsetzung der Kinder als Schlusserben durch den einen Ehegatten im Verhältnis zu der Einsetzung dieses Ehegatten als Alleinerbe nach dem Erstversterbenden untersucht. Denn dann drängt die Interessenlage die Wechselbezüglichkeit der Verfügungen im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB geradezu auf, weil ein Ehegatte die mit der Einsetzung des anderen Ehegatten zum Alleinerben verbundene Enterbung der gemeinsamen Kinder regelmäßig nur im Hinblick darauf in Kauf nehmen wird, dass diese Kinder durch den anderen Ehegatten zugleich als Schlusserben eingesetzt werden und sie so jedenfalls im zweiten Erbgang am Familienvermögen teilhaben können. Es entspricht deshalb durchgehend obergerichtlicher Rechtsprechung, dass derartige Verfügungen zueinander wechselbezüglich im Sinne des § 2270 Abs. 1 BGB sind (OLG Köln ZErb 2014, 118, zitiert nach juris, dort LS. 1 und Rdz. 16; OLG Schleswig FamRZ 2014, 1486 - 1487, zitiert nach juris, dort Rdz. 22; OLG Brandenburg ErbR 2014, 441 - 444, zitiert nach juris, dort Rdz. 31; OLG München NJW-RR 2012, 338 - 341, zitiert nach juris, dort Rdz. 28/29; vgl. auch BGH NJW 2002, 1126 - 1127, zitiert nach juris, dort Rdz. 8). Auch die von dem Nachlassgericht zitierten Ausführungen von Musielak in MüKo, BGB, 6. Auflage 2013, § 2270 Rdnr. 12 sowie die Entscheidung des OLG München (NJW - RR 2011, 227 ff) stützen seine abweichende Auffassung nicht.

b) Bei diesem Auslegungsergebnis bleibt es auch, wenn man vorliegend den weiteren Text des gemeinschaftlichen Testaments vom 16. Dezember 2002 einbezieht. Denn die in dem Testament enthaltene wechselseitige Bestätigung, dass der überlebende Ehegatte das Recht haben soll, Haus und Wohnung zu verkaufen, betrifft nicht nur seinem Wortlaut, sondern auch seinem Sinn nach lediglich Verfügungen unter Lebenden und soll dem überlebenden Ehegatten nicht auch eine abweichende letztwillige Verfügung ermöglichen (vgl. dazu OLG München a.a.O. Rdz. 31; OLG Schleswig a.a.O. Rdz. 23 ff; OLG Köln a.a.O. LS. 2 und Rdz. 16; OLG Brandenburg a.a.O. Rdz. 32 ff; OLG Hamm Erbrecht effektiv 2011, 181, zitiert nach juris, dort Rdz. 35 ff).

Die Enterbung der Antragstellerin im eigenhändigen Testament des Erblassers vom 29. April 2013 ist damit ohne Wirkung geblieben.

c) Allerdings ist die Antragstellerin nicht Alleinerbin geworden, denn ihr ist nicht auch gemäß § 2094 Abs. 1 Satz 2 BGB der hälftige Schlusserbenanteil ihres am 02. August 2008 - und damit vor Eintritt des Schlusserbfalls - verstorbenen Bruders angewachsen.

aa) Die Frage, wer im Falle eines vorzeitigen Wegfalls des Erben in dessen Stellung nachrückt, ist regelmäßig durch Auslegung der letztwilligen Verfügung zu ermitteln, wobei Ziel der Auslegung die Ermittlung des wirklichen oder mutmaßlichen Willens der Erblasser ist. Insofern ist vorliegend zu fragen, welche Regelung die Ehegatten bei Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments für den Fall des Wegfalls des Sohnes vor Eintritt des Schlusserbfalls getroffen hätten. In Betracht käme alternativ die Einsetzung der dann verbliebenen Antragstellerin als alleinige Schlusserbin oder aber die Einsetzung des im Zeitpunkt der Testamentserrichtung bereits lebenden Enkels als Ersatzerben. Da das Testament für keine dieser Varianten einen hinreichenden Anhaltspunkt gibt und das Recht des Ersatzerben gemäß § 2099 BGB dem Anwachsungsrecht vorgeht, kommt vorliegend die Regelung des § 2069 BGB zur Anwendung, die auch bei Wegfall eines eingesetzten Schlusserben in einem gemeinschaftlichen Testament entsprechende Anwendung finden kann (so BGH FamRZ 2002, 747 - 749, zitiert nach juris, dort Rdz. 11; vgl. auch OLG München NJW-RR 2012, 9 - 10, zitiert nach juris, dort Rdz. 10).

bb) Danach wäre der Beteiligte zu 3. als Abkömmling des weggefallenen Schlusserben zum Ersatzerben neben der Antragstellerin als Schlusserbe berufen, wenn nicht die Enterbung des Sohnes in dem handschriftlichen Testament des Erblassers vom 29. April 2013 wirksam wäre. Dies ist wiederum von der Frage abhängig, ob der Erblasser aufgrund einer mit dem Tod seiner Ehefrau eingetretenen Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments auch an einer Enterbung des als Ersatzerben berufenen Enkels gehindert war. Diese Frage ist zu verneinen. Da sich die Ersatzerbenberufung vorliegend nicht durch eine individuelle Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments, sondern allein aufgrund der Anwendung der Zweifelsregelung des § 2069 BGB ermitteln ließe, kommt eine Bindungswirkung nach ständiger Rechtsprechung (BGH a.a.O., dort LS und Rdz. 17; OLG Schleswig FamRZ 2014, 248 - 250, zitiert nach juris, dort Rdz. 32; ders. FamRZ 2011, 66 - 68, zitiert nach juris, dort Rdz. 15) nicht in Betracht.

cc) Rechtsfolge des Wegfalls des Ersatzerben ist jedoch nicht die Anwachsung dieses Teils der Erbschaft bei der Beklagten, etwa weil sie Alleinerbin nach ihrem Bruder geworden war. Da der Erblasser nach dem Tod des Sohnes hinsichtlich dessen hälftigen Nachlassteils von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments frei geworden ist, stand es ihm frei, insoweit auch - wie im Testament vom 29. April 2013 geschehen - die Enterbung der Antragstellerin anzuordnen und damit die Anwachsung zu verhindern.

Die Klärung der Frage, ob die Benennung des Bruders des Erblassers und/oder des Tierheims in dem Testament vom 29. April 2013 als Erbeinsetzung auf den durch den Wegfall des Sohnes als Schlusserbe frei gewordenen hälftigen Erbteil auszulegen ist, bleibt einem weiteren Erbscheinsverfahren vorbehalten. Für die Auslegung des Testaments vom 29. April 2014 fehlt es derzeit, weil der Gesamtnachlasswert nicht bekannt ist, an einer ausreichenden Grundlage. Zudem müsste auch die Möglichkeit, dass der Bruder, ggf. zusammen mit weiteren Verwandten, kraft gesetzlicher Erbfolge berufen sein könnte, bedacht werden.

2. Beschwerde vom 24. September 2014 gegen die Zurückweisung des geänderten Hilfsantrages:

Die Beschwerde gegen die Zurückweisung des Hilfsantrages auf Erteilung eines Erbscheins, der die Antragstellerin und ihren Neffen als Erben je zur Hälfte ausweist, ist auf der Grundlage vorstehender Ausführungen -wirksamer Widerruf der Ersatzerben-berufung des Sohnes des vorverstorbenen Sohnes durch das eigenhändige Testament vom 29. April 2013- ebenfalls unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 61, 40 GNotKG; der Senat hat den Wert des Gesamtnachlasses im Hinblick auf die Angaben in dem Testament vom 29. April 2013 auf 100.000,00 € geschätzt, weil Angaben zum Nachlasswert im Erbscheinsantrag fehlen.