OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.09.2013 - 5 WF 66/13
Fundstelle
openJur 2013, 35886
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 F 146/12

1. Bei der Bestimmung des Verfahrenswertes unter Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse der Ehegatten nach § 43 Abs. 1 FamGKG sind vom gemeinsamen Nettovermögen der Ehegatten weiterhin Freibeträge von € 15.000,00 je Ehegatten und € 7.500,00 je Kind abzusetzen.

2. Bei der Verfahrenswertfestsetzung in Versorgungsausgleichssachen nach § 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG sind auch solche Anrechte zu berücksichtigen, bei denen am Ende der Ehezeit eine für das Anrecht maßgebliche Wartezeit, Mindestbeschäftigungszeit, Mindestversicherungszeit oder ähnliche zeitliche Voraussetzung noch nicht erfüllt ist. Allein mit einer fehlenden Ausgleichsreife kann eine Herabsetzung nach Billigkeit gem. § 50 Abs. 3 FamGKG nicht begründet werden. Ist hingegen in der Ehezeit keine Anwartschaft erworben worden, handelt es sich nicht um ein Anrecht im Sinne des § 50 FamGKG. Auf den Umstand, dass diese Auskunft zwar kein Anrecht bescheinigt, aber aus anderen Gründen für den Versorgungsausgleich eine Rolle spielen könnte, kommt es nicht an.

(Leitsätze: RA Dr. Detlef Großfuß-Bürk)

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellervertreters wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Offenburg vom 06.12.2012 (1 F 146/12) in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 21.03.2013 teilweise abgeändert und, insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Verfahrenswert (in erster Instanz) wird auf 43.792 Euro festgesetzt.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das Rechtsmittel richtet sich auf die zutreffende Berechnung des Verfahrenswerts eines Ehescheidungsverfahrens.

Die beteiligten Eheleute verfügten bei Einreichung des Scheidungsantrags über ein gemeinsames monatliches Nettoeinkommen von 4.500 Euro (3.500 und 1.000 Euro), hinzu kam Kindergeld für die beiden 1993 und 1997 geborenen Kinder. Das gemeinsame Nettovermögen betrug 500.000 Euro.

Die im Rahmen des Versorgungsausgleichsverfahrens eingeholten Auskünfte ergaben das Bestehen von insgesamt fünf unverfallbaren Anrechten. Nach einer weiteren eingeholten Auskunft bei der Deutschen Rentenversicherung des Ehemannes hatte dieser dort nur Rentenanwartschaften vor der Ehezeit erworben. Außerdem teilte die VBL für die Ehefrau mit, dass zwar während der Ehezeit Anwartschaften erworben worden seien, die erforderliche Wartezeit von 60 Beitragsmonaten aber nicht erfüllt sei. Im. Scheidungsverbundbeschluss wurden daher nur die erstqenannten fünf Anrechte ausgeglichen.

Mit Beschluss vom 06.12.2012 hat das Amtsgericht den Verfahrenswert auf 14.500 Euro für die Ehesache und auf 6.250 Euro den Versorgungsausgleich festgesetzt. Dabei ist das Amtsgericht für die Ehesache offenbar von 3x 4.500 Euro Einkommen und 1.000 Euro Vermögenszuschlag sowie von 5 Anrechten x (10% von 13.500 Euro ) = 6.750 Euro ausgegangen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers. Damit wurde zunächst eine Festsetzung für die Ehesache auf 38.000 Euro begehrt (5% des Vermögens von 500.000 Euro abzügl. 2 Freibeträge für Ehegatten von je 15.000 Euro) sowie hinsichtlich des Versorgungsausgleichs von 7 Anrechten. Insgesamt wurde also offenbar eine Festsetzung von 47.450 Euro begehrt.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 21.03.2013 der Beschwerde teilweise abgeholfen und den Verfahrenswert auf insgesamt 34.000 Euro festgesetzt. Darin enthalten sind für die Ehesache 28.000 Euro, wobei auf das Einkommen 12.000 Euro entfallen (4.500 Euro Einkommen abzügl. 2 Freibeträge für die Kinder von je 250 Euro) sowie 16.000 Euro für das Vermögen (5% von 500.000 Euro abzügl. 2 Freibeträge für Ehegatten von je 60.000 Euro und 2 Freibeträge für Kinder von je 30.000 Euro). Für den Versorgungsausgleich wurden weiterhin lediglich 5 Anrechte berücksichtigt.

Mit Schriftsatz vom 03.05.2013 begehrt des Antragstellervertreter nunmehr eine Festsetzung auf insgesamt 45.108 Euro. Dabei werden im Rahmen des Einkommens zusätzlich das Kindergeld berechnet, die Kinderfreibeträge abgezogen und im Rahmen des Vermögens zusätzlich 2 Freibeträge für Kinder von je 7.500 Euro abgezogen.

Die Beteiligten hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme.

Zu den Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die gemäß § 59 Abs. 1 FamGKG mit § 32 .Abs, 2 S. 1 RVG zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.

1.

Zutreffend hat der Antragstellervertreter im Schriftsatz vom 03.05.2013 den Wert der Ehesache mit insgesamt 35.902 Euro berechnet.

Gemäß § 43 Abs. 1 FamGKG bestimmt sich der Verfahrenswert in Ehesachen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Ehegatten nach dem Ermessen des Gerichts.

a. Bei den Einkommensverhältnissen ist nach ständiger Rechtsprechung auszugehen von den beiderseitigen Nettoeinkünften zuzüglich des Kindergeldes (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.04.2008 - 2 WF 40/08 - Juris Rn. 8; OLG Hamm, Beschluss vom 10.01.2012 - 5 WF 173/11 - Juris Rn. 12 m.w.N.; vgl. auch die Übersicht in Schneider/Herget/Thiel, Streitwertkommentar. 13. Aufl., Rn. 7169a "Kindergeld") abzüglich pauschaler Aufwendungen für die Kinder von je 250 Euro (OLG Karlsruhe, a.a.O., Rn. 9; OLG Hamm, a.a.O., Rn. 15, allerdings mit 300 Euro; vgl. auch die Übersicht in Schneider/Herget/Thiel, a.a.o., Rn. 7180a). Daraus errechnen sich 13.152 Euro.

b. Für die Vermögensverhältnisse ist ein gemeinsames Nettovermögen von 500.000 Euro unstreitig. Die abzusetzenden Freibeträge belaufen sich nach ständiger Rechtsprechung der Karlsruher und Freiburger Familiensenate auf je 15.000 Euro für die Ehegatten und je 7.500 Euro für die Kinder (vgl. etwa FamRZ 2008, 2050, 2051; 1999, 1288).

Zwar wird teilweise vertreten, dass ein Freibetrag von 60.000 Euro je Ehegatte anzunehmen ist (vgl. etwa OLG Koblenz FamRZ 2003, 1681, 1682; OLG Hamm FamRZ 2006,353 - dort sogar 64.000 Euro je Ehegatte; OLG Stuttgart, FamRZ 2010, 1940; OLG München, Beschluss vom 15.04.1998 -26 WF 1314/97 - Juris Rn. 15 ff.; vgl. auch die Übersicht in Schneider/Herget/Thiel, a.a.O., Rn. 7223a). Im Fall des OLG Stuttgart war die Beschwerde allerdings nicht von dem Verfahrensbevollmächtigten, sondern von der Partei selbst eingelegt worden und das Gericht hatte daher den von der Partei geltend gemachten Freibetrag von 60.000 Euro als der Partei günstig akzeptiert.

Das vorliegende Beschwerdeverfahren gibt aber keinen Anlass, von der gefestigten Rechtsprechung der Senate des Oberlandesgerichts Karlsruhe abzuweichen. Die Vertreter der anderen Meinung verweisen auf die Analogie zu dem bis 1997 geltenden § 6 Vermögenssteuergesetz. Vermögenssteuerpflicht und familiengerichtliche Verfahrenswertfestsetzung haben jedoch grundsätzlich verschiedene gesetzliche Zielsetzungen (ebenso Schneider/Herget/Thiel, a.a.O., Rn. 7221). Mit der steuerrechtlichen Freistellung bestimmter (kleinerer) Vermögen dürfte der Gesetzgeber zum einen politische Ziele verfolgt haben, zum anderen aber auch die Steuerverwaltung von der Erhebung geringfügiger Steuerbeträge entlasten wollen. Beide Ziele sind vorliegend nicht unmittelbar einschlägig, da ein Verfahrenswert in jedem Fall festgesetzt wird, zumal aufgrund überschlägiger Berechnung. Auch die fortschreitende Geldentwertung gebietet jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt keine erneute Anpassung, da der Freibetrag von Ursprünglich 20.000 DM in der Folge bereits ganz erheblich auf 30.000 DM (jetzt 15.000 Euro) angehoben wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein erhöhter Freibetrag umgekehrt zu geringeren Anwaltsgebühren und Gerichtskosten führt. Dafür gibt es angesichts der allenfalls maßvollen Anpassungen der Gebührensätze in den letzten Jahrzehnten keinen Anlass. Die Freiburger und die Karlsruher Familiensenate haben erst im Jahr 2009 die gemeinsame Überzeugung erneuert, dass Freibeträge von 15.000 Euro je Ehegatte und von 7.500 je Kind angemessen sind. Eine Änderung der gefestigten Rechtsprechung ist nach allem nicht veranlasst.

Es errechnen sich daher zutreffend 455.000 Euro, von denen 5 % (= 22.750 Euro) zu berücksichtigen sind.

2.

Der Verfahrenswert für den Versorgungsausgleich ist auf 7.890 Euro (6 x 1.315 Euro) festzusetzen. Dies beruht auf der Berücksichtigung von sechs Anrechten.

Nach § 50 Abs. 1 S. 1 FamGKG ist bei der Verfahrenswertfestsetzung "jedes Anrecht" zu berücksichtigen. Das OLG Stuttgart hat in der vom Antragstellervertreter zitierten Entscheidung darauf hingewiesen, dass nach Vorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages die Formulierung in der Regierungsvorlage "für jedes auszugleichende Anrecht" geändert wurde in "für jedes Anrecht" (OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.09.2010 - 16 WF 205/10 - Juris Rn. 7). Damit sollte klargestellt werden, dass jedes verfahrensgegenständliche Anrecht bei der Bestimmung des Verfahrenswerts zu berücksichtigen ist, und zwar auch dann, wenn es im Ergebnis nicht zu einem Ausgleich im Wege einer internen oder externen Teilung des Anrechts kommt (BT-Drs. 16/11903, S. 61).

Anrechte im Sinne des Versorgungsausgleiches sind gem. § 2 Abs. 1 VersAusglG im In- oder Ausland bestehende Anwartschaften auf Versorgungen und Ansprüche auf laufende Versorgungen. Daran fehlt es jedenfalls, wenn die eingeholte Auskunft eindeutig - das heißt ohne Notwendigkeit eingehender Prüfung - ergibt, dass es sich überhaupt nicht um ein Anrecht handelt, das nach seiner Art im Versorgungsausgleich ausgeglichen werden könnte, oder während der Ehezeit keine Anrechte erworben worden sind (ebenso OLG Koblenz, Beschluss vom 05.07.2011 - 7 WF 646/11 - Juris Rn. 12; im Ergebnis ebenso OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 9 ff.). Demgegenüber liegt nach der Definition in § 2 Abs. 3 VersAusglG eine Anwartschaft auch dann vor, wenn am Ende der Ehezeit eine für das Anrecht maßgebliche Wartezeit, Mindestbeschäftigungszeit, Mindestversicherungszeit oder ähnliche zeitliche Voraussetzung noch nicht erfüllt ist.

Angesichts dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die für das FamGKG ebenso gilt, kann allein mit einer fehlenden Ausgleichsreife eine Herabsetzung nach Billigkeit gem. § 50 Abs. 3 FamGKG nicht begründet werden (so aber OLG Stuttgart, a.a.O; Rn. 8 f.; dagegen auch Schneider/Herget/Thiel, a.a.O., Rn. 8807 f.).

Hier haben die Auskünfte ergeben, dass der Antragsteller bei der Deutschen Rentenversicherung in der Ehezeit keine Anwartschaften erworben hat, damit handelt es sich nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht um ein Anrecht im Sinne des § 50 FamGKG; auf dem Umstand, dass diese Auskunft zwar kein Anrecht bescheinigt, aber aus anderen Gründen für den Versorgungsausgleich eine Rolle spielen könnte, kommt es dabei nicht an. Bei der VBL sind für die Ehefrau während der Ehezeit aber Anwartschaften entstanden, auch wenn diese noch nicht unverfallbar sind, so dass nach den dargelegten Grundsätzen das Anrecht bei der Verfahrenswertfestsetzung zu berücksichtigen ist.

3.

Eine Kostenentscheidung sowie eine Festsetzung des Verfahrenswertes sind nicht veranlasst, §59 Abs. 3 FamGKG.

Die vorliegende Entscheidung ist gemäß §§59 Abs. 1 Satz 5, 57 Abs. 7 FamGKG unanfechtbar.

Vielen Dank für die Einsendung der Entscheidung gilt Dr. Detlef Großfuß-Bürk.