VG Münster, Urteil vom 23.05.2012 - 6 K 801/10
Fundstelle
openJur 2012, 131984
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge über die bisher bewilligten Erstattungsbeträge hinaus für die Zeit vom 01. Januar 2009 bis zum 30. Juni 2010 weitere Erstattungen in der Höhe bis zu jeweils 50 Prozent der von der Klägerin tatsächlich an ihre Krankenkasse gezahlten Beiträge einschließlich der Krankengeldversicherung zu bewilligen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Hälfte ihrer tatsächlich entrichteten Aufwendungen für ihre Krankenversicherung und Pflegeversicherung einschließlich Krankengeldversicherung hat oder ob die Beklagte nur die Hälfte derjenigen Kosten zu erstatten hatte, die bei einer Person anfallen, die als nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig eingestuft ist.

Die Klägerin war in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von Anfang Januar 2009 bis Ende Juni 2010 als Kindertagespflegeperson tätig und betreute bis zu fünf fremde Kinder. In dieser Zeit war sie bei der C. Ersatzkasse (C1. ) freiwillig krankenversichert. Hierfür hatte sie in der Zeit vom 01. Januar 2009 bis zum 01. August 2009 monatlich einen Betrag von 359,61 Euro zu bezahlen, der sich aus 281,61 Euro Krankenversicherungsbeitrag, 36,86 Euro Pflegeversicherungsbeitrag und 41,14 Euro Krankengeldtarif zusammensetzte. Für die Zeit ab dem 01. August 2009 waren von ihr monatlich 337,37 Euro zu entrichten, nämlich ein Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 281,61 Euro, ein Pflegeversicherungsbeitrag in Höhe von monatlich 36,86 Euro und ein zusätzlicher Krankengeldtarif von 18,90 Euro im Monat. Dabei hatte die C1. die Mindesteinkünfte für hauptberuflich Selbstständige im Jahre 2009 in Höhe von 1.890,00 Euro mit der Begründung zugrunde gelegt, dass eine Krankengeldversicherung nur von hauptberuflich Selbstständigen abgeschlossen werden könne und die Klägerin deshalb, wenn sie eine solche Krankengeldversicherung benötige, auch entsprechend einzustufen sei.

Unter dem 05. Januar 2010 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erstattung ihrer Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung; diesem Antrag beigefügt war ein Schreiben ihrer Krankenkasse vom 07.04.2009 betreffend der ratenweise Tilgung einer Nachzahlung in Höhe von monatlich 359,61 Euro zuzüglich zum laufenden Betrag sowie ein weiteres Schreiben der C1. vom 05. Oktober 2009 betreffend die Beitragshöhe ab dem 01. August 2009 in Höhe von 337,37 Euro.

Ausweislich eines Vermerks in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten über ein fernmündliches Gespräch der Mitarbeiter des Jugendamtes der Beklagten mit der Krankenkasse der Klägerin hatte diese im Jahr 2009 einen Jahresverdienst von etwa 15.425,00 Euro erzielt; bei Zugrundelegung eines Einkommens in dieser Höhe wäre ein monatlicher Krankenkassenbeitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 208,88 Euro zu zahlen. Diesen Betrag von 208,88 Euro legte die Beklagte als angemessen zugrunde und setzte durch Bescheid vom 18. Februar 2010 den zu erstattenden Betrag auf monatlich 104,44 Euro fest. Die Absendung des Bescheides ist in den vorgelegten Verwaltungsvorgängen der Beklagten nicht vermerkt.

Mit Schreiben vom 19. März 2010 sandte eine Mitarbeiterin der Beklagten den Bescheid vom 18. Februar 2010 unter Bezugnahme auf eine entsprechende Absprache mit der Klägerin an diese; der zugehörige Briefumschlag ist freigestempelt am 23. März 2010. In diesem Schreiben führte sie ergänzend aus, dass nach den Angaben auf ihre Nachfrage in der wirtschaftlichen Abteilung der Bescheid Mitte Februar an die Klägerin abgesandt worden sei.

Am 22. April 2010 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie die Erstattung der Hälfte ihrer Aufwendungen für ihre Kranken- und Pflegeversicherung einschließlich Krankengeldversicherung in der Höhe begehrt, wie sie tatsächlich von ihr auch entrichtet wird. Zur Begründung beruft sie sich darauf, dass sie alleine lebe und die Einnahmen aus ihrer Tätigkeit als Kindertagespflegeperson ihr einziges Erwerbseinkommen sei. Es gebe deshalb auch keine andere Absicherung im Krankheitsfall für sie. Da sie aus diesem Grunde auf die Leistung von Krankengeld angewiesen sei, habe sie keine andere Möglichkeit gehabt, als sich bei der Krankenkasse als hauptberuflich selbständig tätige Person einstufen zu lassen und die entsprechenden Beiträge zu entrichten. Deshalb stünde ihr auch die hälftige Erstattung dieser Beiträge und nicht lediglich die Hälfte eines fiktiven Krankenkassenbeitrages zu.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin für die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge über die bisher bewilligten Erstattungsbeiträge hinaus für die Zeit vom 01.01.2009 bis zum 30.06.2010 weitere Erstattungen in Höhe von bis zu 50 Prozent der von der Klägerin tatsächlich an ihre Krankenversicherung gezahlten Beiträge einschließlich der Krankengeldversicherung zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich darauf, dass der Gesetzgeber eine Einstufung der Kindertagespflegepersonen als nebenberuflich Selbständige im Rahmen des Krankenversicherungsschutzes gewollt habe. Es sei beabsichtigt gewesen, die Kindertagespflegepersonen nicht mit hohen Krankenversicherungsbeiträgen zu belasten, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, zu einem geringen Beitrag krankenversichert zu sein. Diese gesetzgeberische Absicht habe ihren Niederschlag in § 10 Abs. 1 Satz 1 und 3 des Sozialgesetzbuches 5. Buch (SGB V) gefunden, wonach eine hauptberuflich selbständige Tätigkeit bis zum 31. Dezember 2013 nicht anzunehmen sei für eine Tagespflegeperson, die bis zu fünf gleichzeitig anwesende, fremde Kinder in Tagespflege betreue. Aus dieser Vorschrift sei abzuleiten, das Tagespflegepersonen, die - wie die Klägerin - nur bis zu fünf Kinder gleichzeitig betreuen, grundsätzlich nicht als hauptberuflich selbständig Tätige anzusehen seien. Deshalb seien auch nur die - von der Beklagten zugrunde gelegten - Versicherungsbeiträge für nebenberuflich selbständig tätige Personen als angemessen anzusehen und zur Hälfte zu erstatten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakte Heft 1) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist als Verpflichtungsklage (vgl. § 42 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die Klage ist zulässig; die Klägerin hat insbesondere nicht die Klagefrist des § 74 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 VwGO von einem Monat versäumt. Das Gericht geht davon aus, dass die Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten vom 18. Februar 2010 erstmals am 24. März 2010 erfolgt ist; die am 22. April 2010 erhobene Klage ist damit nicht verfristet.

Die Klägerin hat stimmig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar und damit insgesamt glaubhaft dargelegt, dass sie den angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 18. Februar 2010 zunächst nicht erhalten und von ihm erstmals durch die Óbersendung im März 2010 Kenntnis erlangt hat. Sie hat hierzu vorgetragen, dass Mitte März 2010 eine Zahlung der Beklagten auf ihrem Konto eingegangen sei, deren Grund und Höhe sie sich nicht habe erklären können, dass sie deshalb bei der Beklagten fernmündlich nachgefragt und bei dieser Gelegenheit von dem Bescheid vom 18 Februar 2010 erfahren habe. Sie habe deshalb um seine Zusendung gebeten, er sei ihr dann mit einem Begleitschreiben vom 19. März 2010 zugeschickt worden. Aus diesem - von der Klägerin vorgelegten - Schreiben ergibt sich, dass die Klägerin um diese Óbersendung gebeten hatte und dass die Mitarbeiterin der Beklagten sich in der Abteilung für wirtschaftliche Jugendhilfe nach der vorherigen Absendung des Bescheides erkundigt hatte. Das bestätigt den Vortrag der Klägerin.

Diesem Vorbringen der Klägerin ist seitens der Beklagten auch nicht widersprochen worden. Im Óbrigen konnte insbesondere schon eine Absendung im Februar 2010 und erst recht ein entsprechender Zugang bei der Klägerin durch die Beklagte nicht belegt werden. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Klägerin den Bescheid im Februar 2010 tatsächlich nicht erhalten hat, sondern dieser, wenn er tatsächlich abgesandt worden ist, jedenfalls an irgendeiner Stelle auf dem Postwege verloren gegangen sein muss. Ein solcher Verlust eines Briefes, der weder mit Postzustellungsurkunde noch als eingeschriebener Brief bei der Post aufgegeben worden ist, ist auch nicht als ausgeschlossen anzusehen, sondern kommt nach allgemeiner Lebenserfahrung gelegentlich vor und liegt damit im Bereich des Wahrscheinlichen.

Eine andere Würdigung ist schließlich auch nicht deshalb geboten, weil die Klägerin bei Klageerhebung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat. Die Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung hierzu erläutert, dass ihr dieser Antrag bei der Rechtsantragsstelle des Gerichts nahegelegt worden ist, da dort der zeitliche Abstand zwischen dem Datum des vorgelegten Bescheides und der Klageerhebung aufgefallen war. Sie selbst habe die Bedeutung einer solchen Wiedereinsetzung gar nicht verstanden.

Der Freistempler auf dem Briefumschlag, mit dem der Bescheid der Klägerin im März 2010 zugesandt worden ist, trägt das Datum 23. März 2010, was dafür spricht, dass dieses Schreiben an diesem Tag jedenfalls die Poststelle der Beklagten durchlaufen hat. Der Bescheid der Beklagten konnte deshalb nicht vor dem 24. März 2010 bei der Klägerin angekommen sein. Die am 22. April 2010 erhobene Klage ist danach innerhalb der Monatsfrist des § 74 VwGO und damit rechtzeitig erhoben worden

Die Klage ist auch begründet. Die Festsetzung der Höhe der zu erstattenden Kranken- und Pflegeversicherungsleistungen durch die Beklagte ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Deshalb ist die Beklagte zu verpflichten, diese Erstattungsleistungen in der beantragten Höhe zu bewilligen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat für den streitgegenständlichen Zeitraum von Januar 2009 bis Ende Juni 2010 einen Anspruch auf Bewilligung von Erstattungsleistungen in der von ihr begehrten Höhe, also bis zur Hälfte der von ihr tatsächlich entrichteten Krankenkassenbeiträge.

Rechtsgrundlage für die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ist § 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII. Danach umfasst die laufende Geldleistung an die Tagespflegeperson (auch) die hälftige Erstattung der nachgewiesenen Aufwendungen zu einer angemessenen Kranken- und Pflegeversicherung; diese laufende Geldleistung gemäß § 23 Abs. 2 SGB VIII ist gemäß § 23 Abs. 1 SGB VIII Bestandteil der Förderung in der Kindertagespflege nach Maßgabe des § 24 SGB VIII.

Der Anspruch auf Gewährung einer laufenden Geldleistung nach § 23 Abs. 2 SGB VIII gegen die Beklagte steht - unstreitig - der Klägerin zu. § 23 Abs. 1 SGB VIII sieht im Rahmen der Förderung der Kindertagespflege die Gewährung einer laufenden Geldleistung an die Tagespflegeperson vor; damit hat der Gesetzgeber geregelt, wer bezüglich der laufenden Geldleistungen Leistungsempfänger und damit Anspruchsinhaber sein soll.

Vorliegend steht der Klägerin auch der geltend gemachte Betrag in voller Höhe zu, weil sie Beitragszahlungen an ihre Krankenkasse in entsprechender Höhe nachgewiesen hat und die diesen Zahlungen zugrunde liegende Kranken- und Pflegeversicherung auch angemessen ist im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII.

Die Klägerin hat mit den Beitragsbescheiden ihrer Krankenkasse vom 07. April 2009 und vom 05. Oktober 2009 die Höhe ihrer Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nachgewiesen. Diese Beiträge können der hälftigen Erstattung nach § 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII allerdings grundsätzlich nur insoweit zugrunde gelegt werden, als sie auf den Einnahmen aus der öffentlich geförderten Kindertagespflege beruhen. Schon aus dem Wortlaut des § 23 SGB VIII wird deutlich, dass die laufende Geldleistung - und damit als deren Bestandteil auch die hälftige Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge - nur bei Förderung der Kindertagespflege nach Maßgabe von § 24 SGB VIII gewährt wird. Das bedeutet, dass etwaige Anteile der Beiträge, die aus Einkünften herrühren, die nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Tagespflegeperson stehen, nicht berücksichtigungsfähig sein können. Ebenso wenig könnten Beitragsanteile Berücksichtigung finden, die auf Einnahmen aus nicht öffentlich geförderten Kindertagespflegeverhältnissen oder aus der Betreuung von Kindern über den öffentlich geförderten Umfang hinaus herrührten.

Vergleiche hierzu VG Oldenburg, Urteil vom 21. Februar 2011 - 13 A 2020/10 -, zitiert nach Juris.

Dies bedarf hier jedoch keiner weiteren Vertiefung, da die Klägerin keine anderen Einnahmen als die aus öffentlich geförderter Kindertagespflege erzielt hat.

Allerdings hat die Krankenkasse der Klägerin einen von dieser zu zahlenden Beitrag festgelegt, dem ein wesentlich höheres Einkommen zugrunde liegen würde, als die Klägerin tatsächlich erzielt hat, d. h., die C1. hat ein fiktives - höheres - Einkommen als das tatsächliche Einkommen der Klägerin als Bemessungsgrundlage angenommen. Das hatte seinen Grund darin, dass sie die Klägerin als hauptberuflich Selbständige eingestuft und das dementsprechende anzunehmende Mindesteinkommen angenommen hat, weil nur für hauptberuflich Selbständige eine Krankengeldversicherung, wie sie die Klägerin für erforderlich gehalten hat und deshalb abschließen wollte, bei der Krankenkasse der Klägerin möglich ist. Das ist vorliegend aber rechtlich nicht zu beanstanden und der entsprechende Beitrag deshalb auch bei der Erstattung durch die Beklagte zugrunde zu legen.

Zwar wurden - worauf die Beklagte auch verweist - durch das Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz - KiföG) vom 10. Dezember 2008 die Vorschriften der §§ 10 Abs. 1 und 240 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) dahingehend geändert, dass die Betreuung von bis zu fünf Kindern pauschaliert als nebenberuflich ausgeübte selbständige Tätigkeit anzusehen ist (vgl. Artikel 4 KiföG). Danach bestimmt § 10 SGB V, der die Familienversicherung regelt, in Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Satz 2, dass eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit im Sinne des Satzes 1 Nr. 4 dieser Vorschrift bis zum 31. Dezember 2013 nicht anzunehmen ist für eine Tagespflegeperson, die bis zu fünf gleichzeitig anwesende, fremde Kinder in Tagespflege betreut. Gemäß § 240 Abs. 4 Satz 5 SGB V, der die beitragspflichtigen Einnahmen freiwilliger Mitglieder festlegt, gilt für die Beurteilung der selbständigen Erwerbstätigkeit einer Tagespflegeperson der oben genannte § 10 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V entsprechend. Die durch diese Regelungen vorgesehene Einstufung der Betreuung von bis zu fünf Kindern durch eine Tagespflegeperson als nicht hauptberuflich, sondern nebenberuflich ausgeübte selbständige Tätigkeit sollte dazu dienen, die Kindertagespflegepersonen hinsichtlich der von ihnen abzuschließenden Krankenversicherungen zu privilegieren, weil auf diese Weise auf sie nicht die Mindestbemessungsgrundlage für hauptberuflich selbständige Erwerbstätige nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V Anwendung findet, sondern die geringere Mindestbemessungsgrundlage nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Diese Vergünstigung sollte geeigneten Personen einen weiteren Anreiz bieten, auf dem Gebiet der Kindertagespflege tätig zu werden. Ihnen sollte so ermöglicht werden, zu einem geringeren Beitrag für den Krankheitsfall abgesichert zu sein. Diese Privilegierung war indes nicht als Dauerlösung gedacht, vielmehr ist die Sonderregelung in der Familienversicherung als Óbergangsregelung bis zum 31. Dezember 2013 befristet; ab diesem Zeitpunkt sollen Kindertagespflegepersonen im Hinblick auf das erzielte Arbeitseinkommen mit anderen Selbständigen vergleichbar sein.

Vergleiche Wiesner, Kommentar zum SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe -, 4. Auflage, München 2011, § 23, RDNRN 45, 46.

Ausgehend von dieser vorstehend geschilderten Intention des Gesetzgebers, Tagespflegepersonen eine vorübergehende Privilegierung als Anreiz für eine Entscheidung für eine solche Tätigkeit zu bieten, ist davon auszugehen, dass diese Einstufung als nicht hauptberuflich Selbständige für die Bemessung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht generell zwingend ist, sondern in besonders gelagerten Einzelfällen eine Ausnahme von dieser Regelung möglich sein muss, und zwar insbesondere in den Fällen, in denen die als Privilegierung und Anreiz gedachte Einstufung für die betroffene Kindertagespflegeperson einen Nachteil darstellt und für sie ein größerer Vorteil in der Einstufung als hauptberuflich Selbständige liegt.

So liegt der Fall hier. Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum alleinstehend und hat keine anderen Einnahmen erzielt als die aus ihrer Tätigkeit als Tagespflegeperson. Diese Tätigkeit wird - unstreitig - von den Beteiligten als selbständige Tätigkeit angesehen. Das bedeutet, dass sie im Falle einer längeren Erkrankung weder mit einer Fortzahlung ihrer Einkünfte rechnen konnte noch ein Partner da gewesen wäre, der gegebenenfalls für sie hätte einstehen können. Um zu vermeiden, dass sie im Falle einer Erkrankung alsbald auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II) bzw. 12. Buch (SGB XII) angewiesen sein würde, war es für sie nicht nur wünschenswert, sondern geradezu dringend notwendig, zusätzlich zur Kranken- und Pflegeversicherung eine Krankengeldversicherung abzuschließen; da dieses die Einstufung als hauptberuflich selbständig Tätige bei ihrer Krankenkasse voraussetzt, hatte die Klägerin gar keine andere Möglichkeit, als diese Einstufung zu akzeptieren, um den notwendigen Krankenversicherungsschutz zu erlangen.

Ausgehend von dem Vorstehenden war die Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin dann aber auch als angemessen im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII anzusehen, mit der Folge, dass der Beklagte den von der Klägerin tatsächlich zu entrichtenden Beitrag bei der hälftigen Erstattung zugrunde zulegen hatte.

Die Beurteilung dessen, was angemessen ist, setzt eine Wertung durch den Jugendhilfeträger voraus, der die Erstattung vorzunehmen hat. Der Begriff der "Angemessenheit" stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der gerichtlich voll überprüfbar ist. Grundsätzlich ist angemessen, was erforderlich, aber auch ausreichend ist. Im Rahmen des § 23 Abs. 2 SGB VIII ist die Intention des Gesetzgebers zu berücksichtigen, ein Anreiz für die Tätigkeit als Kindertagespflegeperson zu geben und Kindertagespflegepersonen zu privilegieren, um so die Möglichkeiten der Kindertagespflege auszubauen und ihr insgesamt im System der Kinderbetreuung den ihrer Bedeutung entsprechenden Platz zu verschaffen. Dieser Intention würde es jedenfalls zuwider laufen, als "angemessen" im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII nur die jeweils kostengünstigste und damit auch notwendigerweise geringstmögliche Absicherung für den Krankheits- und Pflegefall anzusehen und hälftig zu erstatten. Wenn das beabsichtigt gewesen wäre, hätte der Gesetzgeber einen bestimmten Betrag oder eine entsprechende ausdrückliche Regelung gesetzlich festgeschrieben; die Wortwahl "angemessen" macht demgegenüber vielmehr deutlich, dass den Tagespflegepersonen gerade mehr als nur die Minimalversorgung zugestanden werden sollte. Umgekehrt sollte vermieden werden, dass Einzelne sich für eine besonders aufwändige - und damit teure - Krankenversicherung ("Luxusversicherung") entscheiden könnten und die dafür Kosten jeweils jedenfalls zur Hälfte auf den öffentlichen Jugendhilfeträger abgewälzt werden könnten.

Nach dem oben ausgeführten war im Falle der Klägerin die von ihr gewählte Kranken- und Pflegeversicherung einschließlich der Krankentagegeldversicherung aber gerade nicht als übertrieben "Luxusabsicherung", sondern als erforderlich (und ausreichend) und damit als angemessen im Sinne des § 23 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII anzusehen.

Die Beklagte ist deshalb zur Erstattung der Hälfte der von der Klägerin hierfür aufzuwendenden Kosten verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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