Hessischer VGH, Beschluss vom 10.08.2012 - 2 B 896/12
Fundstelle
openJur 2012, 71808
  • Rkr:

1. Der Entzug von Erdwärme aus dem Grundwasser bedarf einer wasserrechtlichen Erlaubnis (vgl. Senatsbeschluss vom 17. August 2011 - 2 B 1484/11 -).

2. Zur Ausnahme von der bergrechtlichen Bewilligungspflicht nach § 4 Abs. 2, 2. Halbsatz Nr. 1 BBergG für die Gewinnung von Erdwärme.

3. Die formelle Illegalität einer Gewässerbenutzung rechtfertigt regelmäßig eine Nutzungsuntersagung unter Anordnung des Sofortvollzugs.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Kassel vom 28. März 2012 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert.

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 1. des Bescheids des Antragsgegners vom 9. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2.Februar 2012 angeordnete Nutzungsuntersagung einschließlich der Entfernung des Wärmeträgermittels wird abgelehnt.

Der Antragsteller hat die Kosten des gesamten Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes zu tragen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

Der vorläufige Rechtsschutzantrag wird vom Senat nach der Klarstellung im Schriftsatz des Antragstellers vom 12. Juni 2012dahin ausgelegt, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage begehrt, soweit der Antragsgegner erstmals im Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2012die sofortige Vollziehung der Untersagung der Nutzung von Erdwärme aus der Sonden-Nummer-EWS 1 (Sonde 1) einschließlich der Entfernung des für die Nutzung dieser Sonde erforderlichen wassergefährdenden Wärmeträgermittels aus der Sonde 1 angeordnet hat.

Diese Anordnung erweist sich als rechtmäßig und eilbedürftig,weshalb das Verwaltungsgericht insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage zu Unrecht aufgrund einer Interessenabwägung angeordnet hat.

Die Nutzungsuntersagung konnte mit Sofortvollzug (§ 80 Abs. 2Nr. 4 VwGO) auf der Grundlage von § 100 des Wasserhaushaltsgesetzes - WHG - i. V. m. § 63 Abs. 2 des Hessischen Wassergesetzes - HWG -angeordnet werden, weil die Entnahme von Wärme aus dem Grundwasser mit Grundwasserberührung durch die Sonde 1 auf dem Grundstück des Antragstellers formell rechtswidrig und materiell jedenfalls nicht offenkundig genehmigungsfähig ist.

Das Vorhaben des Antragstellers bedurfte einer wasserrechtlichen Erlaubnis, wobei offen bleiben kann, ob sich die Erlaubnispflicht für den Entzug von Erdwärme aus dem Grundwasser aus § 9 Abs. 1 Nr.4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Satz 2 WHG oder aus § 9 Abs. 2 Nr. 2 WHGergibt (s. zur wasserrechtlichen Einordnung der Erdwärmenutzung näher Beschluss des Senats vom 17. August 2011 - 2 B 1484/11 -,juris). Die Wasserbehörde hatte in ihrer Entscheidung aber auch die bergrechtlichen Anforderungen unter Beteiligung der Bergbehörde zu prüfen, nachdem für das Vorhaben kein Betriebsplan gemäß § 127 des Bundesberggesetzes - BBergG - gefordert worden war. Denn die Bergbehörde hatte gemäß § 127 Abs. 1 Nr. 2 BBergG auf einen bergrechtlichen Betriebsplan verzichtet (s. dazu auch Ziffer 6.9des Erlasses des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Energie,Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 25. März 2010,Staatsanzeiger 2010, S. 1150) und damit das Genehmigungsverfahren in den Händen der Wasserbehörde belassen (s. § 19 Abs. 2 WHG). Für die Erdwärmegewinnung sind jedoch materiell auch bergrechtliche Vorschriften einschlägig, weil Erdwärme gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2BBergG als ein bergfreier Bodenschatz gilt, für dessen Gewinnung grundsätzlich eine Bewilligung nach §§ 8, 6 BBergG erforderlich ist. Hiervon ausgenommen wird nach § 4 Abs. 2, 2. Halbsatz Nr. 1BBergG die Erdwärmegewinnung in einem Grundstück aus Anlass oder im Zusammenhang mit dessen baulicher oder sonstiger städtebaulicher Nutzung. Um die Voraussetzungen der letztgenannten Ausnahme von der bergrechtlichen Bewilligungspflicht sicherzustellen, hatte vorliegend die Bergbehörde - wie es in Ziffer 6.8 des o. g.Erlasses den Behörden für den Regelfall vorgegeben wird - im Rahmen ihrer Beteiligung gefordert, dass die Erdwärmebohrungen über ihre gesamte nicht mit wärmeisolierendem Material verpresste Bohrstrecke von allen Grundstücksgrenzen wenigstens 5 m entfernt sein müssen.Diese Anforderung hat der Antragsgegner in Ziffer 20 der Nebenbestimmungen für die wasserrechtliche Erlaubnis aufgenommen,der Antragsteller hat sich hiergegen nicht gewendet.

Unstreitig ist gegen diese somit bestandskräftig gewordene Nebenbestimmung verstoßen worden, weil der Abstand von wenigstens 5m bei der Sonde 1 deutlich unterschritten wird. Hiernach ist die Gewinnung von Erdwärme mit der Sonde 1 auf dem Grundstück des Antragstellers formell illegal.

Nach Auffassung des Senats kann kein Zweifel bestehen, dass diese formelle Rechtswidrigkeit eine Nutzungsuntersagung unter Anordnung des Sofortvollzugs rechtfertigt. Bereits nach § 4 Abs. 3WHG ist - abweichend von der durch Art. 14 GG und dem hieraus folgenden Grundsatz der Baufreiheit geprägten Rechtslage im Baurecht - eine formell rechtswidrige Gewässerbenutzung stets auch als materiell rechtswidrig anzusehen. Denn nach § 4 Abs. 3 Nr. 1WHG berechtigt das Grundeigentum an einem Grundstück nicht zu einer Gewässerbenutzung, die einer behördlichen Zulassung bedarf.Vielmehr wird das Recht, eine gestattungspflichtige Gewässerbenutzung vorzunehmen, erst durch eine wasserrechtliche Gestattung materiell begründet (BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1978- 4 C 71.75 -, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 18. April 2012 - 2 A2391/11.Z -).

Das Übermaßverbot kann allerdings verlangen, dass eine Anordnung der Beseitigung unerlaubt errichteter Anlagen zur Benutzung von Gewässern auch die materielle Gestattungsfähigkeit der Nutzung berücksichtigt (s. Czychowski/Reinhardt, WHG, § 100 WHG Rn. 43;Hess. VGH, Beschluss vom 18. April 2012, a. a. O.). Anders verhält es sich hingegen bei einer Nutzungsuntersagung, mit der noch nicht die endgültige Beseitigung von Anlagen und damit meistens die Vernichtung von Vermögenswerten verlangt wird, bevor deren Genehmigungsfähigkeit geprüft worden ist. Eine solche Nutzungsuntersagung ist regelmäßig bei formeller Illegalität einer Gewässerbenutzung rechtlich geboten (Gößl in: Sieder/Zeitler/Dahme,WHG, § 100 Rn.75). Denn das Genehmigungserfordernis soll die Behörden in die Lage versetzen, präventiv die Auswirkungen einer Gewässerbenutzung zu prüfen. Indem der Gesetzgeber Gewässerbenutzungen nur nach Genehmigung erlauben will, gibt er zu erkennen, dass die hohe Bedeutung des Schutzgutes Wasser eine präventive Kontrolle vor einer Nutzungsaufnahme erfordert und deshalb eine (noch) nicht genehmigte Benutzung untersagt werden soll. Weiter rechtfertigt sich eine Nutzungsuntersagung bei formeller Illegalität einer Gewässerbenutzung dadurch, dass die spätere Herstellung des rechtmäßigen Zustandes durch in der Zwischenzeit geschaffene vollendete Tatsachen zumindest erschwert und ein Anreiz zu weiteren Verstößen ähnlicher Art geschaffen würde (s. so zur entsprechenden Sachlage im Baurecht: Brohm, Öffentliches Baurecht, 3. Auflage, § 29 Rn. 16).

In gleicher Weise legitimiert nach der Rechtsprechung des Senats zum Bergrecht eine Betriebstätigkeit, die nicht mehr von dem zugelassenen Hauptbetriebsplan gedeckt und damit jedenfalls formell illegal ist, die Untersagung der Fortführung dieser Betriebstätigkeit (Beschluss vom 30. November 1998 - 2 TG 2652/96-, juris; s. auch Hess. VGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 - 4 UE2874/02 -, juris Rn. 34).

Vorliegend ist kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass von der hiernach regelmäßig gebotenen Nutzungsuntersagung ausnahmsweise Abstand genommen werden müsste. Vielmehr kommt hier - die Rechtmäßigkeit des Nutzungsverbots verstärkend - hinzu, dass nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners die Genehmigungsfähigkeit der derzeit formell illegalen Grundwassernutzung keineswegs sicher ist. Wenn der notwendige Abstand zum Nachbargrundstück nicht gewahrt bleibt, ist der Ausnahmetatbestand des § 4 Abs. 2, 2. Halbsatz Nr. 1 BBergG nach der Erlasslage im Regelfall nicht mehr gegeben und für das Vorhaben müsste ein bergrechtliches Bewilligungsverfahren nach § 8 BBergGdurchgeführt werden.

Zu Recht hat der Antragsgegner auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Nutzungsverbots als notwendig zur Sicherung seiner Wirksamkeit angesehen. Das besondere Vollzugsinteresse ergibt sich im Falle einer formell illegalen Nutzung wie im Baurecht so auch im Wasserrecht regelmäßig bereits daraus, dass es nicht hinnehmbar ist, sich aus einer angemaßten Rechtsposition Vorteile während des Rechtsmittelverfahrens zu verschaffen (s. Kopp/Schenke, a. a. O., §80 VwGO Rn. 91 und Rn. 96; Schmidt in: Eyermann, VwGO, 13. Auflage,§ 80 VwGO Rn. 36 m. w. N.). Derjenige, der eine Nutzung ohne vorher einzuholende Erlaubnis ausübt, soll keine Vorteile aus dem Gesetzesverstoß ziehen. Eine dahingehende hinreichende Begründung hat der Antragsgegner für die Anordnung des Sofortvollzuges der Nutzungsuntersagung im Widerspruchsbescheid gegeben.

Der Einwand des Antragstellers, die sofortige Vollziehung des Nutzungsverbotes sei unverhältnismäßig, weil sie darauf hinauslaufe, dass er sein Haus in der kalten Jahreszeit nicht mehr beheizen könne, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner näheren Aufklärung, ob - worauf der Antragsgegner hinweist - eine Beheizung des Hauses auch unter Nutzung der legal eingebrachten Erdwärmesonde 2 möglich wäre. Der Antragsteller muss sich in der Situation, die durch seine ungenehmigte Nutzung entstanden ist, auf andere Arten der Beheizung, letztlich etwa durch mobile strombetriebene Heizkörper,verweisen lassen.

Auch die über die bloße Nutzungsuntersagung hinausgehende mit Sofortvollzug versehene Anordnung der Entfernung des Wärmeträgermittels ist hier als rechtmäßig anzusehen. Insoweit hat der Antragsgegner mit nachvollziehbarer Begründung den Sofortvollzug angeordnet, weil sich nach seinen Ermittlungen zu den tatsächlichen Verhältnissen anders oder mit einer weniger weitgehenden Anordnung die Beachtung der Nutzungsuntersagung nicht überprüfen lässt. Vorläufig wird dem Antragsteller jedoch noch nicht die Beseitigung der gesamten formell und materiell illegalen Anlage abverlangt, sondern nur die Entfernung des Wärmeträgermittels, das Teil der unerlaubt eingebrachten Sonde 1ist. Im Übrigen hat der Antragsteller gegen die Anordnung der sofortigen Entfernung des Wärmeträgermittels auch keine selbstständigen Einwendungen erhoben.

Die Kosten des gesamten vorläufigen Rechtsschutzverfahrens hat der Antragsteller zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1VwGO).

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 52 Abs. 1, Abs.2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 47 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes - GKG - i. V. m. Nr. II. 51.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8.Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327). Der Senat hält den wirtschaftlichen Wert einer wasserrechtlichen Erlaubnis zur Nutzung der Geothermie für die Beheizung eines Hauses mit dem Auffangwert für jede Erdwärmesonde (5.000,00 €) für angemessen bewertet. Im Hinblick auf den Charakter des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens wird dieser Ansatz halbiert.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs.3 Satz 3 und 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).