VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2004 - 1 S 2206/03
Fundstelle
openJur 2013, 13511
  • Rkr:

1. Art 5 Abs 1 Buchst c EMRK (MRK) lässt auch die Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten zu, wenn diese mit erheblichen Gefahren für ein geschütztes Rechtsgut verbunden sind.

2. In Fällen polizeilichen Gewahrsams genügt die Polizei dem Gebot zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung (§ 28 Abs 3 Satz 3 PolG (PolG BW), Art 104 Abs 2 Satz 2 GG) grundsätzlich dadurch, dass sie die Sache beim zuständigen Amtsgericht anhängig macht, d.h. dem Gericht den Sachverhalt vorträgt mit der Bitte um Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams.

3. Auch die weitere Sachbehandlung durch das Amtsgericht muss den Anforderungen des § 28 Abs 3 Satz 3 PolG (PolG BW), Art 104 Abs 2 Satz 2 GG genügen, insbesondere muss dessen Entscheidung grundsätzlich unverzüglich ergehen.

4. Ergibt eine Prognose, dass eine richterliche Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist, entfällt die Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung; andernfalls würde die Regelung zu einer mit ihrem Rechtsschutzzweck nicht zu vereinbarenden Verlängerung der Freiheitsentziehung führen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2002 - 12 K 179/01 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Ingewahrsamnahme durch Beamte des Polizeivollzugsdienstes des beklagten Landes.

Mit Telefax vom 17.10.2000 meldete xxx für Mittwoch, den 18.10.2000, bei der zuständigen Versammlungsbehörde, dem Landratsamt xxx, eine Demonstration gegen den für diesen Tag erwarteten Transport von Brennelementen (Castor-Transport) vom Gelände des Kernkraftwerks xxx zur Wiederaufbereitungsanlage xxx an. Die Demonstration sollte von 7.00 bis 15.00 Uhr „vom Marktplatz zur AKW-Haupteinfahrt mit anschließender Mahnwache und Abschlusskundgebung“ stattfinden. Der Versammlungsleiter und die Versammlungsteilnehmer gingen dabei davon aus, dass der Demonstrationszug zunächst in östlicher Richtung zum sogenannten „Kreisel“ und von dort über die sogenannte Rheinschanzinsel zum Haupteingang des Kernkraftwerks xxx verlaufen sollte. Nachdem allerdings am frühen Morgen des 18.10.2000 gegen 6.15 Uhr eine andere Demonstrationsgruppe mit etwa 150 Teilnehmern die am Zufahrtsweg des Kernkraftwerks postierte Polizei überrannt und eine sogenannte „Schichtwechsel-Blockade“ durchgeführt hatte und dadurch der ursprünglich geplante Weg zum Kernkraftwerk durch Polizeikräfte und Demonstranten versperrt war, entschlossen sich der Versammlungsleiter und die Versammlungsteilnehmer - darunter auch der Kläger - kurzfristig, über die L 555 zur Straße am Zufahrtsgleis zum Kernkraftwerk zu gehen, um dann auf dieser Straße entlang dem Gleis zum Kernkraftwerkstor zu gelangen. Der Demonstrationszug begab sich mit 150 Teilnehmern - darunter auch der Kläger - gegen 7.20 Uhr in westlicher Richtung auf die L 555 in Richtung Industriegleis. An der Straßenbrücke über den Pfinzkanal wurde der Demonstrationszug von Polizeikräften aufgehalten, woraufhin sich die Teilnehmer - darunter auch der Kläger - auf die Fahrbahn der L 555 setzten und diese blockierten. Ein Vertreter der Versammlungsbehörde teilte dem Versammlungsleiter sodann mit, dass ein Aufzugsweg zum Kernkraftwerk über das Anschlussgleis nicht zugelassen werde, die Fahrbahn freigehalten werden müsse und beabsichtigt sei, die Demonstration zu untersagen. Um 8.20 Uhr erklärte der Versammlungsleiter daraufhin die Demonstration für beendet. Nachdem die Versammlungsteilnehmer sich trotz mehrfacher Aufforderung durch die Polizei nicht von der Fahrbahn entfernten, wurde die Versammlung durch mündliche Verfügung des Vertreters der Versammlungsbehörde aufgelöst und die auf der Fahrbahn verbliebenen Versammlungsteilnehmer - darunter auch der Kläger - von polizeilichen Einsatzkräften auf das angrenzende Wiesengelände abgedrängt. Die Räumung der L 555 war um ca. 8.37 Uhr beendet.

Etwa um 9.15 Uhr beschlossen die abgedrängten Versammlungsteilnehmer ohne Mitwirkung des bisherigen Versammlungsleiters nun doch, über die Altrheinbrücke zur Rheinschanzinsel zum Werkstor des Kernkraftwerks zu marschieren, um dort - wie ursprünglich vorgesehen - zu demonstrieren. Die etwa 150 Personen gingen daraufhin nach xxx zurück, um auf direktem Wege zur Hauptzufahrtstraße zum Kernkraftwerk zu gelangen. An der Altrheinbrücke zur Rheinschanzinsel wurden die Demonstranten etwa um 9.35 Uhr durch eine Polizeisperre am Weitergehen gehindert. Daraufhin setzten sich die Teilnehmer - darunter auch der Kläger - wiederum auf die Straße, um gegen die Vorgehensweise der Polizei zu protestieren. Um 9.54 Uhr löste der Vertreter der Versammlungsbehörde auch diese Versammlung auf. Während sich etwa 40 Teilnehmer freiwillig von der Fahrbahn entfernten, verblieben über 110 Personen - darunter auch der Kläger - auf der Straße zum Kernkraftwerk sitzen. Nachdem diese seitens der Polizei mehrfach zur Räumung der Straße aufgefordert worden waren, wurden sie etwa ab 10.10 Uhr von den Polizeikräften unter Anwendung unmittelbaren Zwangs weggetragen und in Gewahrsam genommen. Alle in Gewahrsam genommenen Demonstranten wurden sodann mit Polizeifahrzeugen in die xxxx-Kaserne nach xxx verbracht, wo sie gegen 11.00 Uhr eintrafen. Dort erfolgte die erkennungsdienstliche Behandlung und die Anfertigung von Ordnungswidrigkeitenanzeigen. Der Kläger, dessen Personalien etwa um 13.30 Uhr festgestellt wurden, verweigerte die Aussage zu der ihm zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit, legte schriftlich Widerspruch gegen die Ingewahrsamnahme ein und beantragte eine sofortige richterliche Entscheidung.

Bereits um die Mittagszeit war seitens der Polizei erfolglos versucht worden, bezüglich der Ingewahrsamnahmen mit einem Richter des Amtsgerichts xxx-xxx Kontakt aufzunehmen. Um Rückruf wurde gebeten. Nachdem ein Rückruf nicht erfolgte, telefonierte um 15.15 Uhr Kriminaloberrat xxx mit dem Amtsgericht xxx und erhielt die Auskunft, dass ein Richter bereits nach Hause gegangen sei und der Direktor des Amtsgerichts gerade einen Sitzungstermin wahrnehme. Um 15.38 Uhr gelang es, Amtsgerichtsdirektor xxx telefonisch über die Gewahrsamnahmen in Kenntnis zu setzen. Dieser erklärte, dass er „nach § 28 Abs. 3 PolG durch den Anruf unverzüglich über die freiheitsentziehenden Maßnahmen der Personen unterrichtet“ sei. Weiter führte er aus, dass eine richterliche Bestätigung eine Einzelanhörung der inhaftierten Personen voraussetze. Nach seiner Auffassung habe die Polizei die rechtliche Möglichkeit, die Personen bis zum Ende des darauffolgenden Tages in Gewahrsam zu nehmen. Sollte der Gewahrsam im Laufe des nächsten Tages aufrechterhalten werden, so sei er hierüber zu verständigen, worauf er mit einer Einzelanhörung beginnen werde.

Um 16.45 Uhr wurde der Gewahrsam aufgehoben und der Kläger auf freien Fuß gesetzt.

Am 27.12.2000 hat der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben und beantragt festzustellen, dass die Gewahrsamnahme vom 18.10.2000 rechtswidrig gewesen sei. Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt.

Mit Urteil vom 10.6.2002 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Gewahrsamnahme sei sowohl für den Zeitraum zwischen 11.00 Uhr bis 13.30 Uhr als auch für den Zeitraum zwischen 13.30 Uhr bis 16.45 Uhr rechtmäßig gewesen. Hinsichtlich des ersten Zeitraums sei die Maßnahme durch §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 163 b Abs. 1 Satz 2 StPO gerechtfertigt. Rechtsgrundlage für das weitere Festhalten des Klägers nach Abschluss der Personenfeststellung um ca. 13.30 Uhr sei § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG gewesen. Es könne dahingestellt bleiben, ob der weitere Gewahrsam des Klägers zum Zwecke der Verhinderung einer bevorstehenden Straftat unter dem Gesichtspunkt der Nötigung, § 240 StGB, gerechtfertigt gewesen sei. Denn eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit könne auch bei bevorstehenden Ordnungswidrigkeiten angenommen werden, sofern diese zu umfangreichen und intensiven Störungen führen könnten. Dies sei hier der Fall gewesen. Die wiederholte Nichtbeachtung des sich aus § 13 Abs. 2 VersG ergebenden Gebots, sich nach der Auflösung der Versammlung zu entfernen, stelle eine Ordnungswidrigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG dar. Zudem habe zugleich auch ein Verstoß gegen §§ 1 Abs. 2, 25 Abs. 1 StVO und eine nicht erlaubte Sondernutzung einer öffentlichen Straße gemäß § 16 Abs. 1 LStrG vorgelegen. Diese Störungen seien nach Umfang und Intensität erheblich gewesen. Die Störung habe auch unmittelbar bevorgestanden, da der Beklagte aufgrund des der Gewahrsamnahme vorangegangenen Verhaltens des Klägers sowie der polizeibekannten Strategie der Versammlungsteilnehmer davon habe ausgehen dürfen, dass der Kläger nach der Räumung der Straße erneut die Fahrbahn an einer anderen Stelle blockieren würde. Die Gefahr weiterer erheblicher Störungen der öffentlichen Sicherheit habe auch bei der Aufrechterhaltung des Gewahrsams nach Abschluss der Personenfeststellung um 13.30 Uhr unmittelbar bevorgestanden. Eine Freilassung des Klägers um 13.30 Uhr hätte die Gefahr einer erneuten Blockadeaktion in sich geborgen. Der Beklagte habe auch nicht gegen die Pflicht verstoßen, unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Bei Beginn des Gewahrsams sei eine solche entbehrlich gewesen, da der Beklagte geplant habe, die in Gewahrsam genommenen Personen unmittelbar nach Abschluss der Personenfeststellung im Laufe der nächsten Stunde freizulassen, da man von Seiten der Polizei davon ausgegangen sei, dass die Demonstranten alsdann die Heimreise antreten würden. Bei dieser Sachlage sei die Einholung einer richterlichen Entscheidung schon deshalb entbehrlich gewesen, weil diese nur zu einer Verzögerung der Freilassung geführt hätte. Ihre Absicht, die in Gewahrsam genommenen Demonstranten bis spätestens 15.00 Uhr freizulassen, habe die Polizei in der Folgezeit jedoch nicht umsetzen können, nachdem sich die Gesamtsituation bis zu der tatsächlich erfolgten Kontaktaufnahme mit dem Amtsgericht xxx (um 15.15 Uhr) zum Unklaren hin entwickelt habe. Zwar seien schon vereinzelt Abreiseaktivitäten außerhalb der xxx-Kaserne feststellbar gewesen, andererseits habe aber insbesondere bei den in Gewahrsam genommenen Personen keine Bereitschaft bestanden, die umgehende Abreise zuzusichern. Wenn sich die Polizei in dieser Phase der Unsicherheit nunmehr dazu entschlossen habe, jetzt doch eine richterliche Entscheidung gemäß § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG herbeizuführen, so sei dieses Verhalten noch unverzüglich. Die Tatsache, dass das Amtsgericht erst um 15.38 Uhr über den Sachstand in Kenntnis gesetzt werden konnte, könne der Polizei nicht angelastet werden. Der Begriff des „Herbeiführens“ umfasse lediglich das Anhängigmachen der Sache beim zuständigen Amtsgericht. Nicht in die Verantwortungssphäre der Polizei falle die weitere Sachbehandlung durch das Amtsgericht xxx, nachdem dieses von dem Gewahrsam polizeilicherseits in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Entscheidung des Amtsgerichts, von einer richterlichen Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams vorerst abzusehen, sei im vorliegenden Rechtsstreit unerheblich, zumal dem erkennenden Gericht insoweit eine Überprüfungskompetenz nicht zustehe. Die Freiheitsentziehung habe auch nicht gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EMRK verstoßen. Der Begriff der „strafbaren Handlung“ im Sinne dieser Bestimmung sei weit auszulegen, so dass die Vorschrift die Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Verhinderung einer Ordnungswidrigkeit nicht verbiete.

Auf den Antrag des Klägers hat der Senat die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil zugelassen.

Zur Begründung seiner Berufung vertieft der Kläger seine bisherigen Ausführungen: Es sei zweifelhaft, ob die Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme in der Zeit von 11.00 Uhr bis 13.30 Uhr tatsächlich § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 163 b Abs. 1 Satz 2 StPO gewesen sei. Nach ihrem eigenen Vortrag habe die Polizei die Demonstranten aus Gründen der Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommen und nicht, um ihre Personalien festzustellen. Aus Gründen der Gefahrenabwehr sei die Ingewahrsamnahme seinerzeit aber nicht erforderlich gewesen. Er, der Kläger, habe sich an Blockadeaktionen zu keinem Zeitpunkt beteiligt, eine Blockade des AKW sei von ihm nicht beabsichtigt gewesen. Auf die Straße habe er sich allein deshalb gesetzt, weil die Polizei ein Weitergehen der Demonstrationsteilnehmer verhindert habe. Im Übrigen verstoße die Ingewahrsamnahme gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EMRK. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtfertige die Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten eine Freiheitsentziehung nicht. Die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme hätten auch im weiteren Verlauf nicht vorgelegen. Ausreichende Tatsachen für eine akute Bedrohung der öffentlichen Sicherheit hätten nicht vorgelegen. Insoweit könne insbesondere nicht ausreichend sein, dass die in Gewahrsam genommenen Demonstranten keine Zusicherung abgegeben hätten, unmittelbar die Abreise anzutreten. Die Ingewahrsamnahme sei auch deshalb rechtswidrig, weil die Polizei es unterlassen habe, unverzüglich die erforderliche richterliche Entscheidung herbeizuführen. Nach dem eigenen Vortrag des Beklagten sei eine Entlassung des Klägers erst eine Stunde nach Beendigung der Personalienfeststellung vorgesehen gewesen. Insoweit hätte ohne weiteres bereits vor der Ingewahrsamnahme eine richterliche Entscheidung beim Amtsgericht herbeigeführt werden können und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen. Die Polizei habe aber auch nach der Ingewahrsamnahme nicht unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeigeführt. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, dass dem Gericht der wesentliche Sachverhalt mit der Bitte um Entscheidung vorgelegt worden wäre, wozu es eines auf die Person des Klägers bezogenen Antrags bedurft hätte. Wie der Direktor des Amtsgerichts xxx in seiner Stellungnahme mitgeteilt habe, sei ein formeller Antrag auf richterliche Entscheidung seitens der Polizei nicht gestellt worden. Ein bloßes Telefonat könne insoweit nicht ausreichen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10. Juni 2002 - 12 K 179/01 - zu ändern und festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme am 18.10.2000 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt noch vor: Die Festnahme des Klägers habe zunächst der Personenfeststellung und der Anfertigung von Ordnungswidrigkeitenanzeigen wegen Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG gedient. Erst gegen 13.40 Uhr sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass er nunmehr polizeirechtlich in Gewahrsam genommen werde. Bei den bis zur Eröffnung der polizeirechtlichen Ingewahrsamnahme getroffenen Maßnahmen handle es sich somit nicht um Akte, für die gemäß § 40 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben sei. Soweit sich die Klage auch auf das Verbringen in die xxx-Kaserne und das Festhalten bis zur Eröffnung der polizeilichen Ingewahrsamnahme erstrecke, sei sie deshalb unzulässig. Zum Zeitpunkt der polizeirechtlichen Ingewahrsamnahme hätten die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG vorgelegen. Ursprünglich sei beabsichtigt gewesen, den Kläger nach Beendigung der Maßnahmen im Rahmen des ordnungswidrigkeitsrechtlichen Ermittlungsverfahrens aus dem Gewahrsam zu entlassen, da man davon ausgegangen sei, dass die in xxx verbliebenen Demonstranten in absehbarer Zeit die Heimreise antreten würden. In der Folgezeit hätten sich jedoch veränderte Gesamtumstände ergeben. In Gesprächen zwischen den Kundgebungsteilnehmern und dem polizeilichen Einsatzleiter sei deutlich geworden, dass im Grunde nur auf die Freilassung der festgehaltenen Personen gewartet worden sei und dass für die Nachmittags- bzw. Abendstunden noch eine weitere Kundgebung geplant sei. Unter diesen Umständen sei es äußerst wahrscheinlich gewesen, dass es bei einer sofortigen Freilassung zeitnah zu neuen Blockadeaktionen gekommen wäre. Dies habe auch aus den Erfahrungen mit den Blockadeaktionen am Vormittag und aus der von der Kampagne „X-tausendmal quer - überall“ generell im Zusammenhang mit dem Castortransport verfolgten Strategie geschlossen werden können.

Es sei auch nicht gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung verstoßen worden. Schon im Hinblick auf die §§ 46 OWiG, 163 c Abs. 1 StPO sei noch vor 12.00 Uhr erfolglos versucht worden, einen zuständigen Richter beim Amtsgericht xxx zu erreichen. Wegen der zwischenzeitlich erfolgten Ingewahrsamnahme nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG sei um 15.15 Uhr erneut Kontakt mit dem Amtsgericht xxx-xxx aufgenommen worden. Der im Amtsgericht noch anwesende Amtsgerichtsdirektor xxx habe aber letztlich erst um 15.38 Uhr umfassend über die Ingewahrsamnahme informiert werden können, weil er zuvor noch einen Sitzungstermin wahrgenommen habe. Währenddessen habe sich die Situation entspannt. Ab etwa 15.00 Uhr seien erste Abwanderungsbewegungen festgestellt worden. In weiteren Gesprächen sei unverkennbar eine vorherrschende Aufbruchstimmung wahrnehmbar gewesen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe bei den in Gewahrsam genommenen Personen keine Bereitschaft bestanden, die umgehende Abreise zuzusichern. Dies habe sich erst nach Einschaltung einer Aktivistin (xxx xxx) als Vermittlerin geändert. Nachdem ihr eine Kontaktaufnahme mit den in Gewahrsam Genommenen gestattet worden sei, habe sie gegenüber dem Polizeiführer erklärt, dass man nach der Entlassung aus dem Gewahrsam lediglich noch eine Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz von xxx durchzuführen beabsichtige. Der Gewahrsam sei dann um 16.45 Uhr aufgehoben worden. Dass ein Richter beim Amtsgericht xxx wegen anderer Dienstgeschäfte nicht sofort greifbar gewesen sei, liege in der Natur der Aufgabenstellung des Richters und sei unvermeidbar. Auch der Umstand, dass Amtsgerichtsdirektor xxx letztendlich bewusst keine Entscheidung über die Ingewahrsamnahme des Klägers getroffen habe, sei nicht zu beanstanden. Die von dem zuständigen Richter nach Unterrichtung durch die Polizei getroffene Prognose, dass insbesondere aufgrund des Erfordernisses der Anhörung eine richterliche Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Ingewahrsamnahme ergehen würde, sei nachvollziehbar und vertretbar gewesen. Soweit sich die Klage auf die vom Richter getroffene formlose „Verfahrensentscheidung“ erstrecke, mit Rücksicht auf das absehbare Ende der Gewahrsamnahme keine förmliche Sachentscheidung zu treffen, sei auch insoweit der Verwaltungsrechtsweg ausgeschlossen, weil eine Entscheidung des Gerichts im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 4 PolG ergangen sei.

Dem Senat liegen die einschlägigen Behörden- und Gerichtsakten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Gründe

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO).

Die - nach Zulassung statthafte und auch sonst zulässige - Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige (I.) Klage zu Recht abgewiesen. Denn der am 18.10.2000 angeordnete Gewahrsam des Klägers war rechtmäßig und verletzte diesen nicht in seinen Rechten (II.).

I.

Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 VwGO hat der Senat nicht mehr zu prüfen. Hat das erstinstanzliche Gericht - wie im vorliegenden Fall - den zu ihm beschrittenen Rechtsweg bejaht und in der Hauptsache entschieden, ist das Berufungsgericht gemäß § 17 a Abs. 5 GVG grundsätzlich gehindert, die Rechtswegfrage inhaltlich zu überprüfen. Zwar ist die Bestimmung des § 17 a Abs. 5 GVG nicht anwendbar, wenn das Verwaltungsgericht unter Verstoß gegen § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG nicht vorab über die Zulässigkeit des Rechtswegs befunden hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28.1.1994 - 7 B 198.93 -, Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 268; Ehlers, in: Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, 9. Ergänzungslieferung 2003, § 17 a GVG RdNrn. 46, 28 f.). Hier war eine Vorabentscheidung des Verwaltungsgerichts indes nicht geboten, weil der Beklagte die Zulässigkeit des Rechtswegs im erstinstanzlichen Verfahren nicht gerügt hatte (vgl. § 17 a Abs. 3 Satz 2 GVG). Bei dieser prozessrechtlichen Lage ist der Senat gehindert, über die vom Beklagten erstmals im Berufungsverfahren erhobenen Rechtswegrügen zu befinden.

Mit seinem im Berufungsverfahren weiterverfolgten Klagantrag begehrt der Kläger die Feststellung, dass der am 18.10.2000 angeordnete, durch die noch am selben Tage um 16.45 Uhr erfolgte Freilassung erledigte Gewahrsam rechtswidrig war. Dass dieses Begehren in analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig ist, hat das Verwaltungsgericht in zutreffender Weise festgestellt (vgl. S. 7 des Entscheidungsabdrucks).

II.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch angenommen, dass die Klage unbegründet ist. Denn der am 28.10.2000 erfolgte Gewahrsam des Klägers war rechtmäßig und verletzte diesen daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Dies hat das Verwaltungsgericht mit im Wesentlichen zutreffender Begründung festgestellt. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (S. 7 bis 15 des Entscheidungsabdrucks; vgl. § 130 b Satz 2 VwGO). Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Der Kläger wendet sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme in der Zeit von 11.00 bis 13.30 Uhr sei § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 163 b Abs. 1 Satz 2 StPO gewesen. Er macht geltend, die Demonstranten seien nicht zur Feststellung ihrer Personalien, sondern aus Gründen der Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommen worden. Dieser Einwand, dessen Prüfung dem Senat im Hinblick auf § 17 Abs. 2 GVG nicht verwehrt ist, verfängt nicht. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Vertreter des beklagten Landes unwidersprochen angegeben, dass die Ingewahrsamnahme zunächst dem Zweck gedient habe, gegen die Aktivisten Anzeigen wegen des Verstoßes gegen § 29 VersG zu fertigen (S. 2 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 10.6.2002, S. 175 der VG-Akte). Bestätigt wird diese Angabe durch die von dem Beklagten vorgelegten Akten aus dem ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahren sowie die im Berufungsverfahren vorgelegte Stellungnahme des EKHK xxx vom 23.10.2003 (Anlage 4 zum Schriftsatz vom 8.12.2003, S. 109 f. der VGH-Akte). Dort heißt es u.a.:

„1. Am 18.10.2000 war ich innerhalb des Abschnittes „Strafverfolgung“ als Leiter des Unterabschnittes (UA) „Ermittlungen“ eingesetzt. In der Zeit zwischen 10.45 und 11.45 Uhr wurden dem Abschnitt „Strafverfolgung“ sukzessive mehr als 100 Demonstranten überstellt. Sämtliche Personen gelangten zunächst zum UA „Gefangenensammelstelle“, wo ihre Identität festgestellt und in Einzelfällen überprüft wurde. Gleichzeitig wurden den Personen mitgeführte Gegenstände abgenommen und in gesonderten Räumen verwahrt. Hierzu war es notwendig, sämtliche Gegenstände im Detail in einem Verzeichnis zu erfassen. Nach Erledigung dieses äußerst zeitaufwendigen Prozedere wurde den Personen von Beamten des UA „Ermittlungen“ die Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit, derer sie verdächtig waren, eröffnet.

Nach Abschluss der strafprozessualen Maßnahmen wurde den Personen ihre polizeirechtliche Gewahrsamnahme eröffnet und sie wurden in die dafür vorgesehenen Räumlichkeiten verbracht.

2. Den teilweise noch vorhandenen Listen des UA „Gefangenensammelstelle“ ist zu entnehmen, dass xxx xxx mit einer Gruppe von mindestens 17 Personen beim UA „Gefangenensammelstelle“ gegen 11.00 Uhr eintraf und um 13.40 Uhr belehrt wurde. Demnach erfolgte seine polizeirechtliche Gewahrsamnahme kurz nach 13.40 Uhr.“

Diese konkrete und detaillierte Darstellung ist vom Kläger im Berufungsverfahren nicht in Frage gestellt worden. Für ihre Richtigkeit sprechen die Ausführungen des Klägers in seinem Gedächtnisprotokoll vom 21.10.2002 (S. 121 ff. der VG-Akte). Dort heißt es u.a.:

„Um ca. 13.30 Uhr erfolgt die Ankündigung, dass die Behandlung der einzelnen Personen ab sofort verkürzt stattfindet. Kurz danach bin ich an der Reihe. Ich darf mein Gepäck wieder an mich nehmen, werde im Flur des Gebäudes mit einer Polaroid-Kamera fotografiert und anschließend in ein Büro geführt. Dort erfolgt eine Belehrung über die Ordnungswidrigkeit „Teilnahme an einer nicht angemeldeten Demonstration“. Ich mache keine Aussage, sondern gebe nur meine Personalien an. ...“

Vor diesem Hintergrund hat der Senat keine Zweifel daran, dass der Gewahrsam des Klägers bis etwa 13.40 Uhr der Durchführung des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahrens diente und deshalb durch § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 163 b Abs. 1 Satz 2 StPO gedeckt war. Selbst wenn mit dem Gewahrsam bereits am Vormittag zugleich auch präventive Zwecke verfolgt worden sein sollten, könnte der Kläger hieraus für sein Begehren nichts herleiten. Denn für die Qualifizierung einer sogenannten doppelfunktionalen Maßnahme der Polizei kommt es zum einen auf das Schwergewicht des polizeilichen Handelns und zum anderen auf den damit verbundenen Zweck an (Senatsurteil vom  16.5.1988, VBlBW 1989, 16, 17; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 5. Aufl., RdNr. 189 ff.). Soweit der Grund des polizeilichen Handelns dabei dem Betroffenen nicht bereits unmittelbar selbst von der Polizei genannt wurde, ist für die Abgrenzung der Aufgabengebiete maßgebend, wie sich der konkrete Sachverhalt einem verständigen Bürger in der Lage des Betroffenen bei natürlicher Betrachtungsweise darstellt (Senatsurteil vom 16.5.1988, a.a.O.). Auch hieran gemessen greift der Einwand des Klägers nicht durch. Auf der Grundlage der oben erwähnten Unterlagen geht der Senat davon aus, dass sich der Gewahrsam bis 13.40 Uhr jedenfalls seinem Schwerpunkt nach für einen verständigen Bürger in der Lage des Klägers als Maßnahme zur Aufklärung und Ahndung der zuvor begangenen Ordnungswidrigkeiten darstellte.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht auch festgestellt, dass im Hinblick auf den nach Abschluss der Personenfeststellung aufrechterhaltenen Gewahrsam des Klägers die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG vorlagen (S. 8 ff. des Entscheidungsabdrucks). Nach dieser Vorschrift kann die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn auf andere Weise eine unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung nicht verhindert oder eine bereits eingetretene erhebliche Störung nicht beseitigt werden kann.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne dieser Bestimmung sei nicht allein anzunehmen, wenn die Gefahr der Begehung von Straftaten drohe. Vielmehr könne auch das Bevorstehen von Ordnungswidrigkeiten eine Ingewahrsamnahme nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG rechtfertigen, wenn diese zu umfangreichen und intensiven Störungen führen könnten. Diese Auffassung begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Ihr steht insbesondere Bundesrecht nicht entgegen. Die Regelungen des Ordnungswidrigkeitengesetzes, die insbesondere eine Verhaftung und vorläufige Festnahme zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten ausschließen (vgl. § 46 Abs. 3 S. 1 OWiG), hindern diese Interpretation nicht. Denn durch das bundesrechtliche Absehen von repressiven Maßnahmen im Rahmen der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten wird die Möglichkeit der Anordnung präventiv-polizeilichen Gewahrsams zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten nicht ausgeschlossen (vgl. BayVerfGH, Entscheidung vom 2.8.1990, NVwZ 1991, 664, 665).

Entgegen der Auffassung des Klägers ist in dieser Auslegung auch kein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der kraft gesetzlicher Übernahme im Range eines Bundesgesetzes geltenden (vgl. BVerfGE 74, 358, 370) Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - vom 4.11.1950 (BGBl. 1952 II S. 685) in der ab 1.1.1998 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 17.5.2002 (BGBl. II S. 1055) zu sehen. Nach dieser Bestimmung ist eine Freiheitsentziehung u.a. dann zulässig, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, den Betreffenden an der Begehung einer „strafbaren Handlung“ zu hindern. Aus dem Umstand, dass Ordnungswidrigkeiten nicht erwähnt sind, kann nicht der Schluss gezogen werden, die Vorschrift lasse die Ingewahrsamnahme nur zur Verhinderung von mit Kriminalstrafe bedrohten Handlungen zu (so aber Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., Abschnitt F RdNr. 501 m.w.N.). Dafür, den Begriff der „strafbaren Handlung“ in einem umfassenden, auch Ordnungswidrigkeiten einschließenden Sinne zu verstehen, spricht zunächst der Wortlaut der Bestimmung in der authentischen englischen und französischen Vertragssprache (vgl. die Schlussklausel nach Art. 59 EMRK). Denn die dort verwendeten Begriffe „offence“ und „infraction“ sind den in diesem Zusammenhang naheliegenden Begriffen „crime“ und „délite“ vorgezogen worden, was darauf hindeutet, dass sie als Oberbegriffe Tatbestände sowohl des Kriminalstraf-wie des Ordnungswidrigkeitenrechts umfassen sollten (vgl. Herzog, AöR 1961, 86. Band <Bd. 47 n.F.>, S. 194, 221 f.; SächsVerfGH, Urteil vom 14.5.1996, LKV 1996, 273, 276). Auch vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, die Vertragsstaaten hätten sich so weit binden wollen, dass in einem Staat präventiv-polizeilicher Gewahrsam ausgeschlossen sein sollte, wenn dieser das zu verhindernde Unrecht nur unter die Sanktion einer Geldbuße und nicht einer Kriminalstrafe gestellt hat. Denn zum einen kann diese Einordnung in den einzelnen Staaten für dasselbe Unrecht unterschiedlich sein (vgl. BayVerfGH, a.a.O., S. 665; VG Schleswig, Urteil vom 15.6.1999, NJW 2000, 970, 971). Vor allem aber ist in Rechnung zu stellen, dass der Staat das Mittel des Gewahrsams hier zum Zwecke wirksamer Gefahrenabwehr einsetzt. Für die Erfüllung dieses Zwecks ist es nicht von entscheidender Bedeutung, welche Sanktion das Gesetz für denjenigen vorsieht, der einen Gesetzesverstoß begangen hat, zumal sich dies aus rechtspolitischen Gründen ändern kann (vgl. VG Schleswig, a.a.O.). Maßgeblich ist vielmehr, welche Gefahr für ein geschütztes Rechtsgut aufgrund dieser Handlung droht. Im Einklang mit der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum geht der Senat deshalb davon aus, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EMRK auch die Freiheitsentziehung zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten zulässt, wenn diese mit erheblichen Gefahren für ein geschütztes Rechtsgut verbunden sind (vgl. SächsVerfGH, a.a.O., S. 276; BayVerfGH, a.a.O., S. 665; VG Schleswig, a.a.O., S. 971; Wolf/Stephan, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 5. Aufl., § 28 RdNr. 10; Würtenberger/Heckmann/Riggert, a.a.O., RdNr. 358; Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 13. Aufl., RdNr. 295; vgl. auch Frowein-Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Art. 5 RdNr. 72 m.w.N.). Dass dieser Auslegung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entgegenstünde, ist weder vorgetragen worden noch sonst für den Senat ersichtlich.

Ob die Auffassung, dass präventiv-polizeilicher Gewahrsam bundesrechtlich zur Verhinderung von Ordnungswidrigkeiten der genannten Art nicht verboten sei, auch auf Art. 5 Abs. 1 Buchst. b EMRK gestützt werden könnte (vgl.   BayVerfGH, a.a.O.), kann deshalb dahinstehen.

Vor diesem Hintergrund kann der Senat ebenso wie das Verwaltungsgericht auch offen lassen, ob die vom Kläger durchgeführten Blockadeaktionen den Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 StGB erfüllt haben (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001, BVerfGE 104, 92) und die Ingewahrsamnahme somit auch zur Verhinderung einer Straftat im Sinne des Strafgesetzbuchs erfolgte.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ferner festgestellt, dass die Prognose der polizeilichen Einsatzleitung, dass die Begehung von Ordnungswidrigkeiten, die zu umfangreichen und intensiven Störungen hätten führen können, unmittelbar bevorgestanden habe, aufgrund des vorherigen Verhaltens des Klägers gerechtfertigt war.

Der Kläger hatte durch die Teilnahme an den Sitzblockaden auf der L 555 in Richtung Industriegleis in der Zeit von 7.30 bis 8.40 Uhr und später (9.35 Uhr) auf der Brücke zur Rheinschanzinsel innerhalb eines kurzen Zeitraums wiederholt Ordnungswidrigkeiten nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG begangen, da er sich nach der Auflösung der Demonstrationen durch die Versammlungsbehörde nicht unverzüglich entfernt hat. In seinem Verhalten ist ferner ein wiederholter Verstoß gegen straßenverkehrsrechtliche Verhaltenspflichten (vgl. §§ 1 Abs. 2, 25 Abs. 1 StVO) sowie eine wiederholte unerlaubte Sondernutzung einer öffentlichen Straße gemäß § 16 Abs. 1 StrG zu sehen, was beides ebenfalls den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit begründet (§ 49 Abs. 1 Nr. 24 Buchst. a StVO sowie § 54 Abs. 1 Nr. 1 StrG). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auch die Erheblichkeit dieser Störungen im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG bejaht. Denn da mit der Blockade der Hauptzufahrtswege zum Kernkraftwerk xxx in einem Stör- bzw. Notfall etwa auch Rettungsfahrzeuge bzw. Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, der Polizei oder des Technischen Hilfswerks nicht mehr zum Kernkraftwerk hätten gelangen können, wurden insoweit Gefahren für hochrangige Rechtsgüter (vgl. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) heraufbeschworen.

Angesichts des konkreten Verhaltens des Klägers einschließlich der gesamten Umstände der am 28.10.2000 durchgeführten Aktionen der Kernkraftgegner - die Blockade der L 555 auf der Brücke zur Rheinschanzinsel war bereits die dritte Aktion dieser Art an diesem Vormittag - durfte der Polizeivollzugsdienst auch davon ausgehen, der Kläger würde im Anschluss an die Räumung der Straße bei der Brücke zur Rheinschanzinsel erneut an anderer Stelle die Fahrbahn blockieren und damit würde eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG unmittelbar bevorstehen.

Nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt wird diese Beurteilung durch die im Berufungsverfahren erhobenen Einwände des Klägers. Auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Unterlagen bestehen keinerlei Zweifel daran, dass der Kläger sowohl an der Sitzblockade der L 555 an der Straßenbrücke über den Pfinzkanal als auch an der Sitzblockade im Bereich der Brücke zur Rheinschanzinsel teilgenommen hat und beide Male seiner Entfernungspflicht aus § 13 Abs. 2 VersG nicht nachgekommen ist. In beiden Fällen wurden die auf der Fahrbahn sitzenden Personen mehrfach zum Verlassen der Fahrbahn aufgefordert und auf die Rechtsfolgen hingewiesen, die eine Nichtbeachtung nach sich ziehen würde (vgl. den Auszug aus dem Einsatzkalender des Polizeipräsidiums xxx, S. 65 ff. der VG-Akte). Während ein (kleiner) Teil der Demonstranten den Aufforderungen offenbar nachkam (Auszug aus dem Einsatzkalender, S. 67, 69 der VG-Akte), weigerte sich der größere Teil, zu dem auch der Kläger gehörte, die Fahrbahn zu verlassen. Im ersten Fall ist der Kläger von Polizeikräften auf das angrenzende Wiesengelände abgedrängt worden, im zweiten Fall musste er unter Anwendung unmittelbaren Zwangs von der Fahrbahn getragen werden. Letzteres wird durch die von der Polizei hergestellten und in den Akten dokumentierten Videoaufnahmen eindeutig belegt. Bereits durch dieses konkrete Verhalten hat der Kläger gezeigt, dass er die Fahrbahn der L 555 blockieren wollte und sich dabei bewusst war, damit auch das Kernkraftwerk xxx zu blockieren. Hierfür spricht insbesondere auch, dass sich das Verhalten des Klägers ohne weiteres in die allgemeine Strategie der Kernkraftgegner eingefügt hat. Nach den vom Beklagten gesammelten, vom Kläger nicht in Frage gestellten Erkenntnismitteln war es Teil der Strategie der Kernkraftgegner, die Zufahrtsstraßen zum Kernkraftwerk zu blockieren (vgl. hierzu die Darstellungen im Schriftsatz des Beklagten vom 8.12.2003, S. 6 bis 10, VGH-Akte S. 83 - 91, sowie in dem im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Schriftsatz vom 20.2.2002, S. 2 und 3, S. 135 f. der VG-Akte). Besonders deutlich zum Ausdruck kommt diese Strategie in einer Nachbetrachtung, die die „SprecherInnenrats-Moderatorin“ xxx xxx in dem Rundbrief Nr. 10 der Anti-Atomkraftgruppierung „X-tausendmal quer - überall“ angestellt hat. Dort heißt es:

„Der legendär kürzeste Rat war dann am Mittwochmorgen (Anmerkung: 18.10.2000) um 7.00 Uhr, als es hieß, dass eine Gruppe, die auf der Straße, die wir für unsere Blockade ausgewählt hatten, eingekesselt sei und damit auch blockiere. Es war klar, alle wollten jetzt was machen und nicht mehr ewig Bedenken austauschen und so wurde einfach der naheliegendste Vorschlag angenommen: Die andere Straße zu blockieren. Gesagt, getan und so lief es auch den Tag über weiter ...“

Auch das Amtsgericht Bruchsal hat in dem in erster Instanz vorgelegten Urteil vom 7.9.2001 in einer Bußgeldsache gegen einen Teilnehmer der Blockadeaktion keinerlei Zweifel daran gelassen, dass die Demonstranten zur Erreichung ihres Ziels die Zufahrtswege zum Kernkraftwerk xxx blockieren wollten (S. 7 des Entscheidungsabdrucks, S. 163 der VG-Akte). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Einlassung des Klägers, eine Blockade des Kernkraftwerks sei von ihm nicht beabsichtigt gewesen, als nicht nachvollziehbar und unglaubhaft.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Polizeivollzugsdienst auch für den Zeitraum von 13.40 Uhr bis zur Freilassung um 16.45 Uhr zu Recht von der Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung des polizeilichen Gewahrsams ausgegangen. Denn auch noch in diesem Zeitraum konnte der Polizeivollzugsdienst bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung davon ausgehen, dass es sehr wahrscheinlich war, dass es bei einer Freilassung der in der xxx-Kaserne festgehaltenen Personen - und damit auch des Klägers - alsbald zu erneuten Blockadeaktionen kommen würde. Hierfür spricht zunächst die Darstellung des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hinsichtlich der sich am Nachmittag des 18.10.2000 bietenden Gefahrenlage. Danach hätte eine Freilassung der festgehaltenen Personen die Gefahr in sich geborgen, dass sich die freigelassenen mit den vor der Kaserne befindlichen Personen verbünden und es erneut zu Blockadeaktionen kommen würde (wird weiter ausgeführt, S. 2 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht, S. 175 der VG-Akte). Dieser Darstellung ist der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht substantiiert entgegengetreten. Im Kern bestätigt wird sie durch einen im Internet veröffentlichten Bericht der Aktivistin xxx xxx über die Situation an diesem Nachmittag. Diese hatte sich als Vermittlerin zwischen der Polizeiführung und den in Gewahrsam genommenen Aktivisten zur Verfügung gestellt. Ihr Bericht enthält deutliche Hinweise darauf, dass die Inhaftierten den Vorschlag der Polizei, sie gruppenweise freizulassen gegen die Zusicherung, ohne weitere Aktionen abzureisen, jedenfalls zunächst nicht akzeptieren wollten. So heißt es dort hinsichtlich der festgehaltenen Aktivisten:

„Die meisten wollten wirklich bald nach Hause, aber die Forderung “keine weiteren Aktionen“ will die Gruppe dann doch so pauschal nicht annehmen“ (vgl. S. 115 der VG-Akte; vgl. auch S. 3 des Gedächtnisprotokolls des Klägers vom 21.10.2000, S. 125 der VG-Akte: „Die Gruppe, die bereits vor uns da war, berichtet uns über einen „Kuhhandel“, den uns die Polizei anbietet: ... “).

Bei dieser Sachlage und unter Einbeziehung der wiederholten Blockadeaktionen am Vormittag konnte der Polizeivollzugsdienst auch noch am Nachmittag des 18.10.2000 bis gegen 16.45 Uhr von einer hohen Wahrscheinlichkeit weiterer Blockadeaktionen jedenfalls der in Gewahrsam Genommenen und damit auch des Klägers im Falle der Freilassung ausgehen.

Nach alledem kann die Gefahrenprognose des Beklagten nicht beanstandet werden. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Beklagte diese nicht allein darauf gestützt, dass die in Gewahrsam genommenen Demonstranten keine Zusicherung abgegeben hätten, unmittelbar die Abreise anzutreten. Dies zeigt im Übrigen auch die weitere Vorgehensweise des polizeilichen Einsatzleiters. Dieser hatte der Aktivistin xxx den notwendigen Freiraum für Vermittlungsgespräche mit den in Gewahrsam Genommenen eingeräumt und - nachdem sich diese jedenfalls der Sache nach mit dem Verzicht auf weitere Blockadeaktionen einverstanden erklärt hatten - dem Kompromiss zugestimmt, dass der Gewahrsam aufgehoben wird und die Freigelassenen erst nach Durchführung einer Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz in xxx die Heimreise antreten.

Der Gewahrsam des Klägers war auch nicht wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung rechtswidrig.

Gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG hat über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden. Die Freiheitsentziehung setzt danach grundsätzlich eine vorherige richterliche Anordnung voraus. Eine nachträgliche richterliche Entscheidung, deren Zulässigkeit in Ausnahmefällen Art. 104 Abs. 2 GG voraussetzt, genügt nur, wenn der mit der Freiheitsentziehung verfolgte verfassungsrechtlich zulässige Zweck nicht erreichbar wäre, sofern der Festnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen müsste. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG fordert dann, die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen (vgl. zum Ganzen BVerfG, Beschluss vom 15.5.2002, BVerfGE 105, 239, 248 f. m.w.N.). Diese Verpflichtung wird in § 163 c Abs. 1 Satz 2 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG für die Festhaltung zu Zwecken der Identitätsfeststellung im Rahmen des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahrens und in § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG für die polizeirechtliche Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Gefahrenabwehr einfachrechtlich nachvollzogen.

Das Merkmal der „Unverzüglichkeit“ im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfGE 105, 239, 249 m.w.N.). Nicht vermeidbar sind z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind. Die fehlende Möglichkeit, einen Richter zu erreichen, kann angesichts der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates, der Bedeutung des Richtervorbehalts durch geeignete organisatorische Maßnahmen Rechnung zu tragen, nicht ohne weiteres als unvermeidbares Hindernis für die unverzügliche Nachholung der richterlichen Entscheidung gelten (vgl. BVerfGE 105, 239, 249; 103, 142, 151 ff., 156).

Eine Ausnahme von der in Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung wird allgemein angenommen, wenn eine Prognose ergibt, dass eine richterliche Entscheidung erst ergehen kann, wenn der Grund für den Gewahrsam wieder weggefallen ist; andernfalls würde die Regelung zu einer mit ihrem Rechtsschutzzweck nicht zu vereinbarenden Verlängerung der Freiheitsentziehung führen (vgl. Gusy, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Kommentar, Band 3, 4. Aufl., Art. 104 RdNr. 55; Rüping, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 3, 4. Aufl., Art. 104 RdNr. 63; Degenhart, in: Sachs, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 104 RdNr. 36). Demgemäß sieht § 163 c Abs. 1 Satz 2 StPO, § 46 Abs. Abs. 1 OWiG eine Ausnahme von der Pflicht zur Vorführung vor, wenn die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen würde, als zur Feststellung der Identität notwendig wäre. Entsprechendes gilt für den polizeirechtlichen Gewahrsam: Mit Blick auf § 28 Abs. 3 Satz 1 PolG, wonach der Gewahrsam aufzuheben ist, sobald sein Zweck erreicht ist, ist eine richterliche Entscheidung nicht einzuholen oder abzuwarten, wenn dadurch die Dauer des Gewahrsams verlängert würde (vgl. Wolf/Stephan, a.a.O., § 28 RdNr. 36; Belz/Mußmann, Polizeigesetz für Baden-Württemberg, 6. Aufl., § 28 RdNr. 21; Würtenberger/Heckmann/Riggert, a.a.O., RdNr. 363). Diese Einschränkung der Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken; das Bundesverfassungsgericht hebt allerdings die an die in diesem Zusammenhang gebotene Prognose zu stellenden Anforderungen hervor (vgl. BVerfGE 105, 239, 251; Rabe v. Kühlewein, DVBl. 2002, 1545, 1546).

An diesem Maßstab gemessen lässt sich hier ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung nicht feststellen.

Ohne Erfolg bleibt die Rüge des Klägers, es hätte ohne weiteres bereits vor der Ingewahrsamnahme eine richterliche Entscheidung des Amtsgerichts herbeigeführt werden können und müssen. Die Festnahme und Verbringung der Demonstranten und damit des Klägers zur xxx-Kaserne um 11.00 Uhr erfolgte unmittelbar im Anschluss an die wiederholte Begehung von Ordnungswidrigkeiten, die mit erheblichen Gefahren für hochrangige Rechtsgüter verbunden waren (siehe oben S. 16 f.). Wie dargelegt, diente die Ingewahrsamnahme jedenfalls ihrem Schwerpunkt nach zunächst der Durchführung von Maßnahmen zur Identitätsfeststellung im Rahmen des ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Insoweit musste die vorherige Einschaltung eines Richters bereits aus tatsächlichen Gründen ausscheiden. Hätte die Polizei die unmittelbar im Zusammenhang mit der Sitzblockade der L 555 im Bereich der Brücke zur Rheinschanzinsel festgenommenen über 110 Personen nicht in Gewahrsam genommen, sondern diese bis zur Entscheidung eines Richters zunächst auf freiem Fuß gelassen, hätte eine hohe Wahrscheinlichkeit bestanden, dass sich diese Personen einer Identitätsfeststellung entzogen hätten und somit der Zweck der Maßnahme vereitelt worden wäre. Dies rechtfertigte den Verzicht auf eine vorherige richterliche Anordnung.

Aber auch soweit von der Herbeiführung einer nachträglichen richterlichen Entscheidung abgesehen wurde, begegnet dies keinen rechtlichen Bedenken. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts war von Seiten der polizeilichen Einsatzleitung zunächst beabsichtigt gewesen, die in Gewahrsam genommenen Personen nach Abschluss der Personenfeststellung (d.h. nach 14.00 Uhr) im Laufe der nächsten Stunde freizulassen, da man davon ausgegangen war, dass die Demonstranten alsdann die Heimreise antreten würden (S. 13 des Entscheidungsabdrucks). Diese Feststellung ist vom Kläger im Berufungsverfahren nicht in Zweifel gezogen worden. Bei dieser Sachlage erweist sich der Verzicht auf eine richterliche Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt durch die Prognose gerechtfertigt, dass die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung die Dauer des Gewahrsams aller Voraussicht nach verlängert hätte (§ 163 c Abs. 1 Satz 2, § 46 OWiG). Insbesondere mit Blick darauf, dass die herbeizuführende richterliche Entscheidung zur Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich die Anhörung sämtlicher (über 110) im Gewahrsam befindlicher Personen vorausgesetzt hätte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Auf., § 163 c RdNr. 11), konnte die Polizei davon ausgehen, dass eine richterliche Entscheidung erst nach der im Anschluss an die Maßnahmen zur Identitätsfeststellung vorgesehene Freilassung ergehen könnte. Dies würde entgegen der Auffassung des Klägers selbst dann gelten, wenn die polizeiliche Einsatzleitung die Freilassung tatsächlich erst eine Stunde nach Abschluss der Personalienfeststellung beabsichtigt gehabt hätte. Denn auch in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine richterliche Entscheidung hinsichtlich aller festgehaltenen Personen vor dem für die Freilassung vorgesehenen Zeitpunkt hätte ergehen können.

Die Verpflichtung zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung (§ 28 Abs. 3 Satz 3 PolG, Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG) wurde auch nicht verletzt, als es im weiteren Verlauf des Nachmittags nicht zu einer richterlichen Entscheidung über die Aufrechterhaltung des nunmehr ausschließlich nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 PolG zu beurteilenden Gewahrsams kam. Insoweit hatte sich nach den überzeugenden, im Berufungsverfahren nicht substantiiert angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts die Situation entscheidend verändert, als sich die polizeiliche Einsatzleitung auf der Grundlage von Gesprächen mit den in Gewahrsam Genommenen entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nunmehr an einer Freilassung gehindert sah, weil trotz vereinzelt festgestellter Abreiseaktivitäten außerhalb der xxx-Kaserne bei den in Gewahrsam genommenen Personen Anhaltspunkte für die Bereitschaft zu erneuten Sitzblockaden bestand (vgl. bereits oben S. 18 f.). Damit war die Frage, ob das Gebot nach § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG und Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt wurde, nach der sich zu diesem Zeitpunkt ergebenden Erkenntnislage zu beurteilen.

Ausgehend hiervon haben die Beamten des Polizeivollzugsdienstes des Beklagten durch die nunmehr unternommenen Anstrengungen, eine richterliche Entscheidung des Amtsgerichts xxx herbeizuführen, insbesondere durch die um 15.38 Uhr erfolgte telefonische Information des Direktors des Amtsgerichts xxx, noch unverzüglich im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG, Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gehandelt.

Nach Auffassung des Senats genügt die Polizei dem Gebot zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung grundsätzlich dadurch, dass sie die Sache beim zuständigen Amtsgericht anhängig macht, d.h. dem Gericht den Sachverhalt vorträgt mit der Bitte um Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung (vgl. OVG Münster, Urteil vom 3.11.1989, NJW 1990, S. 3224 f.). Mit Blick auf die in diesen Fällen regelmäßig gegebene besondere Eilbedürftigkeit erscheint dem Senat ein formeller schriftlicher Antrag entbehrlich, soweit das Anhängigmachen des Begehrens in den Akten in verlässlicher Weise dokumentiert ist und die Identität der in Gewahrsam Genommenen jedenfalls anhand der Akten festgestellt werden kann. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass es dem Gericht obliegt, von Amts wegen die für seine Entscheidung erheblichen Tatsachen zu ermitteln (§ 28 Abs. 4 Satz 2 PolG i.V.m. § 12 FGG; vgl. Wolf/Stephan, a.a.O., § 28 RdNr. 41).

Nach diesen Grundsätzen kann die Vorgehensweise der polizeilichen Einsatzleitung nicht beanstandet werden. Insbesondere haben die Beamten des Polizeivollzugsdienstes ausweislich der dem Senat vorliegenden Akten den zuständigen Richter im Rahmen des um 15.38 Uhr erfolgten Telefonats in hinreichender Weise über die Umstände der Gewahrsamnahme informiert und um richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer des Gewahrsams ersucht (vgl. den Auszug aus dem Einsatzkalender des Polizeipräsidiums xxx, S. 72 der VG-Akte, sowie die Stellungnahme des KOR xxx vom 31.10.2003, Anlage 2 zum Schriftsatz des Beklagten vom 8.12.2003, S. 103 f. der VGH-Akte).

Dass Amtsgerichtsdirektor xxx nicht bereits bei dem Telefonat um 15.11 Uhr erreicht werden konnte, stellt die Unverzüglichkeit der Bemühungen des Polizeivollzugsdienstes nicht in Frage. Denn Grund dafür war, dass der allein noch am Amtsgericht xxx im Dienst befindliche Richter sich in einer Sitzung befand. Mithin handelte es sich um eine sachlich gerechtfertigte Verzögerung, die durch die Wahrnehmung anderweitiger, nicht ohne weiteres zu unterbrechender dienstlicher Verpflichtungen verursacht worden ist und deshalb nach den oben dargestellten Grundsätzen als „unvermeidbares Hindernis“ anzusehen ist. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass es sich lediglich um eine kurzfristige Verzögerung (ca. 1/2 Stunde) gehandelt hat, der fragliche Richter sich noch im Dienst befand und auch grundsätzlich erreichbar war. Es war somit kein Fall gegeben, in dem die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters bereits wegen Fehlens der gerichtsorganisatorischen Voraussetzungen nicht gewährleistet war (vgl. hierzu BVerfGE 105, 239, 249; 103, 142, 151 ff., 156).

Die Tatsache, dass der Polizeivollzugsdienst die Sache noch unverzüglich beim Amtsgericht anhängig gemacht hat, bedeutet indes noch nicht, dass der Gewahrsam ab diesem Zeitpunkt keinen rechtlichen Bedenken mehr begegnete. Denn auch die weitere Sachbehandlung durch das Amtsgericht muss den Anforderungen des § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG, Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG genügen, insbesondere muss dessen Entscheidung grundsätzlich unverzüglich ergehen (vgl. Gusy, a.a.O., Art. 104 RdNr. 54; Rüping, a.a.O., RdNr. 69). Dass die Polizei nach dem Anhängigmachen der Sache beim Amtsgericht keine Einflussmöglichkeiten mehr auf das weitere Verfahren hat, ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in diesem Zusammenhang für die Frage der Rechtmäßigkeit des Gewahrsams ohne Belang.

Der Senat teilt nicht die Ansicht des Verwaltungsgerichts, diesem habe insoweit bereits die Überprüfungskompetenz gefehlt. Nach der gesetzlichen Regelung des § 28 Abs. 4 Satz 4 PolG ist eine Anwendbarkeit der Rechtsbehelfe der VwGO und damit eine Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte erst ausgeschlossen, wenn eine Entscheidung des Amtsgerichts im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 4 PolG „ergangen“ ist (vgl. Senatsurteil vom 13.5.2004 - 1 S 2052/03 - m.w.N.). Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich hierbei um eine Sachentscheidung über die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams handeln muss und deshalb in der bloßen Ablehnung einer richterlichen Entscheidung durch den Richter des Amtsgerichts noch kein „Ergehen“ einer richterlichen Entscheidung im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 4 PolG gesehen werden kann (a.A. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 3.11.1989, NJW 1990, 3224, 3225, mit Blick auf § 14 NRWPG a.F.). Vor dem Zeitpunkt des „Ergehens“ ist aber insbesondere auch mit Blick auf die Gewährleistung aus Art. 19 Abs. 4 GG eine umfassende Überprüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte anzunehmen.

Im vorliegenden Fall hat der zuständige Richter des Amtsgerichts xx-xxx zwar telefonisch mit einem Beamten der Einsatzleitung gesprochen, eine richterliche Entscheidung ist dabei aber nicht im Sinne des § 28 Abs. 4 Satz 4 PolG ergangen. Er hat vielmehr ausdrücklich derzeit von einer richterlichen Entscheidung abgesehen. Auch damit ist jedoch nicht gegen die Verpflichtung aus § 28 Abs. 3 Satz 3 PolG, Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG verstoßen worden.

Soweit der Direktor des Amtsgerichts xxx das Absehen von einer richterlichen Entscheidung allerdings damit begründet haben sollte, dass die Polizei die rechtliche Möglichkeit habe, die betreffenden Personen bis zum Ende des 19.10.2000, 24.00 Uhr, in Gewahrsam zu halten, und er deshalb (erst) mit einer Einzelanhörung beginnen werde, wenn die Polizei im Laufe des nächsten Tages die Absicht äußere, den Gewahrsam aufrechtzuerhalten (vgl. den Auszug aus dem Einsatzkalender, S. 72 der VG-Akte, sowie die Stellungnahme des KOR xxxxx, S. 103 der VGH-Akte), wäre diese Auffassung verfassungsrechtlich nicht haltbar. Denn die Nachholung der richterlichen Entscheidung ist auch dann nicht entbehrlich, wenn der Freiheitsentzug vor Ablauf der Frist des Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG endet. Diese Vorschrift setzt dem Festhalten einer Person ohne richterliche Entscheidung mit dem Ende des auf das Ergreifen folgenden Tages lediglich eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine solche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (BVerfG, Beschluss vom 15.5.2002, BVerfGE 105, 239, 249 m.w.N.).

Auf der Grundlage der dem Senat vorliegenden Unterlagen ist jedoch davon auszugehen, dass Amtsgerichtsdirektor xxx seinen Entschluss, von einer richterlichen Entscheidung über den Gewahrsam noch am Nachmittag des 18.10.2000 abzusehen, jedenfalls auch auf die Einschätzung gestützt hat, dass dann, wenn die Inhaftierten noch am selben Tage in absehbarer Zeit freigelassen würden, die richterliche Entscheidung erst nach der Freilassung würde ergehen können. Diese Prognose ist geeignet, das Absehen von einer richterlichen Entscheidung und damit die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams zu tragen.

Wie dargelegt, kann die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung unterbleiben, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes für den Polizeigewahrsam ergehen kann (oben S. 21 f.). Die insoweit gebotene Prognose erfordert einen Zeitvergleich hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer des polizeilichen Gewahrsams und des Zeitraums, der voraussichtlich für die Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung benötigt wird (vgl. Rachor, a.a.O., RdNr. 536). Grundlage der Prognose war die dem Richter von der Polizei um 15.38 Uhr im Rahmen des Telefonats vermittelte Lagebeurteilung (vgl. hierzu bereits oben S. 19 f.). Dabei wurde der Richter auch dahingehend unterrichtet, dass die Ingewahrsamnahme nach Einschätzung der Polizei vermutlich um 17.00 Uhr beendet sein würde, ein Ende also absehbar sei (vgl. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 10.6.2002, S. 175 der VG-Akte). Für eine Freilassung in absehbarer Zukunft sprachen dabei insbesondere ab 15.00 Uhr festgestellte Abreiseaktivitäten der Kernkraftgegner außerhalb der Kaserne und die Tatsache, dass nach Einschätzung der Polizei die Wahrscheinlichkeit von Folgeaktionen „von Stunde zu Stunde geringer“ geworden sei (vgl. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 10.6.2002, S. 175 der VG-Akte). Bei der Einschätzung des für die richterliche Entscheidung zu veranschlagenden Zeitaufwands war von entscheidender Bedeutung, dass der zuständige Richter die rechtlich nicht zu beanstandende Auffassung vertrat, eine Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Gewahrsams könne nur nach vorheriger persönlicher Anhörung der in Gewahrsam Genommenen ergehen (vgl. nur Gusy, a.a.O., Art. 104 RdNr. 50 m.w.N.; Degenhardt, a.a.O., Art. 104 RdNr. 38; vgl. auch Wolf/Stephan, a.a. O., § 28 RdNr. 41). Legt man zugrunde, dass hier über 110 Personen in Gewahrsam genommen waren und diese entweder dem im Gebäude des Amtsgerichts in xxx anwesenden Richter hätten vorgeführt werden müssen oder dieser sich noch in die - außerhalb von xxx-xxx gelegene - xxx-Kaserne hätte begeben müssen, erweist sich die Einschätzung des Richters, die Freilassung werde vor einer richterlichen Entscheidung erfolgen, jedenfalls als vertretbar. Diese Beurteilung wird durch den tatsächlichen Ablauf bestätigt. Denn die Freilassung des Klägers erfolgte bereits etwa eine Stunde nach dem Telefonat mit dem Direktor des Amtsgerichts.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.