VG Düsseldorf, Beschluss vom 16.01.2012 - 16 L 2043/11
Fundstelle
openJur 2012, 84158
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag,

dem Antragsgegner zu untersagen, zu äußern: "Der Handel und der Verkauf von E-Zigaretten sowie von liquidhaltigen Kartuschen, Kapseln oder Patronen für E-Zigaretten sind, sofern die arzneimittel- und medizinproduktrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden, gesetzlich verboten. Insbesondere nikotinhaltige Liquids dürfen nur mit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Verkehr gebracht werden. Bei nikotinfreien Liquids ist im Einzelfall anhand der Inhaltsstoffe zu prüfen, ob sie arzneimittelrechtlichen Vorschriften unterliegen. Wer gegen die genannten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, setzt sich der Gefahr strafrechtlicher Ahndung aus",

den Antragsgegner zu verpflichten, die unter 1. genannte Behauptung zu widerrufen und in gleicher Weise wie die Verbreitung der unter 1. genannten Äußerung richtigzustellen,

dem Antragsgegner zu untersagen, öffentlich zu behaupten, E-Zigaretten (Applikator) und E-Liquids (Kartusche) seien Funktionsarzneimittel und unterlägen den arzneimittelrechtlichen Regelungen, also dass sie ohne Zulassung nach § 21 Abs. 1 AMG nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen,

dem Antragsgegner zu untersagen, zu behaupten, E-Zigaretten unterlägen gem. § 2 Abs. 3 MPG Medizinproduktrecht, sodass sie nur mit einer CE-Kennzeichnung gem. §§ 6 Abs. 1, 2 in Verbindung mit § 7 MPV in den Verkehr gebracht werden dürfen,

dem Antragsgegner aufzugeben, die unter 3. und 4. genannten Behauptungen in der Weise richtigzustellen, in der er die Behauptungen verbreitet hat,

hat keinen Erfolg.

Das Gericht hat das Rubrum von Amts wegen berichtigt.

Das in der Antragsschrift als Antragsgegner zu 2. aufgeführte Ministerium ist als oberste Landesbehörde gemäß § 4 LOG nicht beteiligungsfähig im Sinne des § 61 Nr. 3 VwGO. Der Antrag ist entsprechend § 78 Abs. 1 VwGO dahingehend auszulegen, dass er sich gegen das Land Nordrhein-Westfalen richtet, dem die umstrittenen Äußerungen zuzurechnen sind. Das gilt auch für die Erklärung der Ministerin. Sie ist von ihr nicht als Privatperson, sondern in amtlicher Funktion abgegeben worden. Dies wird sowohl aus dem Inhalt der Erklärung als auch daraus deutlich, dass diese Erklärung über eine Pressemeldung des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 verbreitet wurde. Daher ist ein auf Unterlassung und Widerruf solcher Äußerungen gerichteter Anspruch nicht gegen die handelnde Person selbst, sondern gegen den Rechtsträger, für den die Ministerin gehandelt hat, zu richten.

Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Antragstellerin muss sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Diese Anforderungen sind nicht erfüllt.

Zum Anordnungsgrund hat die Antragstellerin lediglich geltend gemacht, dass das Vorgehen des Antragsgegners erhebliche Auswirkungen auf ihre Geschäftstätigkeit habe, dass die Gefahr bestehe, dass wegen des Hinweises der Handel mit E-Zigaretten in Nordrhein-Westfalen zum Erliegen komme und damit ihr Geschäftsbetrieb in erheblicher Weise beeinträchtigt werde und ihre Existenz erheblich gefährdet sei. Konkrete und nachvollziehbare Angaben hierzu, etwa solche zum bisherigen Geschäftsumfang, enthält die Antragsbegründung jedoch nicht. Ob die pauschalen Behauptungen gleichwohl zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ausreichen, kann dahinstehen. Denn es fehlt es jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs gemäß § 123 Abs. 1 VwGO.

Die Antragstellerin hat weder einen öffentlichrechtlichen Unterlassungsanspruch noch einen Anspruch auf Widerruf der angeführten Äußerungen glaubhaft gemacht. Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin darauf, die Äußerungen in der Pressemitteilung sowie im Erlass vom 16. Dezember 2011 stellten eine Verletzung ihres Grundrechts gemäß Artikel 12 Abs. 1 GG dar.

Allerdings dürften die abgegebenen Erklärungen die Voraussetzungen eines Grundrechtseingriffs erfüllen, weil sie geeignet sind, den Handel und den Verkauf von E-Zigaretten zu beeinflussen und dies auch der Intention der Erklärungen entsprechen dürfte, diese also eine berufsregelnde Tendenz haben. Dem steht nicht entgegen, dass die Produkte der Antragstellerin oder der Name der Antragstellerin nicht genannt werden. Ein Eingriff dürfte in der negativen Hervorhebung bestimmter Produkte bestehen können, aber auch dann vorliegen können, wenn - wie hier - eine bestimmte eng abgegrenzte Art von Produkten Gegenstand einer Erklärung ist. Der mit dem Hinweis auf die arzneimittelrechtliche Einordnung einhergehende Eingriff erscheint bei im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglicher summarischer Prüfung indessen nicht rechtswidrig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (etwa BVerfGE 105, 252 - Glykolwarnung -) liegt in der Aufgabenzuweisung grundsätzlich auch eine Ermächtigung der Regierung zum Informationshandeln. Die Staatsleitung wird nicht allein mit den Mitteln der Gesetzgebung und der richtungsweisenden Einwirkung auf den Gesetzesvollzug wahrgenommen, sondern auch durch die Verbreitung von Informationen an die Öffentlichkeit (vgl. BVerfGE a.a.O. und BVerwGE 87, 37). Begrenzt wird das Informationsrecht durch die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit von Informationen. Das hier tätig gewordene Ministerium ist für den Bereich des Arzneimittel- und Medizinprodukterechts zuständig und damit grundsätzlich befugt, öffentlichkeitswirksame Informationen insbesondere über neue Entwicklungen in diesem Bereich zu verbreiten. Dazu gehört auch die Information über Mittel, bei denen die rechtliche Einstufung etwa als Arzneimittel oder Medizinprodukt fraglich sein kann. Um eine solche Entwicklung handelt es sich bei den sog. E-Zigaretten zur Aufnahme von Nikotin aus nikotinhaltigen Liquids.

Soweit sich aus der von der Antragstellerin zitierten Rechtsprechung (vgl. etwa BVerfGE 105, 252, 276 und BVerwGE 87,37) das Gebot inhaltlicher Richtigkeit veröffentlichter Behördeninformationen entnehmen lässt, ist ein Verstoß hiergegen nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Tatsachen, die im Zusammenhang mit den Erklärungen behauptet wurden, unrichtig sein könnten. Die Antragstellerin stützt sich auch nicht auf Bedenken gegen Tatsachenbehauptungen in den Erklärungen, sondern beanstandet die Auffassung des Antragsgegners als unrichtig, der Handel mit E-Zigaretten und Liquids sei nach dem Arzneimittelgesetz bzw. dem Medizinproduktegesetz genehmigungspflichtig und ein Handel und Inverkehrbringen der Produkte ohne Genehmigung strafbewehrt. Bei diesen Einschätzungen des Antragsgegners handelt es sich jedoch um eine rechtliche Bewertung, die weder einem Wahrheitsbeweis noch einer Widerlegung zugänglich ist. Aus diesem Grunde kommt ein Widerrufsanspruch von vornherein nicht in Betracht. Ein Unterlassungsanspruch ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Die Anforderungen an die sachliche Richtigkeit lassen sich nicht in der Weise auf rechtliche Einschätzungen übertragen, dass es dem Betroffenen etwa möglich sein muss, der zuständigen Behörde eine bestimmte Rechtsauffassung zu verbieten oder auch nur das Verbreiten einer solchen Rechtsauffassung zu untersagen, wenn er der Ansicht ist, dass sich aus dieser Rechtsauffassung und ihrer Verbreitung nachteilige Folgen für den Handel mit einem Produkt ergeben. Eine so weitgehende Einschränkung des Regierungshandelns gebietet insbesondere der Artikel 19 Abs. 4 GG nicht. Effektiver Rechtsschutz lässt sich auch dann gewährleisten, wenn die den Weisungen des Ministeriums unterstehenden Behörden gegen den Handel mit bestimmten Produkten einschreiten, weil die erforderlichen gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt sind. Zwar entspricht es der Rechtsprechung des BVerwG (vgl. Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 31) dass - wenn eine Behörde die Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens behauptet - der Betroffene zur Klärung des Vorwurfs nicht abwarten muss, bis es zu einem Strafverfahren gekommen ist, sondern gegebenenfalls gegenüber der zuständigen Behörde einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens stellen kann. Darauf ist der Antrag jedoch nicht gerichtet. Die Antragstellerin will nicht gegenüber einer zuständigen Überwachungsbehörde die Feststellung der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens betreiben, sondern sie will ganz allgemein die Äußerung und Verbreitung einer bestimmten Rechtsauffassung durch den Antragsgegner verhindern.

Aus dem zitierten Gebot der Sachlichkeit öffentlicher Informationen werden allerdings nicht nur Anforderungen an die tatsächliche Richtigkeit von Behördeninformationen hergeleitet. Soweit es Wertungen betrifft, die in die Äußerung einfließen, sind diese zwar nicht wahrheitsfähig, jedoch müssen sie begründbar sein, d.h. sie dürfen nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und den sachlich gebotenen Rahmen nicht überschreiten sowie auf einem im Wesentlichen zutreffenden und zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen. Zudem dürfen die Äußerungen im Hinblick auf das mit der Äußerung verfolgte sachliche Ziel im Verhältnis zu den Grundrechtspositionen, in die eingegriffen wird, nicht unverhältnismäßig sein (vgl. OVG NRW, NWVBl. 2006, 32 f m.w.N).

Selbst wenn sich hieraus auch Anforderungen an rechtliche Würdigungen ableiten ließen, könnte dies allenfalls bedeuten, dass der zu Grunde liegende Sachverhalt vor Verbreitung der Rechtsauffassung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Quellen aufgeklärt worden sein muss und die darauf bezogene rechtliche Würdigung nicht als völlig abwegig oder unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheinen darf. Indessen gehen die geäußerten Auffassungen nicht unvertretbar von der Einschätzung aus, bei den E-Zigaretten handele es sich um Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes.

Definiert wird das Arzneimittel in § 2 Abs. 1 AMG. Diese Regelung ist gemeinschaftskonform entsprechend der Richtlinie 2001/83/EG i.d.F. der Richtlinie 2004/27/EG auszulegen. Danach sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind (sog. Präsentationsarzneimittel) sowie zum anderen alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (sog. Funktionsarzneimittel).

Die hier streitigen E-Zigaretten dürften nicht zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten bestimmt sein, also den Arzneimittelbegriff der 1. Alternative nicht erfüllen. Zwar können Nikotin-Inhalationssysteme mit auswechselbaren Nikotin-Patronen gegebenenfalls als (Präsentations-)Arzneimittel eingestuft werden. Dies setzt jedoch voraus, dass sie durch regelmäßige Zufuhr von Nikotin eine Entzugssymptomatik lindern und auf die physiologischen Funktionen eines Entzugswilligen Einfluss nehmen sollen (vgl. Volkmer in: Körner, Betäubungsmittelgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2012, Vorbem. AMG Rn. 135). Daran dürfte es hier fehlen, weil nach dem Eindruck des Prospektes die Erzeugnisse der Antragstellerin als - eigenständiges - Genussmittel dienen sollen. Allerdings spricht einiges dafür, dass schon die Eignung eines Einsatzes zu Therapiezwecken die Einordnung als Funktionsarzneimittel rechtfertigt (vgl. BVerwG NVwZ 2008, 439 f.). Entscheidend im Sinne der 2. Alternative des § 2 Abs. 1 AMG ist in jedem Fall, also auch dann, wenn es an einer Therapieeignung fehlen sollte, ob mit dem Erzeugnis die menschlichen Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung beeinflusst werden können. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels nach der Funktion fällt, von Fall zu Fall zu treffen; dabei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine pharmakologischen Eigenschaften. Das Produkt muss die physiologischen Funktionen nachweisbar und in nennenswerter Weise durch eine pharmakologische Wirkung wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen. Darin liegt das wesentliche Kriterium, auf dessen Grundlage, ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses, zu beurteilen ist, ob ein Funktionsarzneimittel vorliegt (vgl. EuGH, Urteile vom 15. November 2007 - Rs. C-319/05 - und vom 15. Januar 2009, NVwZ 2009, 439 - Hecht-Pharma). Als pharmakologisch wird eine Wirkung beschrieben, die aus einer Wechselwirkung zwischen Bestandteilen des Stoffes und einem körpereigenen, als Rezeptor bezeichneten Zellbestandteil besteht und die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Wirkung eines anderen Wirkstoffs blockiert (vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 2 AMG Anm. 68 zum sog. "Schlüssel-Schloss-Prinzip"). Da die Beeinflussung der physiologischen Funktionen den Varianten Wiederherstellen und Korrigieren ergänzend hinzugefügt und damit gleichgestellt wird, muss auch sie zu einer Veränderung führen, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liegt (vgl. BVerwG NVwZ 2008, 439 f.). Die pharmakologische Wirkung stellt dabei eine gezielte Steuerung von Körperfunktionen von außen dar; sie ist nicht mit der unspezifischen Aufnahme von Nährstoffen über natürliche Nahrungsmittel vergleichbar, bei der der Körper die benötigten Bestandteile selbst identifiziert und modifiziert (vgl. BVerwG NVwZ 2008, 439 f. m.w.N.). Bereits aus den von der Antragstellerin vorgelegten Informationsunterlagen ergibt sich, dass nicht nur das Nikotin im Allgemeinen ein Stoff ist, der geeignet ist, die physiologischen Funktionen auf pharmakologische Weise zu beeinflussen, sondern dass dies auch in der besonderen Weise der Inhalation durch E-Zigaretten der Fall ist. Nach der Anlage A 3 der Antragsschrift wirkt Nikotin stimulierend auf nikotinerge Acetylcholinrezeptoren, beschleunigt den Herzschlag, bewirkt eine Verengung der Blutgefäße mit nachfolgender Blutdrucksteigerung und verringert den Appetit. Während zugleich betont wird, dass mit der E-Zigarette eine erhebliche Risikominderung einhergehe, weil die durch die Tabakverbrennung entstehenden Gesundheitsschäden weitgehend vermieden würden, wird zugleich eingeräumt, dass die Wirkungen wie auch die Schäden des Nikotins unverändert blieben. Die Antragstellerin macht zwar geltend, dass insbesondere die SNOKE-Caps, die in ihren Produkten Verwendung fänden, maximal 1% des Nikotingehalts einer Tabakzigarette enthielten. Ob damit ein Unterschreiten der Erheblichkeitsschwelle dargelegt wird, die zum Ausschluss aus dem Arzneimittelbegriff auch bei pharmakologischen Wirkungen führen kann (vgl. BVerwG, NVwZ 2009, 1038 m.w.N. auf die Rechtsprechung des EuGH), erscheint dagegen zweifelhaft. Denn die Antragstellerin macht mit den vorgelegten Informationen geltend, selbst starke Raucher seien in der Lage, ohne Entzugserscheinungen auf die elektrische Zigarette umzusteigen, weil sie dabei die benötigte Menge an Nikotin erhielten. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass die Einordnung als Arzneimittel von vornherein deshalb fehlgeht, weil es lediglich bei einem untypischen Gebrauch der E-Zigarette zu der Aufnahme von relevanten Mengen an Nikotin kommt.

Auch soweit ergänzend die Gefährlichkeit eines Erzeugnisses zu berücksichtigen ist (vgl. EuGH, NVwZ 2009, 967), ist nicht erkennbar, dass der Antragsgegner von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist, soweit er auf die Gefahr einer Vergiftung durch das in konzentrierter Form vorliegende Nikotin hingewiesen hat.

Die Erwägung, nach der Rechtsprechung des EuGH müsse bei der Verwendung eines Stoffes zumindest auch beabsichtigt sein, eine "positive" im Sinne einer therapeutischen Wirkung herbeizuführen, lässt sich der zitierten Entscheidung vom 30. April 2009 (NVwZ 2009, 967) so nicht entnehmen. In dieser Entscheidung ist vielmehr ausgeführt, dass ein Erzeugnis, das einen Stoff erhält, der in einer bestimmten Dosierung eine physiologische Wirkung hat, dann kein Funktionsarzneimittel ist, wenn es in Anbetracht seiner Wirkstoffdosierung bei normalem Gebrauch gesundheitsgefährdend ist, ohne jedoch die menschlichen physiologischen Funktionen wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen zu können. Um eine solche Folgewirkung außerhalb der arzneimittelrechtlich relevanten Wirkungen handelt es sich bei Wirkung des Nikotins jedoch gerade nicht. Denn das Nikotin ist durchaus in der Lage, die physiologischen Funktionen auf pharmakologische Weise zu beeinflussen (vgl. zur Wirkung des Nikotin auch VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 14. Oktober 2011 - 4 L 191/11 - und VG Potsdam, Beschluss vom 9. Juni 2003 3 L 115/08 - jeweils juris). Soweit vertreten wird, auch im Rahmen des funktionalen Arzneimittelbegriffs sei zu prüfen, ob das Erzeugnis dazu bestimmt sei, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken zu dienen (vgl. VG Frankfurt/Oder aaO.) erscheint dies angesichts der Abgrenzung von Funktionsarzneimitteln einerseits und Präsentationsmitteln andererseits jedenfalls nicht eindeutig. Der Begriff des Funktionsarzneimittels stellt gerade in Abgrenzung zum Präsentationsarzneimittel auf die objektive Eigenschaft einer Substanz ab. Zumindest erscheint eine Rechtsauffassung dahingehend, dass es auf einen therapeutischen Zweck im Rahmen der Feststellung, ob es sich um ein Funktionsarzneimittel handelt, nicht ankommt, nicht unvertretbar. So wird in der Kommentierung zum Arzneimittelgesetz ausgeführt, es sei unerheblich, ob "positive" oder "negative" Wirkungen zu verzeichnen oder beabsichtigt seien, das Ziel der Beeinflussungen sei durch das Gesetz nicht vorgegeben (vgl. Volkmer, a.a.O., AMG Vorbem. Rn. 173, Kloesel/Cyran, a.a.O., Arzneimittelrecht, § 2 Anm. 75). Dass die vom Konsumenten als angenehm empfundenen pharmakologischen Wirkungen des Nikotin beabsichtigt ausgelöst werden, ist im Übrigen nicht zweifelhaft. Die Werbeaussage, selbst starke Raucher könnten auf die elektrische Zigarette umsteigen, weil sie dabei die benötigte Menge an Nikotin erhielten, macht deutlich, dass gerade die zielgerichtete Beeinflussung einer physiologischen Funktion beabsichtigt ist. Es soll die vom Nikotinkonsum ausgehende nervenberuhigende und gleichzeitig gehirnanregende Wirkung erzielt werden. Insoweit liegt also eine Zweckbeziehung ("um...zu beeinflussen") vor.

Schließlich dürfte auch davon auszugehen sein, dass E-Zigaretten nicht als dem Vorläufigen Tabakgesetz unterfallende Erzeugnisse zu beurteilen sind, welche nach § 2 Abs. 3 AMG keine Arzneimittel sind (vgl. hierzu VG Potsdam aaO). Nach § 3 Abs. 1 des Vorläufigen Tabakgesetzes sind Tabakerzeugnisse aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellte Erzeugnisse, die zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind. Bei der E-Zigarette handelt es sich nicht um ein aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestelltes Erzeugnis. Nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2001/37/EG sind Tabakerzeugnisse Erzeugnisse, die zum Rauchen, Schnupfen, Lutschen oder Kauen bestimmt sind, sofern sie ganz oder teilweise aus Tabak bestehen. Davon abgegrenzt sind in Artikel 2 Nr. 3 und 4 der Richtlinie Teer und Nikotin. Weder die E-Zigarette noch das Liquid bestehen im Sinne der Richtlinie "ganz oder teilweise aus Tabak". Dass der im Liquid enthaltene Nikotinanteil aus Tabak gewonnen worden ist, lässt das Produkt nicht zu einem Tabakerzeugnis werden. Das Erzeugnis ist auch nicht zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt, sondern zum Inhalieren; das Inhalieren des Dampfes ist eine andere, im Vorläufigen Tabakgesetz nicht angesprochene Anwendungsform, kein Unterfall der oralen Aufnahme. Dies wird aus der Definition in Art. 2 Nr. 4 der Richtlinie 2001/37/EG deutlich, wonach "Tabak zum oralen Gebrauch" alle zum oralen Gebrauch bestimmten Erzeugnisse sind, die ganz oder teilweise aus Tabak bestehen, sei es in Form eines Pulvers oder feinkörnigen Granulats oder einer Kombination dieser Formen, insbesondere in Portionsbeuteln bzw. porösen Beuteln, oder in einer Form, die an ein Lebensmittel erinnert, mit Ausnahme von Erzeugnissen, die zum Rauchen oder Kauen bestimmt sind. Die Inhalation eines Dampfes kann mit dem oralen Gebrauch solcher fester Stoffe nicht gleichgesetzt werden.

Es kann mithin dahinstehen, ob sich aus der Kollisionsregel des § 2 Abs. 3a AMG gegebenenfalls gleichwohl eine Anwendbarkeit des Arzneimittelrechts herleiten ließe.

Ist die Einordnung des Liquids als Arzneimittel nicht ersichtlich abwegig, folgt daraus die Vertretbarkeit der Ansicht, die Bestandteile der E-Zigarette, die zur Aufnahme der Kapseln sowie der Verdampfung und Inhalation dienten, seien Medizinprodukte im Sinne des § 2 Abs. 3 MPG.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG. Sie berücksichtigt den Regelstreitwert in Gewerbeverfahren, weil die Antragstellerin geltend macht, dass die öffentlichen Erklärungen ihren Geschäftsbetrieb gefährdeten.