AGH der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 17.09.2009 - 1 AGH 3/2009
Fundstelle
openJur 2010, 37
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. AG II 10/2008
Tenor

1. Die Berufung des Rechtsanwalts XXX gegen das Urteil vom 12.02.2009 der II. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Bremen wird als unbegründet verworfen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Rechtsanwalt.

Gründe

I.

Die 2. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer XXX ("Anwaltsgericht") hat durch Urteil vom 12.02.2009 gegen den angeschuldigten Rechtsanwalt wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung zur gewissenhaften Berufsausübung und gegen die Verpflichtung, sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich zu verhalten, gemäß §§ 43, 43 Abs. 3 a BRAO eine Geldbuße von € 500,00 als anwaltsgerichtliche Maßnahme verhängt. Es hat festgestellt, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt am XXX während einer Verhandlungspause vor dem Verwaltungsgericht XXX den dortigen Prozessvertreter des Landkreises XXX, den Kreisamtmann B, beleidigt habe. Bereits im dortigen Verfahren beantragte der angeschuldigte Rechtsanwalt am ersten Tag der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, am 27.01.2009, vor Verlesen des Anschuldigungssatzes durch den Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens, weil zum einen der Geschäftsverteilungsplan 2009 für das Anwaltsgericht zu Beginn des Jahres 2009 noch nicht festgestellt war und deswegen die 2. Kammer des Anwaltsgerichts nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, zum anderen die Anschuldigungsschrift nicht den gesetzlichen Voraussetzungen des § 130 BRAO und § 200 StPO genüge. Gegen das am 12.02.2009 verkündete Urteil hat der angeschuldigte Rechtsanwalt durch Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 19.02.2009 am selben Tag per Telefax Berufung eingelegt, die Verfahrenseinstellungsanträge in der Berufungs-Hauptverhandlung wiederholt und seinen Freispruch beantragt.

Die Berufung ist frist- und formgerecht eingelegt worden (vgl. § 143 Abs. 2 Satz 1 BRAO), aber in der Sache nicht begründet.

II.

Das Verfahren war auch vom Senat nicht einzustellen, weil weder erstinstanzlich noch in der Berufungsinstanz Verfahrenshindernisse gemäß § 116 S. 2 BRAO i.V.m. § 260 Abs. 3 StPO vorgelegen haben.

1. Die vom angeschuldigten Rechtsanwalt erhobene Rüge der fehlerhaften Besetzung des Anwaltsgerichts greift nicht durch.

Auch der Senat geht davon aus, dass der Geschäftsverteilungsplan 2009 des Anwaltsgerichts zu Beginn des Geschäftsjahres 2009 noch nicht festgestellt war, weil der Geschäftsverteilungsplan zu diesem Zeitpunkt noch nicht von allen Mitgliedern des Anwaltsgerichts unterschrieben war. Die Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht zu der Feststellung geführt, dass jedoch am 26.01.2009, dem Tag vor Beginn der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, der Geschäftsverteilungsplan 2009 rechtswirksam vorgelegen hatte. Dies ergibt sich aus dem Eingangsstempel der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Bremen auf dem Schreiben des beisitzenden Richters der 2. Kammer des Anwaltsgerichts, Rechtsanwalt XXX, vom 26.01.2009 an das Anwaltsgericht, mit welchem Rechtsanwalt XXX den jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von allen Mitgliedern des Anwaltsgerichts unterschriebenen Geschäftsverteilungsplan 2009 am 26.01.2009 bei der Rechtsanwaltskammer XXX eingereicht hatte, die die Aufgaben der Geschäftsstelle des Anwaltsgerichts wahrgenommen hat. Das bezeichnete Schreiben und der Geschäftsverteilungsplan wurden in der Berufungs-Hauptverhandlung verlesen. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat in der Berufungs-Hauptverhandlung diesen Sachverhalt nicht in Abrede gestellt.

Auch ein entgegen § 116 S. 2 BRAO i.V.m. § 21e Abs. 1, Satz 2 GVG erst im Laufe eines Geschäftsjahres für dieses Geschäftsjahr festgestellter Geschäftsverteilungsplan entfaltet ab seiner Feststellung sofort Wirksamkeit für die Zukunft und genügt ab dann dem aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG herzuleitenden Gebot der Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters. Vor Beginn der erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 27.01.2009 hatte damit die geschäftsverteilungsplanmäßige richterliche Besetzung der 2. Kammer des Anwaltsgerichts festgestanden, und die richterliche Besetzung der 2. Kammer im erstinstanzlichen Verfahren war auch entsprechend den Vorgaben dieses Geschäftsverteilungsplanes 2009 erfolgt (vgl. dazu auch Beschluss des Senats vom 03.02.2009 - 1 AGH 1/09).

Abgesehen davon kommt es in der Berufungsinstanz gar nicht mehr darauf an, ob das erstinstanzliche Gericht richtig besetzt war oder nicht. Selbst bei erstinstanzlich begangenen groben Verfahrensfehlern, die einen absoluten Revisionsgrund begründeten, hat das Berufungsgericht gemäß § 143 Abs. 4 BRAO i.V.m. § 328 StPO in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. Meyer-Goßner, 52. Auflage, § 328 StPO Rn 4).

2. Das Verfahren ist auch nicht wegen Unwirksamkeit der Anschuldigungsschrift und damit Unwirksamkeit des erstinstanzlichen Eröffnungsbeschlusses einzustellen.

In der Anschuldigungsschrift, die dem anwaltsgerichtlichen Eröffnungsbeschluss zugrundeliegt, heißt es im ersten Satz der Anschuldigungsschrift: "... wird angeschuldigt, in XXX am XXX schuldhaft gegen Pflichten verstoßen zu haben, die in der Bundesrechtsanwaltsordnung oder in der Berufsordnung bestimmt sind.". Im Fortgang des Anschuldigungssatzes wird im Verhältnis zum Kreisamtmann B ausgeführt, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt diesen "... in äußerst aggressiver Weise ... verbal an ... [gegangen sei] ... wobei er ihn persönlich unsachlich und in ehrverletzender und herabsetzender Art und Weise beschimpfte, ihm insbesondere grundlos vorwarf, dass ... Kinder, wie jüngst in Schwerin geschehen, verhungerten und dass Kinder tot in Kühltruhen aufgefunden würden. ...". Am Schluss des Anschuldigungssatzes vor "Beweismittel" heißt es weiter:

"- Pflichtverletzung gemäß §§ 43 Abs. 1, 43a Abs. 3, 113 Abs. 1 BRAO -". Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anschuldigungsschrift wird auf Seite 7, vorletzter und letzter Absatz, ausgeführt: "Durch sein im Anschuldigungssatz geschildertes Verhalten hat der Angeschuldigte gegen §§ 43 Abs. 1, 43a Abs. 3 BRAO verstoßen. Seine gegen die Zeugen B und F gerichteten herabsetzenden und ehrverletzenden persönlichen verbalen Angriffe, die mit dem Gegenstand der Verfahren nichts zu tun hatten, stellen einen berufsrechtlich zu ahndenden Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot dar, da sie strafrechtlich die Schwelle der Beleidigung überschreiten.".

Die Anschuldigungsschrift genügt damit den Erfordernissen des § 130 BRAO. Aus ihr ergibt sich die dem angeschuldigten Rechtsanwalt vorgeworfene Berufspflichtverletzung sowohl hinsichtlich des Sachverhaltes, auf den sie sich bezieht, nämlich den Vorkommnissen am XXX im Verwaltungsgericht XXX, als auch hinsichtlich der konkreten Pflichtverletzung, nämlich des Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 StPO, weil die Grenzen zur Beleidigung überschritten worden seien (vgl. Feuerich in Feuerich-Weyland, 7. Auflage, § 130 BRAO Rn 6 - 8). Die Anschuldigungsschrift beschreibt beides aus sich heraus verständlich. Sie zitiert wörtlich die Tatbestandsmerkmale (unsachliches Verhalten, herabsetzende Äußerungen) und schildert im Einzelnen, welche tatsächlichen Handlungen diese Tatbestandsmerkmale ausfüllen.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Anschuldigungsschrift nur die Erfordernisse des § 130 BRAO erfüllen muss, weil § 130 BRAO eine abschließende Regelung ist (so Dittmann in

Henssler-Prütting, 2. Auflage, § 130 BRAO, Rn 7 und 8; Feuerich, aaO, § 130 BRAO, Rn 3), oder ob darüber hinaus über § 116 S. 2 BRAO auch § 200 Abs. 1 StPO zu beachten ist. Denn auch auf Grundlage von § 200 StPO liegt bei der Anschuldigungsschrift aus besagten Gründen kein wesentlicher Mangel vor, der auf den Eröffnungsbeschluss des Anwaltsgerichts durchschlüge und zur Unwirksamkeit sowohl der Anschuldigungsschrift als auch des Eröffnungsbeschlusses führte. Dies wäre nur der Fall bei unzureichend präziser Identifizierung eines Angeklagten (= Angeschuldigten) oder der ihm vorgeworfenen Tat (= Berufspflichtverletzung), die anhand des eigentlichen Anklagesatzes (= Anschuldigungssatzes) zu ermitteln sind, wobei die Ausführungen im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zur Ergänzung und Auslegung herangezogen werden dürfen (vgl. BGHSt 5, 225, 227; 40, 44; Ritscher in Graf/Volk, Beck'scher Online-Kommentar, Stand: 15.06.2009, § 200 StPO Rn 19, sowie Schneider in Karlsruher Kommentar, 6. Auflage (2008), § 200 StPO Rn 30). Diesen Anforderungen nach § 200 Abs. 1 StPO genügt - wie vorstehend ausgeführt - die Anschuldigungsschrift jedenfalls bei Heranziehung des wesentlichen Ermittlungsergebnisses.

III.

1. Die durchgeführte Berufungs-Hauptverhandlung hat im Übrigen folgenden Sachverhalt ergeben:

Der am XXX geborene angeschuldigte Rechtsanwalt ist seit XXX im Bezirk der Rechtsanwaltskammer XXX als Rechtsanwalt zugelassen. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Sein Wohnort und Kanzleisitz sind XXX.

Am Freitag, dem XXX, vertrat der angeschuldigte Rechtsanwalt als beigeordneter Prozessbevollmächtigter in zwei Verfahren gegen die Stadt XXX den M in der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter einer Kammer des Verwaltungsgerichts XXX, dem Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht A. In einem dieser Verfahren ging es u.a. um eine Aufenthaltserlaubnis für M, in dem anderen Verfahren um die Aufhebung einer Wohnsitzauflage und die Möglichkeit, den Wohnsitz des M von XXX in den Landkreis XXX verlegen zu dürfen. Im letzteren Verfahren war beigeladen der Landkreis XXX, weil dieser einer Änderung der Wohnsitzauflage nicht zugestimmt hatte. Die Stadt XXX wurde im Termin vertreten durch die Städt. Rätin F, der Landkreis XXX durch den Kreisamtmann B. Letzterer hatte bereits im Verwaltungsverfahren einer Änderung der Wohnsitzauflage namens des Landkreises XXX nicht zugestimmt.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hatte M sein Begehren nach Aufhebung der Wohnsitzauflage in erster Linie mit dem Wunsch begründet, sich um seinen im Landkreis XXX lebenden alten Vater kümmern zu wollen, aber auch damit, näher bei seinem minderjährigen Sohn aus seiner geschiedenen Ehe mit einer deutschen Frau sein zu können. Der Sohn lebte bei seiner Großmutter mütterlicherseits in XXX. Auf entsprechende Frage des Vorsitzenden Richters A gab der klagende M allerdings in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht an, seinen Wohnsitz in XXX beibehalten zu wollen, würde er dort einen Arbeitsplatz finden. Der Vorsitzende Richter A hatte deswegen den Eindruck, dass dem M der Zuzug in die Nähe von seinem Sohn nicht unter allen Umständen wichtig gewesen war.

Die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wurde das erste Mal unterbrochen, um dem angeschuldigten Rechtsanwalt auf dessen Antrag hin Gelegenheit zu geben, in die im Termin von der Städt. Rätin F dem Verwaltungsgericht überreichten weiteren Verwaltungsvorgänge Einsicht nehmen zu können. Im weiteren Verlauf der Verhandlung baute sich, veranlasst durch den Auftritt des angeschuldigten Rechtsanwaltes, eine angespannte Stimmung unter den Verfahrensbeteiligten weiter auf, insbesondere, als der angeschuldigte Rechtsanwalt der Städt. Rätin F und dem Kreisamtmann B vorwarf, bei der Ablehnung der Wohnsitzauflage für den M nicht das Wohl von dessen minderjährigem Sohn beachtet zu haben. Der angeschuldigte Rechtsanwalt erklärte sinngemäß, wenn die Behörden überall so genau hinsähen, wie bei seinem Mandanten, dann kämen solche Fälle wie Kevin (im Oktober 2006 wurde der 2 1/2jährige Kevin in der Wohnung seines Vaters (in Bremen) tot im Kühlschrank gefunden) und wie in Schwerin (im November 2007 verhungerte ein fünfjähriges Mädchen in Schwerin) nicht vor, an denen die Behörden Schuld gewesen seien. Der Vorsitzende Richter A unterbrach daraufhin für kurze Zeit erneut die Sitzung, weil ihm dies zur Beruhigung der inzwischen emotional sehr aufgeheizten Atmosphäre als notwendig erschien.

In der Sitzungspause begab sich der Kreisamtmann B auf den vor dem Sitzungssaal befindlichen Gerichtsflur, um per Handy seiner Frau seine verspätete Rückkehr nach Hause anzukündigen, weil sich der Gerichtstermin bereits über Freitagmittag hingezogen hatte. Der angeschuldigte Rechtsanwalt folgte dem körperlich kleineren Kreisamtmann B auf den Flur und hielt ihm mit steigender Lautstärke immer wiederholend die Frage vor, ob er, B, auch das Wohl des Kindes (des M) im Auge gehabt habe. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hatte sich dabei dem Kreisamtmann B sehr nahe - Distanz 20 bis 30 cm, doch ohne direkten Körperkontakt - genähert und sogar etwas über ihn gebeugt. Kreisamtmann B versuchte vergeblich, sich von dem angeschuldigten Rechtsanwalt abzuwenden. Der angeschuldigte Rechtsanwalt folgte dem Kreisamtmann B jedoch unter Beibehaltung des geringen Körperabstandes weiter und redete auf diesen laut, möglicherweise auch schreiend, ein. Dabei sagte der angeschuldigte Rechtsanwalt dem Kreisamtmann B sinngemäß sehr laut ins Ohr, Leute wie B seien Schuld daran, dass in Schwerin Kinder sterben oder Kinder tot in Kühltruhen gefunden werden. Der angeschuldigte Rechtsanwalt bedrängte B weiter in einer Weise, die diesem und auch dem Vorsitzenden Richter A, der sich auf dem Weg vom Sitzungssaal in sein Dienstzimmer befand und nun hinzutrat, bedrohlich erschien. A sah sich deshalb veranlasst, dazwischen zu treten. A erreichte so, ohne zum angeschuldigten Rechtsanwalt Körperkontakt aufnehmen zu müssen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt von B abließ. B war innerlich sehr erschüttert über den Vorfall, brachte auch das beabsichtigte Telefonat mit seiner Frau nicht mehr zustande und brauchte, nachdem er sich in ein angrenzendes Geschäftsstellenzimmer des Verwaltungsgerichts zurückgezogen hatte, mehrere Minuten zur Beruhigung. B nahm danach an der nur noch kurze Zeit dauernden Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht wieder teil, zu der der Richter vorsorglich einen Justizwachtmeister gebeten hatte. Diese Verhandlungsfortsetzung verlief dann ohne besondere Vorkommnisse. Bei Ende der Sitzung blieb B noch etwas an seinem Tisch im Gerichtssaal sitzen und versuchte, mit dem angeschuldigten Rechtsanwalt Blickkontakt aufzunehmen, um diesem Gelegenheit zu geben, sich zu entschuldigen. Der angeschuldigte Rechtsanwalt reagierte darauf jedoch nicht und verließ ohne weiteres den Gerichtssaal. Später, als B das Gerichtsgebäude verlassen hatte und zu seinem Dienstwagen gegangen war, brauchte B mehrere Minuten, um seinen Dienstwagen aufzuschließen und noch ca. 15 bis 20 Minuten, bis er losfahren konnte, weil B sich wegen des ihm persönlich sehr nahe gegangenen Vorfalls im Gerichtsflur erst weiter beruhigen musste.

2. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat in der Berufungs-Hauptverhandlung eingeräumt, sich dem Zeugen B in der Verhandlungspause auf dem Gerichtsflur genähert und mehr oder weniger laut auf ihn eingeredet zu haben. Er habe B die Frage gestellt, wo dieser das Kindeswohl berücksichtigt habe und ihn darauf hingewiesen, dass B dem Kindeswohl verpflichtet sei. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat angegeben, sich an den Wortlaut seiner weiteren Erklärungen gegenüber dem Zeugen B nicht mehr erinnern zu können. Er hält es allerdings für möglich, Andeutungen gemacht zu haben, dass solche Sachen wie Kevin in Bremen oder ein Fall von Kindestod infolge Vernachlässigung, wie gerade in Schwerin vorgekommen, dann passierten, wenn Behörden das Kindeswohl nicht wichtig nähmen. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat auch eingeräumt, möglicherweise laut geworden zu sein. Zum Vorwurf der körperlichen Bedrängung hat er sich dahin eingelassen, es könne sein oder auch nicht sein, das wisse er nicht mehr. Eine körperliche Annäherung empfinde überdies jeder unterschiedlich. Er habe das Verhalten des Kreisamtmanns B im Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht einfach nicht akzeptieren können, über eine schlichte Ablehnung der begehrten Zuzugsgenehmigung hinaus sich inhaltlich nicht zu äußern.

Die Zeugen A, B und Frau F haben den Vorgang auf dem Gerichtsflur zwischen dem angeschuldigten Rechtsanwalt und dem Zeugen B glaubhaft, widerspruchsfrei und im Wesentlichen übereinstimmend bekundet. Die Aussage des Zeugen M war diesbezüglich unergiebig.

Der Zeuge A, der erst etwas später hinzugekommen war, konnte sich bezüglich des Inhalts der Äußerungen des angeschuldigten Rechtsanwalts während des Vorfalls auf dem Gerichtsflur allerdings nur an wiederholte Fragen des angeschuldigten Rechtsanwalts an den Zeugen B des Inhalts erinnern, ob dieser bei seiner Entscheidung auch das Wohl des Kindes im Auge gehabt habe. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hätte sich dem Zeugen B dabei körperlich sehr genähert und leicht über ihn gebeugt gehabt. Als der Zeuge B sich hätte entfernen wollen, sei ihm der angeschuldigte Rechtsanwalt in diesem Abstand und dieser Haltung gefolgt. Die Situation sei ihm, dem Zeugen A, als für den Zeugen B bedrohlich erschienen, weswegen er, A, dazwischengetreten sei.

Der Zeuge B und die Zeugin F haben glaubhaft bekundet, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt gegen den Zeugen B sinngemäß den Vorwurf erhoben hat, Leute wie er, der Zeuge B, seien Schuld daran, dass in Schwerin Kinder stürben und Kinder tot in Kühltruhen gefunden würden. Im übrigen haben sie die äußeren Umstände des Vorfalls gleichermaßen bekundet, wie sie der Zeuge A bekundet hat.

Der Zeuge B hat bestätigt, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt ihm besagten Vorwurf aus unmittelbarer Nähe ins Ohr geschrien habe.

Die Zeugin F hat bekundet, auf der Damentoilette, wohin sie sich unmittelbar nach Unterbrechung der Sitzung begeben gehabt hätte, den Lärm auf dem Gerichtsflur durch die geschlossene Tür gehört zu haben, ohne allerdings die Worte zu verstehen. Nachdem sie aus der Damentoilette wieder auf den Gerichtsflur getreten sei, habe sie gehört, wie der angeschuldigte Rechtsanwalt auf den Zeugen B lautstark einredete und diesen bedrängte. Die Zeugin F konnte sich zwar nicht mehr an den genauen Wortlaut dessen erinnern, was der angeschuldigte Rechtsanwalt dem Zeugen B zurief, wohl aber an den unmissverständlich inkriminierten gleichen Inhalt, wie ihn der Zeuge B bekundet hat.

Trotz der persönlichen Betroffenheit des Zeugen B, die auch vom Zeugen A bestätigt worden ist, hat der Senat keine Zweifel an der wahrheitsgemäßen Wiedergabe des Vorfalls durch den Zeugen B. Dessen Schilderung war lebensnah und in sich stimmig.

Der Senat hält die Zeugin F auch deswegen für glaubwürdig, weil sie sich um eine sehr differenzierte Darstellung der Ereignisse bemüht hat. So hat sie insbesondere unterschieden zwischen den ähnlichen Vorwürfen, die der angeschuldigte Rechtsanwalts vor der zweiten Sitzungsunterbrechung während der Gerichtsverhandlung erhoben hatte und die gegen die beteiligten Behörden gerichtet gewesen seien und seinen Vorwürfen in der Verhandlungspause auf dem Gerichtsflur, die gegen den Zeugen B persönlich gerichtet gewesen seien.

Die Aussagen der Zeugin F und des Zeugen B decken sich im Kernbereich. Der von ihnen bekundete äußere Ablauf des Geschehens entspricht dem vom Zeugen B in seiner Aussage bestätigten Verlauf. Auch die Aussage des Zeugen A war lebensnah und in sich stimmig. Wenn der Zeuge A sich an den Inhalt der weiteren Äußerungen des angeschuldigten Rechtsanwalts gegenüber dem Zeugen B nicht hat erinnern können, so erklärt sich das daraus, dass dieser Zeuge erst später hinzugekommen war.

Der Zeuge M hat zu dem Vorfall auf dem Gerichtsflur nichts ausgesagt. Er hat nur die erste Verhandlungspause, in welcher dem angeschuldigten Rechtsanwalt Gelegenheit zu weiterer Akteneinsicht gewährt worden war, bekundet. An die zweite Verhandlungspause mit dem Vorfall auf dem Gerichtsflur hat der Zeuge sich nicht mehr erinnern können oder wollen.

3. Der angeschuldigte Rechtsanwalt hat damit schuldhaft verstoßen gegen das Gebot, sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich zu verhalten. Dies erfüllt den Tatbestand der Verletzung seiner Berufspflicht aus §§ 43a Abs. 3, 113 Abs. 1 BRAO.

Allerdings ist anerkannt, dass ein Anwalt mit den Verfahrensbeteiligten nicht stets so umgehen muss, dass sich diese nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Ein Anwalt darf grundsätzlich starke, eindringliche Ausdrücke benutzen. Es muss beim "Kampf um das Recht" auch ein anwaltliches Verhalten hingenommen werden, das ungehörig, als Verstoß gegen den guten Ton und das Taktgefühl empfunden oder allgemein als unsachlich gewertet wird, selbst wenn es dem Ansehen des Anwaltsstandes abträglich ist. Um einen Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot des § 43a Abs. 3 BRAO annehmen zu können, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der berufsrechtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, die Schwelle zu sanktionswürdigen Pflichtverletzungen erst überschritten, wenn eine Herabsetzung nach Inhalt und Form als strafbare Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) oder Verleumdung (§ 187 StGB) zu beurteilen ist oder eine rechtliche Auseinandersetzung durch neben der Sache liegende Herabsetzung belastet wird, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben (vgl. BVerfG E 76, 171; zuletzt: BVerfG NJW-Spezial 2008, 382 f.; AnwGH Saarland, NJW-RR 2002, 923 ff.; AnwG Hamburg, NJW-RR 2009, 846 f.).

Diese Schwelle hat der angeschuldigte Rechtsanwalt mit seinem Verhalten gegenüber dem Zeugen B in der Verhandlungspause am XXX im Gerichtsflur des Verwaltungsgerichts XXX überschritten.

Die Äußerungen des angeschuldigten Rechtsanwalts gegenüber dem Zeugen B erfüllen den Tatbestand einer Beleidigung nach § 185 StGB.

Der angeschuldigte Rechtsanwalt hielt dem Zeugen B auf dem Gerichtsflur während der Verhandlungspause vor, dass der Zeuge aufgrund der Vernachlässigung seiner Amtspflichten den Tod von Kindern mitzuverantworten haben könnte oder dem Zeugen dieses jedenfalls zuzutrauen sei.

Diese Äußerungen beinhalten ein von der persönlichen Überzeugung des angeschuldigten Rechtsanwalts getragenes ehrverletzendes Werturteil über den Zeugen B und dessen Tätigkeit als Beamter. Seine Amtspflichten so zu vernachlässigen, dass dies zum Tod von Kindern führen könnte, ist einer der härtesten Vorwürfe, die man einem Beamten überhaupt machen kann. Dadurch wurde dem Zeugen B der ethische und soziale Wert abgesprochen, auf den dieser in Erfüllung seiner Aufgaben nach außen Anspruch hat. Dem angeschuldigten Rechtsanwalt ging es bei der Auseinandersetzung auf dem Gerichtsflur - anders als noch in der vorangegangenen Verhandlung vor dem Richter - nicht mehr um die von ihm vertretene Sache seines Mandanten M, sondern um die Diffamierung und Herabsetzung des Zeugen B. Diesem persönlich machte er den Vorwurf. Auch zeigen die äußeren Begleitumstände, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt den Zeugen B persönlich treffen wollte, indem er außerhalb der Gerichtsverhandlung lautstark auf den Zeugen einredete, den Zeugen in bedrohlich erscheinender Weise bedrängte und erst von ihm abließ nach dem Dazwischentreten des Zeugen A. Art und Weise der Äußerungen und das Verhalten des angeschuldigten Rechtsanwalts während der Verhandlungspause erfüllen die Kriterien einer Schmähung, wie sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt ist, weil in diesem Fall der Persönlichkeitsschutz des Zeugen B vorgeht (vgl. BVerfG NJW 2009, 3016 ff).

Ein Rechtfertigungsgrund gemäß § 193 StGB scheidet aus. Allenfalls in Betracht käme die Wahrnehmung berechtigter Interessen. Die Voraussetzungen dafür sind aber auch unter Berücksichtigung der zitierten restriktiven Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Anwendung des § 43a Abs. 3 BRAO zu verneinen. Es ist nämlich nicht ersichtlich, wie diese Kundgebung der Missachtung, wie sie der angeschuldigte Rechtsanwalt außerhalb der Gerichtsverhandlung auf dem Gerichtsflur gegenüber dem Zeugen B vornahm, der Interessenwahrnehmung zu Gunsten des Mandanten dienen können sollte, zumal der Zeuge A nach den persönlichen Erklärungen des Zeugen M in der vorangegangenen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht den Eindruck bekommen hatte, der Zuzug zu dessen Kind sei dem Zeugen M nicht so wichtig, als dass dieser dafür eine konkrete Arbeitsplatzchance aufzugeben bereit gewesen wäre.

Ein Rechtfertigungsgrund ergibt sich auch nicht, wenn man zu Gunsten des angeschuldigten Rechtsanwaltes annimmt, dass Kindeswohlgesichtspunkte im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu Unrecht nicht berücksichtigt worden sein mögen. Auf eine solche ggf. unzureichende Ermessensausübung seitens der beteiligten Behörden hätte der angeschuldigte Rechtsanwalt durchaus nachdrücklich hinweisen dürfen. Allerdings waren persönlich beleidigende und unsachliche Attacken gegen den Zeugen B nicht erlaubt. Das gilt umso mehr, als die Kindeswohlgefährdung in dem vom angeschuldigten Rechtsanwalt angesprochenen Maße bei dem vor dem Verwaltungsgericht verhandelten Fall nicht einmal andeutungsweise zu erkennen gewesen war.

4. Die zu verhängende anwaltsgerichtliche Maßnahme ist gemäß § 113 Abs. 1 BRAO aus § 114 Abs. 1 BRAO zu entnehmen.

Bei der Zumessung der zu erkennenden Maßnahme ist zu berücksichtigen, in welchem Maße durch die Pflichtverletzung das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität das Anwaltsstandes betroffen und damit das Ansehen der Rechtsanwaltschaft geschädigt wurde (vgl. Feuerich, aaO, § 114 BRAO Rn 93). Entscheidend ist, welche Maßnahme erforderlich ist, um zu erreichen, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt künftig seinen beruflichen Pflichten nachkommt und sich an das Sachlichkeitsgebot hält (vgl. Feuerich, aaO; Dittmann, aaO, § 114 BRAO Rn 5). Eine Verwarnung oder nur ein Verweis genügen nach Auffassung des Senats nicht, weil der angeschuldigte Rechtsanwalt jegliche Einsicht in sein Fehlverhalten vermissen lässt. Der Senat hält vielmehr die Verhängung einer Geldbuße für geboten und sieht die vom Anwaltsgericht als anwaltsgerichtliche Maßnahme für erforderlich gehaltene Geldbuße von € 500,00 ebenfalls als angemessene und erforderliche Sanktion an. Bei einem Geldbußerahmen bis zu € 25.000,00 (vgl. § 114 Abs. 1 Nr. 3 BRAO) hält diese Geldbuße sich am unteren Ende dieses Rahmens. Dabei hat der Senat zu Gunsten des angeschuldigten Rechtsanwalts zum einen mildernd berücksichtigt dessen anerkennenswertes Engagement bei der nicht immer leichten anwaltlichen Vertretung ausländischer Mitbürger gegenüber deutschen Behörden, zum anderen, dass gegen den angeschuldigten Rechtsanwalt bislang noch keine anwaltsgerichtlichen Maßnahmen verhängt wurden. Erschwerend waren jedoch zu berücksichtigen die Härte des gegen den Zeugen B erhobenen ehrverletzenden Vorwurfs und die negativen Auswirkungen des Vorwurfs auf das körperliche und mentale Befinden des Zeugen B. Und ebenfalls erschwerend zu berücksichtigen waren der Auftritt des angeschuldigten Rechtsanwalts auf dem Gerichtsflur und gegenüber dem Verfahrensbeteiligten B, durch den sowohl bei den übrigen Verfahrensbeteiligten als auch bei etwa zufällig Anwesenden das Vertrauen in die Integrität des Anwaltsstandes und das Ansehen der Rechtsanwaltschaft geschädigt worden ist.

Zur wirtschaftlichen Lage hat sich der angeschuldigte Rechtsanwalt nicht geäußert, so dass der Senat insoweit von geordneten Verhältnissen ausgegangen ist.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, da nicht über Rechtsfragen oder Fragen der anwaltlichen Berufspflichten, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, zu entscheiden war (§ 145 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 BRAO).

V.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 197 Abs. 2 S. 1 BRAO.

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