LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.01.2012 - 6 Sa 2159/11
Fundstelle
openJur 2012, 16604
  • Rkr:

1. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines HIV-infizierten Arbeitnehmers in der Probezeit, der als Chemisch-Technischer Assistent für Tätigkeiten im Reinraumbereich eines pharmazeutischen Unternehmens eingestellt worden war, verstößt nicht gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung nach § 7 Abs. 1 AGG.

2. Jedenfalls stellen die Sicherheitsstandards des Arbeitgebers zur Vermeidung einer Infektion der Patienten berufliche Anforderungen i. S. d. § 8 Abs. 1 AGG dar, die eine unterschiedliche Behandlung wegen einer HIV-Infektion gestatten.

3. Damit ist die Kündigung weder gemäß § 138 oder § 242 BGB unwirksam, noch besteht ein Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers gemäß § 15 Abs. 2 AGG.

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das sog. Anerkenntnisteil- und Schlussurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.07.2011 – 17 Ca 1102/11 – wird unter Änderung von dessen Kostenentscheidung insoweit als unzulässig verworfen, wie sie sich gegen die Abweisung des allgemeinen Feststellungsantrags richtet, und im Übrigen zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der am …..1987 geborene Kläger trat aufgrund eines Vertrags vom 01.12.2000 (Abl. Bl. 11 – 14 GA) als Chemisch-Technischer Assistent (CTA) mit Wirkung ab 06.12.2010 in die Dienste der Beklagten. Sein Arbeitsverhältnis war bis zum 05.12.2011 befristet, die ordentliche Kündbarkeit während der sechsmonatigen Probezeit mit einer Frist von zwei Wochen vorbehalten.

Die Beklagte stellt Arzneimittel zur Krebsbehandlung her, die intravenös verabreicht werden.

Nach seiner Stellenbeschreibung sollte der Kläger in Produktion und Qualitätskontrolle beschäftigt und dabei im sog. Reinraumbereich eingesetzt werden. In einer SOP (Standard Operating Procedure) genannten Arbeitsanweisung der Beklagten (Abl. Bl. 48 – 62 GA) wird unter Nr. 5 u. a. auf den EG GMP-Leitfaden verwiesen. Dieser findet sich als Anlage 2 zur Bekanntmachung des Bundesministeriums für Gesundheit zu § 2 Nr. 3 der Arzneimittel- und Werkstoffherstellungsverordnung vom 27.10.2006 (AMWHV). Die AMWHV beruht auf § 54 Arzneimittelgesetz (AMG) und dient der Umsetzung der RL 2003/94/EG ins deutsche Recht. Nach Kapitel 2 des GMP-Leitfadens „sollten Vorkehrungen getroffen werden, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist.“

In der Beauftragung des Betriebsarztes mit der Durchführung von GMP-Untersuchungen (Abl. Bl. 46 und 47 GA) sind als Ausschlusskriterien für eine Tätigkeit im GMP-Bereich genannt:

-chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht-chronisch verlaufende Hepatitis B oder C und-HIV.Anlässlich einer Einstellungsuntersuchung am 08.12.2010 teilte der Kläger dem Betriebsarzt mit, HIV-infiziert zu sein. Dieser äußerte daraufhin in seiner Beurteilung vom 14.12.2010 unter Verwendung des dafür vorgesehenen Formulars (Abl. Bl. 16 GA) Bedenken gegen eine Arbeit im GMP-/Reinraumbereich. Zur Begründung dafür führte er in einer Besprechung mit dem Kläger und dem Geschäftsführer und der Personalleiterin der Beklagten am 04.01.2011 die HIV-Infektion des Klägers an. Mangels einer anderen Beschäftigungsmöglichkeit kündigte die Beklagte daraufhin dem Kläger mit Schreiben von diesem Tag zum 24.01.2011 (Abl. Bl. 15 GA).

Mit seiner am 21.01.2011 eingereichten Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung und auch gegen eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses aus sonstigen Gründen gewandt sowie eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern und die Erteilung eines qualifizierten Zwischen- bzw. Endzeugnisses verlangt. Er hat behauptet, der Betriebsarzt habe in der Unterredung vom 04.01.2011 geäußert, selbst keine Bedenken gegen seine Weiterbeschäftigung zu haben, weil aufgrund der Übertragungswege des Virus dessen Übertragung nahezu ausgeschlossen sei.

Auf ein entsprechendes Teilanerkenntnis hat das Arbeitsgericht Berlin die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, und die Klage im Übrigen abgewiesen, wobei es die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zu 4/5 und der Beklagten zu 1/5 auferlegt hat.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 04.01.2011 sei nicht wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG i. V. m. § 134 BGB nichtig. Der Kläger sei schon nicht als behindert anzusehen. Es sei nicht ersichtlich, dass seine symptomlose HIV-Infektion ein Hindernis für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben oder auch am Berufsleben darstelle. Eine fortgesetzte Einnahme von Medikamenten führe für sich genommen zu keiner funktionellen Einschränkung bei der Teilnahme am Leben. Auch ein Grad der Behinderung von 10 aufgrund einer symptomlosen HIV-Infektion habe keine diesbezügliche Aussagekraft. Eine Behinderung liege nicht vor, wenn die Beeinträchtigung erst durch das Verhalten des Arbeitgebers hervorgerufen werde.

Die Kündigung verstoße auch nicht gegen das Willkürverbot des § 242 BGB. Die Beklagte habe nicht willkürlich gerade in Bezug auf den Kläger gehandelt, sondern keine andere Alternative zur Umsetzung ihres in Zusammenarbeit mit dem Betriebsarzt erstellten Regelwerks zur Gesundheitsüberwachung gesehen. Sie habe als nachvollziehbares Motiv angegeben, allerletzte Sicherheit haben zu wollen, dass jegliches Restrisiko in Bezug auf eine Übertragung des HI-Virus ausgeschlossen werde. Deshalb sei es unerheblich, ob der Betriebsarzt geäußert habe, eine Übertragung dieses Virus sei nahezu ausgeschlossen.

Mangels eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot bestehe auch kein Anspruch des Klägers auf eine Entschädigung.

Gegen dieses ihm am 28.09.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.10.2011 eingelegte und am 18.11.2011 begründete Berufung des Klägers. Er verweist darauf, dass es durch die Therapie einer HIV-Infektion in Einzelfällen zu Nebenwirkungen kommen könne, welche die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben einschränkten. Eine solche Einschränkung ergebe sich aber auch aufgrund von gesellschaftlicher Ausgrenzung. Wegen ihrer Dauerhaftigkeit sei eine HIV-Infektion deshalb als Behinderung einzustufen. Es sei nicht seine HIV-Infektion, die ihn beeinträchtige, sondern der Umgang der Beklagten mit dieser.

Aufgrund der Anlage zu § 2 der VersMed-VO vom 10.12.2008 werde eine symptomlose HIV-Infektion von den Versorgungsämtern mit einem Grad der Behinderung von 10 bewertet.

Zwar fielen nach einer Entscheidung des EuGH Krankheiten als solche nicht unter den Begriff der Behinderung i. S. d. RL 2000/78/EG. Unklar sei jedoch, ob nicht eine chronische Krankheit wie die HIV-Infektion im Unterschied zu akuten Krankheiten zum Bereich der Behinderung gehöre.

Die Kündigung der Beklagten sei auch willkürlich. Eine Übertragung des HI-Virus auf die herzustellenden Produkte sei vollkommen ausgeschlossen. Dieses Virus sei keine ansteckende Krankheit i. S. d. GMP-Leitfadens. Zudem könne sich die Beklagte nicht auf ihre internen Regelwerke beziehen, weil er von diesen vor seiner betriebsärztlichen Untersuchung keine Kenntnis gehabt habe. Schließlich widerspreche die Kündigung wegen eines Umstands, der die Tätigkeit nicht im Mindesten beeinflusse und keine Gefahr für Dritte darstelle, dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und sei deshalb auch sittenwidrig.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils

1.festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis zur Beklagten durch deren Kündigung vom 04.01.2011 nicht aufgelöst worden sei,2.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände ende, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbestehe,3.die Beklagte zu verurteilen, ihm an eine angemessene Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern zu zahlen.Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die plakative Äußerung des Klägers, eine Übertragung des HI-Virus auf die herzustellenden Produkte sei vollkommen ausgeschlossen, sei falsch und angesichts des komplexen Themas auch ersichtlich unsubstantiiert. Da sich das Virus verändern könne, hätte ein Gutachten auch nur sehr begrenzte Aussagekraft. Die Produktion des Medikaments erfordere die Arbeit mit angeschliffenen Hohlkanülen, Glasfläschchen und Aluminiumdeckeln. Schnitt- und Stichverletzungen seien dabei möglich. Solche Verletzungen, solange sie nur einen geringen Umfang hätten, seien dabei auch denkbar, ohne dass sie vom Betroffenen sofort bemerkt würden. Auch bei anderen von ihrem Betriebsarzt betreuten Unternehmen stellten HIV und Hepatitis absolute Ausschlussgründe für eine Tätigkeit im Reinraumbereich dar. Dementsprechend habe der Betriebsarzt deren Aufnahme in ihre SOP zugestimmt. Die Beklagte verweist darauf, selbst Mitarbeiter, die lediglich an Schnupfen erkrankt seien, während dieser Zeit nicht im Reinraumbereich einzusetzen. Grund für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger sei nicht dessen HIV-Infektion als solche gewesen, sondern dass es sich dabei um eine ansteckende Krankheit im Sinne ihres internen Regelwerks handele, auf dessen Grundlage sie ihre Genehmigung zur Arzneimittelherstellung erhalten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz zur Akte gereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

1. Die Berufung war gemäß § 522 Satz 1 und 2 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG als unzulässig zu verwerfen, soweit sie sich gegen die Abweisung des allgemeinen Feststellungsantrags gerichtet hat. Insoweit fehlt es an der gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erforderlichen Auseinandersetzung mit den Ausführungen im angefochtenen Urteil.

2. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 04.01.2011 innerhalb der Probezeit unter Wahrung der zweiwöchigen Frist des § 622 Abs. 3 BGB aufgelöst worden. In dieser Kündigung war auch kein gemäß § 15 Abs. 2 AGG zur Entschädigung verpflichtender Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG normierte Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung i. S. d. § 1 AGG zu sehen. Deshalb konnte einerseits dahinstehen, ob trotz § 2 Abs. 4 AGG, wonach für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten, bei einer (unwirksamen) Kündigung ein solcher Entschädigungsanspruch in Betracht kommt (ebenso BAG, Urteil vom 22.10.2009 – 8 AZR 642/08AP AGG § 15 Nr. 2 R 16). Andererseits war das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG im Rahmen der Prüfung der Kündigung auf Treu- oder Sittenwidrigkeit zu berücksichtigen, weil dies durch § 2 Abs. 4 AGG nicht ausgeschlossen wird (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 01.09.2011 – 5 Sa 1024/11 zu I 2.1 der Gründe; vgl. BAG, Urteil vom 06.11.2008 – 2 AZR 523/07 – BAGE 123, 238 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 182 R 34).

2.1 Dahinstehen konnte, ob in einer symptomlosen HIV-Infektion eine Behinderung i. S. d. § 1 AGG zu sehen ist. Entgegen der Ansicht des Klägers hätte sich dies keinesfalls aus dem Umgang der Beklagten mit seiner Infektion durch Ausspruch der Kündigung ergeben, worauf das Arbeitsgericht bereits zutreffend hingewiesen hat, weil damit Ursache und Wirkung vertauscht würden. Bedeutsam könnte dagegen sein, dass nach Nr. 16.11 der GdS-Tabelle in Teil B der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412) eine HIV-Infektion ohne klinische Symptome mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 10 aufgeführt ist, und dass der gemäß Teil A Buchstabe a nach den gleichen Grundsätzen bemessene Grad der Behinderung (GdB) die Auswirkungen von Funktionsstörungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben zum Inhalt hat.

2.2 Es erschien bereits zweifelhaft, in der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger eine Benachteiligung i. S. v. § 7 Abs. 1 AGG zu sehen.

2.2.1 Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Die auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Kündigungserklärung des Arbeitgebers ist für den Empfänger zwar zweifellos nachteilig. Es war jedoch nicht ersichtlich, dass die Beklagte gegenüber einem anderen, nicht HIV-Infizierten, sondern anderweit dauerhaft oder zumindest für längere Zeit infizierten Arbeitnehmer keine Kündigung aussprechen würde, wenn keine andere Beschäftigungsmöglichkeit außerhalb des Reinraumbereichs bestünde. Vielmehr war davon nach den in ihrer SOP „Gesundheitsüberwachung“ getroffenen Regelungen über den Umgang mit jedweder Infektion bis hin zu bloßem Schnupfen auszugehen.

2.2.2 Aus diesem Grund dürfte auch eine mittelbare Benachteiligung von vornherein ausscheiden. Eine solche liegt gemäß § 3 Abs. 2 AGG vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können. Anhaltspunkte dafür, dass von Kündigungen wegen fehlender Einsatzmöglichkeit aus gesundheitlichen Gründen im Reinraumbereich überproportional HIV-Infizierte als Behinderte betroffen wären, bestanden nicht.

2.3 Der Kläger ist durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses jedenfalls nicht wegen seiner HIV-Infektion benachteiligt worden. Die Beklagte hat ihm nicht wegen seiner HIV-Infektion als solcher gekündigt, sondern wegen der sich daraus für sie ergebenden fehlenden Einsatzmöglichkeit. Es verhält sich insoweit ähnlich wie bei einer Kündigung wegen häufiger Fehlzeiten (dazu BAG, Urteil vom 28.04.2011 – 8 AZR 515/10NJW 2011, 2458 R 34) etwa in Folge wiederholter Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer später eingetretenen Immunschwäche.

2.4 Schließlich wäre eine in der Kündigung zu sehende unterschiedliche Behandlung zumindest gemäß § 8 Abs. 1 AGG zulässig gewesen. Eine unterschiedliche Behandlung ist danach wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Dies war vorliegend der Fall.

2.4.1 Das Fehlen einer HIV-Infektion stellte aufgrund der Bedingungen, unter denen der Kläger seine Arbeit als CTA bei der Beklagten auszuüben hatte, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung dar.

2.4.1.1 Einem Arbeitgeber, der sich in seinem Unternehmen der genehmigungspflichtigen Herstellung von Medikamenten widmet, die zur Injektion bei Krebspatienten bestimmt sind, ist zu konzedieren, möglichst jedes Risiko einer Verunreinigung durch Erreger auszuschließen, um die Patienten vor einer Infektion und sich selbst vor Rufschädigung, Umsatzeinbußen und Regressforderungen zu schützen. Wenn er sich dazu ein Regelwerk geschaffen hat, um der ihm erteilten Herstellungserlaubnis zu entsprechen, ist dies eine Bedingung für die auszuübende Tätigkeit, die von seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit bei Verfolgung seines Unternehmensgegenstands gedeckt ist (vgl. BAG, Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08BAGE 131, 86 = AP AGG § 8 Nr. 1 R 39) und geht über die Berücksichtigung bloßer Vorurteile seiner Kundschaft hinaus (zu deren grundsätzlicher Unbeachtlichkeit BAG, Urteil vom 10.10.2002 – 2 AZR 472/01BAGE 103, 111 = AP KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 44 zu B II 3 d der Gründe).

2.4.1.2 Auf eine Kenntnis des Klägers von dem internen Regelwerk der Beklagten bei Vertragsschluss kam es nicht an. Es ging nicht um eine Anfechtung der Vertragserklärung der Beklagten wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB oder den Vorwurf einer Pflichtverletzung, sondern um den objektiven Bestand bestimmter Standards für die Ausübung der übertragenen Tätigkeit.

2.4.1.3 Für die Beachtung der selbstgesetzten Standards der Beklagten war es unerheblich, ob sich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln ließe, dass eine Übertragung des HI-Virus über die injizierten Medikamente ohnehin vollkommen ausgeschlossen wäre. Abgesehen davon, dass auch der mit den Abläufen bestens vertraute Betriebsarzt nach Darstellung des Klägers lediglich geäußert haben soll, selbst keine Bedenken gegen seine Beschäftigung zu haben, weil eine Übertragung nahezu ausgeschlossen sei, war es der Beklagten nicht zu versagen, gleichwohl von einem, wenn auch noch so geringen Risiko auszugehen. Immerhin hat sich selbst das mit der Untersuchung von Infektionskrankheiten ständig betraute Robert-Koch-Institut in einer auf seiner sog. Homepage allgemein zugänglichen und den Parteien im Verhandlungstermin durch Verlesen zur Kenntnis gebrachten Verlautbarung vom 25.11.2004 ein Infektionsrisiko gesehen, wenn angetrocknetes Blut wieder in Lösung gebracht (z. B. bei Wiederverwendung einer Spritze) und aktiv in den Körper eingebracht (z. B. injiziert) wird, und die Botschaft, dass HIV außerhalb des Körpers schnell „absterbe“ als eine der Realität nicht ganz gerecht werdende Vereinfachung eines etwas komplizierteren Sachverhalts bezeichnet (http://www.rki.de/cln_160/nn_208880/SharedDocs/FAQ/HIVAids/FAQ__01.html).

2.4.2 Die Rechtmäßigkeit des Zwecks der beruflichen Anforderungen für eine Beschäftigung im Reinraumbereich stand außer Zweifel. Es ging darum sicherzustellen, eine Verunreinigung der produzierten Medikamente durch Krankheitskeime zu verhindern.

2.4.3 Die dafür gestellten Anforderungen erschienen schließlich auch angemessen. Die dazu vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung hat sich auf den vom Arbeitgeber mit der Tätigkeit verfolgten unternehmerischen Zweck einerseits und den Nachteil für den Beschäftigten andererseits zu beziehen (BAG, Urteil vom 28.05.2009 – 8 AZR 536/08BAGE 131, 86 = AP AGG § 8 Nr. 1 R 51). Während für die Beklagte eine in jeder Hinsicht höchsten Sicherheitsanforderungen entsprechende Herstellung ihrer Arzneiprodukte herausragende Bedeutung für Bestand und Erfolg ihres Unternehmens hat, ist für den Kläger nur ein vergleichsweise kleiner Ausschnitt seines beruflichen Betätigungsfeldes als CTA betroffen.

2.5 Unabhängig davon, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG nicht festzustellen war, erschien die Kündigung der Beklagten auch nicht aus allgemeinen Erwägungen treuwidrig i. S. d. § 242 BGB oder gar sittenwidrig i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat dem Kläger eben gerade nicht deshalb gekündigt, weil sie die vom Kläger geschilderten verbreiteten Vorbehalte gegen HIV-Positive Personen teilt, sondern weil sie sich aus Sicherheitsgründen an einer Beschäftigung des Klägers im Reinraumbereich gehindert sah und keine andere Möglichkeit seiner Beschäftigung bestand.

3. Als unterlegene Partei hat der Kläger die Kosten seiner Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Die erstinstanzliche Kostenentscheidung war gemäß § 308 Abs. 2 ZPO ohne Bindung an die Berufungsanträge nach § 528 Satz 2 ZPO von Amts wegen zu ändern. Da die Beklagte den zunächst auf ein Zwischenzeugnis und zuletzt auf ein Endzeugnis gerichteten Anspruch des Klägers jeweils sofort anerkannt hat und mangels vorheriger Aufforderung insoweit auch keinen Anlass zur Erhebung der Klage gegeben hat, müssen die Prozesskosten auch insoweit gemäß § 93 ZPO dem Kläger zur Last fallen. Dass sie ihm das Zeugnis gleichwohl nicht übersandt hat, war nicht als „nachträgliche Klageveranlassung“ zu werten (dazu LG München II, Beschluss vom 06.03.1978 – 8 T 272/78 – AnwBl. 1978, 181), weil die Erteilung eines Arbeitszeugnisses gemäß § 269 Abs. 1 und 2 BGB grundsätzlich Gegenstand einer Holschuld ist (dazu BAG, Urteil vom 08.03.1995, 5 AZR 848/93BAGE 79, 258 = AP BGB § 630 Nr. 21 zu 1 a der Gründe).

Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung entscheidungserheblicher Rechtsfragen beim Umgang mit einer HIV-Infektion zugelassen.