VG Darmstadt, Urteil vom 14.04.2011 - 3 K 899/10
Fundstelle
openJur 2011, 91805
  • Rkr:

Einzelfall einer Klage gegen eine Doktorgradentziehung, in dem etwa ein Viertel des Textes der Dissertation von Werken anderer Autoren übernommen wurde, ohne dass die Klägerin die Stellen als Zitat gekennzeichnet hatte.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin ist Professorin an der Fachhochschule B-Stadt. Sie wendet sich gegen die Entziehung ihres Doktorgrades durch einen Promotionsausschuss der beklagten Universität.

Der Klägerin wurde am ... der akademische Grad eines Doctor philosophiae (Dr. phil.) durch den Fachbereich ... der Beklagten verliehen, nachdem im Promotionsverfahren unter Mitwirkung der Referenten Prof. Dr. R., des damaligen Privatdozenten Dr. G. und Prof. Dr. O. ihre Dissertation „...“ und ihre mündliche Prüfung mit dem Gesamturteil „mit Auszeichnung bestanden“ bewertet worden waren.

Mit Schreiben vom ... (Blatt 99 der Fachbereichsakte) machte Frau Prof. Dr. J. den damaligen Referenten Prof. Dr. G. und den Fachbereich ... darauf aufmerksam, dass die im Jahre 2003 im M.-Verlag unter dem Titel " ..." erschienene Dissertation der Klägerin in Teilen ein Plagiat ihrer Dissertation „...“ darstelle, die erstmalig ... und in 2. Auflage im Jahr ... im F.- Verlag erschienen sei (Kopie Blatt 47 der Fachbereichsakte). Es handele sich hierbei um „seitenweise wörtliche Übernahmen“, ohne dass die Stellen als Zitate gekennzeichnet seien; ihre Arbeit sei auch nicht im Literaturverzeichnis der Klägerin aufgeführt.

In seiner Stellungnahme vom ... zu dem Plagiatsvorwurf (Blatt 135 der Fachbereichsakte) gab Prof. Dr. R. an, es lasse sich nicht bestreiten, dass es sich bei näher bezeichneten Textstellen um ein Plagiat handele. Die von Frau J. monierten Textteile seien für das Forschungsanliegen der Dissertation der Klägerin zwar relevant, aber nicht zentral. Die Arbeit Frau J.s habe für ihn nicht zur „Referenzliteratur erster Wahl“ gezählt, da sie sich auf andere Fragen konzentriert habe. So verwundere es nicht, dass die Übernahme fremder Textteile nicht aufgefallen sei.

Der Zweitbetreuer der Dissertation, Prof. Dr. G., schrieb in seiner Stellungnahme vom ... (Blatt 137 der Fachbereichsakte), die Plagiatsvorwürfe träfen zumindest in einem Fall zweifelsfrei zu. Die Bedeutung dieser Verfehlung sei aber im Lichte der originären wissenschaftlichen Leistungen der Klägerin zu gewichten. Der Kern ihrer Arbeit bleibe durch die unausgewiesenen Übernahmen unberührt.

Die Klägerin gab in ihrer Stellungnahme ohne Datum, eingegangen am ... (Blatt 138 der Fachbereichsakte) und später noch einmal am ... (Blatt 140 der Fachbereichsakte), an, dass der Plagiatsvorwurf zum Teil richtig sei, und dass sie dies zutiefst bedauere. Die Textpassagen habe sie vor Beginn ihres Promotionsprojektes in der Recherchephase notiert und als Textbausteine zu möglichen Themenfeldern zusammengestellt. Die Inhalte von Frau J.s Veröffentlichung seien ein marginales Thema im Kontext ihrer eigenen Arbeit, die sie auch hätte weglassen können. Frau J. habe sich in ihrer Veröffentlichung mit anderen Ansätzen auseinandergesetzt. Das Wesen ihrer eigenen Dissertation sei dadurch in keiner Weise berührt. Es sei ein Montagefehler gewesen, eine "Schlamperei" von ihr, die sie wirklich sehr bedauere.

In seiner Sitzung vom ... (Protokoll Blatt 166 der Fachbereichsakte) stellte der Promotionsausschuss des Fachbereichs übereinstimmend fest, dass es sich um wortgleichen Text oder das Paraphrasieren von Text über insgesamt 55 Seiten, also somit über ein Achtel des Dissertationstextes, handele. Sämtliche Übernahmen seien ohne Kennzeichnung und Quellenangabe. Die plagiierte Autorin werde auch nicht an anderer Stelle zitiert und ihre Arbeit sei nicht im Literaturverzeichnis der beanstandeten Dissertation aufgeführt. Plagiierte Gedanken würden als eigene Ergebnisse ausgegeben. Die Formulierungen seien oftmals nur in Details verändert. Der Promotionsausschuss, so heißt es im Protokoll weiter, bemühe sich, sowohl die Schwere des Verstoßes als auch den Stellenwert der übernommenen Passagen im Gesamtbild der Dissertation zu bewerten. Er komme zu dem Schluss, dass es sich um einen äußerst gravierenden Verstoß handele, sowohl quantitativ, da er etwa ein Achtel des gesamten Dissertationstextes betreffe, als auch qualitativ, da der ganze Gedankengang und die Abfolge der Erörterungsschritte über 50 Seiten (meist wörtlich) übernommen würden. Die Arbeit wäre - hätte man das Plagiat beizeiten entdeckt - keinesfalls vom Fachbereich angenommen worden, da ein solches Plagiat per se gegen die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens und die wissenschaftsethischen Grundsätze der Respektierung geistigen Eigentums verstoße und somit mit der Promotionsaufgabe unvereinbar sei.

Die plagiierten Passagen fänden sich in der theoretischen und historischen Herleitung dessen, was den originären Kern der Arbeit ausmache. Sie beträfen nicht diesen Kern selbst, dennoch machten sie mehr als die Hälfte der historisch-theoretischen Herleitung des eigenen Ansatzes der Autorin aus, und eine solche Herleitung gehöre ebenfalls zu jeder Dissertation. Dies lasse den Schluss zu, dass zumindest der eigenständige theoretische Beitrag eher gering zu veranschlagen, mindestens aber nicht wissenschaftlich stringent hergeleitet sei. Wegen der Schwere des Verstoßes und des Ausmaßes, in dem in dieser Arbeit plagiiert worden sei, sei der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom ... zunächst einstimmig zu der Empfehlung gekommen, der Klägerin den Doktorgrad zu entziehen. In den darauffolgenden Tagen hätten zwei Mitglieder des Promotionsausschusses aber den Wunsch geäußert, das mögliche Vorhandensein einer eigenständigen wissenschaftlichen Leistung - „trotz des und mit dem erwiesenen Plagiatstatbestand“ - noch einmal überprüfen zu lassen.

Nachdem - hausintern - weitere Plagiatsstellen entdeckt worden waren, beauftragte der Promotionsausschuss den Gutachter Dr. Z. mit Schreiben vom ..., mögliche Plagiate in den übrigen Kapiteln 3 bis 6 der Dissertation einer Überprüfung mit Fremdtexten zu unterziehen, und zwar (aus Kostengründen zunächst) lediglich auf der Grundlage von Texten, die im Internet zur Verfügung standen.

Dr. Z. gab aus jeweils einem Absatz der Dissertation der Klägerin mehrere markante Wortgruppen (drei bis fünf Wörter) aus dem Fließtext in eine Suchmaschine ein. Weiterhin wurden aufgrund eines sogenannten Zufallsfunds mögliche textliche Übereinstimmungen zwischen Kapitel 5.3 der Arbeit und einem Buchtitel aus dem Jahr 1997 untersucht. Das Gutachten von Dr. Z. vom ... (Blatt 67 ff. der Fachbereichsakte) kommt zu dem Ergebnis, es sei eine Vielzahl plagiatorischer Textübernahmen aus online verfügbaren Werken sowie aus dem Buchtitel festgestellt worden. Der Gesamtumfang der Passagen betrage mehr als 70 Manuskriptseiten der Dissertation. Der Umfang der einzelnen Plagiatsstellen schwanke zwischen einem Absatz und 20 Seiten am Stück. Absatz- und seitenweise plagiiert seien unter anderem Arbeiten von acht namentlich bezeichneten Autoren und Autorinnen. Die Klägerin sei durchweg so vorgegangen, dass jene Autorinnen und Autoren, von denen sie unzitiert abgeschrieben habe, an anderen Stellen auch zitiert worden seien. Damit habe sie den Eindruck der Interpretation von direkt zitierten Textsegmenten im eigenen Fließtext oder zumindest der indirekten Wiedergabe in eigenen Worten erweckt (sogenannte "Bauernopfer-Referenz "). Somit beschränke sich die Eigenleistung der Klägerin darauf zu entscheiden, welche Passagen eines zugrunde liegenden "Basal-Referenz-Textes" zitiert und welche abgeschrieben wurden. Es sei für den Leser (oder Begutachter) der Arbeit deshalb an keiner Stelle erkennbar, ob der als Fließtext ausgewiesene Text tatsächlich aus der Feder der Klägerin stamme. Somit könne die wissenschaftliche Eigenleistung der Klägerin insgesamt nicht beurteilt werden. Das Kriterium für eine Dissertation, die eigenständige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem Thema, werde nicht erfüllt. Die plagiatorischen Übernahmen seien eindeutig als wissenschaftliches Fehlverhalten zu klassifizieren.

Aufgrund des weiteren Beschlusses des Promotionsausschusses vom ... (Protokoll Blatt 168 der Fachbereichsakte) entzog der Dekan des Fachbereichs ... der Klägerin mit Bescheid vom ... (Blatt 178 der Fachbereichsakte) den Grad des Doctor „philiophiae“. Gleichzeitig wurde der Vollzug der Promotion widerrufen. Damit erlösche das Recht zur Führung des akademischen Grades Doctor philosophiae (Dr. phil.), Nr. 1 des Bescheids. Die am ... ausgehändigte Doktorurkunde werde eingezogen. Sie sei an den Dekan des Fachbereichs zurückzugeben (Nr. 2 des Bescheids). In Nr. 3 des Bescheids ordnete der Dekan die sofortige Vollziehung des Bescheids an.

In der Begründung wird im Wesentlichen der Beschluss des Promotionsausschusses vom ... wiedergegeben. Eine weitere Überprüfung des Dissertationstextes habe eine Vielzahl plagiatorischer Textübernahmen aus online verfügbaren Werken sowie aus einem Buchtitel im Umfang von mehr als 70 Manuskriptseiten der Dissertation ergeben. Da das Plagiat in der beanstandeten Dissertation quantitativ so umfassend sei, eine durchgängige Methode darstelle und fast alle (auch zentrale) Teile der Arbeit betreffe, könne der Promotionsausschuss keine selbständige wissenschaftliche Leistung (mehr) feststellen. Die Doktorarbeit verstoße damit in gravierender Weise gegen Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens. Wissentlich gegen diese Prinzipien zu verstoßen, sei eine Täuschung der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der damals mit der Arbeit befassten Gutachter.

Der Bescheid wurde der Klägerin am ... zugestellt.

Am ... legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, ohne ihn zunächst zu begründen. In seiner Sitzung vom ... (Protokoll Blatt 170 der Fachbereichsakte) beriet der Promotionsausschuss darüber, ob dem Widerspruch abgeholfen werden könne. Einstimmig wies er den Widerspruch zurück und befasste den Fachbereichsrat mit der Angelegenheit. Dieser beriet in seiner Sitzung vom gleichen Tag (Protokoll Blatt 171 der Fachbereichsakte) über den Widerspruch und beschloss einstimmig, die Entscheidung des Promotionsausschusses zu stützen.

Mit Widerspruchsbescheid vom ... (Blatt 49 der Behördenakte) wies der Präsident der Beklagten den Widerspruch der Klägerin zurück. In der Begründung heißt es u. a., der Bescheid vom ... stütze sich zu Recht auf §§ 25 Abs. 1, 25 Abs. 2 der Allgemeinen Bestimmungen der Promotionsordnung der Beklagten. Hiernach werde der Doktortitel entzogen, wenn festgestellt werde, dass wesentliche Bedingungen irrtümlich als gegeben angenommen würden und der Bewerber bei seinen Leistungen im Promotionsverfahren eine Täuschung versucht oder verübt habe. Dies sei bei der Klägerin der Fall, wie bereits im Bescheid vom ... ausführlich dargelegt worden sei.

Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 11.06.2010 zugestellt.

Am 10.06.2010 ging die Widerspruchsbegründung des Bevollmächtigten der Klägerin bei der Beklagten ein (Blatt 53 der Behördenakte). Darin heißt es unter anderem, sie habe in ihrer Doktorarbeit einen echten Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt geleistet. Die Ergebnisse, auf die sie ihre Promotionsarbeit begründe, seien von ihr verfasst und ausschließlich von ihr verwertet worden. Die Kernaussage, die aus der wissenschaftlichen Arbeit gewonnen werde, sei indes frei von jeglichem Vorwurf eines angeblichen Plagiats.

Am 08.07. 2010 hat die Klägerin Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung „ihres Widerspruchs“ gestellt.

Sie trägt vor, die von der Beklagten angeführten Passagen angeblicher Plagiate würden in dem von der Beklagten behaupteten Umfang bestritten. Im Übrigen entstammten die gerügten Passagen inhaltlich "Nebengleisen", so dass der Wert der Arbeit beim Weglassen der streitigen Passagen den eigentlichen Aussagewert und die wissenschaftliche Arbeit der Dissertation der Klägerin nicht gemindert hätte. Auch die Doktorväter als Gutachter der Klägerin und renommierte Professoren hätten die behaupteten "Mängel in der zitieren Weise" nicht erkannt und keine Überarbeitung verlangt. Die Klägerin habe durch eine Vielzahl von Publikationen und Vorträgen, die aufgezählt werden (Blatt 5 ff. Gerichtsakte), vor und nach ihrer Dissertation bewiesen, dass sie als Teil der „Scientific Community“ die notwendige fachliche Qualifikation besitze. Diese Umstände seien bei der Bewertung des Sachverhalts auch im Rahmen einer Güterabwägung und der Verhältnismäßigkeit nicht berücksichtigt worden. Weiterhin beruhe die Entziehung des Doktorgrades nicht auf einer wirksamen Rechtsgrundlage. Den von der Beklagten herangezogenen Vorschriften fehle es an einer konkreten Darstellung, welche Handlungen und Maßnahmen einer Unwürdigkeit entsprächen, die den Entzug des Doktorgrades rechtfertigten. Auch seien der Umfang einer behaupteten Täuschung und auch die Zeitdauer des Entzuges nicht näher geregelt. Ebenso fehle eine Abgrenzung, bis zu welchem Zeitpunkt nach Erlangung des Doktorgrades ein angeblicher Plagiatsvorwurf zum Entzug des Doktorgrades führen könne. Nach der herangezogenen Vorschrift wäre bereits der Entzug des Doktorgrades gerechtfertigt, wenn bei einer mehrere Seiten umfassenden Promotionsarbeit nur wenige Worte ohne Zitat aufgenommen würden. Hier fehle es an einer Verhältnismäßigkeit, die dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, so dass die gesetzliche Grundlage im Rahmen ihrer Unbestimmtheit nicht wirksam sei. Der Eingriff in das Berufsleben der Klägerin durch den Entzug des Doktorgrades stehe in keinem Verhältnis zu dem Schaden, der dadurch entstünde.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid der Beklagten vom ... und ihren Widerspruchsbescheid vom ... aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat auf die Klage nicht erwidert, aber im Eilverfahren vorgetragen, dem Vortrag der Klägerin seien keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit des Bescheids vom ... zu entnehmen; vielmehr werde die Tatsache des Plagiats selbst nicht bestritten.

Mit rechtskräftig gewordenem Beschluss vom 03.08.2010 - 7 L 898/10.DA - hat die vormalige 7. Kammer des erkennenden Gerichts die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 2 des Bescheids der Beklagten vom ... wiederhergestellt, im Übrigen jedoch den Antrag abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Inhalt der beigezogenen Behördenakten der Beklagten (ein Heft Verwaltungsverfahrensakte, ein Ordner Fachbereichsakte, ein Heft Promotionsakte), die Dissertation der Klägerin als Buch mit dem Titel: „...“, M.-Verlag, ..., sowie ein Band Gerichtsakten des VG Darmstadt in dem Verfahren 7 L 898/10.DA verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom ... und ihr Widerspruchsbescheid vom ...sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Entziehung des Doktorgrades ist § 27 des Hessischen Hochschulgesetzes (HHG) vom 14.12.2009 (GVBl. I S. 666) i. V. m. § 25 Abs. 2 Satz 1 der Allgemeinen Bestimmungen der Promotionsordnung der Beklagten (PO) vom 12.01.1990 (ABl. 1990, S. 658) i. d. F. der 6. Änderung vom 15.02.2006. Nach der letztgenannten Vorschrift regelt sich die Entziehung des Doktorgrades nach den landesrechtlichen Bestimmungen. Als solche ist nur § 27 Satz 1 HHG einschlägig.

Danach sollen aufgrund des Hochschulgesetzes verliehene Grade und Bezeichnungen entzogen werden, wenn sie durch Täuschung erworben wurden oder nach ihrer Verleihung alte oder neue Tatsachen bekannt werden, die ihre Verleihung ausgeschlossen hätten.

Die Vorschrift ist nach Ansicht der Kammer zunächst hinreichend bestimmt. Es ist nicht erforderlich, dass der Umfang einer behaupteten Täuschung und auch die Zeitdauer des Entzugs des Doktorgrads näher geregelt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 20.10.2006 - 6 B 67/06 -, Buchholz 31.6 § 48 VwVfG Nr. 116; VG B-Stadt, Urt. v. 23.05.2007 - 12 E 2262/05 -, juris; Bay. VGH, Urt. v. 04.04.2006 - 7 BV 05.388 -, BayVBl. 2007, 281; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2008 - 9 S 494/08 -, NVwZ-RR 2009, 285; VG Darmstadt, Beschl. v. 03.08.2010 - 7 L 898/10.DA -). Es ist auch nicht notwendig, in der Rechtsgrundlage für eine Doktorgradentziehung eine Bestimmung aufzunehmen, in der das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Sinne der Klagebegründung näher ausformuliert ist; im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit einer zu treffenden Maßnahme ist eine Behörde ohnehin jederzeit verpflichtet, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten; die Verwaltungsgerichte haben zu kontrollieren, ob sie das ordnungsgemäß getan hat.

Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin ihren Doktorgrad durch Täuschung im Sinne des § 27 Satz 1 HHG erworben hat, indem sie weite Teile ihrer Dissertation von anderen Autoren abgeschrieben hat, ohne sie als Zitate kenntlich gemacht zu haben; diese jetzt bekannt gewordene Tatsache hätte die Verleihung des Doktorgrades ausgeschlossen.

Mit der Vorlage der Dissertation versicherte die Klägerin mit ihrer „eidesstattlichen Erklärung“ auf der Rückseite der Seite ... der Arbeit, dass sie die Arbeit selbständig und nur unter Zuhilfenahme der angegebenen Mittel angefertigt habe. Eine solche Erklärung ergibt sich unabhängig von dieser schriftlichen Versicherung auch bereits aus dem Begriff der Dissertation als selbständige, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Leistung, die einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Wissenschaft liefern muss (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 PO). Es entspricht – von der Rechtsprechung anerkannten – Grundsätzen wissenschaftlichen Arbeitens, Textpassagen aus Werken anderer Autoren kenntlich zu machen und alle verwendeten Hilfsmittel offenzulegen (Schroeder, Die Entziehung des Doktorgrades wegen Täuschung in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, NWVBl. 2010, 176, 179 m. Nw.; VG B-Stadt, Urt. v. 23.05.2007 - 12 E 2262/05 -, juris). Hiergegen hat die Klägerin in mindestens einem Viertel der Dissertation verstoßen.

Hierzu hat das Gericht in dem Beschluss vom 03.08.2010 in dem Eilverfahren gleichen Rubrums 7 L 898/10.DA (S. 6 f. des Beschlussabdrucks) ausgeführt:

„Auf der Grundlage der Stellungnahmen des Betreuers der Dissertation, Prof. Dr. R., vom ... (Blatt 135 der Fachbereichsakte) und des Zweitgutachters der Dissertation, Prof. Dr. G., vom ... (Blatt 137 der Fachbereichsakte) sowie unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Antragstellerin ohne Datum, beim Fachbereich eingegangen am ... (Blatt 138 der Fachbereichsakte), stellte der Promotionsausschuss in seiner Sitzung vom ... zu Recht fest, dass es sich bei großen Teilen der Dissertation der Antragstellerin „...“ aus dem Jahre ... (unter dem Titel „...“ erschienen im M.-Verlag, ...) um wortgleichen Text oder das Paraphrasieren von Text der Dissertation von Prof. Dr. ... J., „...“ (erschienen in 2. Auflage im ...), handelt.

Das Gericht hat in einem durch den Berichterstatter vorgenommenen Textvergleich zwar nicht alle vom Promotionsausschuss behaupteten Textgleichheiten oder -ähnlichkeiten nachvollziehen können; so fand es für den Text auf Seite 87 bis Seite 91 Mitte – entgegen der Darstellung des Promotionsausschusses – keine Entsprechung im Text von Prof. Dr. J.. Dies mag daran liegen, dass die Antragsgegnerin nicht das genannte Buch von Prof. Dr. J., sondern nur eine Kopie von Auszügen daraus vorgelegt hat, in der die Seiten 30 bis 32 nicht enthalten sind. Der Promotionsausschuss hatte entsprechend der Angaben von Prof. Dr. J. in ihrem Schreiben vom ... an den Fachbereich (Blatt 100 der Fachbereichsakte) den Umfang des plagiierten Textes aber mit „S. 30 - 68“ angegeben. Weiterhin hat das Gericht – wiederum entgegen den Angaben des Promotionsausschusses – im Text von Prof. Dr. J. keine Ähnlichkeiten zum Text auf Seite 127 bis 130 und 145 Mitte bis 151 des Buchs der Antragstellerin gefunden; sie sind durch die Antragsgegnerin auch nicht belegt worden. Somit kommt das Gericht nur auf ca. 33 Seiten Textgleichheit oder -ähnlichkeit anstatt der vom Promotionsausschuss behaupteten 55 Seiten (einschließlich Fußnoten – z. B. Fn. 98, 99, entsprechend dem J.-Text auf S. 52 bis 56, und ohne zwei Seiten eines längeren wörtlichen Zitats einer dritten Quelle, vgl. S. 103 unten bis S. 106 oben im Buch).

Auf diesen 33 Seiten allerdings finden sich in der Tat die vom Promotionsausschuss angeführten Übereinstimmungen bis in Fußnoten (vgl. nur Fn. 63, 64, 66, 67, 69, 82, 83, 91 bis 94 – letztere entspricht Fn. 27 bei J.), einer Zwischenüberschrift (vgl. 2.2.2 bei der Antragstellerin, S. 93 J.), wörtlichen Zitaten Dritter und Seitenangaben in Werken Dritter (z. B. Fn. 82, 83, 94, 100, 107, 109). Diese Übernahmen wurden nicht als Zitat gekennzeichnet. Die Arbeit der Autorin J. ist auch nirgendwo in der Dissertation der Antragstellerin zitiert oder im Literaturverzeichnis der Antragstellerin aufgeführt.

Gedanken und Schlussfolgerungen der Autorin J. werden von der Antragstellerin als eigene ausgegeben. Zusätzlich zu dem unter Ziffer 4 des Protokollauszugs betreffend die Sitzung des Promotionsausschusses vom ... (Blatt 165 der Fachbereichsakte) genannten Beispiel können hier zwei Stellen auf Seite 124 des Buchs der Antragstellerin (Zeile 9 ff. und 7. Zeile von unten) sowie auf Seite 126 (2. Absatz) angeführt werden, die Ausführungen Prof. Dr. J.s auf Seite 66 bzw. 68 entsprechen. Wie der Promotionsausschuss in Ziffer 5 des genannten Protokolls zu Recht feststellt, wurden in der Dissertation der Antragstellerin Formulierungen oftmals nur in Details verändert, indem die Antragstellerin Sätze umgestellt, Begriffe durch Synonyme ersetzt und Fußnoten im Fließtext übernommen hat. Das schließt nach Ansicht des Gerichts aus, dass sie diese Texte nur infolge eines „Montagefehlers“ oder schlicht durch „Schlamperei“ übernommen hat, wie sie in ihrer am ... bei der Antragsgegnerin eingegangenen Stellungnahme angibt. Auch die Tatsache, dass die Arbeit von Prof. Dr. J. von der Antragstellerin an keiner Stelle erwähnt wurde, spricht für eine Verschleierungsabsicht und nicht für ein Versehen.“

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an, zumal die Klägerin hiergegen auch nichts mehr vorgetragen hat.

Dies gilt auch im Hinblick auf das Gutachten des Dr. Z. vom ... Die Kammer hat keine Bedenken, den Ausführungen des Gutachters zu folgen, zumal die Klägerin auch nicht substantiiert bestreitet, dass die von ihm benannten Texte und Zitate in die Dissertation übernommen wurden. Der Satz im Schriftsatz vom 27.07.2010, entgegen den Ausführungen der Beklagten werde die Tatsache des Plagiats durchaus bestritten, genügt nicht den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag. Hier hätte die Klägerseite zumindest angeben müssen, welche von der Klägerin genannten Textteile nicht unzitiert übernommen worden seien, zumal die Klägerin in ihrer am ... bei der Beklagten eingegangenen Stellungnahme den Plagiatsvorwurf „z. T.“ schon einmal als richtig bezeichnet und dies „zutiefst bedauert“ hatte.

Mit der unzitierten Übernahme der genannten Texte hat die Klägerin den Doktorgrad gemäß § 27 Satz 1 HHG durch Täuschung erworben. Denn mit der Vorlage der Dissertation hatte die Klägerin – wie oben bereits dargelegt – erklärt und damit vorgetäuscht, dass es sich dabei um eine vollständig selbständige wissenschaftliche Leistung handelt (§ 9 Abs. 1 Satz 1 PO). Die Klägerin hat aber entgegen ihrer Erklärung, wie ebenfalls dargelegt, in Wirklichkeit keine selbständige wissenschaftliche Arbeit erbracht.

Für die Täuschung im Sinne von § 27 Satz 1 HHG genügt der bedingte Vorsatz (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 20.06.1989 - 6 UE 2779/88 -, DVBl. 1989, 1277; VG Darmstadt, a.a.O.). Die Klägerin handelte vorsätzlich in diesem Sinne. Sie nahm es zumindest billigend in Kauf, dass die Gutachter der Arbeit über die Urheberschaft der genannten Textteile getäuscht wurden; im Hinblick auf die vom Gutachter Dr. Z. festgestellten „Bauernopfer-Referenzen“ geht die Kammer sogar von einem direkten Vorsatz aus. Der Klägerin war mit den wissenschaftlichen Standards vertraut, somit war ihr bewusst, dass die Texte dem Leser als eigene Leistung erscheinen würden; dabei wollte sie oder nahm sie zumindest in Kauf, dass die Gutachter die Übernahme der Texte nicht bemerkten und sie als vollständig eigenständige Leistung der Klägerin bewerteten, da die Arbeit sonst nicht angenommen worden wäre.

Die Täuschungshandlung der Klägerin ist auch erheblich und nicht lediglich als Bagatelle zu bezeichnen, weil sie Texte wiederholt auf insgesamt mehr als 100 Seiten (33 Seiten Prof. Dr. J., 70 Seiten nach dem Gutachter Dr. Z.) und damit für mindestens ein Viertel der (ohne Gliederung, Literaturverzeichnis etc. rund 405 Seiten umfassenden) Arbeit übernommen und dabei auch Texte verschiedener Autoren benutzt hat, ohne sie (vollständig) als Zitate zu kennzeichnen.

Es ist für die Ursächlichkeit der von der Klägerin begangenen Täuschung auch nicht von Bedeutung, ob ihr für eine korrekte, andere Arbeit, als sie sie tatsächlich vorgelegt hat, der Doktorgrad verliehen worden wäre, maßgeblich ist allein die vorgelegte Arbeit (VG Darmstadt, Beschl. v. 03.08.2010, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, st. Rspr., vgl. Urt. v. 18.11.1980 - IX 1302/78 -, ESVGH 31, 54; Beschl. v. 13.10.2008 - 9 S 494/08 -, NVwZ-RR 2009, 285). Nur eine unter Offenlegung aller verwendeten Quellen und Hilfsmittel erbrachte wissenschaftliche Leistung genügt den Anforderungen an eine eigenständige Dissertation. Die wörtliche oder sinngemäße Übernahme von Textpassagen aus fremden Werken ohne hinreichende Kennzeichnung verstößt daher gegen die Grundsätze des wissenschaftlichen Arbeitens und schließt damit die Annahme einer Arbeit als Dissertation im Regelfall aus (VG Darmstadt, a.a.O.; vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 18.11.1980, a.a.O.; Beschl. v. 13.10.2008, a.a.O.; Bay.VGH, Urt. v. 04.04.2006 - 7 BV 05.388 -, BayVBl. 2007, 281).

Darüber hinaus sind durch die Feststellung der Textgleichheit in großen Teilen der Arbeit auch Tatsachen im Sinne des § 27 Satz 1, 2. Alt. HHG bekannt geworden, die die Verleihung des Doktorgrades ausgeschlossen hätten. Die Promotion der Klägerin wäre nicht erfolgt, wenn sich rechtzeitig herausgestellt hätte, dass die über Seiten abgeschriebenen Texte keine eigenständigen Leistungen, sondern eine Übernahme des Werkes von anderen sind. Dies ergibt sich insbesondere aus den Ausführungen hierzu im Protokoll der Prüfungsausschusssitzung vom ...

Auch die Ausführungen der 7. Kammer im Eilbeschluss vom 03.08.2010 zur Anwendung der Regelung über die Entziehung des Doktorgrades in § 27 Satz 1 HHG im vorliegenden Fall macht sich die erkennende Kammer zu Eigen. Die Bestimmung ist als "Soll"-Vorschrift ausgestaltet. In dem Beschluss heißt es dazu auf S. 10 f. BA weiter:

„Derartige Normen sind im Regelfall für die mit ihrer Durchführung betraute Behörde rechtlich zwingend und verpflichten sie, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz bestimmt ist. Im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muss". Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, darf die Behörde anders verfahren als im Gesetz vorgesehen und den atypischen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (so grundlegend: BVerwG, Urt. v. 29.06.1961 - VI C 148.59 -, BVerwGE 12, 284; Kopp/Ramsauer, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl., § 40 Rdnr. 44 m. w. Nw.).

Das durch eine Soll-Vorschrift eingeräumte Ermessen beschränkt sich grundsätzlich auf die Frage, was im Ausnahmefall zu geschehen hat; ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine solche Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist dagegen als Rechtsvoraussetzung von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden (BVerwG, Urt. v. 10.09.1992 - 5 C 80/88,- juris; vgl. BVerwG, Urt. v. 17.09.1987 - 5 C 26/84 -, BVerwGE 78, 101 = DÖV 1988, 389 = NVwZ 1988, 829).

Eine atypische Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Somit ist es zunächst unschädlich, dass die angefochtenen Entscheidungen der Antragsgegnerin keine Ermessenserwägungen enthalten, in denen die Interessen der Antragstellerin an einem Erhalt ihres Doktorgrades mit den Interessen der Antragsgegnerin an einer Entziehung abgewogen wurden. Der Gesetzgeber hat mit dieser Sollvorschrift klar zu erkennen gegeben, dass eine Täuschung beim Erwerb des Doktorgrades als ein so schwerer Angriff auf die Reputation der sogenannten wissenschaftlichen Gesellschaft und als ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot im Sinne einer Verpflichtung der Universität anzusehen ist, ein für alle Bewerber faires Prüfungsverfahren zu gewährleisten, dass in der Regel mit einer Entziehung des Doktorgrads zu reagieren ist. Die hier vorliegenden Umstände, dass die Promotion zehn Jahre zurückliegt, die Antragstellerin in der Zwischenzeit zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht sowie Vorträge gehalten hat und Professorin an einer Fachhochschule ist, vermag nach Ansicht der Kammer keinen Ausnahmefall zu begründen. Zwar handelt es sich hier um unbestrittene und anerkannte fachliche und wissenschaftliche Leistungen und Erfolge, allerdings ist zu berücksichtigen, dass sie alle auf den festgestellten Täuschungen gründen, ohne diese zum Teil nicht möglich gewesen wären und die Täuschungen somit in der Zwischenzeit noch perpetuiert worden sind.“

Die Entziehung des Doktorgrades erweist sich auch nicht als unverhältnismäßig. Die Vorgehensweise der Klägerin enthält einen schweren Verstoß gegen die wesensprägenden Grundsatzmerkmale wissenschaftlichen Arbeitens, weil sich die Übernahme fremder Passagen nicht auf einzelne Gedanken, sondern ganze Sinneinheiten bezieht (VG Darmstadt, a.a.O.; vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 13.10.2008, a.a.O.) und fast alle, auch zentrale Teile der Arbeit betrifft. Zudem hat die Klägerin ihre insoweit unveränderte Dissertation durch Herausgabe als Buch ca. drei Jahre nach ihrer Promotion einem breiteren wissenschaftlichen Publikum zugänglich gemacht und somit das Plagiat sogar noch weiter verbreitet, obwohl sie wusste, dass mindestens ein Viertel des Buchinhalts – unerkennbar – nicht von ihr stammt. Zwar werden der Klägerin und möglicherweise ihrer Familie durch die Entziehung des Doktorgrades berufliche und soziale Nachteile entstehen. Vertrauensgesichtspunkte können aber bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung keine Rolle spielen, da das Vertrauen der Klägerin wegen ihrer vorsätzlichen Täuschung nicht schutzwürdig ist. Somit ist das öffentliche Interesse an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, an der Übereinstimmung von akademischer Leistung und akademischem Titel und am Ansehen der den akademischen Titel verleihenden Universität höher zu bewerten als die beruflichen und sozialen Folgen für die Klägerin.

Aus dem rechtmäßigen Entzug des Grades des Doctor philosopiae ergibt sich die Rechtmäßigkeit des „Widerrufs“ des Vollzugs der Promotion (§ 22 Abs. 1 Satz 1 PO).

Die „Einziehung“ und Rückforderung der Doktorurkunde in Nummer 2 des angegriffenen Bescheids vom 08.02.2010 hat ihre Rechtsgrundlage in § 25 Abs. 2 Satz 2 PO in Verbindung mit § 52 Satz 1 HVwVfG. Nach der letztgenannten Bestimmung kann die Behörde die aufgrund des (später zurückgenommenen) Verwaltungsaktes erteilten Urkunden, die zum Nachweis der Rechte aus dem Verwaltungsakt oder zu deren Ausübung bestimmt sind, zurückfordern, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar zurückgenommen wurde.

Zwar ist die Rücknahme der Verleihung des Doktorgrades hier noch nicht unanfechtbar. Die Kammer schließt sich aber der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur an, wonach anstatt der Unanfechtbarkeit auch die Vollziehbarkeit der Maßnahme ausreicht (zum Streitstand s. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 52 Rdnr. 7), denn § 52 Satz 1 HVwVfG lässt die Rückforderung auch zu, wenn die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes aus anderen Gründen entfallen ist. Dem steht die sofortige Vollziehbarkeit der Rücknahme gleich, die in Nummer 3 des angefochtenen Bescheids angeordnet und mit Beschluss des Gerichts vom 03.08.2010 bestätigt wurde.

Die Entscheidung über die Rückforderung der (Doktor-)Urkunde steht im Ermessen der Behörde, was sich aus der Formulierung „kann (...) zurückfordern“ ergibt. Zwar ist eine Begründung zu Nummer 2 des Bescheids vom ... weder in diesem noch im Widerspruchsbescheid enthalten, sie ist aber - entgegen der im Beschluss der 7. Kammer vom 03.08.2010 vertretenen Auffassung - hier auch nicht erforderlich. Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Infolgedessen bedarf es insoweit nach § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG auch keiner „das Selbstverständliche darstellenden Begründung“ (BVerwG, vgl. nur Urteile v. 16.06.1997 - 3 C 22.96 -, BVerwGE 105, 55, u. v. 05.07.1985 - 8 C 22.83 -, BVerwGE 72, 1 ; Kopp, VwVfG, 10. Aufl., § 39 Rdnr. 46 ff.). Als eine ermessenslenkende Norm in diesem Sinne betrachtet die Kammer § 52 Satz 1 HVwVfG in Verbindung mit § 27 HHG. „Soll“ der Doktorgrad entzogen werden, so intendiert dies auch die Entscheidung der Beklagten, die Doktorurkunde zurückzufordern und „einzuziehen“. Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, sollten diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sein (BVerwG, Urt. v. 16.06.1997, a.a.O.). Solche Umstände sind für die Kammer im vorliegenden Fall nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen worden.

Da die Klägerin im Verfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.