OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29.04.2008 - 19 A 368/04
Fundstelle
openJur 2011, 58389
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 6 K 8710/01
Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in beizutreibender Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin ist eine 100-%-ige Tochter der S. U. GmbH. Für diese und für die anderen privaten Fernsehsender der S. -Gruppe produziert sie deren Teletextangebot sowie die Dienste EPG (Electronic Program Guide) und BMS (Broadcasting Media Service), die sie ebenfalls mit dem Fernsehsignal verbreiten. Anders als die genannten Fernsehsender ist die Klägerin selbst nicht als Rundfunkveranstalterin zugelassen. Von 1997 bis 2000 firmierte sie unter "S. N. GmbH", von 2000 bis 2005 unter "S. O. GmbH". Bis zum 31. Oktober 1999 hatte der Beklagte sie für zuletzt insgesamt 20 Fernsehgeräte von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Gestützt hatte er diese Befreiung auf § 5 Abs. 7 der bis zum 31. März 2005 geltenden Ursprungsfassung des Rundfunkgebührenstaatsvertrages (RGebStV 1991, ähnlich heute § 5 Abs. 5 RGebStV).

Auf den Verlängerungsantrag der Klägerin wies der Beklagte mit Schreiben vom 28. Juli 1999 zunächst darauf hin, dass die Lizenz-Zulassung von S. Ende September 1999 auslaufe und die Klägerin als S. -Tochter mit unter diese Lizenz falle. Gleichwohl verlängerte er mit Bescheid vom 26. August 1999 die Befreiung „unter Vorbehalt der Vorlage der Lizenz- Zulassung" bis zum 31. Oktober 2002.

Im Juli 2001 äußerte der Beklagte im Rahmen des Klageverfahrens 6 K 3739/01 VG Köln Zweifel, ob die Klägerin überhaupt die Befreiungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 7 RGebStV 1991 erfülle, da sie nicht selbst Rundfunkveranstalterin oder -anbieterin sei und nicht über eine entsprechende senderechtliche Lizenz verfüge. Mit „Widerrufsbescheid" vom 30. Juli 2001 „widerrief" er daraufhin mit Wirkung vom 1. August 2001 die unter dem 26. August 1999 verlängerte Befreiung aus dem vorgenannten Grund und formulierte: „Die Befreiung muss aus diesem Grund widerrufen werden."

Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2001 zurück und führte zur Begründung ergänzend aus, das Privileg des § 5 Abs. 7 RGebStV 1991 gelte nur für solche Geräte, die vom privaten Rundfunkanbieter selbst bereitgehalten würden. Geräte, die von Tochtergesellschaften zum Empfang bereitgehalten würden, könnten nach dieser Vorschrift nicht Gegenstand einer Befreiung werden.

Die Klägerin hat am 26. November 2001 Klage erhoben. Sie hat im Wesentlichen vorgetragen: Auch die vom Beklagten erstmals im Klageverfahren als Ermächtigungsgrundlage herangezogene Vorschrift des § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO sei nicht einschlägig, weil die Befreiungsvoraussetzungen nach Auffassung des Beklagten von Anfang nicht vorgelegen hätten. Auf die §§ 48, 49 VwVfG NRW könne der streitbefangene Bescheid ebenfalls nicht gestützt werden, weil der Beklagte kein Ermessen ausgeübt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30. Juli 2001 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2001 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat im Wesentlichen vorgetragen: Da für die Verwaltungstätigkeit des Beklagten weder das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes noch das des Landes gelte, richte sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides nach § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO. Es handele sich entgegen der ausdrücklichen Bezeichnung nicht um einen Widerruf, sondern um die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Zukunft. Bei Erlass des Befreiungsbescheides vom 26. August 1999 sei der Beklagte davon ausgegangen, dass es sich bei der Klägerin um eine private Rundfunkveranstalterin oder -anbieterin handele. Da diese Voraussetzung jedoch nicht vorliege, sei er berechtigt gewesen, die ohne Grundlage gewährte Gebührenbefreiung wieder zurückzunehmen. Die Rücknahme sei auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen. Ein fehlerhafter Verwaltungsakt wie hier die Gebührenbefreiung könne nämlich für die Zukunft grundsätzlich zurückgenommen werden. Besondere Umstände, die eine Ausnahme rechtfertigten, seien nicht ersichtlich.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil den streitbefangenen Bescheid aufgehoben und ausgeführt: Als Rechtsgrundlage komme nur § 48 VwVfG NRW in Betracht, weil Widerrufsgründe nach § 49 VwVfG NRW nicht vorlägen. Der Beklagte habe sein Rücknahmeermessen nicht ausgeübt, und die Ermessensausübung könne nicht nach § 114 Satz 2 VwGO nachgeholt werden. Das Ermessen sei auch nicht dahingehend verengt gewesen, dass nur die Rücknahme des Befreiungsbescheides mit Wirkung für die Zukunft ermessensfehlerfrei gewesen wäre. Eine derartige Bindung des Rücknahmeermessens könne außerhalb der Fälle des § 48 Abs. 2 Satz 3 und 4 VwVfG NRW nicht angenommen werden und ergebe sich zudem weder aus § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO noch aus § 39 WDRG. Denn es liege insoweit nicht, wie erforderlich, ein Fall der nachträglichen Veränderung der Tatsachengrundlage vor; der Beklagte habe lediglich seine Rechtsauffassung geändert.

Der Beklagte begründet seine vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung im Wesentlichen wie folgt: Die mit Bescheid vom 26. August 1999 erteilte Befreiung sei unter dem Vorbehalt der Vorlage einer Lizenzzulassung der Klägerin erfolgt. Diese habe sie jedoch nicht vorgelegt. Vielmehr habe sich herausgestellt, dass die Klägerin keine private Rundfunkveranstalterin oder -anbieterin sei. Da nach § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO die Befreiung ende, wenn Tatsachen einträten, wonach eine Voraussetzung für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht entfalle, habe der Beklagte die Befreiung zurückgenommen. Die Tatsachen, aus denen sich ergebe, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 5 Abs. 7 RGebStV 1991 nicht erfülle, hätten zwar von vorneherein vorgelegen. Der Beklagte sei jedoch zunächst davon ausgegangen, dass die Klägerin für ihren Tätigkeitsbereich als Rundfunkveranstalterin anzusehen sei und lediglich die hierfür erforderliche Zulassung im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht habe vorlegen können. Als deutlich geworden sei, dass sie eine entsprechende Zulassung nicht erhalten werde, habe der Beklagte von der weniger einschneidenden Maßnahme Gebrauch gemacht, den begünstigenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Dies sei zwingend, wenn die Befreiung nach § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO ende, so dass der Beklagte die Möglichkeit einer anderen Ermessensentscheidung nicht gehabt habe. Zudem sei ein Vertrauen der Klägerin in den Bestand des Befreiungsbescheides nicht gegeben, weil die Befreiung unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Vorlage der Lizenzzulassung ausgesprochen worden sei. Insoweit sei es nicht zutreffend, dass sich die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse in der Person der Klägerin nicht geändert hätten und sich lediglich die Rechtsauffassung des Beklagten geändert habe. Seiner Rechtsauffassung habe es von vorneherein entsprochen, die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht von der Vorlage einer rundfunkrechtlichen Zulassung abhängig zu machen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Rundfunkanstalt das vorzeitige Ende der Befreiung bestimmen könne, ohne an die Regeln über den Widerruf gebunden zu sein, wenn die Befreiungsvoraussetzungen vor Ablauf des Befreiungszeitraums wegfallen würden. Deshalb müsse eine entsprechende Entscheidung, zumindest mit Wirkung für die Zukunft, erst recht möglich sein, wenn sich während des Befreiungszeitraums herausstelle, dass die Voraussetzungen tatsächlich zu keinem Zeitpunkt vorgelegen haben. § 48 VwVfG NRW sei wegen § 2 Abs. 1 VwVfG NRW allenfalls analog anzuwenden. Insoweit sei das Ermessen auf eine Rücknahmeentscheidung mit Wirkung für die Zukunft reduziert gewesen. Die Aufrechterhaltung der Bewilligung wäre aufgrund des Gebots der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ermessensfehlerhaft gewesen.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt im Wesentlichen vor: § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO sei nicht anzuwenden, weil sich lediglich die Rechtsauffassung des Beklagten und nicht die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse geändert hätten. Die Vorlage der Lizenzzulassung sei keine Voraussetzung im Sinne dieser Vorschrift. Abgesehen davon habe sich der in Rede stehende Vorbehalt der Vorlage einer Lizenzzulassung allein auf die zwischenzeitlich vorgelegte Lizenzzulassung der S. U. GmbH, der Muttergesellschaft der Klägerin, bezogen. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Schreiben des Beklagten vom 28. Juli 1999.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses und des beim Verwaltungsgericht Köln anhängig gewesenen Verfahrens 6 K 3739/01 sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Der Senat entscheidet aufgrund des von den Beteiligten erteilten Einverständnisses gemäß §§ 101 Abs. 2, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung.

Die zugelassene und auch sonst zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Sie ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 30. Juli 2001 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der streitbefangene "Widerrufsbescheid" kann weder auf § 5 Abs. 5 Satz 3 der Verordnung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht in ihrer (bis zum 31. März 2005 gültig gewesenen) Ursprungsfassung vom 30. November 1993 - BefrVO - (I.) noch auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden (II.).

I. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist nicht § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO. Danach endete die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, wenn Tatsachen eintreten, wonach eine Voraussetzung für die Befreiung entfällt. Ob und inwieweit § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes ermächtigt, mit dem die bereits unmittelbar kraft normativer Regelung eingetretene Folge des Endens der Befreiung nach außen verbindlich festgelegt wird,

vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29. Juni 1993 - 2 S 3062/92 -, juris, Rdnr. 11; VG Arnsberg, Urteil vom 22. Dezember 2003 - 9 K 447/02 -, juris, Rdnr. 19,

bedarf hier keiner näheren Erörterung. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO sind nicht erfüllt. Diese Vorschrift bezieht sich nach ihrem eindeutigen Wortlaut ("entfällt") ersichtlich auf den Fall, dass die Befreiungsvoraussetzungen zunächst vorgelegen haben und sodann vor Ablauf des Beifreiungszeitraums weggefallen sind. In diesem Sinne sind hier keine Tatsachen eingetreten, wonach eine Voraussetzung für die Befreiung entfallen ist. Nach § 5 Abs. 7 Satz 1 RGebStV 1991 wurden private Rundfunkveranstalter oder -anbieter auf Antrag von der Rundfunkgebührenpflicht für Rundfunkempfangsgeräte befreit, die sie für betriebliche, insbesondere studio- und überwachungstechnische Zwecke zum Empfang bereithielten. Dass sich die insoweit maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich entweder des (personenbezogenen) Tatbestandsmerkmals des privaten Rundfunkveranstalters oder -anbieters oder der weiteren (sachbezogenen) Voraussetzung des Bereithaltens von Rundfunkempfangsgeräten für betriebliche Zwecke nach dem Erlass des Bescheides vom 26. August 1999 geändert haben, wird vom Beklagten weder geltend gemacht noch ist dies sonst ersichtlich.

Dem Berufungsvorbringen des Beklagten, eine Tatsachenänderung im Sinne des § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO liege vor, weil die Befreiung vom 26. August 1999 unter dem Vorbehalt der Vorlage einer Lizenzzulassung der Klägerin erfolgt sei und diese eine rundfunkrechtliche Zulassung nicht vorgelegt habe, folgt der Senat nicht. Die Vorbehaltsregelung bezieht sich nicht auf die Lizenzzulassung der Klägerin. Vielmehr ist mit dem Verwaltungsgericht und der Klägerin aus den nachfolgenden Gründen davon auszugehen, dass diese Regelung - ungeachtet ihrer rechtlichen Einordnung etwa als Rücknahme-/Widerrufsvorbehalt, auflösende Bedingung oder Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung ("vorläufiger Verwaltungsakt") - die Zulassung der S. U. GmbH betraf, auf deren Nichtvorlage der Beklagte sich nicht berufen hat.

Der Inhalt eines Verwaltungsaktes ist nach seinem objektiven Erklärungswert im Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen. Maßgebend ist, wie der Empfänger den Verwaltungsakt unter Berücksichtigung der ihm bekannten oder erkennbaren Umstände bei objektiver Würdigung verstehen muss; unerheblich ist der innere Wille der Behörde.

Kopp/Ramsauer, VwVfG, 10. Aufl. 2008, § 35 Rdn. 18 f.; Stelkens/Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 35 Rdnr. 43, jeweils m. w. N.

Die Klägerin musste die in Rede stehende Vorbehaltsregelung unter Berücksichtigung der ihr bekannten Umstände bei objektiver Würdigung so verstehen, dass die Zulassung der S. U. GmbH gemeint war. Dies ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit jedenfalls aus dem an die Klägerin gerichteten Schreiben des Beklagten vom 28. Juli 1999. Darin führte dieser unter Bezugnahme auf ihren Antrag auf Verlängerung der seinerzeit bestehenden Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht aus, die Lizenzzulassung von S. laufe Ende September 1999 aus, und da die Klägerin als S. -Tochter mit unter diese Lizenz falle, könne ihr Antrag erst nach Zugang der aktuellen Lizenz bearbeitet werden. In Ansehung dieser kurz vor Erlass des Bescheides vom 26. August 1999 erfolgten Mitteilung musste die Klägerin davon ausgehen, dass es für die rechtliche Bewertung ihres Befreiungsbegehrens aus Sicht des Beklagten nicht auf ihre Zulassung, sondern (lediglich) auf die Zulassung der S. U. GmbH ankam.

Eine erweiternde Auslegung des § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO auf Fälle, in denen die Befreiungsvoraussetzungen von Anfang an nicht vorgelegen haben, eine Befreiung somit rechtsirrig ausgesprochen und die wahre Rechtslage erst während des Befreiungszeitraums erkannt wird, scheidet aus. Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung einer Vorschrift steht den Gerichten nur zu, wenn ohne Korrektur des Wortlauts der Gesetzeszweck in einem Teil der Fälle verfehlt würde, ein schwerwiegender Wertungswiderspruch einträte oder eine offenbare Ungerechtigkeit vorläge.

OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2005 - 19 A 948/04 -, S. 6 des Beschlussabdrucks, m. w. N.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Einer solchen Auslegung steht bereits entgegen, dass die Behörden bei der Aufhebung eines wirksamen (begünstigenden) Verwaltungsaktes die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie betroffene Grundrechte zu berücksichtigen haben. Diese aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Aspekte werden durch die differenzierten Regelungen in §§ 48 und 49 VwVfG NRW konkretisiert und sind Gegenstand einer einzelfallgerechten Abwägung insbesondere mit dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Die entsprechenden Abwägungspflichten würden durch eine extensive Auslegung des § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO unterlaufen.

Die direkte oder entsprechende Anwendbarkeit der §§ 48 und 49 VwVfG NRW schließt § 2 Abs. 1 VwVfG NRW, wonach dieses Gesetz nicht für die Tätigkeit des X. Rundfunks L. gilt, im Zusammenhang mit der Anforderung von Rundfunkgebühren nicht aus. § 2 Abs. 1 VwVfG NRW bedarf nach seinem Sinn und Zweck, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, jedenfalls für den Bereich der Heranziehung zu Rundfunkgebühren einer einschränkenden Auslegung; denn in diesem übt der Beklagte originäre Verwaltungstätigkeit aus; diese gehört nicht zu dem Kernbereich der Rundfunkfreiheit im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, in dem die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunk in größtmöglicher Ferne und Unabhängigkeit vom Staat gewährleistet ist.

II. Rechtsgrundlage des streitbefangenen Bescheides ist auch nicht § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW. Seiner (direkten oder entsprechenden) Anwendbarkeit steht, wie zuvor ausgeführt, § 2 Abs. 1 VwVfG NRW nicht entgegen. § 48 VwVfG NRW ist einschlägig, weil der - im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG begünstigende - Bescheid des Beklagten vom 26. August 1999 im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig war, wie sich aus dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts L. vom 13. November 2003 - 6 K 3739/01 - ergibt. Dass der Beklagte seine Entscheidung als "Widerrufsbescheid" bezeichnet und nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt hat, steht der Anwendung des § 48 VwVfG NRW nicht entgegen. Es ist nämlich grundsätzlich umfassend zu prüfen, ob das materielle Recht die durch einen Verwaltungsakt getroffene Regelung trägt oder nicht. Ob hier ein Austausch der Rechtsgrundlage wegen einer etwaigen Wesensveränderung des angegriffenen Verwaltungsaktes ausnahmsweise verwehrt ist, kann dahin stehen. Denn der streitbefangene Bescheid ist als Rücknahmeentscheidung im Sinne des § 48 VwVfG NRW jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil er an dem Fehler des Ermessensausfalls leidet. Der Beklagte hat das ihm bei Vorliegen der Rücknahmevoraussetzungen eröffnete Rücknahmeermessen nicht ausgeübt, und die fehlende Ermessensausübung konnte er im Gerichtsverfahren nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO nachholen (1.). Der angefochtene Bescheid ist deshalb gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 1, 114 Satz 1 VwGO aufzuheben, weil die Klägerin durch den Ermessensausfall in ihren Rechten verletzt ist. Denn das Ermessen des Beklagten war weder auf "Null" reduziert noch im Sinne einer Entscheidung zugunsten der Rücknahme ausnahmsweise intendiert (2.)

1. Der Beklagte hat, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, weder im Bescheid vom 30. Juli 2001 noch im Widerspruchsbescheid vom 30. Oktober 2001 ein Rücknahmeermessen ausgeübt. Dies folgt mit der Annahme strikter normativer Bindung bereits aus der im Bescheid vom 30. Juli 2001 enthaltenen Formulierung "Die Befreiung muss ... widerrufen werden"; diese Wortwahl hat im Widerspruchsbescheid keine Einschränkung erfahren. Soweit der Beklagte die Befreiung "ab dem 1. August 2001 widerrufen" hat, hat er - materiell - der Sperre des negativen Tatbestandsmerkmals des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG NRW Rechnung getragen, ohne Ermessen in zeitlicher Hinsicht auszuüben. Diese Vorschrift ist auch im Fall eines Rundfunkgebührenbefreiungsbescheides anwendbar. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

Der Beklagte konnte die im Verwaltungsverfahren fehlende Ermessensausübung, wie sich ebenfalls aus den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts ergibt, nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO nachholen, weil er, wie ausgeführt, Ermessen überhaupt nicht ausgeübt hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 C 10.07 -, juris, Rdnr. 30, m. w. N.

Der Ermessensausfall ist kausal für die Rechtsverletzung der Klägerin (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

2. Das Ermessen des Beklagten war zum einen nicht auf eine Rücknahme seines Bescheides vom 26. August 1999 reduziert. Bei der Anwendung einer Ermessensnorm kann im Einzelfall eine Schrumpfung des Ermessens auf ein einziges rechtmäßiges Ergebnis eintreten, wenn nach Lage der Dinge alle denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts gewählt werden könnten. In einem solchen Fall ist die Entscheidung der Behörde - trotz des sonst bestehenden Ermessensspielraums - rechtlich zwingend vorgezeichnet, so dass für behördliche Ermessenserwägungen kein Anlass besteht.

BVerwG, Beschluss vom 3. Oktober 1988 - 1 B 114.88 -, juris (nur Orientierungssatz).

So liegt der Fall hier nicht. Die Aufhebung der Befreiung zum 1. August 2001 und somit nach deutlich mehr als der Hälfte des dreijährigen Befreiungszeitraums war nicht die einzig in Betracht kommende ermessensfehlerfreie Entscheidung. Da seinerzeit die vom Beklagten zunächst bejahte Rechtsfrage, ob die Klägerin die personenbezogene Voraussetzung des § 5 Abs. 7 RGebStV 1991 erfüllte, zwischen den Beteiligten umstritten und (ober-) gerichtlich noch nicht entschieden war,

vgl. nunmehr OVG NRW, Urteil vom 28. Januar 2005 - 19 A 2051/03 -, juris.

hätte er sein Ermessen etwa auch dahingehend rechtmäßig ausüben können, von einer Aufhebung der Rundfunkgebührenbefreiung der Klägerin bis zu einer entsprechenden gerichtlichen Klärung Abstand zu nehmen (und nach Ablauf des Befreiungszeitraums lediglich auf eine erneute Verlängerung der Befreiung zu verzichten).

Die Beachtlichkeit des Ermessensausfalls folgt hier zum anderen aus der Anwendbarkeit der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze über das sog. gelenkte oder intendierte Ermessen. Danach müssen, wenn eine ermessenseinräumende Vorschrift dahingehend auszulegen ist, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind.

BVerwG, Urteile vom 16. Juni 1997 - 3 C 22.96 -, juris, Rdnr. 14, und 23. Mai 1996 - 3 C 13.94 -, juris, Rdnr. 51.

Eine ermessenslenkende Norm in diesem Sinne ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, nicht vorhanden. Greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines der Vertrauensausschlusstatbestände des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG NRW sind vom Beklagten weder vorgebracht noch sonst ersichtlich. Entsprechendes gilt für § 5 Abs. 5 Satz 3 BefrVO, dessen Tatbestandsvoraussetzungen, wie bereits ausgeführt, ebenfalls nicht vorlagen. Auch unter Berücksichtigung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit im Sinne des § 39 des Gesetzes über den "X. Rundfunk L. " (WDRG) ist hier nicht davon auszugehen, dass nur die Entscheidung für die Rücknahme regelhaft vorgezeichnet war. Dies hat das Verwaltungsgericht mit zutreffenden Gründen ausgeführt. Darauf nimmt der Senat Bezug.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.