SG Aachen, Urteil vom 27.10.2005 - S 9 AS 31/05
Fundstelle
openJur 2011, 42047
  • Rkr:
Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist Arbeitslosengeld II dem Grunde nach für die Zeit vom 01.01.2005 bis 06.03.2005.

Der Kläger beantragte am 19.12.2004 Arbeitslosengeld II. Er ist im Januar 1962 geboren, bezog zuletzt Arbeitslosenhilfe und lebte in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter, geboren 1930. Die Gesamtgröße der Wohnung liegt laut Mietvertrag bei 62 qm. Dem Antrag beigefügt war ein vom Kläger vorgefertigtes Schreiben, das "A.N." unterschrieben ist und wonach der Kläger von seiner Mutter keine Unterstützung erhalte und sich mit 50% an Miete und Nebenkosten beteiligen müsse. Auskunft über ihr Vermögen gebe sie nicht. Die Mutter des Klägers bezieht ab 01.07.2003 laufend Witwenrente in Höhe von 950,83 EUR und Altersrente in Höhe von 648,42 EUR.

Der Kläger hatte bei Antragstellung Sparguthaben in Höhe von 3.001,20 EUR, Guthaben auf dem laufenden Konto von 943,- EUR, Bargeld von 100,- EUR und besaß einen PKW Audi A3 Attraction 1,9 TDI, 77 kW, Erstzulassung 11.07.03, Metallic-Lackierung, Klimaanlage, Radio, vom Beklagten angesetzter Wert 14.000,- EUR.

Die Beklagte verneinte einen Leistungsanspruch des Klägers wegen zu hohen Vermögens. Der Freibetrag von 9.150,- EUR sei überschritten, wobei der Wert des Pkw abzüglich eines Betrages von 5.000,- EUR für einen bei der Vermögensanrechnung nicht zu berücksichtigenden angemessenen Pkw abzusetzen und der dem Kläger gehörende Pkw deshalb mit 9.000,- EUR zu berücksichtigen sei.

Nach Ablauf der Widerspruchsfrist legte der Kläger am 07.03.2005 Widerspruch ein, wobei er bat, trotz Fristversäumnis in der Sache zu entscheiden und hilfsweise einen neuen Leistungsantrag stellte, der bei der Beklagten bearbeitet wird, aber noch nicht beschieden ist. Der Kläger trug vor, das Sparguthaben von 3.000,- EUR sei inzwischen verbraucht. Der Pkw sei nicht zu berücksichtigen, weil nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte Arbeitslose nicht gezwungen werden könnten, ein Fahrzeug zu verkaufen, nur weil es mehr als 5.000,- EUR wert sei.

Die Beklagte beschied den Widerspruch in der Sache und wies ihn zurück (Bescheid vom 27.04.205), bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung habe wegen zu hohen Vermögens kein Leistungsanspruch bestanden.

Hiergegen richtet sich die Klage, mit der der Kläger eine Fahrzeugbewertung der Fa. F. per 04.06.2005 vorlegte; bei einem Kilometerstand von 28000 km liege der Händlereinkaufspreis bei 14.500,- EUR. Auf seinen Fall sei die Rechtsprechung des Sozialgerichts Detmold anzuwenden, wonach ein Mittelklassewagen kein Vermögen, sondern ein Verkehrsmittel sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.04.2005 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.01.2005 bis 06.03.2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, Mittelklassefahrzeuge könnten nicht generell anrechnungsfrei bleiben. Der Anschaffungspreis des vom Kläger genutzten Fahrzeuges liege bei 23.840,- EUR. Der Kläger habe das Fahrzeug während einer Arbeitslosigkeit angeschafft. Ein Audi A3 gehöre einem völlig anderen Preissegment an, als der Skoda aus der vom Kläger ebenfalls zur Begründung seiner Auffassung herangezogenen Entscheidung des Sozialgerichts Aurich vom 24.02.2005 (S 15 AS 11/05 ER). Maßstab für die Angemessenheit eines Pkw sei der Lebenszuschnitt vergleichbarer Leistungsbezieher.

Die Beteiligten haben sich im Termin am 27.10.2005 darauf geeinigt, dass Gegenstand der Klage der Leistungszeitraum bis einschließlich 06.03.2005 sein soll, da die Beklagte den Neuantrag vom 07.03.2005 als solchen bearbeitet und von diesem Zeitpunkt an möglicherweise veränderte Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen sind.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung von Gebrauchtwagenanzeigen und Fahrzeugbewertungen durch die Firma Audi aus dem Internet, die mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung besprochen wurden.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, denn in der Zeit vom 01.01. bis 06.03.2005 stand dem Kläger Arbeitslosengeld II wegen der Höhe seines zu berücksichtigenden Vermögens nicht zu.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, denn es fehlt an der hierfür nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 SGB II erforderlichen Hilfebedürftigkeit, weil der Kläger seinen Lebensunterhalt aus dem zu berücksichtigenden Vermögen sichern kann. Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB II). Dies ist im Falle des Klägers zunächst sein Bar- und Kontovermögens in Höhe von 4044,20 EUR.

Als Vermögen ist auch der Pkw des Klägers zu berücksichtigen, soweit sein Wert 7.000,- EUR übersteigt. Den Wert des Fahrzeugs per 01.01.2005 setzt die Kammer mit 14.500,- EUR an, entsprechend der vom Kläger vorgelegten Gebrauchtfahrzeugbewertung der Fa. F ... Zwar ist diese per 04.06.2005 erfolgt, die vom Gericht durchgeführte Kontrollberechnung über die Internetseite der Audi-Gebrauchtwagenwertermittlung hat aber per 01.01.2005 keinen höheren Wert ergeben.Die Kammer hat bei der Bewertung des Fahrzeuges mit 14.500,- EUR den Händlereinkaufspreis zugrundegelegt, obwohl der Kläger – was auch die Fa. F. bestätigt – vorgetragen hat, das Händler niedrigere Preise bezahlen, wenn sie Gebrauchtfahrzeuge ankaufen, ohne dass ein Neufahrzeug erworben wird. Dies ergibt sich einfach daraus, dass der Händler bei einem solchen Ankauf Abschläge vom Marktpreis machen muss, weil er beim Verkauf nur den Marktpreis erzielen kann. Das Vermögen ist aber nach dem Verkehrswert, also nach dem am Markt erzielbaren höheren Wert zu bewerten (§ 12 Abs. 4 Satz 1 SGB II). Bei Zugrundelegung dieses Wertes sind dem Vermögen des Klägers weitere 7.500,- EUR hinzuzurechnen. Zwar ist nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II ein angemessenes Kraftfahrzeug für jeden in der Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass der Pkw des Klägers anrechnungsfrei bleibt. Zur Auslegung des Begriffes "Angemessenheit" kann nicht die frühere Rechtsprechung zu der die Arbeitslosenhilfe betreffenden, bis 31.12.2004 geltenden Vorschrift des § 193 Abs. 2 SGB III i.V.m. der Arbeitslosenhilfeverordnung vom 13.12.2001, § 1 Abs. 3 Satz 2 herangezogen werden. Denn zum einen verfolgen Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II durchaus unterschiedliche Zwecke. Anders als bei der Arbeitslosenhilfe haben die SGB II-Leistungen keine Lohnersatzfunktion; die Sicherung eines erworbenen Lebensstandards ist nicht Leistungszweck (Löns/Herold-Tews, SGB II, § 12 Rdnr. 3). Anders als bei der Vorgängervorschrift wird auch der Begriff der "Angemessenheit" im SGB II insoweit näher erläutert – und damit zugleich enger gefasst – als maß-geblich für die Angemessenheit die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung sind (§ 12 Abs. 3 Satz 2 SGB II).

Die Kammer vermag aus diesem Grund der bisher zu § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II ergangenen Rechtsprechung nicht ohne weiteres zu folgen. Allerdings ist auch die erkennende Kammer der Auffassung, dass schon aus der Verwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" abgeleitet werden kann, dass entgegen der Auffassung der Beklagten eine starre Wertgrenze – wie sie die Beklagte bei 5.000,- EUR ansetzt – nicht Bewertungsmaßstab sein kann (ebenso LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.08.2005, L 7 AS 2875/05 ER-B; Sozialgericht Aurich, S 15 AS 11/05 ER, Beschluss vom 25.02.05). Auch folgt die Kammer den zitierten Entscheidungen und dem Sozialgericht Detmold (Gerichtsbescheid vom 21.06.2005, S 4 AS 17/05) darin, dass Zweck der Ausnahmevorschrift in § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II ist, den Arbeitsuchenden die für eine Arbeitsaufnahme erforderliche Mobilität und damit die Möglichkeit zur Annahme auch weiter entfernter Arbeitsangebote zu erhalten, weshalb Kraftfahrzeuge angemessen sind, die ein zuverlässiger, möglichst wenig reparaturanfälliger, sicherer und arbeitstäglich benutzbarer Gebrauchsgegenstand sind. Soweit daraus aber folgen soll, dass generell Fahrzeuge bis etwa 10.000,- EUR (so LSG Baden-Württemberg a.a.O.) oder gar generell Mittelklassefahrzeuge (SG Aurich, SG Detmold, a.a.O.) angemessen und von der Berücksichtigung als Vermögen ausgenommen sein sollen, ist dies sicher nicht zutreffend. Denn wenn maßgeblich die Lebensumstände während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung sind (§ 12 Abs. 3 Abs. 2 SGB II), so ist darauf abzustellen, wie sich ein Arbeitsuchender vernünftigerweise Verhalten würde, der ohne staatliche Unterstützungsleistungen über ein Einkommen etwa in Höhe des Arbeitslosengeldes II verfügt. Sinnvollerweise würde eine solche Person im Besitz des dem Kläger zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeuges dessen hohen Wert nicht durch weiteren Verschleiß verbrauchen, sondern versuchen, auf ein vergleichbar zuverlässiges, aber in einer niedrigeren Preisklasse angesiedeltes Modell umzusteigen, um Barmittel frei zu machen. Hierbei teilt die Kammer die Auffassung der Landessozial- und Sozialgerichte in den vorzitierten Entscheidungen, dass es dem Kläger nicht zumutbar ist, auf ein altes und reparaturanfälliges Fahrzeug umzusteigen (a.a.O.), nicht aber deren Auffassung, dass diese Qualitätsanforderungen nicht auch von Fahrzeugen erfüllt werden können, deren Wert unter 10.000,- EUR liegt oder die nicht wenigstens Mittelklassefahrzeuge sind. Am 25.10.2005 waren in dem Aachener Anzeigenblatt " B." zahlreiche Fahrzeuge angeboten, wobei im Preissegment bis 5.000,- EUR fast ausschließlich Fahrzeuge der Baujahre 1990 bis 1998 angeboten waren, auf die sich der Kläger nach dem vorstehend gesagten nicht ohne weiteres verweisen lassen muss, da diese Fahrzeuge wegen ihres deutlich höheren Alters nicht mehr als ebenso zuverlässig angesehen werden können, wie der derzeit vom Kläger genutzte Pkw. Angeboten waren aber auch: - ein Daihatsu Cuore, Bj. 2001, 55.000 km 4.200,- EUR - ein Opel Astra, Bj. 12/02, 131.000 km 5.700,- EUR - ein Opel Corsa 1,0, Bj. 2003, 30.000 km 6.990,- EUR - ein Renault Twingo, Bj. 2003, 38.000 km 6.950,- EUR - ein Opel Corsa 1,2, Bj. 2001, 48.000 km 7.200,- EUR - ein Opel Corsa C, Bj. 2003, 28.000 km 7.000,- EUR - ein Peugeot 206, Bj. 2004, 21.000 km 7.290,- EUR.

Zumindest die letztgenannten Fahrzeuge in der Zusammenstellung zeigen, dass sich im Segment bis 7.000,- EUR durchaus neuere, wenn auch kleinere Fahrzeuge befinden, die dem des Klägers in Punkto Gebrauchtstüchtigkeit und Zuverlässigkeit, Alter und Kilometerleistung nicht wesentlich nachstehen, so dass im Hinblick auf die Einschränkung der Lebensumstände durch den Leistungsbezug ein Umstieg zumutbar ist. Der 7.000,- EUR übersteigende Wert des dem Kläger gehörenden Pkw, also 7.500,- EUR, ist deshalb als Vermögen anzurechnen.

Das demnach zu berücksichtigende Gesamtvermögen des Klägers von 7.500,- EUR plus 4.044,20 EUR Geldvermögen, insgesamt 11.544,20 EUR, übersteigt den dem Kläger zustehenden Freibetrag, der nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 4 SGB II 200,- EUR je vollendetem Lebensjahr des volljährigen Hilfebedürftigen (bei Antragstellung 8.400,- EUR) zuzüglich 750,- EUR für notwendige Anschaffungen, insgesamt also 9.150,- EUR beträgt. Hilfebedürftigkeit lag damit nicht vor, so dass der Kläger im hier streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf Leistungen der Beklagten hatte.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 des Sozialgerichtsgesetzes.